Berlin diktiert [unsolidarischen] Kurs in Euro-Krise

Dossier

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im Shitstorm„Solidarität in Europa? Fehlanzeige. Die Nordeuropäer wollen den Italienern nicht mal in Zeiten der schweren Coronapandemie zur Seite stehen. Auf dem Treffen der EU-Staatschefs am Dienstag abend hatten EZB-Präsidentin Christine Lagarde und der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte vorgeschlagen, eine Anleihe für die gesamte Euro-Zone aufzulegen. Der »Coronabond« könne ein Zeichen des Zusammenhalts angesichts der hohen Zinsen sein, die Rom zur Finanzierung seines Haushalts auf den Finanzmärkten zahlen muss. Der Risikoaufschlag zehnjähriger italienischer Staatsanleihen hatte sich im Vergleich zu deutschen Staatstiteln binnen weniger Tage auf bis zu 3,3 Prozent verdoppelt. Macron begrüßte den Vorschlag. Ein kurzes »Nee« gab es vom niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Merkel ließ sich bitten. Die Kanzlerin habe betont, dass sie sich hinter den Ansatz des »Was-immer-nötig-ist« stelle. Da aber der Bundestag in der Frage der »Schuldnerhaftung« durch Euro-Bonds von seinem Nein nicht abrücken werde, müssten »realistische Lösungen« Priorität haben. Wer will denn Italien helfen, wenn nach dem Shutdown wegen der Pandemie Steuergeld in deutsche Banken gesteckt werden muss? Merkel schnürte schon die nächsten Kürzungspakete. Der Euro-»Rettungsfonds« ESM, den der deutsche Klaus Regling verwaltet, solle Italien Kredite bis zu 410 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Dort diktiert die eiserne Kanzlerin die Rückzahlungsmodalitäten – und die ist beim Schuldeneintreiben nicht zimperlich, wie der Raubzug gegen Griechenland gezeigt hat. Conte wehrte sich händeringend. Er verlangte bedingungslose Garantien für Staatsschulden. (…) Italien ist ökonomisch ein anderes Kaliber als Griechenland, das von Spekulanten als schwächstes Glied in der Kette attackiert worden war. Die Staatschefs einigten sich auf die Pleitevariante. Die Euro-Krise wird weiter verschleppt. (…) Wahrscheinlich wartet die Kanzlerin demnächst mit einer Parallelwährung auf: dem »Sanifair«-Gut­schein, gehandelt ohne Tempolimit an Autobahnraststätten und gedeckt mit Rücklagen aus gehamstertem Toilettenpapier.“ Kommentar von Simon Zeise bei der jungen Welt vom 20. März 2020 bei der jungen Welt externer Link und konkrete Beispiele dafür:

  • Der nächste Kampf um die „Schuldenregeln“: Wegen des Kampfs gegen die Coronakrise und der gewaltigen Kosten der „grünen Transformation“ zeichnen sich neue Auseinandersetzungen um den EU-„Stabilitätspakt“ ab New
    „Nach dem ersten Treffen der EU-Finanzminister unter Beteiligung des neuen Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) ist eine Debatte über den künftigen finanzpolitischen Kurs der Eurozone entbrannt. Thema der Debatte ist eine „Reform der Schuldenregeln“, die mit Blick auf die notwendigen Investitionen zur Überwindung der Coronakrise und zur Finanzierung der „grünen Transformation“ von vielen für notwendig gehalten wird; die Rede ist von einem Bedarf von „Hunderten Milliarden Euro“. In der Bundesrepublik werden Erleichterungen bei den Schuldenregeln traditionell abgelehnt; die neue Regierung hat sich freilich noch nicht endgültig festgelegt. Beobachter mutmaßen, im Sinne einer informellen Arbeitsteilung auf EU-Ebene könne Österreich in die Rolle des finanzpolitischen „Hardliners“ schlüpfen, um es Deutschland zu ermöglichen, sich vorteilhaft als „Moderator“ zu präsentieren. Allerdings gerät Berlin schon jetzt mit Paris in Konflikt, das seine derzeitige EU-Ratspräsidentschaft nutzen will, um die Sparzwänge in der EU zu lockern. Von „unterschiedlichen Visionen der Zukunft der europäischen Ökonomie“ ist die Rede. (…) Der aufkommende „Finanzkampf“ zwischen Berlin und Paris wird von entsprechenden Veröffentlichungen deutscher Wirtschaftsinstitute begleitet.[6] Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln etwa schreibt, „vor allem in Südeuropa“ habe sich die Staatsverschuldung sehr weit von den „Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts“ entfernt. Folglich müsse inzwischen die „Tragfähigkeit der Staatsfinanzen“ etlicher südeuropäischer Staaten „angezweifelt“ werden. (…) Für Italien, Spanien und Frankreich, das vom IW als Teil Südeuropas angesehen wird, geht das Institut (…) von „einem weiteren Anstieg der Schuldenquoten“ aus, womit die „Tragfähigkeit der Staatshaushalte“ dieser Länder „eine säkulare politische und ökonomische Herausforderung“ bleibe. Frankreichs Defizit könnte laut den Berechnungen des wirtschaftsnahen Instituts von 116 Prozent des BIP auf 140 bis 156 Prozent im Jahr 2041 steigen; die Staatsschulden Italiens und Spaniens könnten demnach im selben Zeitraum mehr als das Zweifache der jeweiligen Wirtschaftsleistung erreichen.“ Bericht vom 25. Januar 2022 von German-Foreign-Policy externer Link
  • Omikron: Das Ende der Solidarität? 
    In der Coronakrise wollte die EU zusammenstehen und eine “Gesundheitsunion” bilden. Doch bei Omikron ist keine Solidarität zu sehen – im Gegenteil: Deutschland kauft Impfstoff in Rumänien, wo er viel dringender gebraucht würde.
    Die Großen kaufen den Impfstoff-Markt auf, die Kleinen gehen leer aus: Das war das Negativ-Szenario, das die EU in der Coronakrise unbedingt vermeiden wollte. Die EU-Kommission hat deshalb eine gemeinsame Impfstoff-Beschaffung organisiert. Nach ernsten Startschwierigkeiten – Stichwort Impfdebakel – hat dies ganz gut funktioniert. Doch die (national organisierte) Impfung hielt nicht mit der EU-weiten Beschaffung Schritt. Rumänien und Bulgarien haben bis heute eine erschreckend niedrige Impfquote. Umso schockierender ist nun die Nachricht, dass Deutschland ausgerechnet in Rumänien fünf Millionen Dosen von Biontech kauft. Gesundheitsminister Lauterbach feiert dies sogar als großen Erfolg (…) Deutschland schützt sich also “vor Schulausfall”, während in Rumänien eine Mehrheit ungeschützt dem Virus ausgesetzt ist und die Krankenhäuser volllaufen. Und die EU hat dem auch noch zugestimmt? Wenn das korrekt sein sollte, dann wäre es das Ende der Solidarität. Dabei wäre soldiarisches Handeln in der Omikron-Welle wichtiger denn je. Schließlich werden gerade alle Rekorde gebrochen, die Europa-Karte von ECDC ist tiefrot eingefärbt, nur in Polen sieht es – was die Infektionen betrifft – nicht ganz so schlimm aus.  “Europe must come together to confront Omicron” fordern denn auch mehr als 30 Wissenschaftler in einem Appell, den der Brüsseler Thinktank Bruegel veröffentlicht hat externer Link. Doch die EU-Kommission schweigt. Gilt das alte Versprechen etwa nicht mehr?Beitrag von Eric Bonse vom 13. Januar 2022 auf seinem Blog „Lost in EU“ externer Link
  • Die Fortsetzung der expansiven Geldpolitik der EZB stößt in Deutschland auf Kritik. Hintergrund sind die wachsenden Ungleichgewichte in der Eurozone 
    „Die jüngste Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), ihre expansive Geldpolitik fortzusetzen, stößt auf scharfe Kritik in Deutschland, zugleich aber auf klare Zustimmung vor allem in Südeuropa. Deutsche Ökonomen und Geldpolitiker äußern Unmut über die „ultralockere Geldpolitik“ der EZB, die trotz eines Anstiegs der Verbraucherpreise fortgesetzt werde; von einer „Enteignung“ deutscher Sparer ist die Rede. Zudem wird mit Blick darauf, dass der US-Notenbank Fed der Ausstieg aus der Nullzinspolitik bislang nicht gelingt, vor einer „Finanzdominanz“ in der EU gewarnt. Demgegenüber verweist etwa der italienische Zentralbankchef Ignazio Visco darauf, in der Wirtschaft der Eurozone herrsche eine „erhebliche Flaute“; zusätzliche Risiken ergäben sich aus einer abermaligen Pandemiewelle. Eine Straffung der Geldpolitik sei daher nicht angesagt. Hintergrund der Differenzen sind die Ungleichgewichte in der Eurozone zwischen dem deutschen Zentrum und der südeuropäischen Peripherie, die sich in der Coronakrise weiter zugespitzt haben. (…) Der Süden benötigt die EZB-Aufkaufprogramme, um trotz erdrückender Schuldenlast Konjunkturprogramme zu finanzieren und Wirtschaftswachstum zu generieren, während die auf den außereuropäischen Export geeichte Bundesrepublik vor allem die Geldwertstabilität im Auge hat; ihr Monetarismus hält den ökonomischen Abstand zum Süden aufrecht, der die Grundlage der politischen Hegemonie Berlins in der Eurozone bildet. Die in Berlin als „Gelddruckerei“ verpönte expansive Geldpolitik der EZB dient als finanzpolitischer Rettungsanker für die Peripherie, während in Teilen der deutschen Polit-Elite die Tendenz zunimmt, wieder auf ein EU-Spardiktat zu setzen – ähnlich dem Kurs des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble während der Eurokrise. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat sich bereits für eine EU-weite Rückkehr zu den strengen haushaltspolitischen Vorgaben des Maastricht-Stabilitätspakts ausgesprochen und sich gegen eine „Schuldenunion“ positioniert: Sobald die Krise vorbei sei, hatte er schon Mitte Juni gefordert, müsse „sowohl die deutsche als auch die europäische Politik zurückkommen zur Stabilitätspolitik, so wie sie in Maastricht vereinbart wurde“. Bericht vom 27. Juni 2021 von und bei German-Foreign-Policy.com externer Link
  • Deutschland erhält Corona-Soli – ausgerechnet 
    Die EU-Finanzminister haben die ersten Zahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds genehmigt. Neben Italien, Spanien und Frankreich erhält auch Deutschland bald Geld aus Brüssel – dabei braucht es gar keins. Dem größten EU-Land, das mit am besten durch die Coronakrise gekommen ist. stehen bis zu 25,6 Milliarden Euro an Zuschüssen zu, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Die Bundesregierung will 90 Prozent dieser Gelder für den Klimaschutz und die Digitalisierung verwenden. Der deutsche Reformplan enthält jedoch wenig Neues; die von Brüssel geforderten Strukturreformen wurden ignoriert. Im Grunde werden bloß alte Pläne, die Finanzminister Olaf Scholz ohnehin in seiner Schublade hatte, neu verpackt und mit EU-Geldern finanziert – nach Prüfung durch die EU-Kommission…“ Meldung von Eric Bonde vom 13. Juli 2021 auf seinem Blog “Lost in Europe” externer Link
  • Diktat des Finanzmarkts: EU verabschiedet Wiederaufbauplan 
    Was aus der Not geboren wurde, erhält jetzt seine endgültige Form. Der EU-Wiederaufbauplan, dessen zentrale Weichen die Staats- und Regierungschefs gestellt haben, scheint ein großer Schritt in die Zukunft zu sein. Doch eigentlich ist er ein Beweis für europäisches Versagen in einer Notlage, bei dem Deutschland eine zentrale Rolle gespielt hat. Die Länder in EU und Währungsunion sahen sich vor einem Jahr völlig unterschiedlichen Voraussetzungen gegenüber, um sich am Kapitalmarkt zu verschulden und damit den katastrophalen Einbruch ihrer Wirtschaften abzufangen. Statt jedoch genau das in seinen Konsequenzen zu analysieren und mit allen Mitteln zu verhindern, erging sich der Norden (wieder einmal) in selbstgefälligen Belehrungen für den Süden. Reflexartig konnte man aus den Mündern fast aller deutschen Politiker im Frühjahr 2020 vernehmen, dass Deutschland, weil es öffentliche Schulden abgebaut hatte, im Vergleich zu anderen Ländern in einer besonders guten Position sei. Das war exakt die falsche Diktion. Richtig hätte es heißen müssen, dass Deutschland, weil es zu Lasten der europäischen Partner riesige Leistungsbilanzüberschüsse aufgehäuft hat, eine besondere Verpflichtung hatte, den anderen unmittelbar zu helfen oder für ein geldpolitisches Arrangement zu sorgen, das es jedem Mitgliedsland der Europäischen Wirtschaftsunion erlaubt, bei sehr niedrigen Zinsen die Menge an Kapital aufzunehmen, die es für die Bekämpfung der Folgen des Coronaschocks braucht. (…) Als in dieser Situation auch noch das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die (»womöglich unverhältnismäßige«) Politik der EZB zum besten gab, drohte das Fass der europäischen Deutschland-Frustration überzulaufen. Das und nichts anderes bewog Angela Merkel zur gemeinsamen Schuldenaufnahme. Die große Geldschleuder hat zwar die schlimmsten Folgen abgewendet, doch muss eine dauerhafte Regelung gefunden werden, wie die Länder mit den durch den Coronaschock weit über den Zielwerten liegenden Staatsschuldenquoten umgehen. Der ganze Wiederaufbau ist Makulatur, wenn mit europäischem Geld investiert wird und gleichzeitig in den nationalen Budgets die Investitionspläne zusammengestrichen werden, um die öffentlichen Schulden abzubauen. Europa braucht ein neues wirtschaftspolitisches Konzept. Bewegen muss sich dafür vor allem Deutschland.“ Gastkommentar von Heiner Flassbeck in der jungen Welt vom 28.06.2021 externer Link
  • [Presseschau] 750-Milliaren Corona-Aufbaufonds durchs Bundesverfassungsgericht – dank Bernd Lucke – gestoppt
    Der Kampf um ein gemeinsames Europa in der Coronakrise geht weiter – Gemeinsame Schuldenaufnahme in Europa jetzt wieder vor dem nationalen Gericht? Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze: Hier wird – europäische – Geschichte gemacht. Jetzt wird also der politisch voller Stolz durchgesetzte Corona-Wiederaufbau-Fonds, der an sich schon ein politischer Kraftakt war (https://www.dw.com/de/was-macht-der-corona-wiederaufbaufonds-der-eu/a-56503206 externer Link) mit 750-Milliarden Euro für ein gemeinsames Europa (https://www.tagesschau.de/inland/bundestag-stimmt-eu-aufbaufonds-zu-101.html externer Link) den schon bei der Durchsetzung CDU/CSU einerseits und SPD andererseits verschieden bewerteten, erst einmal gestoppt. Und nun hat das Bundesverfassungsgericht auf Antrag einer – euroskeptischen – Professoren-Gruppe um den AfD-Gründer Bernd Lucke diesen Wiederaufbaufonds der Europäischen Union auf Eis gelegt (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bverfg-hilfsfonds-steinmeier-101.html externer Link). Die Kritiker wollen – wieder einmal – den „Weg in eine Schuldenunion“ verhindern (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundesverfassungsgericht-stoppt-corona-aufbaufonds-der-eu-17265145.html externer Link). Auf Befehl des Bundesverfassungsgerichtes wie die FAZ süffisant anmerkte. So wird uns auch die USA mit ihren Corona-Hilfsmaßnahmen aus dem Schlamassel davonziehen (https://lostineu.eu/karlsruhe-stoppt-gesetz-zum-eu-corona-hilfsfonds/ externer Link). Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze wertet dieses 750-Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket als ein Signal der europäischen Solidarität. So kritisiert er den Eingriff des Bundesverfassungsgerichtes in die jetzige Ratifizierung als kaum zu fassen (https://taz.de/Experte-ueber-gestoppte-Coronahilfen/!5758546/ externer Link). Gerade dieses Programm ist ein historischer Durchbruch, der jetzt sozusagen in letzter Minute noch gestoppt werden soll. Und wie schon im Mai letzten Jahres lässt sich das Gericht durch eine euroskeptischen Minderheit in Deutschland (vgl. dazu auch Stephan Sculmeister: https://stephanschulmeister.wifo-pens.at/fileadmin/pdf/Euro_Blaetter_07_2018.pdf externer Link ) instrumentalisieren. Es begibt sich jetzt in europäischen Grundrechtsfragen in eine nationalistische Gefahrenzone. Und auch wenn Deutschland 65 Milliarden Euro mehr zahlen wird, wie der Bundesrechnungshof  schätzt, ist das ein gute Investition für Deutschland, denn Deutschland ist ein Exportland – und die EU ist der wichtigste Handeslpartner. So kann die Bundesrepublik enorm profitieren, wenn  auch die Nachbarn wohlhabende und stabile Länder sind (https://taz.de/Experte-ueber-gestoppte-Coronahilfen/!5758546/ externer Link). Und im Gegensatz zu den Fehlern in der Vergangenheit funktioniert eben die EU nur, wenn man gemeinsam handelt. Aber das Bundesverfassungsgericht erwies sich oft als nationalistischer Skeptiker – und Bremser (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/bverfg-urteil-ezb-anleihekaeufe-teils-nicht-verfassungskonform.de externer Link).“ Kleine Presseschau von Volker Bahl vom 28.3.2021 – wir danken!
