Tacheles: Vorschläge zum Umgang mit der Corona-Krise für einkommensschwache Haushalte – und Reaktionen

Dossier

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im ShitstormWie wir in den letzten Tagen schmerzlich zu spüren bekamen, hat die Corona-Krise mittlerweile den nahezu vollständigen Stillstand des gesellschaftlichen Lebens zur Folge. Mit diesem Stillstand werden leider erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen einhergehen. Insbesondere aufgrund des Wegfalls von Aufträgen und Arbeitsplätzen werden deutlich mehr Menschen als bislang auf staatliche Leistungen angewiesen sein – und sei es nur für eine Übergangszeit. Denn neben den Menschen, die bereits jetzt Sozialleistungen beziehen (SGB II/SGB XII/AsylbLG/KIZ/WoGG), werden auch Selbständige, Künstler*innen, Geringverdienende, Minijobber*innen und durch die Corona-Krise wirtschaftlich Strauchelnde auf soziale Leistungen der Arbeitslosenversicherung  und Grundsicherung angewiesen sein. Da es einkommensschwachen Haushalten in der Regel auch an entsprechenden Rücklagen fehlt, um die ausfallenden Einkünfte eine Weile lang auszugleichen, erlauben wir uns eine Reihe von Vorschlägen zu machen, wie die Krise für alle Beteiligten abgefangen werden kann. Im Folgenden haben wir deshalb 29 Vorschläge ausgearbeitet, die zum Teil sofort, zum Teil erst nach vorheriger Gesetzesänderung umgesetzt werden könnten und einen wertvollen Beitrag leisten würden, um die Versorgung aller Betroffenen sicherzustellen…“ Ein umfassendes Forderungspaket an die Politik und Verwaltung vom 21.03.2020 von und bei Tacheles e.V. externer Link – darin auch Maßnahmen zur Wohnraumsicherung, Anspruch von Wohnungslosen auf Unterbringung in Pension / Hotel, Ausweitung der Leistungsberechtigten, Aussetzen der Haftantritte für Ersatzfreiheitsstrafen / Bagatelldelikte, Öffnung der Abschiebegefängnisse etc. Siehe dazu:

  • Tacheles – Vorschläge zum Umgang mit der Corona-Krise für einkommensschwache Haushalte, Version II / Kampagne für einen Corona-Zuschlag bzw. ein „Nulldarlehen“ New
    • Tacheles – Vorschläge zum Umgang mit der Corona-Krise für einkommensschwache Haushalte / Version II
      „… Der Verein Tacheles hat mit Datum vom 21.03.2020 eine erste Version eines „Vorschlagspapiers“ mit 29 Einzelpunkten zur Bewältigung der  Corona-Krise der Politik und Verwaltung vorgelegt. Dieses Papier ist abrufbar unter: https://t1p.de/9lk0. Einige dieser Vorschläge sind im Gesetz, in Weisungen oder öffentlich erklärten Vorhaben des Kabinetts berücksichtigt worden. Einen Monat später, mit den ersten Erfahrungen zu den Auswirkungen der Corona – Krise, wollen wir diese Vorschläge nochmals aktualisieren und präzisieren. Der Fokus der Regierung wird derzeit vorrangig auf das Funktionieren der Wirtschaft gelegt, während der „untere“ Teil der Bevölkerung nur in äußerst geringem Maße bedacht wird. Die Covid-19-Virus-Pandemie bringt aber vor allem Menschen mit geringen Einkommen sowie Sozialleistungsbeziehende in wirtschaftliche Not. Über 7 Millionen SGB II-/SGB XII-/AsylbLG-leistungsbeziehende Menschen, Erwerbslose, Geringverdienende, Alleinerziehende, Geflüchtete, Rentner*innen, alte, kranke und behinderte Menschen sowie Kinder in solchen Haushalten konnten sich vor der Krise irgendwie mit Tafeln, Suppenküchen, kostenfreien Mittagstischen oder über günstige bzw. kostenlose Verpflegung in Kitas und Schulen über Wasser halten. Diese Versorgungs- und Unterstützungssysteme sind pandemiebedingt weitgehend eingestellt. Da es einkommensschwachen Haushalten in der Regel auch an entsprechenden Rücklagen fehlt, um die ausfallenden Einkünfte und gestiegenen Lebenshaltungskosten eine Weile lang auszugleichen, erlauben wir uns eine Reihe von Vorschlägen zu machen, wie die Krise für alle Beteiligten abgefangen werden kann. Im Folgenden haben wir deshalb 27 Vorschläge ausgearbeitet, die zum Teil sofort, zum Teil erst nach vorheriger Gesetzesänderung umgesetzt werden könnten und einen wertvollen Beitrag leisten würden, um die Versorgung aller Betroffenen sicherzustellen…“ Tacheles-Vorschläge vom 26. April 2020 externer Link und:
    • Kampagne für einen Corona-Zuschlag bzw. ein „Nulldarlehen“
      „… Die Covid-19-Virus-Pandemie bringt vor allem Menschen mit geringen Einkommen und Sozialleistungsbeziehende in wirtschaftliche Not. Über 7 Millionen SGB II-/SGB XII-/AsylbLG-leistungsbeziehende Menschen, Erwerbslose, Geringverdienende, Alleinerziehende, Geflüchtete, Rentner*innen, alte, kranke und behinderte Menschen sowie Kinder in solchen Haushalten konnten sich bislang irgendwie mit Tafeln, Suppenküchen, kostenfreien Mittagstischen oder über günstige bzw. kostenlose Verpflegung in Kitas und Schulen über Wasser halten. Diese Versorgungs- und Unterstützungssysteme sind pandemiebedingt weitgehend eingestellt. Gleichzeitig wird in den Supermärkten gehamstert. Dies führt insbesondere dazu, dass Sonderangebote und günstige Produkte oft frühzeitig ausverkauft sind. Zudem ist eine allgemeine Schutzmaskenpflicht zu erwarten und in einzelnen Kommunen bereits verpflichtend. Für die genannten Personengruppen muss eine Lösung geschaffen werden – und zwar sofort! (…) Da im Sozialschutzpaket keinerlei Lösungen für diese Problematik vorgesehen sind und die Menschen von der Politik im Stich gelassen werden, möchten wir alle Beziehenden von Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“), SGB XII (Sozialhilfe) und AsylbLG ermutigen sich selbst zu helfen und zusätzliche Leistungen für Pandemie bedingte Mehrkosten, also einen „Corona-Zuschlag“ beim zuständigen Leistungsträger zu beantragen und notfalls vor Gericht zu erstreiten…“ Detaillierte Vorschläge von Tacheles am 24. April 2020 externer Link
  • Armutsforscher fordert: “Rettungsschirm für die Allerärmsten“ / Sozialschutzpaket geht Richtung Mittelstand, lässt aber einkommensschwache Schichten außen vor 
    • Armutsforscher fordert: “Rettungsschirm für die Allerärmsten“
      „Der Politologe Christoph Butterwegge warnt vor einer Zerfurchung der deutschen Gesellschaft durch die Corona-Pandemie.“ Im RND-Interview von Thoralf Cleven am 31. März 2020 externer Link fordert der Armutsforscher einen Rettungsschirm für die Allerärmsten: „… Ich kann nicht erkennen, dass etwas für die getan wird, die ganz unten sind. Die Corona-Krise wirkt sich nicht allein auf die Immunschwachen, sondern auch auf die Einkommensschwachen fatal aus. Tafeln schließen und Bettler bekommen nichts mehr, weil die Straßen leergefegt sind und alle eine Infektion fürchten. Damit wird die ohnehin brüchige Lebensgrundlage der Ärmsten vollends zerstört. Von den Rettungspaketen für die Unternehmen kommt im Kellergeschoss der Gesellschaft wenig an. Der Sozialstaat muss sich aber gerade in einer Krisensituation um die am stärksten Benachteiligten kümmern. Das ist seine im Grundgesetz niedergelegte Verpflichtung. (…) Werden für die Allerärmsten, Obdachlose, Drogenabhängige und Transferleistungsbezieher, keine Rettungsschirme aufgespannt, kann es in dieser Personengruppe zu einer seit der unmittelbaren Nachkriegszeit nie mehr gekannten Verelendung kommen. Hauptbetroffene sind jene Menschen, die auf der Straße leben. (…) Die soziale Infrastruktur muss ausgebaut, die Betreuung und die medizinische Behandlung von Obdachlosen verbessert werden. Die kommunalen Sozialdienste sind systemrelevanter denn je, stehen aber für unabsehbare Zeit unter einem gewaltigen Druck. Konkret erwarte ich, dass es für Hartz-IV-Bezieher sowie Empfänger der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung einen Ernährungszuschlag von monatlich 100 Euro gibt. (…) Was nicht vergessen werden darf: Wenn sich die Infektionslage zuspitzt wie in Italien, beginnt der Kampf um Intensivbetten, Beatmungsgeräte und Schutzmasken. Das könnte den Sozialdarwinismus in einer ganz auf Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit getrimmten Gesellschaft verstärken. Das Corona-Virus kann sich als gesellschaftlicher Spaltpilz erweisen…“
