Wie „die lieben Mitarbeiter“ im Homeoffice überwacht werden
Dossier
„Surfen im Netz, Bildschirm ausstellen – wird da auch gearbeitet? In der Corona-Krise boomt Spionagesoftware, mit der Chefs alles unter Kontrolle haben. (…) Zahlreiche Unternehmen setzen in der Corona-Krise auf das Videochat-Tool Sneek, das alle fünf Minuten ein Foto der Konferenzteilnehmer macht. So kann der Chef genau sehen, ob seine Mitarbeiter gerade am Bildschirm sitzen. Auch Firmenlaptops können aus der Ferne kontrolliert werden (…) Die Software dient aber nicht nur der Aufdeckung arbeitsrechtlicher Verstöße im Bereich Compliance, sondern auch der Produktivitätsmessung. (…) Im Hintergrund laufen zuweilen auch Programme, die aus den Routinen der Mitarbeiter lernen und Anomalien erkennen…“ Artikel von Adrian Lobe vom 26.4.2020 in der Berliner Zeitung online („Wie Mitarbeiter im Homeoffice überwacht werden“) und dazu:
- People Analytics – Gläserne Beschäftigte statt Datenschutz: Verstärkte Überwachung bis ins Homeoffice
„Die EU-Datenschutz-Grundverordnung wird von der Bundesregierung als Modernisierung des Datenschutzes angesehen. (…) Dem Anspruch, einen hohen Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten, werden die Regelungen für Beschäftigte jedoch nicht gerecht. Ein neuer Trend macht dies deutlich: Die systematische, auf Algorithmen basierende Analyse von Personaldaten wird als Softwarelösung mit „People Analytics“ von verschiedenen Anbietern versprochen. Die Technologie verspricht, Arbeitsabläufe zu verbessern, die Produktion zu steigern oder Kosten zu senken. (…) In vielen Systemen arbeitet ein Algorithmus, dessen Vorgaben vom Management nicht offengelegt werden. „Je nachdem, wie die neuen Technologien eingesetzt werden, droht ein Verlust an Autonomie, Kompetenz und sozialer Interaktion“, berichtet dazu die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung. (…) Quantifizierung und Leistungsmessung im Betrieb führen nach Ansicht des Forscherteams zu Konkurrenzdenken und weniger kollegialem Verhalten in der Belegschaft. In der Regel ermöglichen die Systeme ein „Monitoring“ – ein Begriff, der nach einem kurzen Blick des Vorgesetzten auf einen Monitor klingt. In der Praxis führt dies jedoch zu einer jederzeitigen Kontrolle der Arbeitsergebnisse. Der Vorgesetzte kann per Sofortauswertung sehen, wie viele Anträge oder Kundentelefonate der Mitarbeiter bereits erledigt hat und ihn mit den Zahlen konfrontieren, um schnellere Leistungen einzufordern. Durch die Vernetzung greift die Kontrolle auch im Homeoffice. Das sind massive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte. (…) Einen Schritt wollen die Bundesländer bereits gehen. Der Innenausschuss des Bundesrates will die Pflicht für Unternehmen abschaffen, einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu bestellen. Paragraf 38 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) soll gestrichen werden, weil er diese Pflicht für Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten abschafft. Die Begründung für die Abschaffung dieses Mitarbeiterschutzes: Kleine und mittlere Unternehmen sollen nicht mit bürokratischem Aufwand überlastet werden.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 2. April 2024 bei Telepolis - Schönes Urteil gegen unerfüllbare Anforderungen: Arbeitgeber muss Untätigkeit im Homeoffice beweisen, um Gehaltsrückzahlung fordern zu können, und persönliche Leistungsfähigkeit berücksichtigen
„Ohne Arbeit kein Lohn“ gilt auch im Homeoffice. Aber der Arbeitgeber muss beweisen, ob und in welchem Umfang der Beschäftigte seine Arbeitspflicht daheim nicht erfüllt hat. Misslingt der Beweis, kann er das Gehalt nicht zurückfordern – so das LAG Mecklenburg-Vorpommern. Es geht um mögliche Ansprüche auf Gehaltsrückzahlung wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung.
