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Die anderthalb „großen Jahre“ der portugiesischen Nelkenrevolution von April 1974 bis November 1975

Dossier

Vom erfolgreichen Aufstand gegen den Salazar-Erben Caetano im April 1974 bis zum Putsch des Militärs im November 1975 vom später gewählten Präsidenten Ramalho Eanes organisiert – das war eine Zeit massiver Kämpfe und Streiks in Betrieben und auf den Straßen. In der im übrigen Rechte erkämpft wurden, die bis heute fortbestehen, auch wenn der lange Zeit von verschiedensten Strömungen der Linken in Portugal orientierte „Kampf zur Verteidigung der Errungenschaften des 25. April“ heute weitgehend obsolet geworden ist. In dem Gespräch „„Pour une histoire populaire de la Révolution portugaise“ am 25. April 2016 bei Contretemps externer Link unterstreicht die Historikerin Raquel Varela (Autorin des Buches „História do Povo na Revolução Portuguesa“) sowohl die Bedeutung der Kämpfe um die „Macht im Betrieb“, als auch die Notwendigkeit, bei der Analyse der Nelkenrevolution weiter zu schauen, als nur auf das Wirken verschiedener politischer Organisationen und Parteien und vor allem die zahlreichen selbstorganisierten Aktionen vieler Belegschaften und Nachbarschaftskomitees zu würdigen. Siehe dazu:

  • 50 Jahre Nelkenrevolution in Portugal: „Freiheit ist das Wichtigste“ und „25. April – Nie wieder Faschismus“ – hoffentlich New
    Zum Jahrestag der Revolution gegen die Diktatur wächst die Sorge vor dem Erstarken der Rechten. Ein Ortsbesuch beim Gedenkmarsch in Lissabon.
    Ein Gesang erklang am Donnerstagnachmittag erneut durch die Straßen Lissabons: Grândola, Vila Morena. Das Lied des antifaschistischen Liedermachers José Afonso war am 25. April 1974 das Signal für einen Putsch gegen die rechte Diktatur in Portugal. Hunderttausende gedachten am Donnerstag dem friedlichen Umsturz, der weltweit als Nelkenrevolution bekannt wurde. Neben dem runden Jubiläum hatte der Marsch in diesem Jahr eine zusätzliche Bedeutung. Denn die extreme Rechte erlebt derzeit einen Höhenflug. Bei den Wahlen im März konnte die rechtspopulistische Partei Chega ihr Ergebnis von 2022 mehr als verdoppeln. Sie sitzt jetzt mit 18 Prozent als drittstärkste Partei im Parlament.
    „Dass die extreme Rechte 50 Jahre nach der Nelkenrevolution solche Erfolge feiert, ist ein großer Rückschritt für Portugal“, sagt José Fernandes. Der 60-Jährige schwenkt eine blau-grüne Fahne mit rotem Speichenrad – es ist die Flagge der Sinti und Roma. Fernandes ist Vorsitzender der Roma-Organisation Techari. Die Chega und ihr Vorsitzender André Ventura sind bekannt für ihre harte Rhetorik gegenüber Minderheiten, besonders die Roma-Gemeinschaft. „Wir wollen Freiheit und Gerechtigkeit für alle Portugiesen“, sagt Fernandes. Deshalb stehe er an diesem Donnerstag zusammen mit Zehntausenden auf der Straße. Am Nachmittag versammelt sich eine bunte Mischung aus Parteien, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, linken Splittergruppen und Einzelpersonen auf der Avenida da Liberdade, der Allee der Freiheit. Eigentlich ist die Straße Lissabons Edelmeile, gesäumt von Luxusboutiquen und Fünf-Sterne-Hotels. Doch heute ist sie der Ort des Gedenkens und des Protests. Immer wieder ruft die Menge: „25. April – Nie wieder Faschismus.“ (…)
    In Portugal ist die Erinnerung an den 25. April allgegenwärtig. Die ganze Stadt hat sich für den Tag herausgeputzt: An Schulen und Regierungsgebäuden hängen Transparente, überall gibt es roten Nelken zu kaufen, Lissabonner wünschen sich gegenseitig einen „Guten 25. April“. Streckenweise gleicht der Marsch eher einem Volksfest. Viele Familien sind auf der Straße, fast alle haben sich rote Nelken angesteckt, sogar einige Polizist*innen
    ….“ Artikel von Niklas Franzen vom 26.4.2024 in der taz online externer Link („50 Jahre Nelkenrevolution in Portugal: „Freiheit ist das Wichtigste““)