  • Schuldenschnitt: Muss Deutschland die Zeche zahlen? [wie es befürchtet] 
    Die EU weigert sich, über einen möglichen Schuldenschnitt zu diskutieren.  Finanzminister, EZB und Europaparlament mauern, was das Zeug hält. Doch die Debatte lässt sich nicht wegdrücken, wie mehrere neue Beiträge zeigen. So hat sich sogar der Bundestag bereits mit dem Tabu-Thema befasst. Ein Gutachten für den internen Gebrauch kommt zu dem Schluss, dass ein Schuldenschnitt gegen EU-Recht verstoßen würde, wie die “Welt” unter Berufung auf das Papier berichtete. Ein Schuldenerlass durch die EZB für von ihr erworbene Staatsanleihen der Mitgliedstaaten erscheine mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung unvereinbar. Im Kern ist es dasselbe, was auch EZB-Chegin Lagarde sagt, um die Debatte abzuwürgen. Doch die Duskssion geht weiter – nicht nur in Frankreich, wo der prominente Ökonom T. Piketty für einen Schuldenschnitt wirbt, der einem “Green Deal” zugute kommen soll. Auch englischsprachige Ökonomen wie B. Mitchell fordern den “Debt Cut”. Mitchell erinnert in seinem Blogpost daran, dass Deutschland nach dem 2. Weltkrieg von den Siegermächten alle Schulden gestrichen wurden, um den schnellen Wiederaufbau zu ermöglichen. Man wollte die Fehler des WK1 nicht wiederholen (Reparations-Zahlungen). Erstaunlicherweise wird die Debatte in Deutschland genau andersherum geführt. Ein Schuldenschnitt würde darauf hinauslaufen, dass “wir” die Zeche zahlen, meint der konservative Ökonom D. Stelter. (…) Für Stelter und viele andere konservative Ökonomen ist der Schuldenschnitt ein Worst Case Szenario, auf das sich Deutschland vorbereiten müsse – um “unser Geld” zu retten. In Wahrheit ist es genau anders herum. Der sich abzeichnende enorme Schuldendienst wird zur Gefahr für den Euro – und für kommende Generationen…“ Beitrag von Eric Bonse vom 15. Februar 2021 auf seinem Blog LostinEU externer Link
  • Schuldenschnitt gefordert: Ökonomen um den französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty verlangen Reformabkommen zwischen Zentralbank und Euro-Ländern 
    In der Coronakrise nehmen die Euro-Länder in großem Stil neue Schulden auf. Doch vor allem in Südeuropa waren die öffentlichen Haushaltsdefizite bereits im Zuge der Euro-Krise drastisch in die Höhe getrieben worden. Was tun? In einem Aufruf vom vergangenen Freitag fordern eine Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern und Politikaktivisten um den französischen Ökonomen Thomas Piketty einen Schuldenschnitt. Im Fokus stehen die Ausstände der Euro-Länder bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Schließlich, so das Argument, halte die EZB mittlerweile rund 25 Prozent der öffentlichen Schulden ihrer Mitgliedsländer. Dieses Geld »schulden wir mit anderen Worten uns selbst«, heißt es im Aufruf, der unter dem Titel »Schulden abschreiben, Zukunft gestalten« in mehreren europäischen Tageszeitungen veröffentlicht wurde. Die Unterzeichner fühlen sich verpflichtet, darauf aufmerksam machen, dass die EZB den Staaten »unverzüglich die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen könnte, nicht nur ihren ökologischen Umbau zu finanzieren, sondern auch die von der aktuellen schrecklichen Gesundheitskrise verursachten schweren sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Schäden zu reparieren«. Konkret gefordert wird, dass die »europäischen Staaten« mit der EZB Abkommen schließen, denen zufolge die Zentralbank bestehende Schulden im Volumen von 2,5 Billionen Euro abschreibt und sich die profitierenden Staaten im Gegenzug zu einem »sozialen und ökologischen Sanierungsplan« im gleichen Umfang verpflichten. Endlich würde es dann mit dem längst überfälligen Abbau des bestehenden Investitionsstaus klappen. Schließlich, so das Argument, würden die Abkommen mit der EZB »die Staaten daran hindern, sich ihren Pflichten zu entziehen.« Abgesehen davon, dass dieser Weg bestenfalls für die 19 Euro-Länder denkbar wäre, nicht aber für alle übrigen der 27 EU-Staaten und erst recht nicht für die rund 50 »europäischen Staaten«: Natürlich wird es so nicht kommen. Die Autoren stellen mit Verweis auf das niedrige Zinsniveau der vergangenen Jahre ganz richtig fest, dass die Investitionen allein aus politischen Gründen bislang ausgeblieben sind…“ Artikel von Steffen Stierle in der jungen Welt vom 10.02.2021 externer Link – die NZZ nennt es natürlich „Ein Hirngespinst linker Ökonomen“ externer Link (am 9.2.2021)
  • Impfnationalismus im Aufwind: In Europa scheinen angesichts stotternder Impfkampagnen die alten nationalen Reflexe die Überhand zu gewinnen 
    „Pandemien scheinen auch bei Staaten Regressionen zu befördern. Beim Ausbruch der ersten Covid-Welle im vergangenen Jahr schienen die Länder Europas in ein simples, altes Verhaltensmuster zurückzufallen, das die Geschichte Europas in den vergangenen Jahrhunderten prägte: alle gegen alle, und jeder für sich allein. Damals bildeten Atemschutzmasten das Objekt staatlicher Begierde, dem alle europäische Solidaritätsrhetorik schnell geopfert wurde. Masken, die für das von der Pandemie besonders hart getroffene Italien bestimmt waren, wurde in Polen und Tschechien von staatlichen Stellen beschlagnahmt. Und auch in Deutschland „verschwanden“ plötzlich Hunderttausende von Masken im Transit, die italienische Firmen in China gekauft haben. Bei den aktuellen zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen um Impfstoffe und Grenzschließungen scheinen solche nationalistischen Reflexe abermals die Oberhand zu gewinnen. Die WHO warnte Ende Januar vor dem aufkommenden Impfstoff-Nationalismus, der die Kluft zwischen armen und wohlhabenden Regionen vergrößern werde. Der WHO-Vorsitzende Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach von einem „katastrophalen moralischen Scheitern“, falls der globale Kampf um eine größere Impfgerechtigkeit verloren gehen sollte. Der Impfnationalismus könnte die Weltwirtschaft bis zu 9,5 Billionen US-Dollar kosten, wobei rund die Hälfte dieser Verluste auf die reichen Industrienationen entfiele. Das Horten von Impfstoffen durch reiche Staaten, die Millionen an überschüssigen Impfdosen bestellt haben, führe laut Ghebreyesus vor allem dazu, dass die „Pandemie weiter brennen“ werde. (…) Der zum Impfnationalismus führende Druck, möglichst schnell – und zur Not auf Kosten der vielbeschworenen europäischen Solidarität – Impfstoffe zu horten, resultiert aus der Wirtschaftskrise, die mit der Pandemie einhergeht. Die kapitalistischen Gesellschaften sind nicht in der Lage, die notwendigen „Lockdowns“ über längere Zeiträume durchzuhalten, da dies zu Wirtschaftseinbrüchen und der korrespondierenden Schuldenexplosion führt. Jede Woche im Lockdown koste die EU rund 12 Milliarden Euro, rechnete etwa die Nachrichtenagentur Bloomberg vor…“ Beitrag von Tomasz Konicz vom 5. Februar 2021 bei Telepolis externer Link
  • Deutsche Sonderwege: Berlin genehmigt sich mit Einreisebeschränkungen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie einen Alleingang in der EU – zum wiederholten Mal. 
    „Mit neuen Einreisebeschränkungen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie startet die Bundesregierung zum wiederholten Mal einen nationalen Alleingang gegen den Willen anderer EU-Mitgliedstaaten. Innenminister Horst Seehofer hatte die Maßnahmen auf Bundesebene durchgesetzt, nachdem sie in der EU auf anhaltenden Widerstand gestoßen waren. Mit nationalen Grenzschließungen hatte die Bundesregierung im Frühjahr 2020 heftige Proteste in Frankreich und in Luxemburg ausgelöst; in Berlin heißt es nun, man hoffe diesmal ohne Absperrungen an den dortigen Grenzen auszukommen. Alleingänge leistet die Bundesregierung sich immer wieder, während sie sie anderen EU-Staaten strikt untersagt. So ist die Zahl der Vertragsverletzungsverfahren, die gegen Deutschland eingeleitet werden mussten, Mitte 2020 auf 81 gestiegen. Sogar bei Maßnahmen, die es gegen massiven Widerstand anderer EU-Staaten durchgesetzt hat, gestattet sich Berlin Ausnahmen: So ist aktuell eine längerfristige Aushebelung der „Schuldenbremse“ im Gespräch, die dazu beigetragen hatte, mehrere südliche Euroländer in die Krise zu stürzen…“ Beitrag vom 2. Februar 2021 von und bei German-Foreign-Policy.com externer Link
  • Impf-Protektionismus made in EU 
    Brüssel will verhindern, dass Impfstoff aus EU-Produktion in Drittländer exportiert wird, solange bestehende Verträge nicht honoriert werden (wie bei AstraZeneca). Doch diese Art von Protektionismus hilft nicht aus der Misere. Wie kann man AstraZeneca zwingen, seinen Vertrag mit der EU zu honorieren? In ihrer Not ist die Brüsseler EU-Kommission auf einen Trick verfallen: Export-Kontrollen und -Genehmigungen. Dieser Kniff wurde schon einmal eingesetzt – zu Beginn der Coronakrise 2020. Damals ging es um medizinische Hilfsgüter und Schutzausrüstung. Nun geht es um Impfstoffe. (…) Der neue “Transparenz-Mechanismus” erweist sich als stumpfes Schwert. Er ist zudem ein Euphemismus – denn die EU ist ja selbst nicht transparent. Sie legt nicht einmal die Verträge offen. Dahinter steckt ein grundsätzliches Problem: Die internen Liefer- und Produktionsketten großer Konzerne lassen sich kaum überprüfen – und sie halten sich nicht an nationale Grenzen. Brüssel wird daher größte Mühe haben, den Export bei AstraZeneca zu kontrollieren – oder die Produktion aus zwei britischen Werken nach Europa zu holen. Der Konzern ist für sie eine Blackbox.“ Beitrag von Eric Bonse vom 28. Januar 2021 auf seinem Blig LostinEU externer Link – wir erinnern an unser Dossier: Petition von medico für die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente: Patente garantieren Gewinne. Und töten Menschen.