Das war der Fall
Eine leitende Pflegekraft in einer Tagespflege darf einen Teil ihrer Arbeitsleistung (Bearbeiten von Unterlagen) im Homeoffice erledigen. Die Arbeitszeiten sind monatlich in einer vorgegebenen Tabelle nach Arbeitsbeginn und Arbeitsende zu erfassen. Im Homeoffice hat die Pflegekraft insbesondere die Aufgabe, das Qualitätshandbuch und andere für das Pflegemanagement erforderliche Unterlagen zu überarbeiten. Der Arbeitgeber ist der Meinung, dass sie an bestimmten Tagen im Homeoffice nicht die geforderte Arbeitsleistung erbracht hat. Er verlangt daher Rückzahlung des Entgelts.
Das sagt das Gericht
Der Arbeitgeber kann das Entgelt nicht zurückverlangen. Zwar gilt auch im Homeoffice der Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn. Die Erbringung der Arbeitsleistung ist eine Fixschuld, die an feste Zeiten, also an bestimmte Tage und Stunden, gebunden ist und grundsätzlich nicht nachgeholt werden kann. Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast, dass und in welchem Umfang der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht erfüllt hat. Das gilt auch bei Arbeitsleistungen im Home-Office. Der Arbeitgeber hat hier nicht dargelegt, in welchem Umfang die Pflegekraft im Home-Office ihre Arbeitspflicht nicht erfüllt und keine Arbeitsleistungen erbracht hat. Aus verschiedenen Mails ergibt sich, dass die Beschäftigte durchaus etwas erledigt hat. Unerheblich ist, ob die Klägerin die Arbeiten in der gewünschten Zeit oder in dem gewünschten Umfang erledigt hat. Ein Arbeitnehmer genügt seiner Leistungspflicht, wenn er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet...“ Meldung vom 15. November 2023 beim Bund-Verlag („Homeoffice: Arbeitgeber muss Untätigkeit beweisen“) zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28.09.2023 (Az.: 5 Sa 15/23)- Wir erinnern an: Mit Gadgets Anwesenheit im Homeoffice vorgaukeln
„Sie wollen nicht, dass Ihre Anwesenheitsanzeige während der Arbeit auf gelb oder rot springt? Dafür gibt es geniale wie simple Lösungen. Manche Menschen tricksen, um langweilige Onlineschulungen und Homeoffice-Arbeiten unbemerkt zu schwänzen. „Manchmal mache ich bis zu drei Stunden Pause, um zum Sport zu gehen und einzukaufen etc., und es ist um die Mittagszeit herum einfach besser, quasi-anwesend zu sein“, schreibt „TobiAusDerAltstadt“ in einer Rezension auf Amazon über einen sogenannten Mouse Jiggler. Die anstehende Arbeit wird später nachgeholt, was ohne gewisse Tools aber nicht so flexibel möglich wäre. Eine simple Variante ist das Programm AutoClicker, das schlicht immer wieder Linksklicks erzeugt und somit Videokonferenz-Software wie Microsoft Teams und Zoom glauben lässt, am PC säße noch ein Mensch…“ Beitrag von Mark Mantel vom 02.12.2022 bei Heise
- Wir erinnern an: Mit Gadgets Anwesenheit im Homeoffice vorgaukeln
- Mitarbeiterüberwachung: Was ist erlaubt und was verboten?
