Noch eine Epidemie, der die Regierungen in Afrika mit Ausgangssperren begegnen. Derweil Hunderttausende auf dem Kontinent die Selbsthilfe organisieren
Ob Ebola jetzt wieder ausbricht oder doch erst einmal überwunden ist – und wie lange die unglaubliche Heuschrecken-Epidemie im Osten des Kontinents noch andauern mag: Menschen in vielen Teilen Afrikas sind an Epidemien fast schon gewöhnt – und haben gelernt, damit umzugehen. Denn auch für diesen Kampf und die Selbstorganisation dabei gilt das alte Wort: „Wenn die offizielle Statistik etwas aussagt, dann sind wir längst tot“. Wie in anderen Gegenden der Welt auch, sind die üblichen Maßnahmen, die von Regierungen nun gegen Corona getroffen werden, gelinde gesagt: Fragwürdig. Abstand halten ist in Slums und Armenvierteln mindestens genauso schwierig, wie sich oft die Hände waschen, wenn man keine Wasserversorgung hat. Und Masken tragen, wenn es keine gibt oder das Geld nicht da ist, sie selbst zu kaufen. Von Straßenhandel und Müllsammeln ganz zu schweigen: Wie die informell arbeitenden Menschen „wählen“ müssen zwischen Virus und Hunger ist Rund um die Welt ein Thema, auch in Afrika. Viele haben eine Wahl getroffen: Sie helfen sich selbst in ihrer Community. Siehe dazu eine aktuelle Materialsammlung „Selbstorganisation rettet!“ vom 17. April 2020
a) Kritik und Widerstand: Wie Gewerkschaften und soziale Bewegungen Frankreichs auf die Corona-Krise, die Profitjagd der Unternehmen und die Politik der Regierung reagieren
„Angesichts des Gesundheitsnotstands sind Maßnahmen erforderlich, die mit der bisherigen Politik brechen. Im Anschluss an die gemeinsame Erklärung „Nie wieder! Wir wollen ‚den Tag danach‘ vorbereiten“ fordern die Unterzeichner dieser Petition die Regierung auf, unverzüglich 4 Maßnahmen zu ergreifen:1.die sofortige Einstellung der zur Bekämpfung der Epidemie nicht notwendigen Tätigkeiten / 2.die Beschlagnahmung privater medizinischer Einrichtungen und Unternehmen zur unverzüglichen Herstellung von Masken, Atemschutzgeräten und aller zur Rettung von Leben notwendigen Hilfsmittel / 3.die sofortige Aussetzung der Dividendenzahlungen von Unternehmen, Aktienrückkäufe und Boni für CEOs (Vorstandsvorsitzende) / 4.die Entscheidung, die 750 Milliarden Euro der EZB nicht zur Speisung der Finanzmärkte, sondern nur zur Finanzierung der sozialen und ökologischen Bedürfnisse der Menschen zu verwenden. Es geht anschließend nicht um die Wiederbelebung einer Wirtschaft, die sowohl ökologisch als auch sozial vollkommen unhaltbar ist! Wir fordern die unverzügliche Entwicklung einer auf lange Sicht ausgerichteten staatlichen Politik, damit wir so etwas wie jetzt nie wieder durchmachen müssen. Dazu gehören:1.ein Entwicklungsplan für alle öffentlichen Dienste / 2.ein weitaus gerechteres und auf Umverteilung ausgerichtetes Steuersystem, eine Steuer auf große Vermögen, eine Steuer auf Finanztransaktionen und eine echte Bekämpfung der Steuerhinterziehung / 3.ein Plan zur Neuorientierung und solidarischen Relokalisierung der Landwirtschaft, der Industrie und der Dienstleistungen mit dem Ziel, sie sozial gerechter zu gestalten und in die Lage zu versetzen, die wesentlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und den aus der ökologischen Krise erwachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Seien wir schon jetzt aktiv und treffen wir uns am „Tag danach“, um uns die öffentlichen Orte wieder anzueignen und gemeinsam eine ökologische, soziale und demokratische Zukunft zu schaffen, die mit der bisher verfolgten Politik bricht.“ – so die die Petition „Nie wieder! – „den Tag danach vorbereiten“ vom 07. April 2020 – jetzt in deutscher Übersetzung bei Attac dokumentiert, die von denselben Organisationen organisiert wird, die am 27. März bereits die Erklärung „Nie wieder“ (siehe weiter unten) gemeinsam veröffentlicht hatten. Siehe dazu auch die Übersetzung des Aufrufs, sowie die Links zu den Originaldokumenten und vier Beiträge, die die Realität der aktuellen Politik weiter deutlich machen
b) Frankreich in der Corona-Krise: Ministerieller Druck auf die Arbeitsinspektion eskaliert
„Amazon reagiert auf das Urteil vom Dienstag, den 14. April: Drohung mit dem altbekannten Argument „Arbeitsplätze-Erpressung“ – Bildungsgewerkschaften laufen Sturm gegen Instrumentalisierung für das Wiederanfahren der Ökonomie – Hunger droht in Französisch-Guyana und Mayotte…“ Artikel von Bernard Schmid vom 17.4.2020 – wird danken!
