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Während in Millionenstädten das kaputtgesparte Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch steht, verlässt ein rechtsradikaler Richter die brasilianische Regierung – wie war das nochmal mit dem sinkenden Schiff?
„… Justizminister Sérgio Moro hatte den Regierungschef gestern um seine Entlassung gebeten, nachdem dieser hinter dessen Rücken und in dessen Namen den Chef der Bundespolizei und Vertrauten Moros, Maurício Valeixo, entlassen hatte. Der eigentlich zuständige Minister begründete seinen Entschluss zum Rücktritt damit, dass Bolsonaro einen eigenen Vertrauten auf den Posten setzen wollte, um so Einfluss auf die Arbeit der Bundespolizei (Policia Federal, PF) zu gewinnen. „Dieser Vertrauensbruch ist ein Zeichen, dass mich der Präsident wirklich draußen haben will.“ Laut Moro soll Bolsonaro nicht zum ersten Mal versucht haben, in die Arbeit der Bundespolizei einzugreifen. „Der Präsident wollte da an der Leitung [der PF] jemanden mit persönlichem Kontakt, um direkt Informationen zu bekommen“, so der Ex-Minister. Dabei ging es vor allem um Ermittlungen gegen dessen Söhne. Wie am Donnerstag bekannt wurde, identifizierten Bundespolizisten den zweitältesten Sohn des Präsidenten, den Kommunalpolitiker Carlos Bolsonaro, als Kopf einer Bande, die gezielt Fake-News gegen das Oberste Bundesgericht (STF) gestreut hatte. Das Gericht hatte zuvor dieselbe Einheit der PF beauftragt, die Hintermänner der anti-demokratischen Proteste vom vergangenen Sonntag zu ermitteln, bei denen zum Militärputsch aufgerufen wurde und an denen auch Bolsonaro teilnahm. Vergangenen Oktober geriet Carlos Bolsonaro ins Schlaglicht als der Medienkonzern Globo unter Berufung auf die Polizei von Rio de Janeiro die Präsidentenfamilie mit dem Mord an der linken Stadträtin Marielle Franco in Verbindung brachte...“ – aus dem Beitrag „Brasilien: Nach Rücktritt von Minister Moro droht der Regierung Bolsonaro das Ende“ von Mario Schenk am 25. April 2020 bei amerika21.de – worin zur Person Moro und dessen bisherigen Wirken allerdings keine Ausführungen gemacht werden. Siehe zur politischen Bedeutung dieses Rücktritts und der Rolle des wenig ehrenwerten Herrn Moro drei weitere Beiträge sowie drei Beiträge zur Entwicklung der Epidemie in Brasilien – und zwei Beispiele von Widerstandsaktionen und Mobilisierung zur Verteidigung der Gesundheit der Bevölkerung samt dem Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum brasilianischen Kampf gegen die rechte Seuchen-Regierung:
„Ao sair do governo, Moro acusa Bolsonaro dos mesmos crimes que ele cometeu“ am 24. Aril 2020 beim Gewerkschaftsbund CUT ist die Erklärung der größten brasilianischen Föderation zu Moros Rücktritt: Moro klage Bolsonaro derselben Verbrechen an, die er selbst begangen habe (wobei, unter manchen anderen Untaten des Unjustizministers daran erinnert sei, dass er der „Hammer“ war, der das Eisen „Verhindert Lulas Wahlbeteiligung“ schmiedete – wahrlich nicht seine einzige Attacke auf demokratische Grundrechte).
