Der Workers Memorial Day 2020: Weltweiter Widerstand gegen Arbeitszwang trotz Corona – macht er einen Gedenktag zu einem Kampftag?
Der Workers Memorial Day, alljährlich am 28. April begangen, ist in diesem Jahr anders als üblich. Ganz anders. Weil er inmitten von weltweiten Kämpfen stattfindet, mit denen Belegschaften in lebenswichtigen, angeblich lebenswichtigen und bekanntermaßen überhaupt nicht lebenswichtigen Unternehmen und Behörden für ihre Sicherheit und Gesundheit kämpfen – und für die der gesamten Gesellschaft, da die Unternehmen und Behörden die größten „Virenschleudern“ sind, wie in anderen Fällen auch. Und was über Jahre hinweg Thema in jenen Gewerkschaftskreisen war, denen es „um die Sache“ geht (nämlich eben nicht für den Profit sterben zu müssen) – das ist jetzt eingetreten, es ist in diesem Jahr alles andere, als ein ritueller Gedenktag mit Saal-Veranstaltungen und Trauerbekundungen (nötig und wünschenswert – aber bei weitem nicht ausreichend). Wenn jetzt internationale Gewerkschaftsföderationen an diesem Tag die Anerkennung von Corona-Infektionen als Berufskrankheit auf die Tagesordnung setzen, so ist dies eine Konsequenz der Tatsachen, die in den letzten Wochen deutlich geworden sind: Sei es in „traditionellen Sektoren“ wie Bauindustrie, Autokonzernen oder Bergwerken oder in sogenannten „modernen“ Branchen des Kapitalismus, wie es die wachsenden Kämpfe bei Amazon oder die Proteste und Aktionen in weltweiten Call Centern wie dem Branchenprimus Teleperformance deutlich machen. Wenn es eine Kontinuität gibt, dann die, dass der Profit vor dem Leben der Beschäftigten kommt – und alles andere muss erkämpft werden. Betrifft neue Virusepidemien aller Art ebenso, wie alte Todesursachen, beispielsweise Asbest – alt und ewig wirksam. Zum Kampf um Gesundheit und Sicherheit unsere ausführliche kommentierte Materialsammlung „Workers Memorial Day im Zeichen Coronas: Auf dem Weg zum Kampftag“ vom 28. April 2020:
„Workers Memorial Day im Zeichen Coronas: Auf dem Weg zum Kampftag“
Für diese Materialsammlung haben wir zunächst die, sagen wir einmal: Offiziellen gewerkschaftlichen Bekundungen, Aufrufe und Erklärungen zusammen gestellt, die auch eine gewerkschaftspolitische Linie deutlich machen. Anschließend dokumentieren wir einige der Aktivitäten und Aktionen alternativer gewerkschaftlicher Gruppen und selbstorganisierter Initiativen in mehreren Ländern. Drittens schließlich versuchen wir einen – keineswegs vollständigen – Überblick über Kämpfe von Belegschaften gegen alte und neue Gefahren, die ihnen der Kapitalismus so beschert, mit Schwerpunkten auf Amazon, Call Centern und kämpfen gegen Asbestfolgen.
Aufrufe und Erklärungen internationaler Gewerkschaftsföderationen inklusive Beispiele von Branchenverbänden und Einzelgewerkschaften
„Gedenktag für die Opfer von Arbeitsunfällen: DIE PANDEMIE BEI DER ARBEIT STOPPEN2 am 30. März 2020 beim IGB ist der offizielle Aufruf des Internationalen Gewerkschaftsbundes (hier eben in deutscher Fassung) zum diesjährigen 28. April, in dem es unter anderem heißt: „… Im Fokus steht in diesem Jahr selbstverständlich die globale Covid-19-Pandemie. Von der Krise sind zwar alle betroffen, aber Arbeitnehmer*innen stehen an vorderster Front. “Vor allem die Beschäftigten im Gesundheitswesen riskieren ihr eigenes Leben, wenn sie zur Arbeit gehen, um die Kranken zu versorgen. Zudem arbeiten Menschen in Senioren- und anderen Einrichtungen, die sich um die schwächsten Gruppen in unserer Gesellschaft kümmern. Darüber hinaus brauchen wir Beschäftigte im Verkehrswesen und in Supermärkten sowie die Erbringer wesentlicher Dienstleistungen und viele andere, um die Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Diesen Arbeitnehmer*innen sollten wir ebenfalls danken, denn wenn wir kein Essen kaufen können, können wir unsere Familie nicht versorgen und sicherstellen, dass sie gesund bleibt”, erklärt IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. Der Internationale Gedenktag 2020 steht im Zeichen der Unterstützung all dieser mutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Erinnerung an die Menschen, die bei der Arbeit verstorben, erkrankt oder verunglückt sind. Social Distancing und Ausgangsbeschränkungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach zur Folge haben, dass Zusammenkünfte und Veranstaltungen nicht möglich sind...“
„WORLD DAY OF HEALTH AND SAFETY AT WORK 2020: IMMEDIATE FULL PROTECTION MEASURES AT WORKPLACES AGAINST COVID-19“ am 27. April 2020 beim WFTU ist der Aufruf des Weltgewerkschaftsbundes zum 28. April, worin vor allen Dingen sofortige Maßnahmen gegen die Bedrohung durch die Epidemie gefordert werden, die eine weitere akute Gefahr sei, die zum alltäglichen Feldzug des Profitsystems gegen die Belegschaften hinzu komme.
„Workers Memorial Day 28 April 2020“ am 24. April 2020 bei der Internationalen Branchenföderation der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (im IGB – EPSU) ist die gemeinsame Erklärung mehrerer internationaler Branchenföderationen zum 28. April, worin unter anderem gefordert wird, alle bestehenden Sicherheitsvorschriften müssten unbedingt eingehalten werden und dies „unter Beteiligung der Sozialpartner“ organisiert…
„Global unions call for recognition of COVID-19 as an occupational disease“ am 27. April 2020 bei IndustriAll ist eine Mitteilung, in der die Anerkennung von Corona-Infektionen als Berufskrankheit durch mehrere internationale Verbände gefordert wird. Was neben der grundsätzlichen gesundheitlichen Bedeutung vor allem zwei Folgerungen hätte: Erstens die dadurch deutlich gemachte Verantwortung der Unternehmen für entsprechende Sicherheit zu sorgen und zweitens das Recht der Beschäftigten sowohl im Falle des Eintritts bezahlte Freistellung zu haben, als auch das Recht im Notfall die Arbeitsaufnahme zu verweigern.
„Global food retailers sign landmark Declaration with UNI to tackle Covid-19, others should follow“ am 20. April 2020 bei UNI ist eine Pressemitteilung, in der der Abschluss einer internationalen gemeinsamen Erklärung der Gewerkschaftsföderationen mit einigen globalen Supermarktketten bekannt gegeben wird, die Grundlage für die Sicherheit vor Corona schaffen soll. (Dass bei den Ketten Auchan, Carrefour, Casino Group und El Corte Inglés immer wieder „Klagen“ von Belegschaften verbreitet werden, macht die ganze Sache dann schon etwas fragwürdiger…)
„Workers Memorial Day: Gesundheit und Leben geht vor Umsatz und Profit“ am 27. April 2020 bei der IG BAU ist eine Pressemitteilung, in der unter anderem hervor gehoben und aufgerufen wird: „… Erkrankungen der Atemwege sind grausam und nicht selten tödlich. Nicht nur Keime verursachen Atemnot, sondern auch Stäube können töten. Allen voran ist Asbest immer noch für schwerste Erkrankungen, Leid und Tod verantwortlich. Andere Stäube können ebenso lebensgefährlich werden. Je länger sie eingeatmet werden desto schlimmer die Folgen. Jeder Erkrankte, jeder Tote ist einer zuviel. In der Corona-Krise lernen wir, wie wichtig Gesundheitsschutz ist. Lasst uns das nicht bei der Arbeit vergessen. Schutzmaßnahmen retten Gesundheit und Leben. Sie sind nicht verhandelbar.“ Die IG BAU ruft am Workers Memorial Day um 12 Uhr zu einer bundesweiten Schweigeminute auf. Die Arbeit soll kurz ruhen, um derer zu gedenken, die durch einen Arbeits- oder Wegeunfall oder aufgrund einer Berufskrankheit verstorben sind. Neben der Abwehr von Covid-19-Infektionen steht die Aufklärung über Gefahren durch Staub im Vordergrund. Laut WHO sind weltweit rund zehn Millionen Menschen in Folge von Asbest verstorben. Ein lange am Bau verwendetes Material, das inzwischen zwar verboten ist, aber bei Arbeiten in Altbauten immer wieder freigesetzt wird. Die IG BAU klärt über die damit zusammenhängenden Gefahren auf und informiert über wirksame Schutzmaßnahmen“.