  • Versteckspiel um den deutschen Impfstoff-Nationalismus
    Die Bundesregierung in Berlin brüstet sich, im Alleingang 30 Millionen Extra-Dosen des Corona-Impfstoffs von Biontech gesichert zu haben. Doch in Brüssel will man davon nichts wissen. Die EU-Kommission mauert, das Europaparlament zögert. In keinem EU-Land ist die Debatte um die europäische Impstrategie so aufgeregt wie in Deutschland. Und nirgendwo brüstet man sich so offen wie in Berlin, im Alleingang mehr Impfstoff ergattert zu haben. So erklärte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums voller Stolz, dass “wir aus EU-Verträgen rund 60 Millionen Biontech-Impfstoffe bekommen und aus bilateralen Verträgen beziehungsweise Absprachen, Zusagen 30 Millionen, insgesamt 90 Millionen in diesem Jahr”. Offenbar wollte er damit den Vorwurf abwehren, wonach “wir” zu wenig Impfstoff erhalten hätten. Weniger Mühe verwendet man in Berlin darauf, zu erklären, wie die deutsche Extrawurst mit der europäischen Sammelbestellung vereinbar ist. Auch in Brüssel ist man nicht wirklich um Aufklärung bemüht. Hier erleben wir vielmehr ein Versteckspiel. Auf keinen Fall will man einen neuen Clash riskieren wie im März 2020, als Deutschland dem notleidenden Italien Hilfe verweigerte. Und so eiern sie rum, die EU-Vertreter. Nationale Lieferabsprachen untergrüben den europäischen Ansatz, erklärte Gesundheits-Kommissarin Kyriakides. Doch Ross und Reiter wollte sie nicht nennen, das Wort “Deutschland” kam ihr nicht über die Lippen…“ Beitrag von Eric Bonse vom 13. Januar 2021 bei Lost in EU externer Link
  • Streit in der “Gesundheitsunion”
    Mitten in der schlimmsten sanitären und sozialen Krise seit ihrer Gründung will die EU eine “Gesundheitsunionexterner Link ausrufen. Dies erklärten EVP-Fraktionschef M. Weber und der konservative Kommissionvize M. Schinas am Mittwoch in Brüssel. Als leuchtendes Beispiel für diese “Gesundheitsunion” und die “Solidarität” nannten sie die Impfstoff-Strategie der EU-Kommission. Dabei ist die in den meisten Staaten in Verruf geraten. “Too little, too late” – der Spruch aus der Eurokrise trifft auch auf die Coronakrise. Das Problem ist dabei nicht etwa die EU-weite Beschaffung, wie manche in Deutschland behaupteten. Das Problem ist der Gesundheits-Nationalismus externer Link, der sich hinter dieser Initative verbirgt. Man schickt Brüssel vor, und denkt an nationale Kapazitäten. Was wir erleben, ist eben keine “Gesundheitsunion”, also eine Gemeinschaftsinitiative nach EU-Recht, sondern ein Konsortium der 27-EU-Staaten ohne klare Regeln. Am Ende setzt sich der Stärkste durch – wie jetzt Deutschland mit der Biontech-Order. Quasi über Nacht wurde die Bestellung bei dem deutschen Vorzeige-Unternehmen verdoppelt – offenbar, um eine Extrawurst zu vertuschen und ein neues Biontech-Werk auszulasten. Mit dem Bedarf hat das nichts zu tun – die Lieferung kommt eh zu spät. Auch mit Unionsrecht hat das Ganze nichts zu tun. Laut EU-Vertrag hat die Gemeinschaft keine Kompetenzen in der Gesundheitspolitik. Die Coronakrise dient als Vorwand, Brüssel diese Kompetenzen zu geben – aber unter strikter Aufsicht der Mitgliedsstaaten. Das ist auch der Grund, warum es so intransparent zugeht. Nicht nur das EU-Parlament wird im Dunkeln gehalten. Auch die – normalerweise zuständigen – nationalen Parlamente haben nichts zu melden. Die “Gesundheitsunion” ist ein Konsortium der Exekutive…“ Beitrag „Streit in der “Gesundheitsunion”, Krise in Italien – und Weltpolitik aus Luxemburg“ von Eric Bonse am 14. Januar 2021 bei Lost in EU externer Link
  • Europas Wirtschaftspolizei: Deutschland und Frankreich sind ein ungleiches Paar ohne Legitimation, andere EU-Länder zu dominieren 
    „Spricht man in Frankreich von der deutschen Außenpolitik, geht es fast immer um die deutsch-französischen Beziehungen und ihren Einfluss auf den Aufbau der Europäischen Union. (…) Was bedeutet diese folgsame Haltung der französischen Politiker in den Jahren von Gerhard Schröder und Angela Merkel aber für die französische Bevölkerung? Für die Franzosen heißt Austerität Sparpolitik im Namen des Schuldenabbaus, Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen und Infragestellung der Sozialgesetze und der sozialen Errungenschaften seit 1945. In den Augen der Franzosen und vieler Europäer verkörpert Deutschland die neoliberale Politik, die nur den multinationalen Konzernen und dem reichsten Teil der Gesellschaft zugute kommt und von Deutschland allen Ländern der Europäischen Union aufgezwungen wird, wie wir in Griechenland gesehen haben. Deutschland – zumindest seine Regierung – hat sich zum Wirtschafts- und Währungspolizisten Europas entwickelt, hat seine Vorstellungen und Regeln in Bezug auf die Haushalte und auf die Rolle der Europäischen Zentralbank durchgesetzt; kurzum, Deutschland vertritt ein Modell, das die Franzosen im Referendum über die Europäische Verfassung 2005 abgelehnt haben. (…) Die große Abwesende in den deutsch-französischen Beziehungen ist die Stimme der Völker Frankreichs und Deutschlands, die sich in der europäischen Politik und den Entscheidungen ihrer Regierungen nicht wiederfinden. Eine Quelle der Hoffnung ist die immer größere Vernetzung der Zivilgesellschaften, unabhängig von staatlichen Strukturen…“ Beitrag von Alain Rouy vom 11. Januar 2021 im ND online externer Link (der Autor ist Nationalsekretär der französischen Friedensbewegung Le Mouvement de la Paix und Mitglied des Rates des Internationalen Friedensbüros)
  • Bestellt Brüssel zu wenig Impfstoff für Deutschland? Ganz im Gegenteil! 
    Deutschland werde von der EU beim Corona-Impfstoff benachteiligt, heißt es immer noch in Berlin. Doch neue Zahlen aus Brüssel beweisen das Gegenteil. Die EU-Kommission kündigte am Mittwoch an, ihre Option auf weitere 100 Millionen Dosen des Impfstoffes von Biontech/Pfizer einzulösen. Davon sollen 30 Millionen nach Deutschland gehen. Der “normale” Anteil wären jedoch nur 18 Millionen – entsprechend dem Anteil an der Bevölkerung. Deutschland bekommt also 12 Millionen Einheiten obendrauf. EU-Korrespondenten aus Italien und Frankreich fragten bei der Kommission nach, warum Deutschland mehr bekommt – doch sie bekamen keine Antwort. Noch größer wird das Mißverhältnis mit dem Vakzin von Moderna, das heute für die EU zugelassen wurde. Nach Angaben von Gesundheitsminister Spahn sollen 50 Millionen Impfdosen nach Deutschland gehen – von zunächst 80 Millionen für die EU. Das macht auch nochmal einen satten “Zuschlag” für Deutschland. Zuvor hatte sich Spahn bereits 30 Millionen Extra-Dosen bei Biontech gesichert – über eine nationale Bestellung. Auch darüber klagen Journalisten aus anderen EU-Ländern. Zu Recht. Denn eigentlich sollte es keine nationalen Extra-Kontingente geben. Das war ja genau der Sinn der europäischen Sammelbestellung, die Kanzlerin Merkel und Kommissionschefin von der Leyen vereinbart hatten. Oder gab es da geheime Nebenabsprachen?…“ Beitrag von Eric Bonse vom 6. Januar 2021 auf seinem Blog Lost in EU externer Link, siehe dazu:

  • Corona-Hilfspaket der EU: Ungarn und Polen stimmen Kompromiss zu – Gelder können fließen
    Die Staats- und Regierungschefs der EU einigen sich auf Haushalt und Corona-Hilfen, nachdem Ungarn und Polen einem Kompromiss zugestimmt hatten. Ungarn und Polen verweigerten die Zustimmung zur Verknüpfung von Corona-Finanzhilfen und der Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien. Nun gibt es wohl eine Kompromiss-Lösung zum EU-Haushalt. Insbesondere Viktor Orban dürfte sich als Sieger der Verhandlungen fühlen. (…) Der Kompromiss sieht die Einhaltung des EU-Rechtsstaatsmechanismus vor – ein Hindernis für die beiden Staaten, die beispielsweise die Pressefreiheit immer weiter eingeschränkt hatten. (…) Zum Rechtsstaatsmechanismus wurden mehrere Erklärungen hinzugefügt. In diesen betont die Europäische Union beispielsweise, dass sie sich nicht in die „nationale Identität“ der Mitgliedsstaaten einmischt. Bis der Mechanismus im juristischen Sinne anwendbar ist, dauert es wohl noch. Der Kompromiss sieht vor, dass die EU-Kommission diesen bei entsprechender Klage vor dem Europäischen Gerichtshof vorerst nicht anwenden darf. Hinzu kommt offenbar ein Mitspracherecht der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien. Dies oblag eigentlich der EU-Kommission. Zusätzlich wurde laut „Tagesschau“ definiert, dass es in Zukunft nicht ausreicht, dass ein rechtsstaatlicher Verstoß festgestellt wird, um Finanzhilfen zu kürzen. Stattdessen ist ein Beweis notwendig, dass der jeweilige Verstoß negative Konsequenzen bezüglich des eigentlichen Verwendungszwecks hatte. Die EU ist mit diesem Kompromiss mehr als einen Schritt auf Ungarn und Polen zugegangen. (…) Tatsächlich bringen die Ergänzungen des Kompromisses Ungarn und Polen zwei Dinge: Zeit und Planungssicherheit. Zeit deshalb, da die Regelung zum einen vorerst keine juristische Anwendung findet und zum anderen, falls diese angewendet wird, zu einem jahrelangen Gerichtsprozess führen würdeArtikel von Mirko Schmid und Tobias Utz vom 10.12.2020 in der FR online externer Link, siehe dazu den Kommentar:

    • Mogelpackung Rechtsstaats-Mechanismus
      Hurra, der Rechtsstaats-Mechanismus kommt! Sogar das Europaparlament feiert den vom deutschen EU-Vorsitz ausgehandelten Kompromiss als Erfolg. Dabei macht er den “RoL”-Plan (“Rule of Law”) zur Mogelpackung. Man müsse die illiberalen Potentaten da packen, wo es am meisten weh tut – beim Portemonnaie: So warben die Protagonisten jahrelang für den Mechanismus, der Zahlungen aus dem EU-Budget an das RoL bindet. Doch mit dem nun vorliegenden Kompromiß wird das nicht gelingen. Demnach wird die Kürzung oder Streichung von EU-Geldern nicht wirksam, solange bei einer Klage gegen diese noch kein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vorliegt. Solche Verfahren dauern in der Regel ein bis anderthalb Jahre. Vorher passiert gar nichts. Zudem soll die EU-Kommission keine derartige Entscheidung fällen, bevor sie nicht Leitlinien zur Umsetzung verabschiedet hat. Dies dürfte noch mehrere Monate dauern. Im Ergebnis wird der Mechanismus also nicht – wie geplant – am 1.1.2021 wirksam werden, sondern erst Monate, wenn nicht Jahre später. Und selbst dann gibt es noch einige Fußangeln (…) Zählen sollen nur solche Verstöße, die direkte Auswirkungen auf das Budget haben. Bei einer Einschränkung der Pressefreiheit wie in Ungarn wäre dies wohl kaum der Fall. Und selbst wenn es zu Kürzungen kommen sollte, so würden sie den gesamten Staat treffen, nicht die politische Klasse. Städte und Regionen in Ungarn würden bestraft, nicht aber Verantwortliche wie der ungarische Regierungschef Orban. Politisch: Von dem Kompromiss geht die fatale politische Botschaft aus, dass alles nicht so ernst gemeint war und auch gar nicht eilig ist. Der Deal wurde hinter verschlossenen Türen ausgehandelt – mit den Rechtsstaats-Sündern, nicht gegen sie…“ Kommentar von Eric Bonse vom 10. Dezember 2020 auf seinem Blog LostInEU externer Link
  • EU: Coronakrise verstärkt das Auseinanderdriften von Nord und Süd 
    Die bereits beschlossenen Stützungsmaßnahmen scheinen nicht auszureichen, um die Eurozone angesichts der zweiten Pandemiewelle zusammenzuhalten. Erinnern Sie sich noch? Im vergangenen Sommer sollte die EU in tagelangen, nervenaufreibenden Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs endlich ein stabiles Fundament erhalten. Der historische Brüsseler EU-Gipfel vom Juli 2020 – auf dem faktisch europäische Anleihen und Steuern, sowie Finanzhilfen für den Süden beschlossen worden sind – hatte seine Ursache nicht zuletzt in dem Streit um die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank EZB. (…) Wenige Monate nach den sommerlichen Brüsseler Beschlüssen über Anleihen und EU-Steuern, über einen EU-Haushalt von 1,8 Billionen Euro und direkte Konjunkturhilfen im Umfang von 390 Milliarden Euro, zu denen ich Kreditlinien von 360 Milliarden gesellten, scheint Europa aber vor demselben Problem zu stehen: Die EZB erwägt aufgrund zunehmender konjunktureller Warnsignale, die auf eine abermalige Rezession in der EU während der zweiten Pandemiewelle deuten, ihre ohnehin historisch beispiellosen Konjunkturmaßnahmen noch auszuweiten. (…) Aufgrund der zweiten Pandemiewelle ist eine abermalige Rezession im dritten Quartal dieses Jahres in der Eurozone wahrscheinlich. Damit scheint – in Reaktion auf die sich eintrübenden konjunkturellen Aussichten – der Druck zuzunehmen, bei der kommenden Sitzung des EZB-Rats am 10. Dezember eine abermalige Ausweitung der Aufkaufprogramme zu beschließen, mit denen die Notenbank den Währungsraum stabilisiert. Zur Erinnerung: Die EZB kann bereits im Rahmen ihres Krisenprogramms PEPP (Pandemic Emergency Purchase Program) Schuldtitel im Umfang von 1,35 Billionen Euro (das sind 1350 Milliarden) aufkaufen, um mit dieser faktischen Gelddruckerei, die zu einem raschen Aufblähen der Bilanz der EZB führt, den Zusammenbruch der Eurozone zu verhindern. Die nationalen Konjunkturpakete, insbesondere im ohnehin überschuldeten Süden der Eurozone, wären ohne diese Gelddruckerei nicht möglich. (…) Die Folge: die Bilanzsumme der EZB – die sich, ähnlich der Fed, zu einer Sondermülldeponie des Finanzsystems wandelt – ist von rund 4,6 Billionen Ende 2019 auf inzwischen 6,7 Billionen Euro explodiert. Vor gut 15 Jahren, kurz vor dem Zusammenbruch der Immobilien- und Schuldenblasen in Europa, lag die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank übrigens noch knapp unterhalb der Billionen-Marke. (…) Die Herbstprognose der Europäischen Kommission macht zudem deutlich, wie der aktuelle Krisenschub dazu führt, die diesen geldpolitischen Auseinandersetzungen zugrundeliegende Spaltung der Eurozone weiter anzuheizen. (…) Der große Wirtschaftseinbruch von 2020 wird somit den ökonomischen Abstand zwischen dem deutschen Zentrum und der südlichen Peripherie der Eurozone noch weiter vergrößern – während die europäischen Konjunkturmaßnahmen, die im Rahmen des Wiederaufbaufonds fließen sollten, gerade in der entscheidenden Krisenzeit weitgehend ausbleiben werden. Eine Überwindung der zunehmenden sozio-ökonomischen Spaltung der EU in eine südliche Peripherie und ein deutsches Zentrum, immerhin als wichtiges Ziel der historischen Brüsseler Gipfelbeschlüsse vom vergangenen Juli postuliert, scheint in der gegenwärtigen Krise in weite Ferne zu rücken. Im Gegenteil: Die Differenzen nehmen zu, was auch das innereuropäische Konfliktpotenzial in der Wirtschafts- und Geldpolitik ansteigen lässt…“ Artikel von Tomasz Konicz vom 23. November 2020 bei Telepolis externer Link
  • Das Märchen von der Gleichheit in Europa: Deutsche Wirtschaftsforscher sagen eine zunehmende Spaltung der Eurozone zwischen reichem Norden und verarmendem Süden voraus 