„Ob Mitarbeiter überwacht werden oder nicht, ist eine Frage der Unternehmenskultur. Verboten ist es nicht, es müssen aber Vorschriften eingehalten werden.Im Homeoffice sind Angestellte ihr eigener Herr. Das mag manchen Vorgesetzen nicht passen, weil sie dann keine Kontrolle über ihre Mitarbeitenden haben. Um zu erfahren, ob und wann sie arbeiten, überwachen manche deshalb ihre Mitarbeiter. Technisch ist das leicht machbar. Ist es auch zulässig?“ Überblick von Peter Ilg am 26.10.2022 in heise news - Die Pandemie hat die Mitarbeiter:innenüberwachung revolutioniert
„Während der Pandemie haben Konzerne und kleine Unternehmen ihre Mitarbeiter:innen häufig ins HomeOffice geschickt. Nicht alle Chef:innen vertrauten ihren Beschäftigten begannen, eben diese mit Softwarepaketen zu überwachen. Ein häufig genutztes Produkt: Microsoft365. Für viele Unternehmen war es keine leichte Entscheidung ihre Beschäftigten ins HomeOffice zu schicken. Aber die Regierung machte Druckund ein Ausbruch in der Firma hätte ja auch tatsächlich das ganze Arbeitsleben lahmlegen können. Während in der Arbeitswelt zunächst die Mühlen etwas langsamer mahlten als gewohnt, vertrauten viele Unternehmen ihren Beschäftigten nicht. Die Pandemie wurde so zum Testfall für neue Methoden zur Überwachung der Mitarbeiter:innen…“ Kommentar von Stefan Pausitz vom 29. September 2021 bei Perspektive Online - Homeoffice: Wenn dein Boss dir zu Hause über die Schulter schaut
„Seit Start der Pandemie hat das Arbeiten aus dem Homeoffice massiv zugenommen. Eine sinnvolle Maßnahme, die aber von unseren Bossen gnadenlos ausgenutzt wird. (…) Es ist ein lang gehegter Traum der Tech-Industrie, das Büro in unser Zuhause zu verwandeln. Diese Ambition manifestiert sich in Entspannungs- und Schlafräumen, in betriebseigenen Kindertagesstätten und Restaurants, bis hin zum letzten Vorstadt-Start-Up, dass sich lieber eine Tischtennisplatte leistet, anstatt seine Beschäftigten vernünftig zu bezahlen. Google baut inzwischen sogar Siedlungen für Arbeiter:innen, direkt eingebettet in ihre Landschaften aus Bürogebäuden. Auf den ersten Blick erscheinen diese als großartige und sinnvolle Verbesserungen der Arbeitsplätze. Aber es sind keine wohlwollenden Geschenke der Kapitalist:innen, denn wir bezahlen dafür mit verlängerte Arbeitszeit durch weniger Pausen, Überstunden, weniger Lohn, stark befristeten Arbeitsverträgen und mit unserer arbeitsfreien Zeit. Denn wer nach der Arbeit bleibt, wird sich Arbeitsgesprächen nicht entziehen können. Wer bleibt, kann immer noch kurz eben was machen, wenn etwas anfällt. Am besten sollten wir immer für unsere Bosse verfügbar und warm gehalten werden. Inzwischen zahlen wir für die Wärme sogar selbst. (…) Diese Entwicklung hat nun einen ultimativen Schritt gemacht. Das Büro, das schon vor der Pandemie immer näher an unser Zuhause geschlichen ist, ist nun vollkommen eingedrungen. Nicht jede Person kann mit der Arbeit aus dem Homeoffice umgehen. Nicht nur die Arbeit, sondern auch die Kommunikation mit Kolleg:innen und Bossen kommt nach Hause, weswegen man aktiv Maßnahmen ergreifen muss, um nicht mehr erreichbar zu sein. Slack, Microsoft Teams und andere professionelle Kommunikationsapps sind schon längst auf unseren Smartphones gelandet. Es ist so einfach geworden, uns jederzeit für Arbeit heranzuholen, die Erwartungshaltung schraubt sich immer weiter nach oben. Der Druck steigt. (…) Arbeitsschutz ist im Homeoffice kaum noch gewährleistet. Wer zu Hause arbeitet, muss sich strengen Kontrollmaßnahmen aussetzen. Kapitalist:innen dürfen während unserer Arbeitszeit log files anlegen, also Register mit Webseiten und Diensten, mit denen wir uns während der Arbeitszeit verbunden haben, um zu überprüfen ob wir auch effektiv schuften. Überstunden dürfen limitiert werden, das trifft