[Wichtige Debatte, wenn auch erst durch Corona] Was ist notwendige Arbeit? Und wer entscheidet darüber?

Dossier

Systemrelevant (Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus)… In der Corona-Krise wird vielen die Bedeutung der Arbeit auf neue Weise klar. Fußball-Ultras, die aus ihren Stadien ausgesperrt sind, zeigen mit Transparenten in den Straßen ihre Anerkennung für die Beschäftigten in den Supermärkten und Krankenhäusern und fordern höhere Löhne für Pflegekräfte. (…) Klar ist, dass die lebensnotwendige gesellschaftliche Arbeit weitaus mehr umfasst als das Auffüllen der Supermarktregale und den Dienst in den Krankenhäusern. Damit wir essen können und medizinisch versorgt werden, sind komplexe Produktionsketten notwendig. (…) Nach welchen Kriterien die Auswahl der notwendigen Branchen erfolgte, ist nicht ganz klar. So soll z.B. auch im Finanzsektor ohne Einschränkungen weitergearbeitet werden. Sicherlich ist das Geld, wie Marx einmal formulierte, das „reale Gemeinwesen“, es hält die kapitalistische Gesellschaft zusammen (MEW 42, 152). Allerdings gibt es durchaus qualitative Unterschiede etwa zwischen der Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs, der Kreditvergabe und den Spekulationsgeschäften an der Börse. (…) Einschätzungen der Beschäftigten, ob ihre Arbeit notwendig ist oder nicht, spielten dabei offenbar keine Rolle. Diese dürften jedoch selbst wissen, inwiefern ihre Arbeit in der jetzigen Situation notwendig ist…“ Artikel von Thomas Sablowski vom 23. März 2020 im Blog des Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS externer Link am Beispiel Italien – siehe auch:

  • Gesellschaftliche Arbeit und soziale Demokratie. Der alltagspolitische Diskurs zu »Systemrelevanz« als Auseinandersetzung um eine sozialökologische Politik der Arbeit New
    Ich diskutiere alltagspolitische Interventionen von Arbeiter*innen zu ihrer »Systemrelevanz« in demokratietheoretischer Perspektive. Die These lautet, dass ein fundamentaler Zusammenhang von sozialer Demokratie und  gesellschaftlichem Charakter von (Lohn-)Arbeit wirksam ist, der dringend mehr Beachtung benötigt. Nach einer empirischen Illustration argumentiere ich entlang von drei theoretischen Schneisen: mit Blick auf einen gesellschaftlichen Begriff von Lohnarbeit und Arbeiter*innen, zum Verhältnis von Arbeit und Demokratie und zur Aktualisierung und Erweiterung des gesellschaftlichen Arbeitsbegriffs als sozialökologisch fürsorgliche Praxis. Abschließend wird die diskurspolitische Verwandlung von Arbeiter*innen in »Helden« als Angriff auf soziale Demokratie skizziert…“ Artikel von Stefanie Hürtgen  aus der PROKLA 206 vom März 2022: Corona und die Folgen: Gewinner, Verlierer und Chancen für eine neue Gesellschaftspolitik (in der Datei auch das Inhaltsverzeichnis)

  • Malochen für das Gleichgewicht – Angesichts der Klimakrise entpuppt sich manch Tagwerk als schädlich, während anderes durch Bullshit-Jobs ersetzt wird
    „Da ist er wieder, der „Tag der Arbeit“. Auch wenn die Corona-Krise keine großen Kundgebungen erlaubt: Wird ein solcher Tag nicht gerade in unserer Zeit des Umbruchs immer wichtiger? Wir können heute schließlich nicht mehr ausblenden, was zwischenzeitlich in den Hintergrund getreten war: dass es wirklich um die Arbeit geht. Um die Arbeit, nicht bloß um den Arbeiter und die Arbeiterin. Natürlich ist das eine nie ohne das andere, trotzdem können beide einander „entfremdet“ sein. Weil zur Arbeit nicht nur die Arbeitenden, sondern auch ihre Arbeitsprodukte gehören, das, was ihre Arbeit hervorbringt. Diese Arbeitsprodukte können sinnvoll sein oder sinnlos; wenn sie aber sinnlos sind, ist es auch die Arbeit. Und wenn die Arbeit, dann das Leben derer, die sie leisten. Es kann auch sein, dass Arbeitsprodukte ihren guten Sinn, den sie einmal hatten, verloren haben. Das ist heute in nicht gerade unwichtigen Teilen der