„Sergio Moro foi o ministro da Justiça que mais abriu inquéritos para proteger um presidente nos últimos 25 anos“ von Rafael Moro Martins am 24. April 2020 bei The Intercept Brasil ist ein Beitrag, in dem Moros Wirken konkret nachgezeichnet wird: Als der Minister der Justiz, der in den letzten 25 Jahren die meisten Untersuchungsverfahren zur Verteidigung eines Präsidenten angeordnet hat…
„Demissão de Moro marca o divórcio entre a Lava Jato e o bolsonarismo“ von João Filho am 25. Appril 2020 ebenfalls bei The Intercept Brasil zeichnet die politische Allianz zweier rechtsradikaler Strömungen in Brasilien nach – und das der Bewertung des Autors entsprechend nun vollzogene Ende dieser Allianz. Die rechte „Antipolitik“ – Bewegung Bolsonaros, die sich gegen die etablierten Institutionen der bürgerlichen Demokratie Brasiliens richtet, mit der von Moro mehr als nur repräsentierten sogenannten Anti-Korruptionsbewegung Lava Jato. Eine Bewegung, die ausging von Korruptionsfällen beim wichtigsten Unternehmen des Landes, der Petrobras – und sich bewusst auf sozialdemokratische PT-PolitikerInnen beschränkte, alle – und das waren in jedem Fall viel mehr – anderen „außen vor“ ließ. Was insofern nicht überraschen kann, als die wichtigsten Repräsentanten der selbsternannten Saubermänner im letzten Wahlkampf Dilma Rousseffs Gegenkandidaten Aecio Neves – den eindeutigen Verlierer der 2014er Wahl – unterstützt hatten, der Kandidat des neoliberalen Establishments. Beide rechte Bewegungen einte: Die Stoßrichtung gegen die Linke in all ihren Formen. Was mit dem möglichen Ende dieser Allianz nicht anders geworden sein dürfte…
„Número de mortos pela covid-19 chega a 4205 no Brasil, com quase 62 mil casos“ am 26. April 2020 bei Brasil de Fato ist die Meldung über den jüngsten Stand der offiziellen Angaben über die Ausbreitung der Epidemie in Brasilien: Rund 62.000 Erkrankte, 4.205 Todesopfer. Zahlen, die auch hier – von verschiedenen Seiten und auf verschiedene Weise – in Frage gestellt werden.
„Bolsonaro ist tödlich“ von Frederic Schnatterer am 24. April 2020 in der jungen welt zur Gesamtsituation im Land und dem Signal des Zustands aus Manaus: „… In Wahrheit dürften die Zahlen allerdings deutlich höher liegen. Brasilien führt im Vergleich zu anderen Ländern besonders wenige Tests auf das Coronavirus durch. Laut der Zeitschrift Exame werden durchschnittlich nur 1.300 Tests pro eine Million Einwohner am Tag durchgeführt (in der BRD liegt der Wert bei 25.000). Auch die diese Woche bekanntgewordenen Bilder aus der Amazonas-Metropole Manaus sprechen dafür, dass die tatsächliche Lage deutlich dramatischer ist. In der Stadt mit vier Millionen Einwohnern ist das Gesundheitssystem mittlerweile völlig kollabiert. Vor den Krankenhäusern stehen Kühlcontainer, um Leichen zu lagern, Bagger heben Massengräber aus. Am Mittwoch erklärte der Bürgermeister von Manaus, Arthur Virgílio Neto, in einem Interview mit Rádio Gaúcha: »Es handelt sich nicht um einen Notfall, sondern um eine absolute Katastrophe.« Gleichzeitig machte er die Zentralregierung für die Krise mitverantwortlich. Auch in anderen Städten des Landes steht das Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps, mittlerweile hat das Coronavirus die zahlreichen Favelas erreicht, in denen Millionen Menschen unter ärmlichsten Verhältnissen eng aufeinander leben. Wie die Chefärztin der Intensivstation eines öffentlichen Krankenhauses in Rio de Janeiro gegenüber der ARD erklärte, müsse schon jetzt – am Anfang der Pandemie – darüber entschieden werden, wer ein Beatmungsgerät bekomme und wer nicht. Die Lage wird noch dadurch verschärft, dass Bolsonaro bereits 2018 ein Kooperationsabkommen mit Kuba aufgekündigt hatte, woraufhin 8.300 kubanische Mediziner das Land verlassen mussten…“
„Rising death toll and collapsing services, Manaus buries Covid victims in mass graves“ am 24. April 2020 bei Peoples Dispatch ist die englische Übersetzung eines Beitrags aus Brasil de Fato über die Entwicklung der Epidemie in Brasiliens siebtgrößter Stadt Manaus (etwas über 2 Millionen Menschen) – in der aber von den 10 größten brasilianischen Städten die höchste Armutsrate zu verzeichnen ist. Was auch für den gesamten Gesundheitssektor zutrifft – so fehlen beispielsweise sogar Leichenwagen, weswegen Tote in Krankenhausfluren ebenso Tatsache sind, wie der Übergang zur Verbrennung von Leichen.