    „Die sozioökonomische Spaltung der Eurozone zwischen dem reichen Norden und dem verarmenden Süden wird weiter zunehmen: Dies sagt das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Studie voraus. Demnach hat sich die Kluft innerhalb des Währungsgebiets bereits in den Jahren von 2009 bis 2018 deutlich vertieft, weil die Wirtschaft im Norden um 37,2 Prozent, diejenige im Süden hingegen lediglich um 14,6 Prozent wuchs. Diese Entwicklung wird dem IW zufolge in den nächsten 25 Jahren anhalten. Für Osteuropa konstatiert das IW einen gewissen ökonomischen Aufholeffekt, der aber aufgrund der desolaten Ausgangslage nach der Deindustrialisierung der 1990er Jahre nicht zu einem Einholen des Westens führen wird; die kaum veränderte Funktion der Region als verlängerte Werkbank insbesondere der deutschen Exportindustrie lässt eine eigenständige Wachstumsperspektive nicht zu. Laut Auffassung von Beobachtern wird die Coronakrise die Spaltung zwischen Nord und Süd zusätzlich vertiefen. (…) Das seit dem Ausbruch der Eurokrise beständig zunehmende ökonomische Übergewicht der Bundesrepublik ist indes im Kern auf zwei langfristig wirksame Faktoren zurückzuführen: auf die extremen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen der EU-Staaten und auf das Kürzungsregime, das der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble der südlichen Peripherie der Eurozone nach Ausbruch der Eurokrise verordnete. Deutschland konnte nach der Einführung des Euros und nach der „inneren Abwertung“ infolge von Agenda 2010 und Hartz IV massive Handelsüberschüsse gegenüber den Ländern der Eurozone erzielen, die sich bis 2019 auf mehr als 1,5 Billionen (1.500 Milliarden) Euro summierten. Die im Rahmen einer klassischen Beggar-thy-Neighbor-Politik erwirtschafteten Handelsüberschüsse führten in den – vornehmlich südlichen – Defizitländern der Eurozone zu einer nachhaltigen Deindustrialisierung und zur Defizitbildung, vulgo: Verschuldung. Die jährlichen Überschüsse der Bundesrepublik gegenüber der Eurozone stiegen dabei von knapp 47 Milliarden im Jahr 2000 über nahezu 87 Milliarden 2004 bis auf 114 Milliarden 2007, als die Schulden- und Immobilienblasen in der EU ihren Höhepunkt erreichten. Nach Ausbruch der Eurokrise sanken die Exportüberschüsse Deutschlands gegenüber der Eurozone auf 60 Milliarden im Jahr 2013, um dann wieder rasch anzusteigen und mit 82 bis 90 Milliarden in den Jahren 2017 bis 2019 nahezu das Vorkrisenniveau zu erreichen. Der Euro, der den peripheren Volkswirtschaften der Währungszone die Möglichkeit nahm, mit Währungsabwertungen auf die deutschen Handelsüberschüsse zu reagieren, ermöglichte es der deutschen Exportindustrie, über zwei Jahrzehnte auf Kosten ihrer europäischen Konkurrenz ihre Stellung auf dem Weltmarkt auszubauen – und zugleich die ökonomische Dominanz der Bundesrepublik in Europa zu zementieren. Hinzu kam die strikte europäische Kürzungspolitik, die Finanzminister Schäuble dem Währungsraum verordnete – und die anlässlich seines Rücktritts im Jahr 2017 selbst von deutschen Kritikern als eine „Politik der Zerstörung“ bezeichnet wurde. Der Berliner Sparkurs habe die Eurozone „Milliarden an Wirtschaftsleistung und Millionen an Jobs gekostet“, hieß es: Länder wie Frankreich und Italien hätten aufgrund von Schäubles Austeritätspolitik „rund sechs Prozent“, Spanien sogar ungefähr 14 Prozent der Wirtschaftsleistung eingebüßt. Dies hat, abgesehen von den unmittelbaren Schäden für die betroffenen Länder, den ökonomischen Abstand zwischen dem zeitweiligen Exportweltmeister Deutschland und der südlichen Peripherie der Eurozone unerbittlich ansteigen lassen.“ Bericht vom 17. November 2020 von und bei German-Foreign-Policy.com externer Link
  • Die neoliberale Blaupause für den Corona-Fonds 
    „Der neue Corona-Fonds hat er einen Haken: Die Verteilung der Milliardenhilfen soll im Rahmen des “Europäischen Semesters” erfolgen. Und das ist eine Blaupause für neoliberale Politik. (…) Seit 2011 versucht die EU-Kommisson, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Euroländer zu steuern. Doch sozial ausgewogen geht es beim “Europäischen Semester” nicht zu, wie ein neuer Bericht aufdeckt. Die Studie hat der linke Europaabgeordnete M. Schirdewan vorgelegt. Unter dem Titel „Überwachen und bestrafen: Das Ende des Wegs für den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU“ dokumentiert er zahlreiche Eingriffe in die Tarifautonomie und die Sozialpolitik der EU-Staaten. Hier die Zusammenfassung (Zitat): Seit Einführung des Europäischen Semesters im Jahr 2011 bis 2018 forderte die Kommission die einzelnen Mitgliedstaaten auf, das gesetzliche Renteneintrittsalter anzuheben und/oder die öffentlichen Ausgaben für Renten und Altersvorsorge zu senken. Es gab seither: – 63 Aufforderungen, dass die Regierungen die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und/oder die Auslagerung oder Privatisierung von Gesundheitsdienstleistungen kürzen. – An die Mitgliedstaaten wurde 50 Mal die Aufforderung gerichtet, das Lohnwachstum zu unterbinden, während Anweisungen zur Verringerung der Arbeitsplatzsicherheit, des Beschäftigungsschutzes vor Entlassungen und der Rechte von Arbeitnehmern und Gewerkschaften auf Tarifverhandlungen 38 Mal erteilt wurden. – Zusätzlich zu den routinemäßigen Forderungen, die Staatsausgaben für Sozialdienstleistungen generell zu senken, hat die Kommission 45 spezifische Forderungen gestellt, die darauf abzielen, die Leistungen für Arbeitslose, schutzbedürftige Menschen und Menschen mit Behinderungen zu verringern oder zu streichen, unter anderem durch Strafmaßnahmen, um diese Personen in den Arbeitsmarkt zu zwingen…“ Beitrag vom 12. August 2020 von Erik Bonse auf seinem Blog Lost in Europe externer Link zur 73-seitigen Studie „Disziplin und Strafen: Ende für den Stabilitäts- und Wachstumspakt“ externer Link bei Martin Schirdewan verlinkt (s. dort unten)
  • Europäische Solidarität für Deutschland: „Wer Europa wirklich einigen will, hat die Pflicht, zunächst Solidarität mit jener Hälfte Deutschlands zu zeigen, die nur 1,5 Prozent des Vermögens besitzt“
    „… Eine kürzlich durchgeführte Studie bestätigt, dass die Hälfte der Deutschen nur 1,5 Prozent der Vermögenswerte des Landes besitzt, während das oberste 0,1 Prozent über 20 Prozent des Vermögens verfügen. Und die Ungleichheit verschärft sich. Während der letzten zwei Jahrzehnte ist das real verfügbare Einkommen der ärmsten 50 Prozent gesunken, während die Einkünfte des obersten einen Prozents gemeinsam mit Immobilienpreisen und Aktienkursen rasch gestiegen sind. Die Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit, insbesondere der Widerstand der Bevölkerung gegen die Idee einer Fiskalunion in der Eurozone muss vor dem Hintergrund dieser starken und zunehmenden Ungleichheit verstanden werden. Die deutschen Arbeiter*innen, die zunehmend Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen, verweigern sich verständlicherweise der Idee, ständig riesige Geldsummen in andere Länder fließen zu lassen. Die Tatsache, dass Deutschland insgesamt reicher wird, ist für sie irrelevant. Aus Erfahrung wissen sie, dass alles nach Italien oder Griechenland fließende Geld wohl von ihnen kommen wird und nicht von den obersten 0,1 Prozent – ganz abgesehen davon, dass es wahrscheinlich in den Taschen widerlicher griechischer Oligarchen oder privater deutscher Unternehmen landen wird, die griechische Vermögenswerte für ein Butterbrot erworben haben. (…) Wer Europa wirklich einigen will, hat die Pflicht, zunächst Solidarität mit jener Hälfte Deutschlands zu zeigen, die nur 1,5 Prozent des Vermögens besitzt. Bevor wir über Eurobonds reden, müssen wir uns zunächst für höhere deutsche Löhne, ein Verbot von Aktienrückkäufen sowie drastisch eingedämmte Bonuszahlungen in Unternehmen einsetzen. Als nächstes müssen wir unseren deutschen Freunden zeigen, dass die aktuelle EU-Politik das Wohlstandsgefälle in Deutschland verstärkt, weil sich der Reichtum der 0,1 Prozent ebenso vergrößert wie die Probleme der Mehrheit. Schließlich müssen wir ihnen erklären, was eine echte Fiskalunion ausmacht: nämlich nicht den Wohlstandstransfer von Deutschland nach Griechenland oder von den Niederlanden nach Italien, sondern von Hamburg, der Lombardei und Nord-Athen nach Thüringen, Kalabrien und Thrakien.“ Kommentar von Yanis Varoukis  vom 5. August 2020 in der DGB-Gegenblende externer Link (aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier)
  • Demokratie, Zukunft und Solidarität bleiben beim „Wiederaufbau“ auf der Strecke 
    Ausgerechnet an Punkten, an denen es besonders im EU-Gebälk knirscht, wurden die Weichen eher für weitere sieben Jahre in die völlig falsche Richtung gestellt. Die gute Nachricht angesichts des EU-Sondergipfels zum sogenannten „Wiederaufbaufonds“ und des Haushalt von 2021 bis 2027 ist, dass der Haushalt vom Europaparlament auf breiter Front abgelehnt wird, der mit dem Fonds unter dem Titel „Next Generation EU“ verrührt wurde. 465 Parlamentarier stimmten deshalb am Donnerstag einem überfraktionellen Entschließungsantrag zu, der die Übereinkunft zum „Mehrjährigen Finanzrahmen“ (MFR) der EU „in seiner derzeitigen Fassung“ ablehnt. Die übergroße Mehrheit droht mit einem Veto für den MFR. Nur 150 der Parlamentarier hatten gegen den fraktionsübergreifenden Antrag gestimmt, während sich 67 enthielten. Eine Zustimmung soll verweigert werden, bis „eine zufriedenstellende Einigung erzielt wird“. Gedroht wird mit einem Veto und das Parlament erinnert, dass ein Haushalt ohne Zustimmung des Parlaments unmöglich ist. (…) In dem Antrag werden auch Kürzungen bei „Bildung, digitalem Wandel und Innovation“ kritisiert, welche die Zukunft der nächsten Generation von Europäern gefährde. Vom Ziel, dass die EU-Ausgaben eigentlich hätten „moderner“ ausfallen sollen, ist ohnehin nichts zu sehen. Sehr deutlich sieht man das an der Zukunftsfrage des Klimaschutzes. Und da wurde wahrlich kein Sprung nach vorne gemacht, was man angesichts der ständigen Beteuerungen unserer Politiker eigentlich hätte erwarten müssen, sondern es soll sogar eher eine Rolle rückwärts geben. So würden „die vorgeschlagenen Kürzungen bei Programmen zur Unterstützung der Umgestaltung CO2-abhängiger Regionen der Agenda des Grünen Deals der EU zuwiderlaufen“, wird in dem überfraktionellen Antrag ausgeführt. Statt jetzt in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz mit viel Geld umzusteuern, kommen Beobachter allerdings allseits zum Ergebnis, dass am „Klimaschutz massiv gekürzt wird“ (…) Gelder für den bereits beschlossenen Fonds für den Strukturwandel in Kohleregionen wurden von geplanten 40 auf 17,5 Milliarden Euro für die gesamte EU gekürzt. Allein Deutschland will dagegen mit 40 Milliarden dafür mehr als eine doppelte Summe im eigenen Land aufbringen, was die EU nun für alle Mitgliedsländer vorsieht. Doch in Brüssel kann man auch darauf noch einen draufsetzen. Polen bekommt allein die Hälfte der geplanten Gelder für den geplanten Strukturwandel. Das Land wird also dafür auch noch belohnt, dass es sich als einziges Land der Gemeinschaft nicht dazu bekennt, das EUZiel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Das ist die Realpolitik der EU. Vom Europaparlament wird auch massiv kritisiert, dass Autokraten in der EU weiter auch an der Stelle keine Abstriche machen müssen, an denen es sie am meisten schmerzen würde, wenn sie gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen…“ Artikel von Ralf Streck vom 26. Juli 2020 bei telepolis externer Link
  • Gute Merkel, böser Kurz? Was beim EU-Gipfel wirklich geschah
    „… Nächtelang haben die Staats- und Regierungschef*innen über das EU-Budget für die nächsten Jahre (2021-2027) und neue EU-Maßnahmen gegen die Coronakrise verhandelt. Schließlich haben sie im Wesentlichen das beschlossen, was Angela Merkel und Emmanuel Macron sowie zuletzt die EU-Kommission vorschlugen: Die EU weitet ihr Budget aus und die Mitgliedstaaten erhalten zur Bewältigung der Krise Kredite und Beihilfen von der EU-Kommission. Dafür gibt es etwa 750 Milliarden Euro – etwa zur Hälfte (rückzahlbare) Kredite und (nicht rückzahlbare) Beihilfen. Dieser sogenannte Aufbauplan wird an Auflagen geknüpft (…). Die EU finanziert das Ganze, indem sie an den Finanzmärkten Geld aufnimmt. (…) 750 Milliarden mag nach viel klingen, sind für die gesamte EU aber angesichts der Tiefe der Krise wenig – vor allem über mehrere Jahre. Wirklich bedeutsam sind auch nur die 390 Milliarden an Beihilfen, denn günstige Kredite bekommen die Mitgliedstaaten derzeit dank der EZB-Politik auch anderswo. Die neuen Beihilfen machen insgesamt für drei Jahre etwa 0,7 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung aus. Diese bricht alleine heuer jedoch um voraussichtlich 8,3 Prozent ein. Die Mittel sind also gering und können frühestens ab nächstem Jahr fließen, vielleicht sogar noch später. Doch gerade beim Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der angeblich mit den Corona-Mitteln vorangetrieben werden soll, dürfen wir keinerlei Zeit verlieren. Wäre es nur zu wenig Geld, so würde der EU-Plan vielleicht nicht viel helfen, aber dafür auch keinen Schaden anrichten. Doch die Gefahr ist groß, dass die Länder einen hohen Preis für die Beihilfen zahlen müssen. (…) Die Geschichte zeigt, dass die Empfehlungen der EU-Kommission eine klar neoliberale Schlagseite haben. Zwischen 2011 und 2018 „empfahl“ sie Staaten 105-mal Pensionskürzungen und 50-mal Maßnahmen gegen Lohnsteigerungen. Ganze 63-mal forderte die Kommission sogar Kürzungen und Privatisierungen im Gesundheitssystem. Die EU-Corona-Hilfen werden nun also an ein Instrument gebunden, das in der Vergangenheit die Gesundheitsversorgung in Europa gefährdet hat. Viele argumentieren jetzt: Es könnte diesmal anders kommen. Vielleicht hat die EU-Kommission ja dazugelernt! Doch dafür gibt es wenig Anhaltspunkte, während die Erfahrungen der jüngeren Geschichte ein klares und düsteres Bild zeichnen. Hinzu kommt: Es ist grundsätzlich undemokratisch, dass die EU-Kommission als ungewählte Exekutive alleine entscheiden darf, wer zu welchen Bedingungen Geld bekommt – und wer nicht. (…) Manche Medien und Kommentator*innen meinen jetzt: Kurz und Co. waren geizig und unsolidarisch, Merkel hingegen proeuropäisch und großzügig. Das ist falsch und übersieht drei Dinge: Erstens waren Merkel und Macron von Anfang an dafür, nur jenen Staaten zu helfen, die die neoliberal geprägten Bedingungen der EU-Kommission umsetzen. (…) Zweitens brechen die neuen Maßnahmen nicht mit der neoliberalen Grundausrichtung der EU, sondern passen sie nur der Krise an. (…) Und drittens enthalten die Beschlüsse des EU-Gipfels auch in anderen Politikbereichen vieles, was progressive Kräfte ablehnen müssen. So sieht das neue Budget viel Geld für die Militarisierung nach außen und innen vor: 23 Milliarden mehr für die tödliche Abschottung der Außengrenzen und 20 Milliarden mehr für neue Waffensysteme und „Sicherheit“. (…) Eine echte linke Position muss beides kritisieren: den nationalistischen Diskurs von Kurz und Co. und die proeuropäische Inszenierung von Merkel und Macron. Denn beide Seiten stehen für die gleiche, zerstörerische EU-Politik des Standortwettbewerbs, der ausbeuterischen Handelspolitik und des tödlichen Grenzregimes. Um eine fundierte Kritik und wirksame politische Alternativen zu entwickeln, müssen wir uns von der Idee lösen, alles „Proeuropäische“ wäre gut.“ Lisa Mittendrein beantwortet am 22. Juli 2020 im mosaik-blog externer Link die wichtigsten Fragen rund um den EU-Gipfel
  • Was bringt der Corona-Hilfsfonds wirklich?