vor allem Kolleg:innen in Teilzeit, die von der Personalabteilung automatisch ausgeloggt werden, obwohl sie noch arbeiten. In Kommunikationsapps wie Slack kann durch Funktionen wie “Corporate Export” auch auf private Chatverläufe von Arbeiter:innen zugegriffen werden. Organisierung unter Kolleg:innen wird quasi unmöglich gemacht, Betriebsräte müssen auf Kommunikationsmittel außerhalb der Arbeit zurückgreifen. Diese neue Distanzierung ermöglicht es auch, dass Entlassungen leise und unbemerkt über die Bühne gebracht werden können…“ Beitrag von Paul Kov vom 25. Februar 2021 bei Klasse gegen Klasse - „Corona und die Detektive“? Corona und Keylogger!? – Kontrollmöglichkeiten in Zeiten von Home-Office
„Im Zuge der Corona-Pandemie sind viele Arbeitnehmer im Home-Office tätig. Das epidemiologisch gebotene Social distancing nimmt dem Arbeitgeber jedoch wichtige Kontrollmöglichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern. Zwar kann der Arbeitgeber auch die im Home-Office Beschäftigten anweisen, in bestimmten Abschnitten über den Fortschritt von Projekten zu berichten und (Teil-)Arbeitsergebnisse vorzulegen. Die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer stichprobenartig „über die Schulter“ und „auf die Finger“ zu schauen, versiegt indes nahezu völlig. Was des einen Leid ist des anderen Freud: Medienberichten zufolge erleben Privatdetekteien mitunter Hochkonjunktur (Fischermann, Die Zeit vom 14.5.2020, 19). Welche präventiven und repressiven Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers zur Überwachung der Arbeitnehmer aber sind erlaubt? Welche Rolle spielen digitale Anwendungen wie Screenshot Monitoring oder Time Tracking? Der Beitrag nimmt verschiedene Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers im Zeitalter distanzierter Arbeit in den Blick und ordnet diese systematisch ein…“ Auszug bei juris.de aus dem Artikel von Rechtsanwalt Dr. Justus Frank, LL.M. und Dipl.-Jur. Maurice Heine aus der Zeitschrift Betriebs-Berater 4/21 - Anwenderüberwachung durch Microsofts Office-Software: Microsoft hat die Office-Suite 365 um Funktionen erweitert, mit denen Unternehmen die Arbeitsgepflogenheiten ihrer Belegschaft detailliert beobachten können
„Unter dem Etikett „Workplace Analytics“ hat Microsoft umfangreiche Erweiterungen der Leistungsübersicht MyAnalytics in seinem Software-Paket Microsoft365 freigegeben. Während MyAnalytics Statistiken zur Ressourcenauslastung durch die Anwender aufbereitet, gewährt die neue Übersicht Workplace Analytics zusätzliche Einblicke in die Arbeitsgewohnheiten von Mitarbeitern. Die Software berechnet dazu über verschiedene Benchmarks einen „Productivity Score“. Die angezeigten Erkenntnisse verteilen sich auf die sogenannte „Employee Experience“ und die „Technology Experience“. Zu den mitarbeiterbezogenen Angaben zählt etwa, wie viel Prozent der Nutzer eines Firmenabos Inhalte in der Microsoft-Cloud speichern oder Dateien mit externen Anwendern teilen. Darüber hinaus erläutert die Technik-Info zum Beispiel, wie viel Zeit verloren geht, wenn Mitarbeiter-PCs statt von SSDs von konventionellen Festplatten booten. (…) Ein Podcast-Video von Microsoft offenbart außerdem Funktionen zur persönlichen Mitarbeiterüberwachung: Darin wird zum Beispiel für jeden Anwender vermerkt, an wie vielen Tagen er E-Mails und Yammer-Nachrichten verschickt sowie Chats und Nachrichtenkanäle genutzt hat. Das Video zeigt auch, an wie vielen Tagen er seine Mails mit Querverweisen auf weitere E-Mail-Adressen ergänzt hat. (…) Die Informationen enthalten standardmäßig die Namen, Gruppenzugehörigkeiten und Standorte der Mitarbeiter; die Software anonymisiert diese Daten, wie man im Video erkennt, nur optional. Außerdem weiß Microsoft 365 anscheinend, wie lange jeder Nutzer in Videomeetings seine Kamera aktiviert und seinen Bildschirm geteilt hat. Das Beispielvideo präsentiert dazu zwar nur eine anonyme Statistik, doch die kann ja nur aus individuell erhobenen Daten hervorgehen. (…) Bertold Brücher, Rechtsexperte beim DGB, erklärte gegenüber c’t: „Funktionen, mit denen Unternehmen die Arbeitsgepflogenheiten ihrer Bürobelegschaft detailliert durchleuchten können, widersprechen und verstoßen gegen Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter, Datenschutz und – wenn vorhanden – den Beteiligungsrechten- und -pflichten der Betriebs- oder Personalräte.