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Das Virus im Iran: Wo der Ausnahmezustand nicht sein durfte…
„… Der theokratische „Gottesstaat“des Irans und die ökonomische Wichtigkeit religiöser Beiträge und Spenden an Bonyads (gemeinnützige, also steuerbefreite Stiftungen der öffentlichen Wohlfahrt sowie zur Unterstützung von Wissenschaft, Kunst und Kultur), spielten dabei eine zentrale Rolle. Die heilige ideologische Schiitenstadt Ghom (eine Hochburg der schiitischen Kleriker, etwa 125 Kilometer südwestlich von Teheran), in der mehr als 600 theologische Studenten aus China an Seminaren in Hawsa (schiitische Universitäten) studieren, von denen mutmaßlich einer das Virus eingeführt hat, wurde zwar als Risikogebiet eingestuft, aber die iranische Regierung stellte nichts und niemanden unter Quarantäne. Die ersten beiden SARS-CoV-2-Fälle im Iran wurden in Ghom bekannt. Beide starben auch dort. Die Behörden hielten den dortigen Fatima-Massumeh-Schrein gleichwohl geöffnet, der rund um die Uhr und an jedem Tag der Woche von Menschenmengen besucht wird, die die Heiligtümer mit den Händen berühren und küssen. „Der religiöse Beiname der Stadt – ‚das Heim des Propheten und seiner Familie‘ – sollte Gläubigen weltweit versichern, dass sie vor Epidemien und anderen Katastrophen geschützt“ sind, so Mehdi Khalaji, der in Ghom Theologie studiert hat und heute am Washington Institute for Near-East Policy tätig ist. Da die Pilger*innen dort aus fast allen schiitischen Städten der Region kommen, ist das Virus so massenhaft verbreitet worden. Der Iran ist nach China und Italien am stärksten von Coronakrise betroffen. Aktuell sterben täglich 30 bis 40 Menschen daran. Etwa neun von zehn Infektionsfällen in Westasien sind aus dem Iran. Mehr als 18.000 Infektionen und über 1284 Todesfälle sind bis gestern offiziell gemeldet worden...“ – aus dem Beitrag „Iran: Zur Verheimlichung der Epidemie und der Klassenfrage“ von Narges Nassimi am 20. März 2020 im Lower Class Magazine – worin unter anderem auch noch auf die besonders tödlichen Auswirkungen der Sanktionspolitik hingewiesen wird. Siehe daraus Berichte über Proteste und dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag zum Versuch des Regimes, die Epidemie zu leugnen:
- Weiter aus dem Beitrag „Iran: Zur Verheimlichung der Epidemie und der Klassenfrage“ von Narges Nassimi am 20. März 2020 im Lower Class Magazine : „… Was jedoch Mut macht, ist, dass die Arbeiter*innen in zahlreichen Bereichen die Arbeit niedergelegt haben und gegen die Vernachlässigung der Regierung und der Bosse, die keine Schutzmaßnahmen zur Verhinderung des Coronavirus ergriffen haben, protestieren. Die Straßenkehrer*innen in mehreren Städten oder auch die Arbeiter*innen der Qazvin-Glasfabrik gehören zur Avantgarde der aktuellen Arbeiterbewegung im Land. Letztere schreiben folgendes: Leider ist die Fabrik seit dem Ausbruch des Corona-Virus weiter aktiv, anstatt, dass die Besitzer sie vorübergehend schließen und andere Maßnahmen für unsere Gesundheit zu ergreifen. Die Arbeiterfahrten werden weiterhin mit dem Bus durchgeführt, eine Fahrt, die eine Stunde von Qazvin nach Farsjin dauert und umgekehrt genauso. Die Arbeiter sitzen dicht an dicht. Das ist eine ernsthafte Bedrohung für uns. Die einzige Maßnahme, die vom Unternehmen ergriffen wurde, war ein Fiebermessen im Bus und vor dem Betreten des Unternehmens, um Verdachtsfälle unter Quarantäne zu stellen. Ein paar von unseren Kolleg*innen stehen unter Verdacht, infiziert zu sein, da sie Fieber hatten. Trotzdem bleibt die Fabrik offen.Am vergangenen Donnerstag riefen die Eisenbahner*innen zu einem Generalstreik der Eisenbahner*innen auf…“