    „… Ist die Frage erlaubt, ob das schuldenfinanzierte Hilfsprogramm ausreicht, um die schlimmste Rezession seit dem 2. Weltkrieg zu lindern? Ist das Ziel der Hilfen mit „Wiederaufbau“ richtig beschrieben, müsste es nicht vielmehr um einen Umbau oder Neustart gehen? Und was ist mit den Konditionen bei der Mittelvergabe? Um diese Probleme ist es merkwürdig still geworden. Der „Recovery Fund“ wird als alternativlos dargestellt – oder sogar zu einem Meilenstein und Wendepunkt der EU-Geschichte verklärt. (…) Die Kritiker argumentieren auf drei Ebenen: Der Wiederaufbau-Fonds sei zu klein und komme zu spät, um die Wirtschaft zu stützen und die Krise zu lösen. Die Ziele des Wiederaufbaus seien an sich fragwürdig, der fällige Umbau der Wirtschaft komme zu kurz. Der Plan könne die EU auf Dauer schwächen und zu einer neuen, harten Austeritätspolitik führen…“ Einschätzung vom 23. Juli 2020 von und bei Lost in Europe externer Link (1/2) und ebd. am 24.7.2020: Was bringt der Corona-Hilfsfonds wirklich? (2/2) externer Link: „Zu wenig, zu spät – so kritisieren Ökonomen den neuen, schuldenfinanzierten Wiederaufbau-Fonds. Doch wie sieht es mit dem Klimaschutz aus? Und was passiert, wenn der Fonds ausgeschöpft ist und die Schulden zurückgezahlt werden müssen? (…) Der Zielkonflikt zwischen dem „Wiederaufbau“ der Wirtschaft nach Corona und dem fälligen Umbau für den Klimaschutz ist nicht gelöst; er wird nicht einmal offen diskutiert. Erheblichen Klärungsbedarf gibt es auch noch bei der Frage, was nach dem Ende des Wiederaufbau-Programms passiert – und welche Folgen das für die EU haben wird. Bisher ist vorgesehen, dass das Konjunkturprogramm nach drei Jahren ausläuft und dann, nach einer kurzen „Verschnaufpause“, die Rückzahlung der Schulden beginnt. Die EU-Kommission will den Schuldendienst auf 30 Jahre strecken und erst nach dem Ablauf der neuen Finanzperiode, also 2028, mit der Rückzahlung beginnen. Kanzlerin Merkel und die „sparsamen Vier“ fordern jedoch eine schnellere Begleichung der Schulden. Dies dürfte zulasten des EU-Budgets gehen, das ohnehin knapp bemessen ist….“
  • EU-Coronafonds: Vorspiel auf die Zahltage
    „… Parteiübergreifend stoßen die Abgeordneten ins Horn. Ihnen stinkt, dass in Brüssel nicht nur Hilfen für Krisenstaaten und angeschlagene Branchen ausgeknobelt wurden, sondern auch Kürzungen bei Bildung und Forschung, bei Klimaschutz, bei internationaler Zusammenarbeit, Migration und ausgerechnet Gesundheit. Auch sind kleinere Betriebe für das Hilfspaket eine Nummer zu klein, Stützen sollen ihnen gekappt werden. Gern möchten die EU-Volksvertreter strafen dürfen, wenn der Rechtsstaat demontiert wird. Oder, wo Korruption und Vetternwirtschaft noch auf die alte Art walten. Das Riesending ist schon deshalb kein Grund zur Euphorie, weil die Gegenfinanzierung des Programms erst noch auszuhandeln ist. Die Zeit drängt. Etwas versüßt, werden die großen Fraktionen die Pille schon schlucken. Die richtig bitteren – für die 99 Prozent – die kommen erst noch.“ Kommentar von Peter Steiniger vom 23.07.2020 in ND online externer Link

  • Erpresster Kompromiss
    Die politischen Kollateralschäden dieses Krisentreffens werden katastrophal sein. Emmanuel Macron sucht Trost in Floskeln, wenn er es „historisch“ nennt. Tatsächlich wurde in diesen vier Tagen und Nächten eine historische Chance verspielt. Sie bestand darin, in einem Augenblick der Not Staaten und Völker einmal nicht gegeneinander auszuspielen, sondern als Schicksalsgemeinschaft des gegenseitigen Beistands zu verstehen. Das ist gründlich misslungen. Die von der Corona-Pandemie am schwersten betroffenen Staaten müssen sich behandelt fühlen wie vor einem Jahrzehnt die Großschuldner der Eurokrise: als Missetäter, nicht als Opfer, als Kostgänger, nicht als Hilfsbedürftige. Ihnen wird bedeutet: Allein Wohlverhalten, die Annahme von Auflagen, die Disziplinierung führt zum Anspruch auf Unterstützung, die noch dazu geringer ausfällt – nimmt man die Höhe der sogenannten „Zuschüsse“ – als ursprünglich erwartet. Da lässt sich nichts einfach abhaken. Denn was hat die Kompromissmaschine EU diesmal produziert? Einen mühsam ausgehandelten Schlusskonsens, den man letztlich abliefern musste, um sich als Staatenassoziation mit globaler Ambition nicht vollends lächerlich zu machen. Was viel mehr ins Gewicht fällt, das sind die politischen Kollateralschäden dieser Brüsseler Tage: Ressentiments bis hin zur Feindseligkeit zwischen einzelnen Regierungschefs, Konfliktlinien zwischen Nord und Süd, zugleich und verhärtet wie noch nie zwischen Ost und West, ein immenser Vertrauensverlust…“ Artikel von Lutz Herden vom 21.07.2020 im Freitag online externer Link
  • Ein abgekartetes Spiel?
    Nach dem EU-Gipfel jubeln die Regierungschefs der Niederlande und Ungarns, Rutte und Orban, besonders laut. Kanzlerin Merkel ist ihnen nicht in die Parade gefahren, sondern ließ sie tagelang gewähren. War es ein abgekartetes Spiel? Schon vor dem Marathon-Gipfel gab es Gerüchte, dass Merkel einige besondere Rücksichten nehmen werde. Die Kanzlerin hat sie selbst angeheizt. So empfing sie Rutte im Berliner Kanzleramt und erklärte, dass die Coronahilfen an strikte Reformauflagen geknüpft werden müssen – das war dann Ruttes erste Forderung beim EU-Gipfel. Zudem ließ sie durchblicken, dass der Rechtsstaat – etwa in Ungarn – keine Priorität genießen werde. Erst einmal müsse man ein EU-Budget haben, um dann die Hilfen an den Rechtsstaat zu binden, erklärte Merkel. Auch das ist genauso gekommen. Das Thema Rechtsstaat wurde erst ganz am Schluß des Gipfels aufgerufen – und dann mit vagen Formelkompromissen abgehandelt…“ Beitrag von Eric Bonse vom 21. Juli 2020 in seinem Blog LostInEU externer Link
  • [EU-Gipfel] Deutschland soll größten Rabatt bekommen 
    In der Frage der Beitrags-Rabatte sitzt Kanzlerin Merkel mit den “Frugal Four” in einem Boot. Neue Zahlen vom EU-Gipfel enthüllen, wie hoch der Nachlaß ausfällt: Deutschland spart am meisten! Kanzlerin Merkel rettet die EU – so berichten die Medien über den deutschen Ratsvorsitz. Doch Merkel sichert sich auch einen Rabatt auf den Preis der “Rettung” – und der fällt beachtlich aus. Satte 3,671 Mrd. Euro soll der Beitragsnachlass in den nächsten sieben Jahren ausmachen, schlägt Ratspräsident Michel vor. Dabei gibt es dafür keinen triftigen Grund mehr; der historische Aufhänger, der Briten-Rabatt, ist ja entfallen. Auf Platz zwei kommen die Niederlande mit 1,576 Mrd. Euro. Schweden, Österreich und Dänemark dürfen sich sogar noch über ein Aufstockung ihrer Rabatte freuen. Sie wachsen auf 823, 287 bzw. 222 Mill. Euro. Logisch, das sind ja auch die größten Nettozahler, könnte man sagen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn auch Italien und Frankreich sind Nettozahler in der EU. Paris und Rom müssen nun tiefer in die Tasche greifen, um die Rabatte zu finanzieren. Dabei hat sie die Coronakrise viel härter getroffen als die “frugalen” Länder und Deutschland. Zudem gibt es noch ein Problem: Merkel fordert, mit der Rückzahlung der EU-Schulden für den Wiederaufbau noch in der kommenden Budgetperiode zu beginnen, vermutlich 2026. Dann würde aber auch der Deutschland-Rabatt auch auf den Schuldendienst angerechnet. Das größte und mächtigste EU-Land bekäme einen Nachlass auf den “Wiederaufbau”…“ Beitrag von Eric Bondes vom 19. Juli 2020 in seinem Blog Lost in EU externer Link
  •  [Merkel fordert strikte Reformauflagen für die Hilfsempfänger] „Hat sich Merkel schon bewegt?“
    „… Am Freitag unternehme man “einen ersten Versuch”, sich über den EU-Finanzrahmen und den Corona-Hilfsfonds zu verständigen, sagte Merkel nach einem Treffen mit Bayerns Ministerpräsident Söder. Sie wisse nicht, ob eine Einigung gelinge oder nicht. Ähnlich äußerte sich der niederländische Regierungschef Rutte. Die jüngsten Reaktionen hinter den Kulissen stimmten ihn nicht gerade hoffnungsvoll. Das ist insofern bemerkenswert, als es ja gerade Merkel und Rutte in der Hand haben, das Treffen zum Erfolg zu führen. Genau wie beim letzten EU-Budgetgipfel im Februar kommt es auf Berlin und Den Haag an. Merkels Jobs wäre es, Rutte von seinem “Nein” zu schuldenfinanzierten Zuschüssen abzubringen. Außerdem müsste sie ihm klarmachen, dass Den Haag nicht über Reformen in den Krisenländern bestimmen kann. Doch das tut sie nicht – im Gegenteil. Bei ihrem Treffen mit Rutte in Berlin forderte auch Merkel strikte Reformauflagen für die Hilfsempfänger. Sie bestärkte Rutte damit in seinem Widerstand, statt ihn umzustimmen. Zudem besteht Merkel mehr denn je auf dem deutschen EU-Rabatt – trotz des schrumpfenden Gemeinschafts-Budgets. Auch das ist eine Position, die sie mit Rutte und den “sparsamen Vier” teilt. Dabei sind Rabatte in einem schrumpfenden Haushalt – und genau das liegt auf dem Tisch – doppelt pervers. Sie führen dazu, dass Krisenländer wie Italien (Nettozahler!) mehr zahlen müssen – und sie schwächen den Haushalt noch mehr. Hat sich Merkel schon bewegt? Nein – und wenn doch, dann eher in die falsche Richtung…“ Kommentar von Eric Lonse vom 15. Juli 2020 in Lost in Europe externer Link
  • Varoufakis: „Europa wird traurig und geteilt sein“
    „Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis glaubt, dass die neuen Corona-Milliarden der EU nicht den Arbeitern, sondern den Oligarchen zugute kommen werden“, und begründet dies im Interview von Michael Maier am 14. Juli 2020 in der Berliner Zeitung online externer Link u.a. so: „… Der [Corona-]Fonds wurde als Ersatz für Eurobonds entwickelt. Er ist er aber kein Ersatz. Seine Struktur spaltet und führt zu größerer Uneinigkeit unter den Europäern. Und schließlich: Er ist zu klein und kommt zu spät. (…) Ich bin entsetzt darüber, dass die EU-Kommission auf der Grundlage von Daten aus der Vergangenheit festlegen will, welches Land wie viele Milliarden in Zukunft erhalten soll. Das ist schrecklich, weil ein Land, ein Volk gegen das andere ausgespielt wird. Was wir bräuchten, wäre eine Summe, die in jene Regionen in Europa umgeleitet wird, die am dringendsten Unterstützung benötigen. Es gibt arme Teile Deutschlands, die mehr betroffen sein werden als reichere Teile Spaniens. Die verfügbare Gesamtsumme sollte nach den Bedürfnissen bestimmter europäischer Regionen und Sektoren verteilt werden. Schließlich wird dieser Fonds nur sehr wenig dazu beitragen, die Austerität abzufedern, die mit der Rückkehr zum Fiskalpakt erforderlich wird. Der Corona-Fonds wird auf die gleiche Weise scheitern, wie die vielen Milliarden aus den Strukturfonds, die die Folgen der Austerität in den Jahren von 2010 und 2016 nicht gemildert haben. (…) Die Arbeiter müssen weiter zusehen, wie ihre Aussichten sowohl im Norden als auch im Süden schwinden, während die Finanziers und die Manager großer Unternehmen die Früchte dieses Sozialismus für eine Oligarchie einstreichen. Die Mehrheit der Griechen und der Deutschen dagegen wird unter den Folgen eines harten Austeritätskurses zu leiden haben. (…) [Die Linken] sollten eine transnationale, paneuropäische Bewegung gründen mit einer gemeinsamen Wirtschaftsagenda, für die wir uns überall in den Niederlanden, Finnland, Deutschland, Griechenland, Italien einsetzen. Darauf haben wir bei DiEM25 hingearbeitet. Kann das gelingen? Ja, es kann. Wird es gelingen? Das hängt von uns ab…“
  • Auch Billionen werden die schlimmste Rezession des Jahrhunderts nicht verhindern 
