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Die chilenische Rechtsregierung nutzt die Gunst der Stunde: Private Gesundheitsfirmen gestärkt, Homeoffice eingeführt – mit unbezahlten Überstunden

Seit dem 19.10.2019 herrscht die Armee wieder auf den straßen Chiles - oder versucht es zu mindestens...„… Schon seit Oktober protestierte das Personal der öffentlichen Krankenhäuser bei jedem der Besuche von Gesundheitsminister Mañalich gegen die schlechte medizinische Ausstattung. Daraufhin hatte der Minister erklärt, das chilenische Gesundheitssystem sei eines der besten und effizientesten der Welt. Carlos Ruiz Encina, Präsident des dem linken Parteienbündnis Frente Amplio nahestehenden Thinktanks Fundación Nodo XXI, hingegen ist da anderer Meinung. Gegenüber der argentinischen Tageszeitung Página 12 erklärte er: „Pinochet hat das öffentliche Gesundheitssystem zerstört, aber die zivilen Regierungen danach haben es nicht wieder aufgebaut.“ Im öffentlichen System gäbe es lange Wartelisten und -schlangen. Staatliche Gesundheitsausgaben würden daher weitgehend über ein Gutscheinsystem abgewickelt, mit denen sich die Leute in einer Privatklinik behandeln lassen können. „Mit anderen Worten: Die Privatwirtschaft florierte dank der staatlichen Subventionen. Anstatt das universelle soziale Recht auf Gesundheit wieder aufzubauen, trägt der Staat zum Geschäft der Privatkliniken bei”, so Encina weiter. (…) Die Regierung nutzte die Corona-Konjunktur außerdem dazu, mit Hilfe von Stimmen der Mitte-Links-Parteien ihr lang gehegtes Projekt eines Homeoffice-Gesetzes durchzudrücken, das es Arbeitgeber*innen erlaubt, mit ihren Angestellten gemeinsam flexible Arbeitszeiten zu vereinbaren. Nun können geltende Arbeitsverträge in unbegrenztes Homeoffice ohne Bezahlung von Überstunden verwandelt werden.  Zusätzlich sollen Löhne vom Arbeitgeber nicht weitergezahlt werden müssen, wenn jemand aufgrund der Notfallbestimmungen der Arbeit fernbleibt. Hier soll nach einem jetzt geplanten Gesetz die Arbeitslosenversicherung einen Teil des Lohns zahlen – eine Art Kurzarbeit. Dass es bei den Neuerungen im Arbeitsrecht wenig um die Interessen der Arbeitnehmer*innen ging, wurde klar, als das Gesundheitsministerium Ärzt*innen die Möglichkeit blockierte, zum Zweck der Isolierung Krankschreibungen auszustellen…“ – aus dem Beitrag „ZUSAMMENBRUCH UNVERMEIDBAR“ von Martin Schäfer in Lateinamerika Nachrichten 550 externer Link (Ausgabe April 2020). Siehe dazu auch einen Beitrag über den Beschluss der Regierung, Gefangene frei zu lassen (welche wohl – und welche nicht?) sowie eine Bewertung der Entwicklung der Massenproteste in Zeiten der Epidemie:

  • „Regierung in Chile lässt wegen Corona Gefangene frei und begnadigt Diktaturverbrecher“ von David Rojas-Kienzle am 19. April 2020 bei amerika21.de externer Link berichtet von einer weiteren geplanten Maßnahme der Pinerabande, deren extreme Ziele noch verhindert wurden: „… Nach einer langen Debatte ist in Chile das „Humanitäre Gesetz“ verabschiedet worden. Es sieht vor, dass angesichts der sich ausbreitenden Corona-Pandemie ältere Gefangene aus dem Gefängnis entlassen werden. Von dem jetzt verabschiedeten Gesetz profitieren Männer über 65 und Frauen über 55 oder mit Kindern unter zwei Jahren. Die Gefangenen müssen mindestens die Hälfte ihrer Haftstrafe abgesessen haben. Diese letzte Voraussetzung gilt nicht für Gefangene, die älter als 75 Jahre alt sind. Voraussichtlich werden so knapp 1.700 Gefangene vorzeitig entlassen werden. Die Debatte um die Verabschiedung war intensiv, weil in der ursprünglichen Fassung auch die Gefangenen im Sondergefängnis Punta Peuco davon profitiert hätten. In dieser oft als „Luxusgefängnis“ bezeichneten Haftanstalt sitzen 122 Gefangene ein, die wegen Verbrechen während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973-1990) verurteilt wurden. Im Gegensatz zu den routinemäßig überfüllten Gefängnissen im chilenischen Normalvollzug, wo teilweise nicht einmal die Versorgung mit Trinkwasser gesichert ist, können die Gefangenen in Punta Peuco ihre Strafe in Zweibettzellen und mit medizinscher Versorgung durch Militärärzte verbüßen. Vom „Humanitären Gesetz“, das am 16. April verabschiedet wurde, sind