“ Brücher hält einen rechtskonformen Einsatz für ausgeschlossen. Arbeitgebern, die solche Systeme ohne Beachtung dieser Gesichtspunkte einsetzen, müsse bewusst sein, dass sie sich rechtswidrig verhalten, sagt Brücher.“ Artikel von Dr. Hans-Peter Schüler aus c’t 25/2020 bei heise online am 24. November 2020 , siehe dazu:- Microsoft Office 365: Überwachung des Verhaltens Angestellter soll beschränkt werden
„… Nach einer Welle an Protest hat Microsoft Änderungen der Analyse-Tools von Office 365 angekündigt. Im Zuge einer sogenannten Produktivitätsbewertung konnten Manager:innen seit Anfang November ablesen, in welchem Ausmaß einzelne Angestellte Microsoft-Dienste wie E-Mail, Chat oder Teams nutzen. Künftig sollen keine Daten mehr zu individuellen Nutzer:innen ausgelesen werden können. Die geänderten Funktionen betreffen allerdings nur einen Teil der von Datenschützer:innen kritisierten Palette der Überwachungswerkzeuge. Am vergangenen Dienstag hatte ein Twitter-Thread des österreichischen Forschers und Datenschützers Wolfie Christl eine Lawine an Kritik losgetreten. Er hatte auf ein Promotions-Video von Microsoft 365 aufmerksam gemacht, das eine Reihe neuer Analysefunktionen vorstellte. Christl kritisierte diese als „esoterische Metriken, die auf der Analyse umfangreicher Daten der Mitarbeiter:innenaktivitäten basieren“. (…) In einem Statement vom 1. Dezember beteuerte Jared Spataro, Vize-Präsident von Microsoft 365, die Firma hätte die Kritik gehört: „Wir bei Microsoft glauben, dass datengestützte Einblicke ausschlaggebend dafür sind, Menschen und Organisationen zu befähigen, mehr zu erreichen. Außerdem glauben wir fest daran, dass Privatsphäre ein Menschenrecht ist, und haben uns deshalb dem Schutz der Privatsphäre jeder Person verpflichtet, die unsere Produkte verwendet.“ Als Konsequenz soll die Möglichkeit entfernt werden, Statistiken über einzelne Nutzer:innen einzusehen. Überwacht und gespeichert werden dürfte das Verhalten wohl weiterhin, kann dann jedoch nur noch in aggregierten Ansichten zu größeren Personengruppen eingesehen werden. Des Weiteren sollen Textänderungen deutlicher machen, dass sich die Produktivitätsbewertung auf die gesamte Organisation bezieht und nicht auf das Arbeitsverhalten Einzelner. Auf die Frage von netzpolitik.org, wann die angekündigten Änderungen umgesetzt werden sollen, konnte Microsoft in einer Stellungnahme noch keine Antwort geben. In jedem Fall sei die Funktionalität rechtlich in Ordnung: „Der Einsatz von M365 ist DSGVO-konform möglich. Die Bewertung muss durch die verantwortliche Stelle erfolgen“, heißt es. (…) Christl sieht in der zurückgezogenen Funktionalität aber „nur die Spitze des Eisbergs“. In der Tat macht die individuelle Auswertung nur einen kleinen Teil der Analysemöglichkeiten aus. (…) Wie Christl anmerkt, werden hier also mehr oder minder arbiträre Daten wie die Nutzung von Chatfunktionen herbeigezogen, um die Qualität von Arbeitsergebnissen zu bewerten – die Akzeptanz technischer Mittel wird mit Erfolg gleichgesetzt. Die Erkenntnisse sind umso beunruhigender, zieht man ein Patent von Microsoft aus dem vergangenen Jahr hinzu. Die darin beschriebene Methode zielt auf die „Veränderung von Verhalten“: Nutzer:innen mit „Kollaborationsproblemen“ sollen dazu identifiziert werden und „Verhaltens-Management-Programme“ durchlaufen…“ Beitrag von Serafin Dinges vom 2. Dezember 2020 bei Netzpolitik.org