„Healthworkers Call for Action on Workers Memorial Day“ am 23. April 2020 bei You Tube eingestellt ist ein Video einer gewerkschaftsübergreifenden Aktionsgruppe, in dem britische Gesundheitsbeschäftigte zu Aktivitäten am Workers Memorial Day aufrufen – wie auch die IG BAU im vorherigen Beitrag, ein bisschen über den Rand des Üblichen hinaus.
„I will be lighting a candle for IWMD20 April 28“ am 27. Aril 2020 im Twitter-Kanal von Sharan Burrow ist die Bekundung der Vorsitzenden des IGB, die kein bisschen über den Rand des Üblichen hinaus reicht…
Erklärungen und Aktionen alternativer Gewerkschaften und selbstorganisierter Gruppierungen aus mehreren Ländern
„Il 28/4 giornata mondiale per la salute e la sicurezza sul lavoro con i lavoratori Workforce Movement“ am27. April 2020 bei der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas ist die Erklärung, in der die gemeinsame Aktion mit der britischen Workforce Movement an diesem Tag bekannt gegeben wird – denn es sei umso dringender nötig zur Aktion zu kommen, da auch am diesjährigen Workers Memorial Day der Prozess fortgesetzt werde, trotz Epidemie im Sinne des Profits die Arbeit wieder aufnehmen zu müssen, dem gemeinsamen Diktat der Unternehmen und der Regierungen gehorchend.
„Uniremos fuerzas el Día Mundial de la Salud Laboral“ am 27. April 2020 beim baskischen Gewerkschaftsbund LAB ist diegemeinsame Erklärung der Regionalgewerkschaften ELA, LAB, ESK, Steilas, Hiru, Etxalde und CGT (Navarra), in der die Epidemie und die „alltäglichen“ Todesopfer als gemeinsames kapitalistisches Verbrechen bewertet werde – und zahlreiche Vorschläge und Aufrufe zu Aktivitäten, sowohl an den Arbeitsplätzen gemacht werden, als auch für jene, die „nicht-essenziell“ beschäftigt, zu Hause sind.
„Building Power in a Pandemic: Virtual Labor Notes Conference Draws Thousands“ am 20. April 220 bei den Labornotes ist der Bericht über eine Videokonferenz bzw. Kundgebung zur Vorbereitung von Gesundheitstagen im Vorfeld des 28. April, an der sich quer durch die USA 1.300 Menschen aktiv beteiligt haben und inzwischen über 20.000 das entsprechende Video angesehen, das ebenfalls zahlreiche konkrete und auch kleinere Vorschläge und Ideen zu Aktionen verbreitet.
„Focus an Covid-10“ am 01. April 2020 bei Focus on the Global South war dererste (von inzwischen mehreren) Sonder-Newslettern der transnationalen Initiative zu den Entwicklungen und Auswirkungen der Corona-Epidemie und der zahlreichen Versuche, ihnen mit selbstorganisierten Aktivitäten zu begegnen – bezogen, wie immer, vor allem auf verschiedene Länder Asiens, wie in dieser Ausgabe etwa Indien, Indonesien, die Philippinen
„Coordinadora de Metros del mundo: Solo el pueblo salva al pueblo“ am 17. April 2020 beim Alternativen Gewerkschaftlichen Netzwerk für Solidarität und Kampf dokumentiert, ist die Erklärung der Globalen Gewerkschaftskoordination der Metro-Gewerkschaften (in der auch einige Mitgliedsgewerkschaften des Netzwerkes mitarbeiten), die auf die Situation der Beschäftigten des Öffentlichen Nahverkehrs in zahlreichen Ländern eingehend unterstreicht, dass sie keine „Helden“ sein wollen, sondern Beschäftigte mit Rechten und mit Sicherheit – und dabei hervor hebt, dass nur der Kampf der Beschäftigten ihnen dies sichern wird.
„For a social, ecological, safe railway, let’s take the right path out of the crisis: let’s choose the right switches now!“ am 14. April 2020 ebenfalls beim Alternativen Gewerkschaftlichen Netzwerk für Solidarität und Kampf dokumentiert, ist eine gemeinsame Erklärung des Netzwerks mit jenem der alternativen Eisenbahngewerkschaften (in dem ebenfalls wiederum einige Gewerkschaften des Netzwerkes aktiv sind) zur aktuellen Situation, in der unter anderem gefordert wird, dass in Zeiten der Epidemie-Krise es die Beschäftigten sein sollen, die über Dienst- und Fahrpläne entscheiden und nicht irgendwelche Vorstände, die „weit weg vom Schuss“ leben.
„Todos los derechos para todas las trabajadoras de hogar y cuidados“ am 27. April 2020 bei La Haine ist eine gemeinsame Erklärung verschiedener Initiativen von Hausbeschäftigten und in der Pflege an mehreren Orten in Spanien, in der massiv deutlich gemacht wird, dass diese (nahezu ausschließlich) Frauen kämpfen: Nämlich dafür, dieselben Rechte zu haben, wie alle anderen Beschäftigten auch.
„Dealing with the corona crisis: ICL mobilizes worldwide“ am 20. April 2020 bei der ICL ist ein Überblick der anarchosyndikalistischen Föderation über die weltweiten Aktivitäten im Kampf gegen die Epidemie. Aktionsberichte und Erklärungen aus Griechenland, Polen, Kanada, USA, Italien, Spanien, Sri Lanka, Nordsyrien und Myanmar geben einen Einblick in vielfältige und oftmals erfolgreiche Mobilisierung in all diesen Ländern.
Nur einige wenige Beispiele: Wie sie arbeiten sollen – und wie sie gegen Diktate des Profits kämpfen
„Knochenarbeit unter Krisenbedingungen“ von Stefan Dietl am 23. April 2020 in der jungle world zur Arbeitswirklichkeit von Migrantinnen und Migranten in Europa, hier mit entsprechenden Aktivitäten in der BRD, die den Leserinnen und Lesern des LabourNet Germany seit längerem bekannt sein dürften, was es nicht überflüssig macht, nochmals daran zu erinnern: „… Die Möglichkeiten der Wanderarbeiter, sich gegen ihre prekären Arbeits- und Lebensbedingungen zu wehren, sind stark eingeschränkt. Ihr teils unsicherer Aufenthaltsstaus macht sie in höchstem Maße erpressbar. Dem versuchen Gewerkschaften nun mit dem Projekt »Faire Mobilität« zu begegnen. Seit 2011 sind so zahlreiche Beratungsstellen entstanden, die Wanderarbeiter in verschiedenen Sprachen bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen, sei es durch arbeits- und sozialrechtliche Beratung oder durch juristische Maßnahmen, häufig in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften im Herkunftsland. Mit Aktionen und Flugblattverteilungen vor Betrieben, auf Autobahnraststätten oder vor Arbeitsämtern versuchen Gewerkschafter die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren. In der Fleischbranche gelang der zuständigen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Zusammenarbeit mit »Faire Mobilität« nicht nur, Wanderarbeiter, die um ihren Lohn geprellt wurden, zu organisieren und die Auszahlung ausstehender Löhne zu erzwingen, sondern auch einen Branchenmindestlohn durchzusetzen. Mit Informationsmaterialien versuchen Mitglieder der Kampagne »Faire Mobilität« und Gewerkschafter der IG BAU, die nun ankommenden Erntehelfer bereits am Flughafen zu versorgen. Zudem richtete »Faire Mobilität« eine kostenlose Hotline in verschiedenen Sprachen zum Thema Covid-19 und Arbeitsrecht ein“.