    • Zwanzig Minuten nach Mitternacht, am 25. April 1974, singt Zeca Afonso den Protestsong «Grândola, Vila Morena» externer Link im portugiesischen Rundfunk. Es ist das Startsignal für die Nelkenrevolution gegen den autoritär-konservativen Estado Novo in Portugal
    • (Bei der Bearbeitung hörend und heulend, auch in Gedenken an Helmut Weiss, der in Portugal studiert hatte und eigentlich für dieses Dossier begonnen hat und heute zuständig wäre (Mag Wompel))
  • Brot und Nelken: Mit der Revolution in Portugal 1974 brach eine Welle von Fabrikbesetzungen und Landaneignungen aus
    „Jemand ruft an, um zu erzählen, dass sein Auto beschlagnahmt wurde – als Barrikade.« So fasst ein Zeitzeuge die Stimmung am Morgen des 25. April 1974 zusammen, ein Moment zwischen Angst und Neugier. In der Nacht zuvor waren über zwei Radiosender ein Liebeslied (es hatte im besagten Jahr den letzten Platz beim Eurovision Song Contest belegt) und ein verbotenes Widerstandslied abgespielt worden. Sie waren die Signale an oppositionelle Einheiten der Armee, sich bereitzumachen (Lied 1) und auszurücken (Lied 2), um die fast 50-jährige Diktatur des sogenannten Estado Novo in Portugal zu stürzen. Der Offizier Otelo Saraiva de Carvalho, kurz Otelo, hatte den Plan für den Putsch erarbeitet, er war ein ausgewiesener Linker. (…) Aber der Putsch war nur der Anfang eines 18-monatigen revolutionären Experiments. (…) Unzählige Parteien gründeten sich kurz nach dem 25. April. (…) Schnell prallten unterschiedliche Interessen aufeinander. Das COPCON sah sich, vor allem durch seine linke Führungsriege, auf der Seite der Arbeiter*innen. Insbesondere die Hauptstadt Lissabon entpuppte sich schnell als revolutionäres Pulverfass. Schon im Sommer kam es zu vielen Streiks, etwa bei der der Fluggesellschaft TAP. Während die PCP die Gründung eines Einheitsverbandes der Gewerkschaften vorantrieb, versuchten in vielen Firmen, etwa in der Lissaboner Werft Lisnave oder beim US-Uhrenhersteller Timex, Arbeiter*innen, eigene autonome Organisationsformen zu etablieren. Sie gründeten Arbeiter*innenkomitees, die auf ihrer Eigenständigkeit bestanden. (…) Es ging den streikenden Arbeiter*innen nicht nur um Lohnerhöhungen, sondern um Basisdemokratie. Oft war das Mittel der Wahl, Betriebe zu besetzen. Im Mai 1974 besetzten die Arbeiter*innen des Lissaboner Elektrounternehmens Efacec-Inel auf Initiative ihres Arbeiter*innenkomitees den Betrieb. Fast 1.000 Arbeiter*innen nahmen an den Diskussionen über die Zukunft der Gesellschaft teil und organisierten ein Kulturprogramm. Die radikalen Forderungen wurden noch verstärkt, weil nicht wenige Manager oder Fabrikeigentümer nach dem 25. April 1974 ins faschistische Spanien flohen und viele Betriebe in Selbstverwaltung weitergeführt wurden. Bis Anfang August 1975 waren es ungefähr 380. Betriebs-, aber auch Hausbesetzungen wurde in Lissabon im Laufe des Jahres 1974 zur gängigen Praxis. Nicht zuletzt, weil viele Großstädte von ärmlichen Barackensiedlungen umgeben waren. (…) Auf dem Land war eine eigene Bewegung entstanden. Mit der Revolution kehrten viele Landarbeiter*innen dorthin zurück. »Sie hatten die Hoffnung, mit der Agrarreform zu Hause bei der Familie ein Auskommen zu haben«, wie Annette Spiering im Gespräch mit ak erzählt. Da viele Großgrundbesitzer, ähnlich wie die Fabrikanten, 1974 nach Spanien geflohen waren, entstanden aus den Besetzungen oft Kooperativen, in denen sich die Landarbeiter*innen zusammenschlossen. Sie trugen kämpferische Namen wie »Leuchtender Stern« oder »Fahrt zur Hölle«. Im Laufe des Jahres gründeten sich über 550 solcher Kooperativen. (…) Mit dem Beitritt Portugals in die Europäische Gemeinschaft sollten diese Formen kollektiven Wirtschaftens endgültig verschwinden. Dass sie nicht gehalten werden konnten, lag aber auch an den Konfliktlinien der Nelkenrevolution, insbesondere der fragilen Mischform von Putsch und Revolution. Ein Landarbeiter fasste es im Gespräch mit Spiering einmal so zusammen: »Wir haben uns diesen Boden nicht erkämpft, sondern das Militär hat uns dazu verholfen. Jetzt haben wir nicht die Kraft, ihn selbst zu halten.«“ Artikel von Johannes Tesfai aus dem ak703 vom 16. April 2024 externer Link, siehe auch:

    • Portugal: »Die Menschen sehnen sich nach Veränderung«
      Die langjährige Vorsitzende des »Linksblocks« Catarina Martins über das Erbe der Nelkenrevolution und den Aufstieg der extremen Rechten…“ Interview von Raul Zelik vom 19.04.2024 in ND online externer Link
  • 25. April 1974: 40 Jahre Nelkenrevolution
    Subventionen gab es dafür, daß nichts angebaut wurde; sie waren aber zu gering, um die Ausfälle zu ersetzen. Viele Leute fanden es zwar großartig, Geld für nichts zu bekommen – das System führte aber dazu, daß die landwirtschaftliche Struktur Schaden nahm, es wurde nicht mehr investiert. Ähnlich war es in anderen wirtschaftlichen Bereichen, etwa in der Textilindustrie oder der Fischerei. Das Resultat ist, daß Portugal heute Riesenschulden im Ausland hat, wir importieren viel mehr als wir exportieren“ –  aus dem Interview »Die früher vollen Silos stehen heute leer« externer Link von Carmela Negrete mit João Português (KP-Bürgermeister der Gemeinde Cuba in Südportugal) über den Alentejo 40 Jahre danach am 25. April 2014 in der jungen welt und:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=169779
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