- Microsoft Office 365: Überwachung des Verhaltens Angestellter soll beschränkt werden
- COVID-19 verschärft die Überwachung am Arbeitsplatz
„In der Pandemie sprießen digitale Werkzeuge zur Kontrolle von Beschäftigten wie Pilze aus dem Boden. Welche Mittel bleiben uns, um dauerhafte Eingriffe in die Privatsphäre zu verhindern? (…)Da die Ausgangsbeschränkungen weltweit schrittweise aufgehoben wird, verlassen sich die Länder auf Technologie und Anwendungen zur Kontaktverfolgung, um infizierte Personen aufzuspüren und zu verfolgen. Die daraus folgenden Risiken für Beschäftigte sind dreifacher Art: (a) Angesichts der Dringlichkeit der Situation besteht die Gefahr, dass wir in eine „Wilder-Westen-Umgebung“ geraten, in der wichtige Schutzmaßnahmen und Regeln missachtet werden. (b) Einige Unternehmen werden sich ermächtigt fühlen, die von den Staaten entwickelten Lösungen zu kopieren und die COVID-19-Krise als Gelegenheit zu nutzen, um die Einführung der Überwachung an den Arbeitsplätzen zu beschleunigen. (c) Die Menschen werden unter Umständen ausgenutzt und unempfindlich gegen Rückverfolgung. In gleicher Weise können sich auch die Arbeitnehmer an die Überwachung am Arbeitsplatz gewöhnen. Vor kurzem sind die ersten Fälle von Firmen bekannt geworden, die COVID-19 zur Einführung von Überwachungsinstrumenten einsetzen (…) Beschäftigte sind meist in einer unausgewogenen Machtsituation, die ihre Fähigkeit zum Widerstand einschränkt. Die Macht des Gesetzes in Verbindung mit starken Tarifverhandlungen und einer Sensibilisierung für die Überwachung am Arbeitsplatz können jedoch zum Schutz der Arbeitnehmerrechte beitragen. Es gibt rechtliche Garantien, die Arbeitnehmer vor Missbrauch schützen können, darunter die Datenschutzgrundverordnung, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Schutz der Privatsphäre und der persönlichen Daten von Beschäftigten, die Empfehlungen des ILO-Verhaltenskodex zum Schutz der persönlichen Daten und die EU-Richtlinie zur Produkthaftung. Ein Schlüssel zur Begrenzung der Überwachung am Arbeitsplatz liegt in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Ihr Artikel 88 ist ein wesentliches Instrument, da er sich auf den Datenschutz im Zusammenhang mit der Beschäftigung konzentriert und den Mitgliedstaaten erlaubt, spezifischere Vorschriften für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Beschäftigung zu erlassen. (…) Für die Umsetzung europäischer Datenschutzregeln gibt es überdies Leitlinien der EU-Datenschutzbehörden. Sie stellen klar, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten am Arbeitsplatz Einschränkungen bei der Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten gelten, sei es in Bezug auf E-Mail-Nutzung, Internetzugang, Videokameras, Geolokalisierung und Nachverfolgung. Zweitens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrere Urteile zu Verletzungen von Artikel 8 der EU-Menschenrechtskonvention gefällt, der den Schutz der Privatsphäre festschreibt. (…) Gewerkschaften können so zum Schutz der Privatsphäre und zur Gewährleistung des Datenschutzes am Arbeitsplatz beitragen. Die COVID-19-Pandemie begann als eine Krise des öffentlichen Gesundheitswesens, sie hat eine Wirtschaftskrise ausgelöst, und es muss jetzt gehandelt werden, um zu verhindern, dass sie zu einer offenen Tür für die Hyperüberwachung wird.“ Gastbeitrag von Aida Ponce Del Castillo vom 8. Mai 2020 bei Netzpolitik.org (Aida Ponce Del Castillo ist Senior Researcher am European Trade Union Institute (ETUI), einem Forschungs- und Ausbildungszentrum des Europäischen Gewerkschaftsbundes) - Siehe zum Hintergrund die Dossiers: