Die Tricks des Oberlandesgericht München um sein NSU-Urteil („Drei und keiner mehr“) durchzubringen, sind durchsichtig – und werden heftig kritisiert…

Dossier

Der NSU war nicht zu dritt!… Seit dem Ende des NSU-Prozesses wurden in Deutschland mindestens 13 Menschen bei rechten Terroranschlägen ermordet. NSU-Watch: „Zum Mord an Walter Lübcke, zu den Morden in Halle und zu den Morden in Hanau konnte es auch kommen, weil vom NSU-Prozess kein Zeichen der Aufklärung, kein Zeichen des Drucks auf die terroraffine Neonaziszene ausgesendet wurde. Die Gefahr des rechten Terrors bleibt bestehen.“ Am 11. Juli 2018 wurde in München das Urteil im NSU-Prozess gesprochen. Der NSU wurde in diesem mündlichen Urteil auf ein Trio reduziert. NSU-Watch: „Wir erinnern daran, dass der Vorsitzende Richter Manfred Götzl keine Worte an die Angehörigen der Ermordeten und die Überlebenden der Anschläge richtete. Wir haben nicht vergessen, dass Rassismus, ob institutionell oder gesellschaftlich, keine Rolle in der mündlichen Urteilsbegründung spielte.“ Auch die Verantwortung des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex blieb unerwähnt. Die milden Urteile für André Eminger und Ralf Wohlleben wurden von den im Gerichtssaal anwesenden Neonazis bejubelt. Der Senat hatte den 11. Juli 2018 mit dem mündlichen Urteil zu ihrem Tag gemacht…“ aus „Das Wartenlassen auf das schriftliche Urteil im NSU-Prozess hat Aufklärung verhindert“, der Stellungnahme von NSU Watch vom 21. April 2020 externer Link zur Vorgehensweise des Münchener Gerichts. Siehe dazu weitere Beiträge:

  • André Eminger: Warum der wichtigste NSU-Helfer nicht im Gefängnis ist – Wie oft kann man aus der rechten Szene aussteigen? New
    Er gilt als engster Unterstützer der rechtsextremen Terrorgruppe. Doch nach nur anderthalb Jahren Haft wurde André Eminger auf Bewährung entlassen – unter Auflagen. Wir veröffentlichen den Gerichtsbeschluss. Sein Verteidiger bezeichnete ihn vor Gericht als „Nationalsozialist mit Haut und Haaren“, viele andere nennen ihn das vierte Mitglied der Terrorgruppe NSU. Verurteilt wurde André Eminger im Münchener NSU-Prozess jedoch nur zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Unterstützung der Terrorgruppe – die Bundesanwaltschaft hatte zwölf Jahre Gefängnis für ihn gefordert.
    Seit Juli 2022 ist NSU-Unterstützer Eminger auf freiem Fuß. Nach zwei Dritteln seiner Strafe wurde der Rest zur Bewährung ausgesetzt – vor allem, weil Eminger sich laut Gericht glaubhaft von der rechten Szene losgesagt habe. Wir veröffentlichen den Beschluss des Gerichts externer Link. Den Münchner NSU-Prozess konnte Eminger als Angeklagter größtenteils in Freiheit verfolgen. Erst als die Bundesanwaltschaft im September 2017 in ihrem Plädoyer zwölf Jahre Haft für ihn forderte, musste er wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Das Gericht verließ Eminger nach dem Urteil am 11. Juli 2018 als freier Mann. Die Neonaziszene feierte das milde Urteil gegen Eminger als Sieg. Seine Reststrafe nach Abzug der Zeit in Untersuchungshaft trat er im April 2022 an – und verließ das Gefängnis rund drei Monate später bereits wieder. (…)
    Außerdem soll er fortan weder persönlichen noch telefonischen oder schriftlichen Kontakt mit einer Reihe früherer Weggefährten aus der rechtsextremen Szene haben. Sieben Personen listet das Gericht in dem Beschluss auf. Darunter seine beiden Mitangeklagten Zschäpe und Wohlleben, aber auch mehrere langjährige Rechtsextreme, die Eminger während des NSU-Prozesses begleitet und unterstützt haben. Nicht in der Liste aufgeführt ist die Person, mit der André Eminger den Weg in die Neonaziszene fand: sein Zwillingsbruder Maik. Gemeinsam bauten sie in den Neunzigerjahren die „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ auf und gaben das Szenemagazin „Aryan Law and Order“ heraus. Maik Eminger war später Stützpunktleiter der Jungen Nationaldemokraten und in der Partei Der III. Weg aktiv. Der Brandenburger Verfassungsschutz bezeichnete ihn als „langjährig aktive[n] und über die Landesgrenzen hinaus gut vernetzte[n] und einflussreiche[n] Neonationalsozialist“. Nach der Selbstenttarnung des NSU versteckte sich André Eminger mit seiner Familie auf dem Hof des Zwillingsbruders, wo er von Beamten der GSG 9 festgenommen wurde. Im Geburtsort der Emingers heißt es über die Brüder: „Der eine war schlau, der andere nicht. Dreimal dürfen Sie raten, wer in München auf der Anklagebank sitzt!“ (…)