    • Sozialschutzpaket geht Richtung Mittelstand, lässt aber einkommensschwache Schichten außen vor
      „Die Covid-19 Virus fordert weltweit immer mehr Opfer, die Pandemie dürfte wohl auch eine Weltwirtschaftskrise auslösen. Die Krisenfolgen ausbaden muss meist der ärmere Teil der Bevölkerung. Auch hierzulande stehen schon jetzt viele ohne Einkommen da. Die Erwerbslosigkeit wird massiv steigen. Viele Menschen, die auf die Armutsökonomie angewiesen sind, haben besondere Probleme, z.B. durch die Schließung der Tafelläden. Der Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles hat nun einen umfangreichen Forderungskatalog aufgestellt, um die Situation für die Betroffenen etwas erträglicher zu machen. Wir haben über die Forderungen mit Harald Thomé, Referent für Arbeitslosen- und Sozialhilferecht vom Verein Tacheles gesprochen. Er führt im Interview auch die zahlreichen Gruppen auf, die jetzt vor dem Nichts stehen, worunter auch viele Menschen ohne deutschen Pass sind.“ Harald Thomé im Interview von Radio Dreyeckland vom 27. März 2020 externer Link Audio Datei (Audiolänge: 16:55 Min.)
  • Hartz IV als temporärer Rettungsanker für die in ihrer Existenz bedrohten Coronavirus-Krisenopfer? Und was für (andere) einkommensschwache Haushalte getan werden könnte bzw. müsste 
    „In den nächsten Tagen wird die Bundesregierung eine ganze Reihe an gesetzgeberischen Maßnahmen auf den Weg bringen, bei denen es darum geht, wie den vielen Opfern der Coronavirus-Krise geholfen werden kann. Die Ausweitung der Kurzarbeitergeld-Regelung ist bereits in Windeseile in Kraft gesetzt worden. Was aber kann man für die unzähligen anderen Opfern der Stilllegung weiter Teile des sozialen und damit auch ökonomischen Lebens tun? (…) Das gilt auch für das letzte Auffangnetz unseres Sozialstaats, also die Grundsicherung nach SGB II, umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnet. Auch hier muss ein – wahrscheinlich erwartbarer enormer – Zustrom an Hilfebedürftigen bewältigt werden. Und das in einem System, das bereits unter Normalbedingungen als extrem kompliziert und mit langen Bearbeitungs- und Bewilligungszeiten versehen kritisiert wurde. (…) Grundsätzlich ist anzumerken, dass mit dem Sozialschutz-Paket befristete Sonderregelungen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verabschiedet werden (sollen), die den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September 2020 umfassen. (…) Was ist neben den vielen, denen man einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu den (offiziell) existenzsichernden Hartz IV-Leistungen eröffnen möchte, eigentlich mit den Millionen „Bestandskunden“ im Grundsicherungssystem hinsichtlich dessen, was sie an Leistungen bekommen? (…) Selbst die FDP fordert zumindest temporär mindestens 64,80 Euro mehr für Hartz IV-Bezieher (…) Die Forderung der FDP und der KOS würden bedeuten, dass die Hartz IV-Bezieher monatlich mindestens 64,80 Euro, bei 20 Prozent Zuschlag 86,40 Euro mehr erhalten würden. (…) Konkret hat man seitens des Vereins 29 Vorschläge ausgearbeitet, die zum Teil sofort, zum Teil erst nach vorheriger Gesetzesänderung umgesetzt werden könnten und einen wertvollen Beitrag leisten würden, um die Versorgung aller Betroffenen sicherzustellen. Von besonderer Bedeutung ist die Forderung nach einer Einmalzahlung in Kombination mit einer dauerhaften Erhöhung der Regelleistungen (…) Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung die konkreten Vorschläge aufgreift und in ihre Gesetzgebung in dieser Woche noch einbaut.“ Beitrag von Stefan Sell vom 23. März 2020 auf seiner Homepage externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164757
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