„Arbeit macht häufiger krank“ von Simon Poelchau am 15. Oktoer 2019 in neues deutschland online erinnerte an zwei Fakten, die ebenfalls deutlich machen, dass dieses Thema keinesfalls eines ist, das sozusagen „lediglich“ jenseits der Grenzen lebenswichtig wäre: „… Betroffene müssen von der Meldung bis zur Anerkennung ein System der zweistufigen Begutachtung durchlaufen, das im Schnitt vier bis fünf Monate dauert. Bei manchen Krankheiten beträgt die Bearbeitungszeit im Schnitt sogar 40 Monate. Hinzu kommt, dass es für die Betroffenen oft schwierig zu beweisen ist, dass sie aufgrund ihres Berufs erkrankt sind. Häufig ist dies zum Beispiel bei Krebserkrankungen wegen Arbeiten mit Asbest der Fall, die zwei, drei Jahrzehnte zurück liegen. Die Folge: Nur rund ein Viertel der angezeigten Fälle wird auch als Berufskrankheit anerkannt. Gerade die beiden häufigsten Berufskrankheiten – Haut- und Rückenleiden – werden selten anerkannt, weshalb die Betroffenen nur selten die ihnen von der Unfallversicherung zustehenden Leistungen bekommen. (…) Laut Krellmann greift die Reform aber letztlich zu kurz: »Staatliche Kontrollbehörden bluten weiter aus und die Bundesregierung schiebt die Verantwortung an die Länder ab.« So geht die Zahl der Gewerbeärzte seit Jahren zurück. Auch 2018 sank sie wieder um vier – auf nur noch 64. Im Jahr 1997 waren es noch 158. In Bremen gibt es gar keinen Gewerbearzt mehr, in ganz Niedersachsen nur noch einen. Dabei fällt den Gewerbeärzten eine wichtige Aufgabe zu. Sie sind in der Regel Beamte eines Bundeslandes und sollen als unabhängige und zugleich fachlich qualifizierte Kontrollinstanz eigentlich letztlich über die Anerkennung einer Berufskrankheit entscheiden. Doch wenn ein Arzt im Schnitt für 600 000 Arbeitnehmer zuständig ist, kann davon nicht mehr die Rede sein. Stattdessen gilt meist das Wort der Gutachter der Unfallversicherungen. Und weil deren Träger die Berufsgenossenschaften sind, haben sie ein Interesse, die Zahl der Anerkennungen gering zu halten…“
„Ohne Mundschutz nähen“ von Haidy Damm am 27. April 2020 in neues deutschland online zur Situation von nicht nur asiatischen Näherinnen unter anderem: „… In Kambodscha haben laut Angaben der Regierung mindestens 91 Bekleidungsfabriken wegen der Auswirkungen der Coronakrise die Arbeit eingestellt, 61 500 Beschäftigte seien betroffen. In Bangladesch haben in den vergangenen Wochen nach Gewerkschaftsangaben mindestens 10 000 Beschäftigte ihre Jobs verloren. Tendenz steigend. (…) Doch nicht nur in Asien sind die Auswirkungen auf die Textilbranche dramatisch. Modefirmen mit Hauptsitz in Deutschland sind auch wichtige Auftraggeber in der Ukraine, Bulgarien, Kroatien und Serbien. In diesen Ländern arbeiten nach Angaben der Clean Clothes Campaign (CCC) rund 120 000 Arbeiter*innen allein für deutsche Marken wie Hugo Boss, Gerry Weber, Esprit sowie Supermarkt- und Drogerieketten...“
„Bangladesh textile workers flout coronavirus lockdown to demand wages“ am 26. April 2020 bei Reuters meldet neue Streiks und Proteste von Textilarbeiterinnen in Bangladesch – was unter anderem deutlich macht, dass diese Frauen kein Bedauern wollen und kein Mitleid brauchen – sondern Solidarität im massiven Kampf für ihre Rechte, den sie auch aktuell führen, sowohl, was ihre Sicherheit, als auch, was ihren Unterhalt betrifft. (Siehe auch: 7 Jahre nach dem Verbrechen an den TextilarbeiterInnen von Rana Plaza in Bangladesch: Lieferkettengesetz. Wäre das Mindeste)
„Leiharbeit im »Corona-Brutkasten«“ am 05. April 2020 bei Solidarisch gegen Corona ist ein Bericht (mit Gespräch) über die Zustände in einem Call Center in Leipzig (das auch in Portugal, den USA oder auf den Philippinen stehen könnte), worin unter anderem gesagt wird: „… Als langsam klar wurde, dass es mit der Pandemie ernst wird, kam erstmal eine Mail, die Verantwortung beschworen hat: Die Sicherheit der Beschäftigten und der Gesamtgesellschaft sei Priorität, man müsse aber trotzdem auf Arbeit kommen. Als ich dann auf Arbeit ankam, gab es ein paar Wischtücher und Desinfektionsmittel. Man arbeitet im Callcenter an Arbeitsplätzen, die in ständigem Wechsel mit neuen Leuten besetzt werden und wo man mit Körper und Gesicht nah an den Arbeitsmitteln dran ist. Daher