    „Der Streit um den „Wiederaufbaufonds“ der EU geht in die nächste Runde, vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs bestehen weiter „große Meinungsverschiedenheiten“ (…) Nun stellte die OECD deutliche realistischere Einschätzungen vor, in dem das Wort „Wachstum“ in diesem Jahr nicht mehr vorkommt und optimistisch in das nächste Jahr verbannt wurde. Die OECD-Chefvolkswirtin spricht nun von der „schwersten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“. (…) Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte schon zuvor verkündet, dass das längst ausgeweitete umstrittene Ankaufprogramm noch weiter ausgeweitet wird. Auf die bereits geplanten 750 Milliarden Euro werden weitere 600 Milliarden aufgesattelt, auch hier wurde die Grenze der Billion nun spielend mit einer Gesamtsumme von insgesamt 1,35 Billionen Euro überschritten, bei der es sicher auch nicht bleiben wird. (…) Um viel Geld geht es auch beim Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag, wenn die Regierungschefs der EU zusammengeschaltet werden. Gestritten wird weiter heftig um den sogenannten „Wiederaufbaufonds“, mit dem so getan wird, als sei Europa durch einen Krieg verwüstet worden. Der Fonds soll ein Teil von Gesamtausgaben im Umfang von bis zu 2,4 Billionen Euro sein, wenn es nach der EU-Kommission geht. (…) Hoch wahrscheinlich ist, dass es am Freitag keine Einigung geben wird. Wirkliche Entscheidungen wird es vermutlich erst am 9. und 10. Juli geben, wenn sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel real zusammensetzen werden. Absehbar ist auch, dass Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande ihre Position aufgeben werden, wonach nur Kredite vergeben werden können. Es wird mit aller Wahrscheinlichkeit beim von Merkel und Macron angedachten Rahmen von 500 Milliarden bleiben. Diese Mittel werden dann wahrscheinlich sowohl als Zuschüsse fließen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, und als Kredite. Ein typischer EU-Kompromiss halt, eine technisch und keine inhaltliche Lösung…“ Beitrag von Ralf Streck vom 15. Juni 2020 bei Telepolis externer Link
  • EU-Konjunkturprogramm: Eine neue europäische Fiskalpolitik 
    „Die Europäische Kommission hat letzte Woche ihre Pläne für ein wirtschaftliches Aufbauprogramm vorgelegt. So sollen bis zu 750 Milliarden Euro für die Mitgliedsstaaten freigesetzt werden. Bevor dieses Geld jedoch bei den Ländern ankommt, müssen sie einen komplizierten Entscheidungsprozess durchlaufen. Der DGB-klartext fordert Nachbesserungen. (…) Der Kern des Kommissionvorschlags besteht darin, einen neuen Fonds zu schaffen mit dem sperrigen Titel „Aufbau- und Resilienzfazilität“. Dieser Fonds soll an das Europäische Semester gekoppelt sein. Hier versucht die Kommission zum wiederholten Male ein Instrument zu etablieren, um die Mitgliedstaaten dazu zu bringen, die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission effektiver umzusetzen. (…) Die Verknüpfung mit dem europäischen Semester ist nicht zielführend. Zwar beinhalten die Empfehlungen der Kommission regelmäßig Reformvorschläge, die wir als Gewerkschaften begrüßen. Dazu gehört die Ausweitung öffentlicher Investitionen, um die deutsche Wirtschaft fit zu machen für den Strukturwandel, der sich durch Klimawandel und Digitalisierung ergibt. Zugleich kritisieren wir aber regelmäßig Teile der länderspezifischen Empfehlungen. Dieses Jahr etwa fordert die Kommission den Bürokratie- und Verwaltungsaufwand für Unternehmen zu verringern. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Auch in anderen EU-Ländern stoßen die Reformvorschläge, die oft auf Kürzungen zielen, regelmäßig auf Ablehnung bei den Gewerkschaften. (…) Darüber hinaus sind die bislang von der Kommission vorgesehenen Entscheidungsprozesse der Fazilität tendenziell undemokratisch: Hier will sich die Kommission weitgehende politische Autonomie sichern und schlägt vor, dass sie über die konkrete Mittelvergabe in Form eines Durchführungsrechtsaktes beschließt. Es wäre angebracht, hier insbesondere das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente stärker einzubeziehen. (…) Mit der Aufbau- und Resilienzfazilität wird die Europäische Kommission die Investitions- und Reformvorhaben der Mitgliedstaaten in naher Zukunft entscheidend beeinflussen. Denn die finanziellen Mittel, die den Mitgliedstaaten in Aussicht gestellt werden, sind enorm (…). Umso wichtiger ist es, dass bei den Kriterien der Mittelvergabe und den Entscheidungsprozessen der Fazilität nachgebessert wird.“ DGB-Klartext 20/2020 vom 5. Juni 2020 externer Link
  •  Von der Leyen legt Plan für EU-Länderfinanzausgleich vor
    „Gestern stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Corona-Rettungspaket vor. Es ist um 50 Prozent größer als das von Angela Merkel und Emmanuel Macron (…) und umfasst 750 Milliarden Euro – in Zahlen: 750 000 000 000. Die 250 Milliarden Euro, die zu den Quasi-Eurobonds von Merkel und Macron dazukommen, sollen allerdings nicht als Zuschüsse, sondern als Kredite in die Haushalte einzelner EU-Mitgliedsländer fließen. Als Zugeständnis an die Regierungen Österreichs, der Niederlande, Schwedens und Dänemarks, die vorher in einem gemeinsamen Gegenentwurf zum Merkel-Macron-Plan zweckgebundene Kredite statt Zuschüsse gefordert hatten, kann man das nicht unbedingt werten. (…) Entsprechend wenig begeistert zeigte sich gestern ein niederländischer Diplomat in Brüssel, den der ORF zitiert. Die Positionen liegen seinen Worten nach so weit auseinander, dass eine unveränderte Annahme des Vorschlags „schwer vorstellbar“ sei. Etwas diplomatischer als der anonyme Diplomat äußerte sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er meinte am Mittwoch, dass sowohl „die Höhe [als auch] das Verhältnis zwischen Zuschüssen und Krediten““ noch verhandelt werden“ müsse. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark sprächen sich dabei „aus Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern“ weiterhin „klar für Kredite aus“. (…) Sehr zufrieden mit von der Leyens Plan zeigte sich gestern der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte und Vertreter der spanischen Regierung. Beide begrüßten von der Leyens Vorschlag – was wenig verwunderlich ist, wenn man sich ansieht, in welche Haushalte die 750 Milliarden Euro zu welchen Anteilen fließen sollen (…) Die Anleihen, mit denen die Zuschüsse finanziert werden, sollen von der Leyens Plan nach eine Laufzeit von 30 Jahren haben und zwischen 2028 und 2058 aus dem regulären EU-Haushalt abgestottert werden. Der nächste EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 soll deshalb ein Volumen von 1,1 Billionen Euro haben. Um das zu erreichen, schlägt die Kommission neben Beitragserhöhungen auch „neue Eigenmittel“ wie eine „Digitalsteuer“ und eine Abgabe auf Produkte aus Kunststoff vor. Damit die ersten Zuschüsse bereits im September fließen schwebt von der Leyen aber auch eine Aufstockung des laufenden Haushalts vor, auf die sich die Staatsführungen der Mitgliedsländer im EU-Rat ihrer Vorstellung nach noch bis zum Juli einigen können. Im EU-Parlament gilt die Zustimmung zu ihrem Plan als abgemacht. Dort wollen die großen Fraktionen der informellen Koalition sogar noch deutlich mehr Geld ausgeben… „ Beitrag von Peter Mühlbauer vom 28. Mai 2020 bei Telepolis externer Link, siehe dazu:

    • Diese Alternativen hat Leyen nicht genutzt
      „Nun ist er raus, der billionenschwere Finanzplan der EU-Kommission. So und nicht anders soll die “Recovery” finanziert werden, heißt es in Brüssel. Dabei gab es gute Alternativen – doch von der Leyen hat sie nicht genutzt. Da wären zunächst die Eurobonds oder Coronabonds – also Gemeinschaftsanleihen, für die alle haften. (…) Im Gespräch waren auch “ewige Anleihen” oder “Consoles”. Das sind Schuldscheine, die zwar verzinst, aber nicht zurückgezahlt werden. (…) Eine einfachere Lösung wäre die Erhöhung des EU-Budgets von derzeit rund 1 auf bis zu 2 Prozent. Laut EU-Vertrag ist dies möglich, das Europaparlament fordert eine Aufstockung, doch wieder waren Deutschland und die “Frugal four” dagegen. (…) Man hätte auch den “Mittelfristigen Finanzrahmen” sprengen können – und eine Art Notbudget für die Zeit der Krise aufstellen. (…) Last but not least bleibt noch die Monetarisierung – also die Finanzierung der Schulden durch die Notenpresse. Die EZB macht das bereits, indem sie Staatsanleihen aufkauft – allerdings nur verschämt und sozusagen durch die Hintertür. Die Bank of England ist da schon weiter – sie bekennt sich offen zur Monetarisierung. Doch in Euroland ist das (noch) undenkbar – der EU-Vertrag ist davor….“ Kommentar von Eric Bonse (Lost in Europe) vom 27. Mai 2020 externer Link
  • Jetzt kommen die Massenentlassungen
    „Renault prescht vor, andere dürften folgen: Der französische Autobauer will mehrere Werke reorganisieren und weltweit rund 15 000 Arbeitsplätze abbauen. Von der EU kommt wenig Hilfe – trotz des neuen Recovery-Plans. Durch die Restrukturierungen sollten in den kommenden drei Jahren zwei Milliarden Euro eingespart werden, so Renault. Der Umbau werde den Konzern 1,2 Milliarden Euro kosten – einschließlich des Personalabbaus, Versetzungen von Mitarbeitern sowie Pensionsplänen. Zuvor hatte der deutsche Autozulieferer ZF Friedrichshafen ähnliche Pläne angekündigt. Wegen des Absatzeinbruchs in der Corona-Krise sollen in den kommenden fünf Jahren bis zu 15 000 Stellen gestrichen werden, hieß es. Deutschland und Frankreich müssen sich also auf einen massiven Stellenabbau einstellen, auch wenn er nicht immer mit Massenentlassungen einhergehen dürfte. Schon jetzt melden beide Länder mehr als 10 Millionen Kurzarbeiter – ein trauriger Rekord. Doch der Kurzarbeiter-Hilfsplan SURE der EU ist immer noch nicht in Kraft. Es dürfte länger dauern als bis zum 1. Juni, bis es los geht, heißt es in Brüssel. Auch der brandneue Recovery-Plan dürfte kaum helfen. Denn zum einen wird er erst 2021 in Kraft treten. Zum anderen reicht das Geld nicht, um in der Corona-Rezession einen echten Unterschied zu machen. Trotz der Rekordsumme von 750 Mrd. Euro, die durch EU-Schulden finanziert werden sollen, dürfte der Stimulus kaum über 1 Prozent pro Jahr liegen. Angesichts eines Einbruchs beim Wachstums um mindestens 8 Prozent ist dies bestenfalls ein Strohhalm…“ Meldung vom 29. Mai 2020 von und bei Lost in Europe externer Link
  • Der Preis der Integration. Kritik an deutsch-französischer Einigung über den EU-„Recovery Fund“: Deutsche Wirtschaft dringt auf Stabilisierung der Union 
    „Die deutsch-französische Einigung über den „Recovery Fund“ der EU zur Stärkung der Wirtschaft in der Coronakrise stößt auf doppelte Kritik. Während mehrere EU-Nettozahler nicht bereit sind, die Vergabe der Mittel aus dem Fonds als Zuschüsse für die am schwersten von der Pandemie getroffenen Länder zu akzeptieren, weist der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte darauf hin, dass die in Aussicht stehenden Gelder mutmaßlich nicht genügen, um Italien aus der Krise zu helfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Mittel für den Fonds, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit bis zu 1,5 Billionen Euro hatte ausstatten wollen, auf 500 Milliarden Euro gedrückt. Beobachter halten die Vergabe der Mittel als Zuschüsse nach der Weigerung Berlins, einer Einführung von „Coronabonds“ zuzustimmen, und dem EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts für fast alternativlos. Einflussreiche Kreise der deutschen Wirtschaft warnen, die Bundesrepublik und die EU könnten gegenüber China sowie den USA zurückfallen, wenn es nicht gelinge, die Union rasch zu stabilisieren. (…) Ursache für die deutsche Einwilligung, die Mittel als Zuschüsse zu vergeben, ist, dass Berlin mit seiner bisherigen Krisenpolitik in eine Sackgasse geraten ist. Finanzhilfen ausschließlich als Kredit zu gewähren, wäre riskant: Im Kampf gegen die Coronakrise müssen sich alle betroffenen Staaten ohnehin massiv neu verschulden; bei einigen Ländern der südlichen Eurozone treibt dies die Gesamtverschuldung in gefährliche Höhen. Kämen zusätzliche Darlehen bei der EU hinzu, dann könnte die Schuldenlast leicht untragbar werden und einen Schuldenschnitt erfordern, den freilich die Gläubiger – darunter deutsche Banken – unbedingt vermeiden wollen: Allein die Deutsche Bank ist in Italien mit fast 30 Milliarden Euro involviert. (…) Laut italienischen Medien kann Rom womöglich auf 80 bis 100 Milliarden Euro aus dem Fonds rechnen. An die EU wird es dafür, berechnet mit dem allgemein üblichen Haushaltsschlüssel, vermutlich 55 Milliarden Euro zahlen müssen. Der Nettozuschuss beläuft sich damit auf 25 bis 45 Milliarden Euro. Dabei steht Italien nach jüngsten Schätzungen vor einem Absturz seiner Wirtschaftsleistung um über zehn Prozent – mehr als 180 Milliarden Euro. Die deutsch-französischen Pläne für den Recovery Fund, erklärte Conte am Mittwoch, seien ein wichtiger „Schritt“ auf dem Weg aus der Krise, aber auch nicht mehr: „Wenn wir die Krise gemeinsam überwinden wollen, dann muss viel mehr getan werden.“ Denn andernfalls könne die Krise letztlich „das gesamte europäische Projekt gefährden“: Die EU werde dann wohl „einen schweren Schlag hinnehmen müssen, der unsere wirtschaftliche und politische Stellung in der Welt marginalisiert“.“ Bericht vom 22. Mai 2020 von und bei German-Foreign-Policy.com externer Link