    Dreimal erklärte André Eminger den Behörden gegenüber, dass er aus der Neonaziszene ausgestiegen sei. Das erste Mal will Eminger 2003 offiziell längst nichts mehr mit rechtsextremen Kreisen zu tun haben – als der Verfassungsschutz versucht, ihn als V-Mann zu werben. Zu dem Zeitpunkt hat der NSU bereits vier Menschen ermordet. Das Ehepaar Eminger ist regelmäßiger Gast in der Wohnung des Kern-Trios, Susann Eminger gilt als die beste Freundin von Beate Zschäpe. (…)Ein gutes Jahrzehnt später berichtet Eminger ein drittes Mal von seinem Ausstieg aus der Szene – diesmal im Rahmen seiner Bewährungsanhörung…“ Recherche von Aiko Kempen und Arne Semsrott am 24. Juli 2023 im Blog von FragDenStaat externer Link
  • Für die Opfer unerträglich: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall des NSU-Helfers Eminger sendet ein fatales Signal. Wieder kann die rechte Szene jubilieren 
    Es ist ein bitteres Ende. André Eminger, der engste Helfer des NSU-Trios, bleibt auf freiem Fuß. Der BGH verwirft die Revision der Bundesanwaltschaft gegen dessen NSU-Urteil. Schon im Münchner Prozess war er milde davongekommen, mit 2,5 Jahren Haft – die Bundesanwaltschaft hatte 12 Jahre gefordert. Damals applaudierten Szenefreunde auf der Empore. Nun dürften sie wieder jubilieren. (…) Natürlich muss der Rechtsstaat Eminger eine Schuld nachweisen. Aber das Münchner Gericht zweifelte, dass er früh eingeweiht war. Und der BGH sieht dabei nun keine Rechtsfehler. Dabei spricht alles dagegen, dass Eminger nichts wusste. Ausgerechnet er, ein Mann mit „Die Jew Die“-Tätowierung, der den Terroristen einen Schrein errichtete und sich nie vom NSU-Terror distanzierte? Größer noch wird das Unbehagen, da man davon ausgehen muss, dass es weitere Helfer des NSU gibt, die bis heute nicht belangt sind. Für ihre Existenz spricht viel: Die NSU-Taten erfolgten quer durch die Republik, teils penibel ausgespäht, mit Waffen, deren Herkunft weitgehend ungeklärt ist. Gegen neun mögliche Helfer hat die Bundesanwaltschaft noch Verfahren offen. Wohl nicht mehr lange. Denn wenn schon der engste Helfer nicht drangekriegt wird, werden es die anderen noch weniger. Die Anhängerschaft rechten Terrors kann sich also entspannt zurücklehnen – und weitermachen. Und das in Zeiten, in denen diese Terrorgefahr keineswegs gebannt ist, sondern mit radikalisierten Coronaleugnern, Reichsbürgern oder Extremisten in den Sicherheitsbehörden ohnehin wächst. Der Fall Eminger sendet hier ein fatales Signal. Für die NSU-Opfer muss es unerträglich sein.“ Kommentar von Konrad Litschko vom 15. Dezember 2021 in der taz online externer Link – siehe die Anmerkung von Armin Kammrad (wir danken!):

    • Diese Verharmlosung faschistischer Entwicklungen, auch durch den BGH, sollte man auch mit Blick auf die Justizgeschichte in Deutschland nach 1945 betrachten. Hierzu hatte bereits Ingo Müller 1987 eine bahnbrechende Analyse unter dem Titel „Furchtbare Juristen – Die unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz“ (aktualisierte Neuauflage 2018 bei der Edition Tiamat) veröffentlicht. Auch Manfred Görtemaker und Christoph Safferling weisen in ihrer Untersuchung „Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“ (Verlag C.H.Beck, 2016) nach, dass die „Zahl der ehemaligen NSDAP-Mitgliedern“ im Untersuchungszeitraum beim Bundesministerium der Justiz, was bis heute maßgeblich für die Besetzung des BGH ist, „durchschnittlich bei weit über 50 Prozent und in manchen Abteilungen des Ministeriums teilweise sogar bei über 70 Prozent“ lag. „Wichtiger noch als die Mitgliedschaft in NSDAP oder SA war jedoch die Tatsache, dass viele führende Mitarbeiter vor 1945 in den Ministerien direkt an der Umsetzung des ‚Führerwillens‘ beteiligt waren. Andere hatten durch ihre Tätigkeit an der Gerichten – unter anderem an den ‚Sondergerichten‘ des Dritten Reiches oder Gerichten in den ‚Besetzten Gebieten‘, die im früheren Reichsjustizministerium vorbereitet und auf den Weg gebracht worden waren, angewandt und damit ebenfalls schwere persönliche Schuld auf sich geladen“ (S.452). In sofern erscheint es nicht ganz abwegig, die Haltung des BGH zum NSU im Sinne von Ingo Müller auch als Ausdruck dieser unbewältigten NS-Vergangenheit zu betrachten. Zumindest liegt es beim BGH den Nachweis zu erbringen, dass die stark geprägte Nazi-Vergangenheit des Gerichts wirklich überwunden ist. Was dessen in der Tat „unerträglichen“ Umgang mit den NSU-Unterstützern betrifft, ist dieser Nachweis ganz offensichtlich nicht gelungen. Was die zunehmende Rechtsentwicklung im Land betrifft, erscheint deshalb ein deutlich mehr kritischer Blick auch auf den BGH wohl unerlässlich.