McDonalds: Ist voll OK! Zumindest, wenn die gekündigte Belegschaft die Räumlichkeiten nutzt, Lebensmittel-Lieferungen in ärmere Stadtteile zu organisieren, wie in Marseille
„… Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben sich die Verhältnisse in den ohnehin äußerst prekären Stadtteilen Marseilles verschlimmert. Die nördlichen Bezirke (3, 13, 14, 15, 16) hatten bereits eine Arbeitslosenquote von 25,5% (zum Vergleich: der nationale Durchschnitt beträgt 8,5%). 39% der Bevölkerung lebte schon vor Corona unterhalb der Armutsgrenze. Durch die Einführung der Ausgangssperre und die mit ihr verbundenen Entlassungen und Lohnausfälle hat sich diese Situation verschlechtert. Mittlerweile kann ein immer größer werdender Teil der dortigen Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse, wie etwa Lebensmittel, nicht mehr decken. (…) Angesichts dieses Zustroms beschlossen die Mitarbeiter*innen von McDonald‘s Saint-Barthélemy, die Infrastruktur ihrer Filiale im Kampf gegen die Krise zu nutzen. Unterstützt werden sie dabei von einer Vielzahl von Kollektiven und Verbänden, insbesondere dem Syndikat der Arbeiter*innenviertel von Marseille. Von Händler*innen, Anwohner*innen oder den Tafeln gelieferte Lebensmittel werden im Kühlraum aufbewahrt. Lebensmittelpakete werden in der Filiale vorbereitet, verpackt und von dort aus verteilt. Die Pakete werden in Erdgeschossen von Wohnhäusern oder vor den Wohnungen abgestellt – alles unter Beachtung der hygienischen Schutzmaßnahmen: Masken und Handschuhe werden genutzt, die Produkte desinfiziert. Kamel Guémari, Mitglied der Gewerkschaft Force Ouvrière und Akteur im Kampf gegen das McDonald‘s‑Management, fragt: „Wenn wir in diesem Ausnahmezustand unsere Nachbarn nicht unterstützen, wer dann?“ Der McDonald‘s‑Konzern lehnt die Aktion ab, verurteilt sie sogar…“ – aus dem Beitrag „McDonald’s-Filiale besetzt: Arbeiter*innen verteilen Lebensmittelpakete an Leidtragende der Krise“ von Mateo Falcone am 14. April 2020 bei Klasse gegen Klasse (in deutscher Übersetzung von Kim Pollin), worin auch noch die sonstigen Geschäftspraktiken des Unternehmens Thema der Berichterstattung sind. Siehe dazu einen weiteren Beitrag, der die „Vorgeschichte“ dieser Filiale nachzeichnet – und damit auch die Vorgehensweise des Unternehmens deutlich macht…
a) Wird die Corona-Krise zur Verfassungskrise? Kritische Anmerkungen zum Problemverständnis des Bundesverfassungsgerichts
„Seit den pandemiebedingten Eingriffen in verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte wird viel über den Sinn und Zweck der ganzen Aktion debattiert, aber auch – z.B. bei Eingriffe in das durch Art. 8 Grundgesetz gewährleistete Versammlungs- und Demonstrationsrecht – vieles berechtigt kritisiert. (…) Den realen Ausnahmezustand als nicht „formell“ zu bezeichnen, lässt sich entweder als Forderung auch an die für den Grundrechtsschutz verantwortlichen Gerichte interpretieren, diese auch zu verteidigen, oder als Versuch einer Rechtfertigung für Grundrechtseingriffe, die – zumindest teilweise – verfassungswidrig waren, weil sie sich aus dem Grundgesetz gar nicht ableiten lassen. Nicht bestreiten lässt sich wohl deren „grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung“, also genau das, was nach § 93a BVerfGG ureigenste Angelegenheit des höchsten deutschen Gerichts war und ist. Doch genau dieser zentralen Aufgabe kam das Bundesverfassungsgericht bisher nicht angemessen nach. Es versagt gerade in dem Augenblick, wo es auf eine Verteidigung von Grundrechten massiv ankommt. Die Neuartigkeit der Situation entschuldigt hier nichts. (…) Der Umgang der drei Kammern des Ersten Senats mit den Verfassungsbeschwerden anlässlich der extremen Eingriffe in Grundrechte, lässt sich wohl am zutreffensten als Versuch einer Abwiegelung verstehen. Nicht zufällig werden die für den