Produktion der Fall, man denke nur an den Kohleabbau. Und es gibt weitere Probleme: Die Digitalisierung reduziert die Zahl der Beschäftigten in Bereichen, wo früher viele gebraucht wurden; das führt vielleicht nicht zu dauerhafter Arbeitslosigkeit, zwingt aber die „Freigesetzten“ oft dazu, sich im Niedriglohnsektor oder in Bullshit-Jobs zu verdingen. (…) Damit Arbeit wieder überall guten Sinn hat, wird es nötig sein, den Kapitalismus zu überwinden. Der „Tag der Arbeit“, ausgerufen 1889 von der Zweiten Internationale der Arbeiterbewegung, stand von Anbeginn in dieser Perspektive. Wir sollten uns heute daran erinnern.“ Artikel von Michael Jäger vom 1. Mai 2021 aus ‚derFreitag‘ Ausgabe 17/2021 externer Link
  • Solidarität! «Systemrelevant» waren in der Finanzkrise nur Banken: Warum die Arbeitswelt im Zeichen von Corona anders aussieht und was sich ändern muss 
    Solidarität ist Zukunft« lautet das Motto des DGB zum Tag der Arbeit. In der Pandemie sollen alle »solidarisch« sein – die Gesunden mit den Kranken, die Jungen mit den Alten, Chefarzt und Krankenpflegerin, die Webdesignerin und ihre migrantische Putzfrau. Das große »Wir« der verwundbaren Einzelnen wird beschworen – jenseits von Klasse und Stand, Arbeit und Kapital? Doch statt Solidarität zu fördern, hat das Virus ein grelles Licht auf Missstände geworfen, Gegensätze weiter verschärft – und Alternativen sichtbarer gemacht. Von Unternehmen wird offenbar nicht erwartet, Teil der Anti-Virus-Gemeinschaft zu sein. Jedenfalls wurde von staatlicher Seite selbst unter Corona-Extrembedingungen nicht in die »unternehmerische Freiheit« großer Konzerne eingegriffen. Die Konsequenz: Impfstoffhersteller, gegründet mit staatlicher Förderung, machen ihre Patente zu Gold, statt die Formeln der Vakzine frei zugänglich zu machen – tödlicher Impfstoffmangel hin oder her. Die Lufthansa und der Tourismus-Konzern TUI wurden mit staatlichen Geldern gerettet – ohne dass man Einfluss auf ihre Entscheidungen nehmen würde, um etwa Kündigungen oder Schnäppchenangebote im Lockdown zu verhindern. Daimler, BMW und Volkswagen machen Rekordgewinne und schütten Dividenden aus, lassen sich Kurzarbeit aber von der Bundesagentur für Arbeit finanzieren. Dies grenzt an eine Veruntreuung öffentlicher Gelder, die besser genutzt werden könnten. Das Gesundheitswesen etwa wurde erst durch Privatisierung und Rationalisierung so ausgehungert, dass es in der Pandemie schnell seine »Belastungsgrenzen« erreicht: der »freie Markt« kennt keine Zukunftsvorsorge, er tötet im Zweifelsfall. (…) Während Großunternehmen ohne Gegenleistung gestützt werden, sind kleine und mittlere Betriebe in Gastronomie, Non-Food-Einzelhandel, Kultur- oder Medienbranche umstandslos geschlossen worden, mussten lange oder vergeblich auf staatliche Hilfen warten. Manche von ihnen könnten für Bündnisse zugunsten einer aktiven staatlichen Wirtschaftspolitik zu gewinnen sein, wenn diese eine Sicherung gesellschaftlicher Bedarfe zum Ziel hat. (…) Große Hoffnungen richteten sich auf eine Aufwertung »systemrelevanter Berufe«. Klar ist, was notwendig wäre: deutlich besser entlohnte, dauerhafte und rechtlich abgesicherte Jobs, angemessene Personalausstattung, humane Arbeitsbedingungen und Tarifverträge für alle. (…) In der Debatte um »Systemrelevanz« liegt eine Chance, die Systemfrage ausgehend von den Erfordernissen des gesellschaftlichen Lebens und der Humanisierung der Arbeit zu stellen. »Systemrelevant« waren in der Finanzkrise 2008 vor allem Banken, jetzt geht es um Pflege, Handel, Erziehung, Logistik – kurz: um gesellschaftliche Reproduktion, ohne die kapitalistisches Wirtschaften nicht möglich ist. Daraus könnten Gewerkschaften mehr politisches Kapital schlagen…“ Artikel von Nicole Mayer-Ahuja und Richard Detje vom 30.04.2021 im ND online externer Link
  • Bleibende Lehren aus der Corona-Krise: Wer oder was ist systemrelevant? 