ist die Ansteckungsgefahr sehr hoch. Die eh nur behelfsmäßig gestellten Desinfektionsmittel und die Tücher waren schnell alle und die hygienischen Maßnahmen wurden recht schnell vernachlässigt. Es handelte sich um vor dem Hintergrund der Pandemie unhaltbare unhygienische Arbeitsbedingungen. Ich hatte das Gefühl, der Geschäftsführung ist unsere Gesundheit eigentlich völlig egal, solange wir arbeiten. / Gab es Protest von den Beschäftigten? / Die Stammbeschäftigten – in dem Callcenter arbeiten meist ca. 30 Leute gleichzeitig, davon sind ungefähr die Hälfte Stammbelegschaft und die anderen LeiharbeiterInnen, das sind Studierende – haben relativ schnell Homeoffice gefordert. Die Chefs waren zunächst überfordert, weil sie für solche Fälle nicht vorbereitet sind, aber nach ca. einer Woche wurde Homeoffice eingerichtet – aber nur für die Stammbelegschaft! Uns LeiharbeiterInnen wurde erstmal gar nichts gesagt; wir sollten weiter auf Arbeit kommen...“
„Call-Centers durante a crise pandémica“ am 14. April 2020 bei der MAS war ein Bericht über die Arbeitsbedingungen in Call Centern in Portugal (ähnlich, wie in Leipzig) aus Anlass der Streikbewegung, die sich dort gegen die Arbeitsdiktate bei Teleperformance gerichtet hat (und gegenwärtig noch richtet). Teleperformance ist das weltgrößte Unternehmen der Branche mit rund 300.000 Beschäftigten und stand und steht in einer ganzen Reihe von Ländern im Zentrum der Kritik an der rücksichtslosen Vorgehensweise (wenn sie etwa auf den Philippinen die Menschen in Schlafsäle zwingen) – was nicht nur in Portugal Streikaktionen provoziert hat.
„Overburdened by the COVID-19 crisis, call center workers take action“ am 26. März 2020 bei organizing work berichtet von zwei Streiks in Call Centern von Captel in zwei verschiedenen US-Bundesstaaten – die sich auch gegen die hemmungslose Ausdehnung der Arbeitszeiten richteten. Die Aktionen, von lokalen IWW-Gruppen organisiert waren durchaus erfolgreich.
„Amazon: Größter Streik beginnt wild“ von Ines In am 23. April 2020 bei Klasse gegen Klasse berichtete über Bedingungen und Ablauf des „Sick out“ (über das wir ebenfalls bereits berichtet haben) unter anderem: „… In den mindestens 130 Amazon-Lagern der USA, in denen der Betrieb fast ungeachtet der höchsten Ansteckungs- und Todesraten weltweit aufrecht erhalten wird, kann schon länger nicht mehr von Alltag die Rede sein. Kürzlich war ans Licht geraten, dass 75 Mitarbeiter*innen im größten Lager des multinationalen Unternehmens positiv auf Corona getestet worden waren, was dem Rest der Belegschaft verschwiegen worden war. Daraufhin hatten diese dahingehend Druck ausgeübt, dass sich auch Saison- und Teilzeitbeschäftigte, die einen Großteil der Belegschaft ausmachen, unter vollem Lohnausgleich krank melden können – mit Erfolg. Doch Amazon schränkte die Regelung ein: Sie gelte nur für den Fall, erwiesenermaßen mit dem Covid-19 infiziert zu sein. (…) Diese Zustände lassen die Beschäftigten sich nicht gefallen. In den USA haben sich mehr als 350 von ihnen am Dienstag krank gemeldet und somit eine traditionelle Protestform der Arbeiter*innenklasse, das Walkout (ein gemeinsames Verlassen der Fabrik), an die aktuelle Situation angepasst. Der wilde Streik soll die ganze Woche anhalten. Am Freitag wollen Ingenieur*innen und Programmierer*innen des Online-Händlers ihre Arbeit ebenfalls niederlegen. Ihre Forderungen: gewerkschaftsfeindliche Praktiken beenden, gekündigte Kolleg*innen wieder einstellen. Die Belegschaften fordern in erster Linie, dass alle Werke für die nächsten zwei Wochen geschlossen werden und sie währenddessen vollen Lohn ausgezahlt bekommen und von dem Unternehmen krankenversichert werden…“
„More than 50 amazon workers at MSP1 in Shakopee, MN walked off the job“ am 26. April 2020 im Twitter-Kanal von Sam Adler-Bell ist ein kurzer Videobericht (mit folgendem ausführlichen Thread) zum zweiten Streiktag bei Amazon in den USA am Sonntag, hier aus Shakopee in Minnesota. In dieser Niederlassung gibt es offiziell bisher zwei erkrankte Kollegen, eine Zahl, die von der Belegschaft massiv angezweifelt wird. Örtliche Auslöser des Streiks aber war es, dass eine Kollegin entlassen wurde, weil sie zu Hause geblieben war, um ihre Kinder zu betreuen.