diese Gefangenen allerdings nicht betroffen. Ausgeschlossen von den Vorteilen des Gesetzes sind nämlich diejenigen, die wegen Verbrechen wie Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurden. Dies wurde allerdings erst durch Interventionen der Opposition und von Nichtregierungsorganisationen, unter anderem von Angehörigen von Diktaturopfern verhindert. (…) Die Vorwürfe sind berechtigt: Bereits am 11. April begnadigte Präsident Sebastián Piñera 17 wegen Verbrechen gegen die Menschheit Verurteilte und bereitet die Freilassung sechs weiterer vor. Die Situation in den Gefängnissen Chiles dürfte sich durch die neuen Maßnahmen allerdings kaum entspannen. Seit Beginn der Revolte im Oktober des vergangenen Jahres sind tausende, meist junge Demonstranten festgenommen worden und sitzen in Untersuchungshaft...“
  • „HISTORISCH, ABER NICHT VORBEI“ von Susanne Brust ebenfalls in den Lateinamerika Nachrichten 550 externer Link (April 2020) zur Situation der Massenprotest-Bewegung unter Epidemie-Bedingungen: „… Kurze Zeit später, zum zweiten Jahrestag von Piñeras Amtsantritt am 11. März, protestierten vor allem junge Menschen im Zentrum von Santiago und brachten dort mit Molotowcocktails und Barrikaden den öffentlichen Verkehr weitestgehend zum Erliegen, wie Bio Bio Chile berichtete. Die Demonstration gegen Piñera war eine der letzten großen Protestveranstaltungen vor Beginn der Einschränkungen durch das Coronavirus. Die Coronakrise überschattet die gesellschaftlichen Themen, die die Protestbewegung in den letzten Monaten vorgebracht hat. Auch der Prozess hin zu einer neuen Verfassung ist vorerst auf Eis gelegt. Das Abgeordnetenhaus hat das Plebiszit über die Ausarbeitung einer neuen Magna Charta auf den 25. Oktober verschoben. Noch Anfang März war der verfassungsgebende Prozess konkreter geworden: Beide Kammern einigten sich über eine Regelung, um die Geschlechterparität in der verfassungsgebenden Versammlung zu gewährleisten. Die Einigung sieht bei ungleicher Verteilung der Geschlechter einen Ausgleich vor. Ganz ersticken konnten die Beschränkungen der Coronakrise die Proteste jedoch nicht. Zum 29. März, dem Día del Joven Combatiente, an dem nun zum 35. Mal mit Protesten Opfern der Diktatur gedacht wird, gingen Menschen in Santiago und anderen Städten des Landes auf die Straßen. Mitten in der Ausgangssperre traten die Protestierenden den Carabineros entgegen und entzündeten Barrikaden, zwei Carabineros wurden verletzt. Andere begingen den Gedenktag mit einer Videokonferenz sowie Livestreams unter dem Motto „Auf dass das Gedenken die Quarantäne erleuchtet“. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Protest in Zeiten der Krise weiterzuführen ist. Im Vordergrund steht jetzt die gegenseitige Unterstützung und Solidarität während der Pandemie sowie die Entwicklung klarer politischer Forderungen, wie sie etwa die feministische Koordinationsgruppe 8M in ihrer Notstandserklärung festgehalten hat: Nachbarschaftsstrukturen, die vor allem Frauen* und Kinder unter die Arme greifen; die Entwicklung von Strategien gegen die Zunahme häuslicher Gewalt in der Quarantäne; die Bestreikung nicht-systemrelevanter Arbeit und die Forderung nach ausreichender medizinischer Versorgung für alle. Das Coronavirus hat die Proteste zwar eingeschränkt, sie jedoch keineswegs beendet, wie die Regierung es sich vielleicht erhofft hat. Die cacerolazos finden nun an den Fenstern und Balkonen der Städte statt, die Mobilisierung wird aus der Isolation heraus online weitergeführt. Unter #LaMarchaVirtual („Die virtuelle Demo“) teilen Nutzer*innen in den digitalen Netzwerken derzeit Fotos von den Demonstrationen der letzten Monate. Auf dem neu gestrichenen Denkmal auf der Plaza de la Dignidad prangt unterdessen ein neues Graffiti. In blauer Schrift steht dort: „Ich komme zurück und wir werden Millionen sein!“.“
  • Siehe zuletzt am 23. März 2020: „Rette sich, wer kann!“ – Chiles Regierung versucht es. Mit Hilfe des Virus-Notstandes und am 20. März 2020: Chiles Regierung verbietet: Nicht etwa die Profitjagd im Gesundheitswesen – sondern Demonstrationen
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=170873
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