    Auf einmal waren gar nicht, wie vor 12 Jahren, die großen Banken „systemrelevant“, sondern die vielen kleinen Leute, die in der Sondersituation der Pandemie als unentbehrliche Dienstkräfte entdeckt wurden: Krankenschwestern und Supermarktkassiererinnen, Müllmänner und Postboten bekamen das Etikett „systemrelevant“ angeheftet wie einen Orden, so als wäre das das denkbar größte Kompliment. Sie bekamen Applaus vom in Quarantäne verbannten Publikum; Politiker verstiegen sich zu der Idee einer ein paar Hunderter schweren Anerkennungsprämie für überlastete Pflegekräfte: ein Anfall von Dankbarkeit quer durch die von Infektionsgefahr und staatlicher Seuchenbekämpfung irritierte Gesellschaft. Von Dauer war der nicht. (…) Der Degradierung großer Teile des freizeitindustriellen Kulturlebens der Nation zum Echo seines Marktwerts steht – um auf den Anfang zurückzukommen – die Aufwertung weiter Bereiche der in der marktwirtschaftlichen Berufshierarchie weit unten angesiedelten Dienstleistungen zu Musterfällen sittlichen Heldentums gegenüber, das einen Orden für Systemrelevanz verdient. Das betrifft, da herrscht ein erstaunlicher Konsens, ganz disparate Jobs – wie schon erwähnt: Frauen im Krankenhaus, an der Schnittstelle zwischen gesundem Alltag und Hinfälligkeit, ebenso wie Frauen im Supermarkt, an der Schnittstelle zwischen Versorgungsgut und Tauschwert, der ganz andere Figuren bereichert; oder auch Feuerwehrleute und Abfallbeseitiger… Der gemeinsame Nenner, der diesen Heroen des Alltags seuchenbedingt hohe Anerkennung einbringt, besteht in Merkmalen, die, wenn sie zusammenkommen, für den bürgerlichen Kopf von Selbstlosigkeit und Anstand als einzig plausiblem Motiv für solche Tätigkeiten zeugen: auf unauffällige Weise unentbehrlich, durchs aktuelle Infektionsgeschehen gefährdet, äußerst mäßig bezahlt; also bestimmt nicht egoistisch, vielmehr irgendwie engagiert und tapfer, auf jeden Fall moralisch wertvoll. Entsprechendes gilt für die Mutterrolle, die in Zeiten der coronabedingten Schul- und Kitaschließungen eindeutig nicht mehr den Freuden eines erfüllten Familienlebens zuzuordnen ist, sondern zu den unbezahlten Mehrfachbelastungen zählt, die klaglos auszuhalten uneigennützige Tatkraft beweist und dementsprechend hohe Würdigung verdient. Von der können die verschiedenen systemrelevanten Minderheiten sich zwar nichts kaufen, weder buchstäblich noch im übertragenen Sinn…“ Artikel in der Reihe „Was Deutschland bewegt“ als Pandemie XII der Zeitschrift GegenStandpunkt 3-20 externer Link
  • Wer oder was ist systemrelevant? / Aus der Krise lernen, was für ein gutes Leben nötig ist
    • Wer oder was ist systemrelevant?