„Amazon Reinstates Fired Warehouse Worker After Employees Strike“ von Lauren Gurley am 27. April 2020 bei Vice berichtet, dass die entlassene Kollegin wieder eingestellt worden ist. Die Geschäftsleitung allerdings behauptete, sie sei niemals entlassen worden (nur ja nicht zugeben, dass man wegen eines Streiks ein Zugeständnis machen muss, könnte ja Schule machen…)
„USA: Mehr als 50.000 Corona-Tote, Arbeiter streiken gegen Rückkehr zur Arbeit“ von Shannon Jones und Andre Damon am 27. April 2020 bei wsws gibt einen Überblick über die Kämpfe in den USA: „… Als Reaktion auf die Forderungen der Arbeitgeber, die Arbeit unter unsicheren Bedingungen wieder aufzunehmen, verlangen nun Arbeiter in den USA und auf der ganzen Welt sichere Arbeitsbedingungen. Am Freitag meldeten sich mindestens 300 Amazon-Arbeiter verschiedener Standorte krank, um gegen die fehlenden Schutzmaßnahmen in den Warenlagern zu protestieren. Das Unternehmen hat während der Pandemie den Betrieb aufrechterhalten. In den letzten Wochen hat Amazon sechs Arbeiter fristlos entlassen, die bessere Schutzmaßnahmen gefordert hatten. An der Columbia University sind Hunderte Studenten in den Streik getreten. Sie fordern, dass alle Studierenden während der Pandemie keine Mieten zahlen müssen sowie die Aussetzung der Rückzahlung von Studiengebühren. Am Freitag stimmten außerdem 130 Beschäftigte des Pflegeheims Santa Monica Center for Rehabilitation & Healthcare in South Philadelphia für einen Streik. Sie fordern ein Ende der unsicheren Bedingungen, durch die Covid-19 sich in der Einrichtung in verheerender Weise ausbreiten konnte. Eine Arbeiterin bei Fiat Chrysler in Detroit erklärte der World Socialist Web Site: „Ich habe nichts dagegen, wieder an die Arbeit zu gehen, aber ich will mir keine Sorgen machen müssen. Ich habe einen Mann und Kinder. Ich will sie nicht anstecken.“ (…) Der Flugzeugbauer Boeing hat letzte Woche die Produktion in seinen US-Werken wieder aufgenommen, was als Präzedenzfall für die Wiederaufnahme der Industrieproduktion gilt. Ein beträchtlicher Teil der Boeing-Arbeiter boykottierte diese Entscheidung. Am Freitag demonstrierten Hunderte Menschen vor dem Anwesen des Gouverneurs von Georgia. Auf ihren Schildern war zu lesen: „Bleibt zu Hause! Für eine Öffnung ist es noch zu früh!“ und: „Es ist zu früh, um Georgia wieder zu öffnen!“ Im Verlauf der letzten Woche stellten sich Pflegekräfte und weitere Beschäftigte im Gesundheitswesen in Arizona, Virginia und anderen Bundesstaaten rechtsextremen Demonstranten entgegen, die eine Rückkehr zur Arbeit unter unsicheren Bedingungen forderten…“
„Buenos Aires Subway Workers on Strike Over Asbestos Presence“ am 20. November 2019 bei TeleSur war ein kurzer Bericht über den Streik der Metro in Buenos Aires – am Ende des Geduldsfadens forderte die Belegschaft die sofortige Aufnahme der Arbeiten zum Entfernen aller Asbest-vorkommen in der ganzen U-Bahn.
„Nel mondo ogni 11 secondi una vittima da lavoro“ am 03. Oktober 2019 bei Rassegna Sindacale fasst zusammen: Weltweit wird alle 11 Sekunden ein Mensch Opfer eines sogenannten Arbeitsunfalls. Wohlgemerkt: Todesopfer sind hiermit gemeint, darin sind weder die regelrechten Heere der Verletzten beinhaltet – noch die Todesopfer von Berufskrankheiten…
- Siehe für unsere Materialsammungen der früheren Jahre das Dossier: 28. April: Workers Memorial Day