- „Der Virus und der Glaube“ von Ali Sadrzadeh am 14. März 2020 bei qantara.de berichtete vom Scheitern der Leugnungspolitik des Regimes unter anderem: „… Die erste offizielle Reaktion: All das seien Fake News und Machenschaften der Feinde, die den Islam besudeln wollten. Ausgerechnet Qom, das Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit, solle der Hotspot der Corona-Epidemie sein, die Plage an diesem Hort der Heiligkeit begonnen haben? Unmöglich, undenkbar. Eine solche Lüge könnten nur die Feinde der Islamischen Republik erfunden haben, sie komme einer Beleidigung gleich, die gegen Glaube, Gott und Gewissen gerichtet sei. Doch Dementi hin, Heiligkeit her: Qom hat im Iran inzwischen einen ähnlichen Stellenwert wie die Provinz Wuhan in China. Eine brisante Angelegenheit, politisch wie religiös. Qom mag heute Brenn- und Mittelpunkt der Corona-Epidemie sein. Doch die Stadt war und bleibt einstweilen der Ort, wo das Herz des politischen Schiitentums schlägt. Ayatollah Ruhollah Khomeini lehrte jahrzehntelang in dieser Stadt. In Qom nahm die Islamische Revolution ihren Lauf, und hier werden heute jene Geistlichen ausgebildet, die die Schlüsselpositionen in der Islamischen Republik innehaben. In Qom studieren 40.000 ausländische Seminaristen schiitische Theologie. Sie sollen später als Missionare in ihren Heimatländern für den schiitischen Islam werben und, wenn nötig, auch kämpfen. 700 von ihnen kommen aus China. In Qom ist die Seele der Islamischen Republik zuhause. Dass die Bewohnerinnen und Bewohner einer solchen Stadt von einer derart schrecklichen Plage heimgesucht werden – das würde Gott doch niemals zulassen. Am 17. Februar trat Gholamerza Jalai in der Uniform der Revolutionsgarde vor die Fernsehkameras, referierte über die gottgegebene Immunität der heiligen Stadt und dementierte kategorisch alles, was bereits an diesem Tag ein offenes Geheimnis war: Es gäbe weder in Qom noch sonstwo im Land einen einzigen Corona-Fall. Jalai musste es wissen: Er ist Chef des iranischen Zivilschutzes. Doch die Zeit der Lüge und des Leugnens dauerte nicht lang. (…) Wie auch immer: Das Lügengespinst um den Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine durch die iranische Revolutionsgarde am 8. Januar hatte nur drei Tage gedauert. Das Corona-Märchen dauerte mehrere Wochen. Der Grund: Zum einen gab es keinen Druck aus dem Ausland. Zum zweiten hatten die Machthaber in dieser Zeitspanne zwei wichtige Termine zu absolvieren, für die organisierte Menschenmassen notwendig waren: den 9. Februar, Jahrestag der Revolution, und die Parlamentswahlen am 21. Februar. Als diese wichtigen Termine vorbei waren, trauten sich einige Journalisten und Mediziner, zu fragen, ob man nicht von den Chinesen lernen und die Stadt Qom unter Quarantäne stellen sollte. Eine Welle der Empörung, ein ohrenbetäubender Aufschrei der einflussreichsten Ayatollahs erfasste sofort das ganze Land – und alle Fragen verstummten. Die Kranken dieser Welt suchten und fänden am Schrein in Qom Heilung und Gesundheit, niemand dürfe und könne die heilige Stadt unter Quarantäne stellen, sagte Ayatollah Saidi, der Oberste Diener des heiligen Schreins. Qom blieb also für jeden zugänglich, der Virus hatte seine Freiheit. Und breitete sich rasant im ganzen Land aus. 31 Provinzen des Iran sind inzwischen betroffen. Gilan und Mazandaran, die beiden nordiranischen Provinzen am Kaspischen Meer, haben Qom inzwischen abgelöst und sind zu den gefährlichsten Verbreitungsorten des Virus avanciert. Offiziell gibt es bis heute (Stand: 13. März 2020) im Iran 514 Tote und 11.364 Infizierte. Doch die sozialen Medien und unabhängige Webseiten präsentieren andere Zahlen. Niemand glaubt niemandem mehr, den Verwaltern des Glaubens wird am wenigsten geglaubt...“