      „… Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurden immer wieder verschiedene Berufsgruppen hervorgehoben und ihre Systemrelevanz betont. Zunächst waren es die Pflegekräfte und Ärzte, dann die Kassiererinnen im Supermarkt, die Putzkräfte im Krankenhaus oder die LKW-Fahrer bei der Güterversorgung. Gelobt wurden die Gruppen – außer den Ärzten – auch deshalb, weil sie ihren Dienst am Funktionieren der Gesellschaft für wenig Geld erbringen. (…) Beim Lob der verschiedenen Berufsgruppen soll man sich offenbar vorstellen, dass diese Menschen ihren Dienst für die Gemeinschaft, für Deutschland oder für die Nation erbringen. Nur sind sie in der Regel nicht im Staatsdienst tätig oder gar dienstverpflichtet, sondern angestellt bei einem Supermarkt, Krankenhaus oder Pflegedienst, bei einer Reinigungsfirma oder Spedition. (…) Die Alltagshelden und -heldinnen erbringen ihren Dienst daher auch nicht aus lauter Selbstlosigkeit, sondern weil sie Geld verdienen müssen, um zu leben. Dieses Angewiesensein auf Geld für den Lebensunterhalt nutzen die Arbeitgeber aus, um für wenig Geld möglichst viel an Leistung einzufordern, deren Erbringung auch schon in Normalzeiten ein Härtetest ist – ein Tatbestand, der gegenwärtig gar nicht verschwiegen wird, vielmehr den Grund für das allgemeine Lob abgibt. Was hier als Heldentum gefeiert wird – dass Menschen bei sparsamstem Entgelt nützliche Dienste für die Gemeinschaft erbringen -, ist also nichts anderes als das Ergebnis eines Erpressungsverhältnisses. Für diese Tätigkeiten stehen – bis auf den Bereich der Pflege, bei der Idealismus gefordert wird – meist mehr Menschen zur Verfügung, als Arbeitsplätze angeboten werden, so dass es den Arbeitgebern leicht fällt, diese Arbeitsmarktlage für sich auszunutzen. Unterstützung fanden sie dafür bei den regierenden Parteien von grün bis christlich-sozial, die in Deutschland den Niedriglohnsektor durch die Sozialgesetze befördert haben. Deshalb ist es ein Zynismus, dass diese Politiker jetzt applaudieren und mehr Anerkennung für die betreffenden Berufstätigen fordern. (…) Wer allerdings auf die Dankbarkeit seines Arbeitgebers für treue Dienste setzt, darf sich darüber nicht wundern, stellt eine solche Haltung es doch ganz dem Dienstherren frei, wie er sich erkenntlich zeigt. Um auf Dauer zu einem besseren Einkommen für ihre Arbeit zu gelangen, müssen sich die Betroffenen schon etwas anderes einfallen lassen. Früher hieß das einmal Solidarität und war nicht – wie heute üblich – als gemeinsamer Verzicht in einer kritischen Situation gemeint, sondern als Zusammenschluss von Arbeitnehmern, die die Konkurrenz um Arbeit und Einkommen unter sich aufheben, um so wegen ihrer Nützlichkeit für die andere Seite ein Mehr für sich zu fordern und durchzusetzen. Ein Gedanke, der selbst bei den heutigen Gewerkschaften wenig verbreitet ist!“ Beitrag von Suitbert Cechura vom 20. April 2020 bei Telepolis externer Link
    • Aus der Krise lernen, was für ein gutes Leben nötig ist
      Die Corona-Pandemie bietet die Chance, Aufwertung von Sorgearbeit neu zu diskutieren, meint Gabriele Winker (…) Im Netzwerk Care Revolution setzen wir uns dafür ein, dass für Sorgearbeit in Familien, in Krankenhäusern, Seniorenheimen, Kitas und Schulen mehr Zeit und Finanzen zur Verfügung gestellt werden. Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der statt Kostensenkung und Profitmaximierung menschliche Bedürfnisse im Zentrum stehen, besonders die Sorge füreinander. (…) In der Corona-Pandemie erfahren wir alle, wie stark wir von der Arbeit von Pflegekräften und Ärzt*innen abhäng sind. Außerdem wäre das gesamte System der Kontakteinschränkung ohne Eltern gar nicht aufrechtzuerhalten. Die meisten Eltern realisieren momentan eine Ganztagsbetreuung ihrer Kinder und häufig dazu im Homeoffice die eigene Berufstätigkeit. Sie sollen dabei auch noch eine gute Lehrerin, Hauswirtschafterin und Trösterin sein. Das führt häufig zu Überforderung, zeigt uns aber gleichzeitig, wie wichtig Lehrer*innen und Erzieher*innen sind. (…) Wichtig wäre jetzt eine finanzielle Absicherung für alle. Das ließe sich mit der Einführung des von uns schon lange geforderten bedingungslosen Grundeinkommens erreichen und könnte zügig Wirkung zeigen. Ferner sollten wir uns jetzt darauf verständigen, die Vollzeit-Erwerbsarbeit auf maximal 30 Wochenstunden zu begrenzen. Nur mit einer solchen kurzen Vollzeit bleibt Zeit für familiäre Sorge und auch für Muße. So könnten auch alle, die gerade ihren Job verlieren, schneller und besser eine neue berufliche Aufgabe finden. Gleichzeitig ist dies aus ökologischen Gründen ein Gebot der Stunde. Wir wären durch ein insgesamt verringertes Erwerbsarbeitsvolumen gezwungen, eine gesellschaftliche Debatte über den Stellenwert einzelner Wirtschaftsbereiche zu führen: Welche wollen wir zügig abbauen und welche Care-Bereiche entsprechend ausbauen? Schon jetzt ist den meisten klar geworden, dass die öffentliche Daseinsvorsorge umfassend neu aufgestellt werden muss: In Zukunft sollen alle bedürftigen Menschen entsprechend ihren Wünschen Unterstützung erhalten, und zwar von Beschäftigten, die unter guten Arbeitsbedingungen tätig sein können. Das erfordert deutlich mehr Personal und auch erhöhte Gehälter für alle Care-Berufe, am besten über allgemeinverbindliche Tarifverträge…“ Interview von Lea Schönborn vom 20.04.2020 im ND online externer Link
  • Welche Jobs Bullshit sind und welche systemrelevant: „Werden wir danach so tun, als sei alles nur ein Traum gewesen?“ 
    „Welche Jobs Bullshit sind und welche systemrelevant: Das dürfen wir nach der Corona-Krise nicht vergessen“, fordert der Kapitalismuskritiker David Graeber im Interview von Lars Weisbrod vom 31. März 2020 in der Zeit online externer Link: „… Hier in Großbritannien hat die Regierung eine Liste zusammengestellt mit den systemrelevanten Berufen – wer in denen arbeitet, darf weiterhin seine Kinder in die Schule schicken, wo sie betreut werden. Die Liste besticht durch die erstaunliche Abwesenheit von Unternehmensberatern und Hedgefondsmanagern! Die, die am meisten verdienen, tauchen da nicht auf. Grundsätzlich gilt die Regel: Je nützlicher ein Job, desto schlechter ist er bezahlt. Eine Ausnahme sind natürlich Ärzte. Aber selbst da könnte man argumentieren: Was die Gesundheit angeht, trägt das Reinigungspersonal in Krankenhäusern genauso viel bei wie die Mediziner, ein Großteil der Fortschritte in den letzten 150 Jahren kommt durch eine bessere Hygiene. (…) Durch die aktuelle Krise wird jetzt noch deutlicher: Mein Lohn hängt überhaupt nicht davon ab, wie sehr mein Beruf tatsächlich gebraucht wird. (…) Darum ist es so wichtig, dass wir, was wir uns in Krisenzeiten endlich eingestehen, danach nicht wieder verdrängen – zum Beispiel, welche Jobs wirklich systemrelevant sind und welche nicht. (…) Wir organisieren unsere Wirtschaft ja gerade sowieso um, ob es uns jetzt gefällt oder nicht. So viele grundsätzliche Fragen wurden lange nicht gestellt, weil man sie gar nicht formulieren konnte in der Sprache der neoliberalen Ökonomen. (…) Außerdem steht uns die allergrößte Krise noch bevor, der Klimawandel. Wir standen die ganze Zeit auf den Gleisen und ein Zug kam uns direkt entgegen. Und jetzt hat uns jemand brutal von diesen Gleisen gestoßen, das tut weh und ist schrecklich. Aber das Dümmste, was wir tun könnten, wenn wir wieder auf die Beine kommen: Uns wieder zurück auf die Gleise stellen, wo der Zug auf uns zurast!“
  • Siehe als Beispiel eine Liste aus Berlin externer Link mit sytemrelevanten Berufen, die Anspruch auf Notbetreuung der Kinder haben.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=167419
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