„Falta de leitos em UTIs nos estados e denúncias de corrupção: estatizar rede privada, já!“ am 22. April 2020 beim Gewerkschaftsbund CSP Conlutas zieht ein kurze Zwischenbilanz der Entwicklung – so sind etwa in Rio de Janeiro bereits 94% aller Intensivbetten im öffentlichen Gesundheitssystem SUS belegt – und leitet daraus die nicht nur von dieser Föderation vertretene Forderung ab, die privaten Gesundheitsunternehmen zu verstaatlichen.
„App-Kuriere in Acre stoppen Lieferungen unter Pandemiebedingungen“ am 14. April 2020 bei Passa Palavra ist ein Bericht über den Kampf der Kuriere um ihre Sicherheit, nun in deutscher Übersetzung. Aus Acre – dem „Ende der Welt“ auch dahin ist dieser Kampf bereits gelangt – wird dabei berichtet: „… In den vergangenen paar Tagen ist es noch gefährlicher geworden, auf zwei Rädern herumzufahren, um Geld zu verdienen. Selbst auf leeren Straßen und ohne Verkehr überschattet der Ausbruch der Pandemie in Brasilien den ohnehin riskanten Alltag der App-Kuriere. Inspiriert von den Demonstrationen und Streiks, die seit Anfang des Jahres in vielen Städten Brasiliens stattgefunden haben, haben App-Kuriere versucht mit Hilfe von WhatsApp- und Facebook-Gruppen einen nationalen eintägigen Streik zu organisieren. Der Streik war für Montag, den 23. März, geplant. Sie forderten bessere Tarife, ein Ende der Stornierungen und Sperrungen wegen nicht angenommener Lieferungen oder niedriger Bewertungen, eine bessere Behandlung durch die Unternehmen und andere kleinere Anpassungen. In der Zwischenzeit traf jedoch das Virus ein und veränderte die Situation. Wegen der geschlossenen Geschäfte ging die Zahl der Bestellungen zurück. In vielen Städten wurde die Notwendigkeit sozialer Distanzierungsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass man krank wird, mit einem totalen Shutdown verwechselt. In Acre, im Norden von Brasilien, geschah etwas recht Interessantes: Nach drei früheren gescheiterten Streikversuchen folgte diesmal die Hälfte der App-Kuriere in Rio Branco dem Aufruf und unterbrach alle Aktivitäten. Zunächst verlangten sie Verbesserungen bei den Tarifen und mehr Respekt von den Inhaber_innen der Betriebe, aber bald wurde die Forderung nach Schutz vor dem Coronavirus lauter. Etwa 50 Kuriere versammelten sich – unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 1,5 Metern – und fuhren aus Protest umher, um vom Rathaus und den Lieferfirmen Masken, Handschuhe, Reinigungsalkohol und sichere Arbeitsbedingungen zu fordern. 50 weitere Kuriere schlossen sich ihnen an, indem sie zu Hause blieben und die App ausschalteten…“
- Zu den politischen und sozialen Auswirkungen der Epidemie in Brasilien zuletzt: „Millionen ohne Einkommen, Bergarbeiter zur Arbeit gezwungen, Epidemie in den Favelas – und eine daher überflüssige Debatte, welcher Faschist in Brasilien regiert“ am 12. April 2020 im LabourNet Germany