Beschwerdeführer abschlägigen Entscheidungen auch mit der Befristung der Maßnahmen begründet. Man hofft – anders gesagt – auf ein baldiges Ende. Nur von was? Von eigentlich verfassungswidrigen Grundrechtseingriffen? Die Frage ist außerdem: Mit welcher Berechtigung wartet man überhaupt ab? Was ist, wenn das Verdrängen nicht funktioniert, weil es nach der Befristung munter so oder ähnlich weitergeht? (…) Es zeigt sich schon jetzt ein Problem, was in Zukunft bestimmt von zentraler Bedeutung sein wird: Gehören sozial- und wirtschaftspolitische Folgeerscheinungen der Pandemiemaßnahmen nicht auch zum „nicht formalen“ Ausnahmezustand? Endet dieser mit der Abnahme der Infektionsgefahr oder setzt er sich bei den Folgemaßnahmen fort? Wie z.B. die pandemiebegründeten Eingriffe des Gesetzgebers in die langerkämpfte Begrenzung der Arbeitszeit zeigt (vgl. § 14 Abs. 1 ArbZG) ist diese Problematik bereits hoch aktuell und ungelöst; vor allem sind ja politische Versammlungen verboten (wie passend!)…“ Anmerkungen von Armin Kammrad vom 14. April 2020 – wir danken!
Siehe aus aktuellem Anlaß den Nachtrag:
b) Die Harbarth-Kammer bleibt dabei: Statt zu entscheiden, lieber raushalten
„Die Entscheidungen der 1.Kammer des Ersten Senats reißen nicht ab. Jedoch bleibt der Grundtenor immer gleich: Statt inhaltlicher Entscheidungen nur Kammerentscheidungen ausschließlich zum Rechtsweg, nicht zum Inhalt. So auch beim Kammer-Beschluss 1 BvR 828/20 vom 15. April 2020 , bei dem es um Versammlungen unter dem Motto „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ in Gießen ging. (…) Was die Frage betrifft, ob überhaupt diese Verbote verfassungswidrig sind, gibt die 1. Kammer indirekt allerdings schon eine Antwort – allerdings eine sehr fragwürdige. Heißt es doch in Pkt. 3 der Entscheidung: „Die Stadt Gießen erhält Gelegenheit, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer nach pflichtgemäßem Ermessen erneut darüber zu entscheiden, ob die Durchführung der vorgenannten Versammlungen gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes von bestimmten Auflagen abhängig gemacht oder verboten wird.“ Es war jedoch gerade nicht das Interesse des Beschwerdeführers der Stadt Gießen Gelegenheit zu geben, letztlich – nach erneuter Abwägung – sich doch für ein Verbot zu entscheiden, sondern dass ein solches Verbot grundsätzlich nicht verfassungsgemäß ist. (…) Wir sollten jedoch nicht nachlassen, dem Kammerverfahren ein Ende zu bereiten und endlich den Senat zu einer inhaltlichen Stellungsnahme zu zwingen, also zu dem, was die Kammern bisher gerade zu verhindern versuchen.“ Kommentar von Armin Kammrad vom 17. April 2020 – wir danken für die schnelle Reaktion!
„Interview mit Deliveroo Fahrern in Frankreich, unter anderem mit Jérémy Wick, einem Fahrer aus Bordeaux, der sich kürzlich mit dem Corona Virus angesteckt hat: „Wir nehmen ein hohes Risiko auf uns, um Sachen auszuliefern, die zu 95% unnötig sind.“ Fahrer_innen, die für Deliveroo und Uber Eats arbeiten, müssen während der Corona Pandemie weiter arbeiten, da sie kein Anrecht auf die finanzielle Hilfe für Selbständige haben, die die meisten Selbständigen in Frankreich derzeit erhalten. Ihre Arbeit wird als „notwendig für die Nation“ eingestuft. Aber viele Fahrer_innen sehen das anders: „Es gibt keine vernünftige Erklärung dafür, wieso ein Kurier notwendig ist und der Nation dient. – Wie liefern das Virus aus, soviel ist klar!“ In Frankreich haben die Fahrer_innen am 3. April gestreikt, unterstützt durch die CGT…“ Video bei labournet.tv (franz. mit dt. UT | 3 min | 2020)
Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The meeting point for all left-wing trade unionists, both waged and unwaged
Le point de rencontres de tous les militants syndicaux progressistes, qu`ils aient ou non un emploi
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