  • Wie deutsche Corona-Hilfen der EU schaden 
    „… In der EU wächst die Sorge vor einem deutschen Übergewicht infolge der Coronakrise. Auf das größte EU-Land entfielen rund 51 Prozent aller bewilligten Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Damit hängt Deutschland alle anderen EU-Staaten ab – und verschafft sich große Vorteile beim Neustart der Wirtschaft nach der Krise. Auf Platz zwei bei den Staatsbeihilfen landet weit abgeschlagen Frankreich mit 17 Prozent, gefolgt von Italien mit 15,5 Prozent. Während die Stützungsmaßnahmen in Paris und Rom ungefähr dem jeweiligen Anteil an der europäischen Wirtschaftsleistung entsprechen, gehen die Hilfsprogramme der Bundesregierung in Berlin weit darüber hinaus. Der deutsche Anteil am BIP beträgt nämlich nur 20 Prozent – und nicht über 50, wie die Corona-Hilfen. Dieses Mißverhältnis bereitet der EU-Kommission zunehmend Sorgen. (…) Insgesamt wurden bisher 160 Maßnahmen im Gesamtwert von 1,95 Billionen Euro bewilligt, wie die Kommission auf meine Anfrage erklärte. Die meisten EU-Staaten halten daran einen Anteil von 0,5 bis 1,5 Prozent, Belgien kommt gerade einmal auf drei Prozent. (…) Daß Deutschland seine Wirtschaft so massiv stützt, ist neu. Bisher hat sich Berlin in der EU stets gegen Dirigismus und Protektionismus gewandt – vor allem, wenn er aus Paris kam. Umso größer ist nun der Unmut über das Ungleichgewicht, das durch die Berliner Politik entsteht…“ Beitrag von Eric Bonse vom 19. Mai 2020 bei Lost in Europe externer Link
  • Weltgeld gegen Virus. Im Umgang mit der gegenwärtigen Coronakrise zeigt sich erneut der Widerspruch zwischen den nationalen Haushalten der EU-Staaten und ihrer gemeinsamen Währung 
    „Die Regierung in Berlin begegnet der Coronakrise nach dem Vorbild von Mario Draghi – es koste, was es wolle – mit erklärtermaßen unbegrenzten Mitteln, fürs erste mit einem Finanzvolumen von der dreifachen Größe des jährlichen Bundeshaushalts. Die Summe relativiert sich zwar, da sie zum größeren Teil aus Kreditgarantien besteht, die (hoffentlich) nicht voll in Anspruch genommen werden. Dennoch: So etwas muss ein Staat sich leisten können. Deutschland kann, wie die Regierung stolz vermeldet: Die Haushaltsdisziplin zahle sich jetzt aus. Dass Schulden, die gestern nicht gemacht wurden, heutige Schulden, volle 1.200 Milliarden Euro, verfügbar machen, ist zwar Blödsinn. Der Zusammenhang, den die Regierung da herstellt, ist dennoch aufschlussreich. (…) Der Hinweis auf ihre frühere Haushaltsdisziplin erinnert immerhin daran, dass die von ihr bereitgestellte Liquidität Kredit ist: eine staatlich verbürgte Schuld. Und dass, auch wenn der Staat ihren Wert hauptsächlich der Europäischen Zentralbank (EZB), seiner Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), also letztlich sich selbst gegenüber verbürgt, dieses Geld in einem Verhältnis – der Abhängigkeit oder, andersherum, der Inanspruchnahme – zum Kapital der Nation steht, also zu dem durch Profit vermehrten Reichtum und gerechtfertigten Kredit der heimischen Wirtschaft. Was der Staat sich an Haushaltsdefizit leistet, hat sich dadurch zu rechtfertigen, dass es Wirtschaftswachstum bewirkt und sich durch ein steigendes Steueraufkommen bezahlt macht. (…) Die vielen notorisch »armen Länder« sind die Kehrseite der Sache. Von denen weiß alle Welt jetzt schon, dass das Virus sie noch ärmer machen und sich die Schere zu den reichen Ländern noch weiter öffnen wird. Mit großer Sicherheit erwartet man die wahren Horrorzahlen an Coronatoten aus Afrika und Staaten auf der Südhalbkugel und rechnet auch schon fest damit, dass der Hunger, den der krankheitsbedingte Produktionsausfall dort verursachen wird, noch einmal viel mehr Leben fordern wird als das Virus. (…) Ein Sonderfall, für Konkurrenz und Kooperation in Europa aber das Hauptkampffeld, sind die Nöte der von der Epidemie besonders betroffenen, mit besonders langem Shutdown und entsprechend tiefen Wirtschaftseinbrüchen geschlagenen, ärmeren Staaten der Euro-Zone. Sie sind Mitbesitzer der harten europäischen Weltwährung, die – Deutschland macht es vor – eine staatliche Notfallverwendung und darauf bezogene maßlose Verschuldung verträgt, ohne gleich als Geld Schaden zu nehmen. Aber sie haben nur eine eingeschränkte Lizenz, sich dieser Währung zur nationalen Verschuldung zu bedienen. (…) Das Coronavirus, das ja sonst nichts lässt, wie es war, ändert am Widerspruch der Euro-Zone kein Jota: Sie bleibt ein Bündnis von Nationalstaaten, die mit nationalen Schulden um nationales Kapitalwachstum in einem gemeinsamen Geld konkurrieren, das seinerseits den Gesamterfolg der Währungszone in seiner Qualität als international gefragtes und verlässliches Geld reflektiert; das also den Gesamterfolg braucht, den die konkurrierenden Partner einander streitig machen.“ Artikel von Theo Wentzke in der jungen Welt vom 13. Mai 2020 externer Link
  • In schlechter Verfassung für die Euro-Krise 2.0 – warum eine solidarische Krisenpolitik neue EU-Verträge braucht 
    „An den Finanzmärkten steigt der Druck auf südeuropäische EU-Mitgliedsstaaten wieder. Mitverantwortlich dafür sind Regierungen, die auf die Einhaltung neoliberaler Dogmen pochen und sich dabei auf die EU-Verträge stützen. Damit verhindern sie eine solidarische, rasche und kostengünstige Krisenlösung. Ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts schränkt nun auch die Handlungsspielräume der EZB ein. Die dadurch drohende Euro-Krise könnte jene in der Folge der Finanzkrise von 2008 in den Schatten stellen. (…) [A]ls 1992 in der „euphorischen“ Phase des Neoliberalismus mit dem Vertrag von Maastricht die europäischen Verträge abgeändert wurden, war die rechtliche Absicherung der Nicht-Solidarität sogar das Ziel der vertragsschließenden Parteien. So kam es mit dem Ausschluss der Haftung der Mitgliedsstaaten untereinander und der EU für Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten (Art 125 AEUV) zu einer Verankerung des Nichtbeistandes in den Europäischen Verträgen. Die Mitgliedsstaaten und die EU dürfen daher in Krisen für in Not geratene Mitglieder nicht bürgen bzw. keine gemeinsamen europäischen Staatsanleihen ausgeben, um allen niedrige Zinsen zu ermöglichen. Das wiegt besonders schwer. Schließlich handelt es sich bei den Europäischen Verträgen um eine Stufe der Rechtsordnung, die nach dem EuGH sogar über allem nationalen Recht steht und daher oft auch als europäische Verfassung bezeichnet wird. Einer der zentralen Kommentare zum Europarecht hält fest, dass das Ziel der Nicht-Beistandsklausel (Art 125 AEUV) unter anderem ist, die „Mitgliedsstaaten den Marktkräften auszusetzen“. Damit solle Haushaltsdisziplin erzwungen werden. Denn „je wahrscheinlicher ein solidarisches Verhalten der anderen Mitgliedsstaaten oder der Union wäre, umso weniger hätte der betroffene Mitgliedsstaat die sonst übliche Reaktion der Kapitalmärkte in Form von Zinsaufschlägen zu fürchten“. Das gleiche Ziel verfolgt mit Bezug auf die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) der Art. 123 AEUV. Er verbietet der EZB, den Mitgliedsstaaten Kredite einzuräumen oder von diesen unmittelbar Staatsanleihen zu erwerben.  Zwar kann die EZB entsprechende Anleihen auf den Finanzmärkten von Dritten erwerben, allerdings darf dies nur in engem Rahmen geschehen, da andernfalls eine rechtswidrige Umgehung des Verbotes des unmittelbaren Erwerbes vorliegen würde. Damit verbieten die EU-Verträge jede Form der öffentlichen Refinanzierung und machen die Mitgliedsstaaten von den Finanzmärkten abhängig. Diese Einzementierung einer gewissen Wirtschaftspolitik in Verfassungsrang, die der Politikwissenschafter Stephen Gill treffend als neoliberalen bzw. neuen Konstitutionalismus beschrieben hat, ist aber nicht nur demokratiepolitisch bedenklich und unsolidarisch, sondern hat sich auch gemessen an ihrem eigenen Ziel als ineffektiv herausgestellt. (…) Vermögende, Banken und Konzerne haben ein Interesse an neoliberaler Politik, weil sie von dieser unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen, niedrigere Vermögens- und Gewinnsteuern und mehr politische Mitsprache erwarten können. Ebenso ermöglicht diese Politik es, dass die Kosten der von ihnen verursachten Krisen immer wieder auf die Allgemeinheit abgewälzt werden können. (…) Das verweist darauf, dass die derzeitige europäische Verfassung das Gegenteil von dem bewirkt, was ihr in Sonntagsreden gerne zugeschrieben wird: Sie fördert den Nationalismus, anstatt ihn zu überwinden. Derzeit schützt sie jene, welche die Marktkräfte für ihre Interessen wirken lassen wollen, und nicht die breite Masse der europäischen Bevölkerung. Eine solidarische, ökologische und demokratische Lösung der durch das Corona-Virus ausgelösten Wirtschaftskrise in Europa wird sich daher nur durchsetzen lassen, wenn die veralteten Europäischen Verträge grenzüberschreitend herausgefordert und grundlegend geändert werden.“ Beitrag von Lukas Oberndorfer vom 8. Mai 2020 beim A&W Blog externer Link

  • Italien: Angst vor dem EU-Diktat
    „Nachdem Italien besonders heftig von Coronaerkrankungen getroffen wurde, steht es jetzt auch vor einer besonders dramatischen Wirtschaftskrise. (…) Etwa 11,5 Millionen der 23 Millionen italienischen Beschäftigten sitzen seither untätig zu Hause. Und mehr als düster sind die Prognosen für die Konjunkturentwicklung 2020. Der Internationale Währungsfonds geht von minus 9,1 Prozent aus: Italien sei das Land unter den entwickelten Staaten, dessen Wirtschaft im Jahr 2020 am stärksten einbrechen und sich dann im Jahr 2021 am wenigsten erholen werde. Millionen Arbeitsplätze stehen damit auf dem Spiel. (…) Die Regierung unter Ministerpräsident Giuseppe Conte und Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri versucht, mit grossen Hilfspaketen gegenzusteuern. Im März wurden 25 Milliarden Euro lockergemacht, im April will sie noch einmal 70 Milliarden drauflegen. Vorweg wird so das Kurzarbeitsgeld für die ArbeitnehmerInnen finanziert. Auch die Beschäftigten in Kleinstbetrieben, die bisher keinen Anspruch haben, kommen nun in seinen Genuss. Für Selbstständige gab es mit dem Märzpaket 600 Euro monatlich, um den Einnahmeausfall wenigstens etwas abzufedern; von April an soll dieser Betrag auf 800 Euro steigen.(…) Dann aber wären noch die auf mehr als drei Millionen geschätzten Personen, die bisher schwarz in der Schattenwirtschaft arbeiteten – und die jetzt in der Coronakrise keinerlei Anspruch auf Unterstützung haben. Ihnen soll mit einer Coronagrundsicherung geholfen werden. In einem ersten Schritt hatte die Regierung den Gemeinden 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Hungernden mit in den Supermärkten einzulösenden Lebensmittelgutscheinen oder auch direkt mit Care-Paketen unter die Arme greifen zu können. 100 Euro pro Kopf fliessen jetzt über diesen Fonds, dann aber soll es, ab Ende April, endlich die Grundsicherung für wirklich alle geben. (…) Doch bereits all diese bereitgestellten Ressourcen reichen nur für wenige Wochen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die öffentliche Neuverschuldung im Jahr 2020 Richtung acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehen wird. Italiens Gesamtschulden werden hochschnellen. Und ein Ende ist nicht abzusehen: Weitere Hunderte Milliarden sind notwendig, wenn Italien nach der Krise wieder auf die Füsse kommen will. Deshalb ist eines klar: Ohne Europa geht es nicht. Höchst umstritten ist in Rom allerdings, wie es mit Europa gehen soll. Die beiden Regierungsparteien – die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) unter Aussenminister Luigi Di Maio und die Demokratische Partei (PD) – machen sich gemeinsam für Euro- oder Coronabonds stark. Dabei würde sich die EU und nicht Italien weiter verschulden. Doch vorneweg die Niederlande und Deutschland sperren sich gegen solche Bonds…“ Beitrag von Michael Braun aus WOZ Nr. 17/2020 vom 23. April 2020 externer Link