  • NSU erneut vor Gericht: Er bereut nichts. Der Bundesgerichtshof verhandelt noch einmal das Urteil gegen NSU-Helfer André Eminger. Die Bundesanwaltschaft und er selbst hatten Revision eingelegt 
    „… Für Eminger, der momentan auf freiem Fuß ist, geht es um viel: Er könnte doch noch einmal für etliche Jahre hinter Gitter wandern. Es dürfte das letzte Mal sein, das noch einmal umfangreicher über den Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ verhandelt wird. Zehn Morde, drei Anschläge und 15 Raubüberfälle verübte die Gruppe, die schwerste Rechtsterrorserie der Bundesrepublik. Als darüber bis 2018 im Münchner NSU-Prozess verhandelt wurde, ging es schon einmal um Eminger: Er war, neben Beate Zschäpe, einer der fünf Angeklagten. Bis zum Schluss soll Eminger den untergetauchten Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geholfen haben. Und dennoch wurde er von den meisten Vorwürfen freigesprochen, kam mit der mildesten Strafe davon: zweieinhalb Jahre Haft. Das Gericht glaubte, dass der heute 42-Jährige lange nicht in die Terrorpläne eingeweiht war. Emingers Haftbefehl wurde noch im Saal aufgehoben. Auf der Tribüne brachen angereiste Neonazis in Jubel aus. Die Bundesanwaltschaft hatte dagegen 12 Jahre Haft für Eminger gefordert, ihn als mögliches viertes Mitglied des NSU ins Spiel gebracht – und ging deshalb in Revision. So wie Eminger selbst auch, der einen Freispruch wollte…“ Artikel von Konrad Litschko vom 2.12.2021 in der taz online externer Link
  • „Revision gegen das NSU-Urteil“ von Andreas Förster am 21. April 2020 in der FR online externer Link berichtet unter anderem zu Reaktionen von Nebenklage Anwälten: „… Dass der Senat um den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl diese Frist aber tatsächlich nahezu komplett ausnutzte, wird von Verfahrensbeteiligten kritisiert. So verweist Rechtsanwalt Sebastian Scharmer auf den Beschleunigungsgrundsatz, der auch für die Absetzung des Urteils gilt. Auch findet er es „absurd“, dass das Gericht mehr als 90 Wochen Zeit hatte für das Urteil, während Verteidiger und Bundesanwaltschaft innerhalb eines Monats nach Urteilseingang ihre schriftliche Begründung dafür nachreichen mussten. „Das ist ein ganz erhebliches Ungleichgewicht“, sagt Scharmer. Denn in nur vier Wochen habe man Tausende Seiten Prozessakten auf Rechtsfehler durchsehen müssen. Scharmer hat im Prozess die Tochter des NSU-Opfers Mehmet Kubasik aus Dortmund vertreten. Eine Revision konnte er als Nebenklagevertreter, auch wenn er das Urteil deutlich kritisiert hatte, nicht einreichen, da die Angeklagten für diese Tat verurteilt wurden. „Auch für Gamze Kubasik ist es belastend, dass so lange nach dem mündlich wenig nachvollziehbar verkündeten Urteil bis heute keine schriftliche Begründung vorliegt“, meint Scharmer. Die nun im Verhältnis sehr kurze Frist zur Revisionsbegründung hält er für problematisch: „Besser wäre es, wenn das Gesetz bei solch langen Verfahren wie dem NSU-Prozess nicht nur dem Gericht mehr Zeit für die Begründung einräumen würde, sondern auch denjenigen, die Revision eingelegt haben.“ (…) Bis auf Zschäpe, die derzeit in der Frauenhaftanstalt Chemnitz einsitzt, befindet sich derzeit nur Carsten S. in Haft, der als einziger der Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=170882
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