  • Europa als Haftungsunion – Europa scheitert an deutschen „Juristen“
    „Die aktuelle Diskussion um Coronabonds basiert auf der falschen Vorstellung, dass nationale Regierungen ihre Ausgaben durch den Verkauf von Anleihen an „die Märkte“ finanzieren. (…) Das Problem liegt darin, dass die „Juristen“ immer wieder die Haftungsfrage diskutieren, die zwar juristisch gesehen tatsächlich beantwortet werden kann und muss, praktisch gesehen aber komplett irrelevant ist. Denn Eurobonds wären Anleihen der Eurozone und hätten keinerlei Ausfallrisiko. Wenn die Investoren wollen, können sie die Eurobonds immer an die EZB verkaufen. Diese dürfte Eurobonds unbegrenzt von den Investoren ankaufen. Ein Verlust ist also ausgeschlossen. Sollte beispielsweise die italienische Regierung nicht mehr genügend Steuern einnehmen, um die Eurobonds zurückzahlen zu können, würden die Investoren sie an die EZB verkaufen. Diese muss sie dann abschreiben, indem sie einen Verlustvortrag in Höhe der Bonds ausweist. Dies reduziert das Eigenkapital, was aber nur eine statistische Größe ist. Da die EZB selbst Geld schaffen kann – Euros – und sonst niemand, wird aber auch bei negativem Eigenkapital keiner daran zweifeln, dass die EZB solvent ist und liquide. Dies bedeutet, dass durch Eurobonds keine Haftungsunion entsteht und auch keine Kosten anfallen, wie es „Die Welt“ in ihrem Artikel behauptete. Sollten Italien und die anderen Länder über Eurobonds höhere Staatsausgaben tätigen und dann nicht zurückzahlen können, wird der deutsche Steuerzahler keinen einzigen Euro davon zu bezahlen haben. Die EZB weist einfach ein geringeres Eigenkapital aus, das war es. Es gibt kein Gesetz, nach dem die europäischen Steuerzahler bei negativem Eigenkapital der EZB einspringen müssen. Das sagt übrigens auch die EZB selbst. Seltsamerweise berichtet kaum eine deutsche Zeitung davon, dass Verluste der EZB nicht an Steuerzahler weitergereicht werden. Ähnlich schon wie bei der grandiosen Ablenkung „TARGET2-System“ wird hier komplexe ökonomische Materie von großen Teilen der Fachwelt in emotional aufgeladene Märchen übersetzt, in denen die bösen Südländer das Geld der unschuldigen Nordländer klauen wollen. (…) Die EU braucht (…) einen Marshallplan, einen (Green) New Deal. Denn ohne staatliche Unterstützung werden Italien, Spanien, Frankreich und andere Länder ihre wirtschaftlichen Probleme – allen voran die Arbeitslosigkeit – nicht lösen können. Die Eurozone ist in dieser Hinsicht dysfunktional. Es fehlt eine Institution, die sich um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit kümmert. (…) Eine moderne Währung ist eine Steuergutschrift, und der Staat muss genügend davon ausgeben, damit alle Menschen, die Arbeit suchen, auch Arbeit finden. Wer sich dieser Einsicht verschließt, der macht aus der Eurozone einen Wirtschaftsraum, in dem ein Zugewinn an Arbeitsplätzen nur durch Reduktion der Löhne erkauft werden kann…“ Beitrag von Dirk Ehnts vom 18. April 2020 beim Verfassungsblog externer Link
  • [Petition] Soforthilfe für die von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Gesellschaften und Mitgliedsländer der Europäischen Union! 
    In Italien, Spanien und Frankreich sind mehrere zehntausend Menschen schwer am Corona-Virus erkrankt. Ihr Überleben ist von einer gut ausgestatteten Krankenhausversorgung mit ausreichenden intensivmedizinischen Einrichtungen abhängig. Das Gesundheits- und Krankenhauswesen dieser Länder wurde während und nach der Euro-Krise massiv eingeschränkt. Es ist infolgedessen nicht mehr in der Lage, diesen schwer erkrankten Menschen angemessen beizustehen. Wir fordern deshalb die leitenden Instanzen der Europäischen Union, der Eurozone und die Regierungen ihrer weniger betroffenen Länder Deutschland, Niederlande und Österreich sowie des De Facto-Mitgliedslands Schweiz auf, diesen Menschen und den um ihr Überleben kämpfenden Beschäftigten der italienischen, spanischen und französischen Krankenhäuser beizustehen. Wir fordern: die Mobilisierung aller geeigneten Transportkapazitäten, damit die schwerkranken Patientinnen und Patienten aus Italien, Spanien und Frankreich in die Akutkrankenhäuser der weniger betroffenen Länder der EU verlegt und dort behandelt werden; die Bereitstellung eines zinslosen Notfallkredits durch die Europäische Investitionsbank im Umfang von jeweils 25 Milliarden Euro an die betroffenen drei Länder sowie die ebenfalls stark bedrohten Länder Griechenland und Portugal, damit sie die Versorgung der Pandemiekranken und die Ausstattung des Gesundheitspersonals mit den erforderlichen Ausrüstungen hochfahren können; die sofortige Auflösung der Flüchtlingslager in Griechenland und die Verteilung der Asylbewerber auf die von der Pandemie weniger betroffenen EU-Länder; die Streichung der Staatsverschuldung dieser fünf Länder um mindestens zwei Drittel, damit sie ihr öffentliches Gesundheitswesen wieder aufbauen und die Folgen des wirtschaftlichen Lockdowns überwinden können...“ Petition vom 6.4.2020 der Initiative für ein egalitäres Europa externer Link
  • [Presseschau] Versetzt Deutschland mit seiner „eisernen“ marktliberalen Führung der EU doch noch einen Todesstoß?
  • “Italien wird das Programm nicht nutzen” 
    Kalte Dusche für Kanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz: Italien will was schöne neue Corona-“Rettungspaket” nicht nutzen, jedenfalls nicht für Kredite aus dem ESM. Dies sagte Regierungschef Conte. Ökonomen geben ihm recht. Conte erklärte, er betrachte das Hilfspaket vom Donnerstag als ersten Schritt in Richtung einer gemeinsamen europäischen Verantwortung. Es enthalte neue Gedanken. Die Nutzung des Euro-Rettungsschirms ESM dagegen nannte er “völlig unpassend” für die aktuelle Notlage. Italien brauche den ESM nicht und wolle ihn nicht nutzen, sagte Conte. Das ist keine Überraschung. Denn Conte und viele andere EU-Chefs, darunter auch Ex-Kommissionspräsident Juncker, bestehen weiter auf der Forderung nach Coronabonds mit gemeinsamer Haftung. Gegen den ESM sprechen zudem ökonomische Gründe, die in Deutschland gern verschwiegen werden. Die angeblich so großzügigen Hilfen, die Merkel und Scholz bereitstellen wollen, sind nämlich nur Kredite…“ Artikel von Eric Bonse vom 11.4.2020 bei LostinEU externer Link
  • EU-Streit über Krisenhilfe: Drohende Auferstehung der Troika
    Die EU-Finanzminister haben sich im Streit über Hilfen für Corona-Krisenländer verhakt. Niederlande, Finnland und Österreich fordern harte Konditionen…“ Artikel von Eric Bonse vom 8.4.2020 in der taz online externer Link
  • ESM-Kredite ohne Austerität? Von wegen
    Keine Troika, kein Austeritätskurs: Mit diesen Versprechen wollen Kanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz den Krisenländern die umstrittenen ESM-Kredite schmackhaft machen. Dabei soll es sehr wohl Konditionen geben, wie ein “Nonpaper” aus dem BMF zeigt. (…) Italien, Spanien und andere hilfsbedürftige Länder sollen sich also auf eine solide Budgetpolitik und “Disziplin” verpflichten. Dafür ist ein “Memorandum of Understanding” (MoU) geplant – also genau das, was in der Eurokrise für böses Blut sorgte. Darin sollen die Kreditnehmer unterschreiben, dass sie die Fiskalregeln der EU künftig wieder einhalten. Dabei sind genau diese Regeln – der Stabilitätspakt, der Six-Pack etc – wegen der Krise ausgesetzt. Denn sie sind für einen massiven externen Schock nicht ausgelegt. Wenn Italien die Regeln nach dem Abflauen der Coronakrise wieder einhalten sollte, müsste es sein Budgetdefizit von derzeit 130 Prozent – und nach der Krise vielleicht 180 oder 200 Prozent – wieder auf 60 Prozent herunterfahren. So steht es im Stabilitätspakt. Wenn das keine Austeritätspolitik bedeutet…“ Kommentar vom 7. April 2020 von Eric Bonse bei LostinEU externer Link
  • Solidarität à la Scholz
    Zur Bekämpfung der Coronakrise stellt der deutsche Staat mehr als 1000 Milliarden Euro zur Verfügung. Demgegenüber soll Italien mit 39 Mrd. aus ESM-Mitteln abgespeist werden. Geht’s noch? Auf dem Papier geben sich die Genossen Scholz und Maas super solidarisch. In einem Gastbeitrag für südeuropäische Zeitungen versprechen sie “A response to the corona crisis in Europe based on solidarity” externer Link. Finanzminister Scholz nennt darin auch Zahlen. Nach seinem Vorschlag, über den die Eurogruppe am Dienstag berät, soll der Euro-Rettungsfonds ESM schnell Hilfskredite zu günstigen Konditionen bereitstellen. Italien könne mit 39 Mrd. Euro rechnen, Spanien mit 28 Mrd. Euro, rechnet Genosse Scholz vor. Sein Gastbeitrag strotzt nur so vor Selbstlob und Stolz über die angeblich großzügige europäische Solidarität. Zu dumm, dass kurz nach dieser durchsichtigen PR-Aktion die Antwort auf eine Anfrage von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bekannt wurde. Demnach gönnt sich Deutschland einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Die bisher beschlossenen Maßnahmen summieren sich über alle staatlichen Ebenen hinweg auf 1,137 Billionen Euro, zitiert n-tv externer Link aus der Antwort der Bundesregierung, also aus dem Finanzministerium. Und das sind nur die bisher beschlossenen Maßnahmen – am Ende dürfte Scholz noch wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die deutsche Wirtschaft zu stützen…“ Kommentar vom 6. April 2020 von Eric Bonse bei LostinEU externer Link
  • [Youth Call for European Solidarity] „Es gilt jetzt, steigende Jugendarbeitslosigkeit zu verhindern“
    In einem offenen Brief fordern junge Menschen aus ganz Europa Solidarität mit finanziell schwächeren Staaten. Schnelle, unkomplizierte und vor allem solidarische Finanzhilfe für die Staaten, die das jetzt dringend brauchen: Das wünscht sich eine Initiative aus jungen Menschen aus ganz Europa. Einer von ihnen ist Henri Schneider. Der 25-Jährige hat VWL im Bachelor studiert und lebt derzeit in Düsseldorf. Er ist Teil des Netzwerks „Rethinking Economicsexterner Link, einer Initiative bestehend aus Studierenden und Wissenschaftler*innen. Henri ist auch einer von 15 jungen Menschen, die sich jetzt in einem offenen Brief externer Link an die Finanzminister*innen der EU wenden. Sie wünschen sich, dass bald die sogenannten Corona-Bonds kommen. (…) Henri und seine Mitstreiter*innen kritisieren die Haltung der Bundesregierung. Im Interview erklärt er, was die Initiative konkret fordert – und warum das vor allem auch die Jugend Europas betrifft…“ Interview von Sophie Aschenbrenner vom 06.04.2020 bei jetzt.de externer Link
  • Solidarität mit Italien: So viel Druck war nie
    Wächst in der Coronakrise ein anderes EUropa? Die Solidarität, die Italien, Spanien und Frankreich im Streit um Coronabonds erfahren, macht Hoffnung. (…) Nicht weniger als dreizehn von 19 Euro-Ländern haben sich für Coronabonds oder andere Formen finanzieller Solidarität ausgesprochen. Italien, Spanien und Frankreich führen eine Bewegung für einen gerechten Wiederaufbau. Diese Bewegung findet sogar in Deutschland enormen Widerhall. Nicht nur Linke, Grüne und viele Sozialdemokraten haben sich für Coronabonds ausgesprochen. Auch der arbeitgebernahe Ökonom M. Hüther und der CDU-Europapolitiker E. Brok fordern nun gemeinsame Anleihen. Auch der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, R. Kiesewetter, und der Vizepräsident des Europaparlaments R. Wieland sagten, sie könnten sich gemeinsame EU-Anleihen vorstellen. Beide gehören der CDU an – und stellen sich damit gegen die offizielle Linie. Die wird immer noch vom Kanzleramt vorgegeben. Kanzleramtschef Braun lehnt gemeinsame Anleihen ebenso ab wie Kanzlerin Merkel und Ex-Finanzminister Schäuble. Im Zentrum der deutschen (und europäischen) Macht hat sich nichts geändert – dort herrscht Bunkermentalität...“ Beitrag vom 4. April 2020 bei LostinEU externer Link
  • Alexis Tsipras zu Corona-Bonds: Die Unnachgiebigkeit bestimmter Führer könnte für die Europäische Union tödlich sein
    „Als Griechenland im Jahr 2015 unter der Torheit einer strafenden Sparmaßnahme litt, die nach dem Scheitern zweier Programme des Internationalen Währungsfonds (IWF) die meisten Griechen bereits an den Rand einer humanitären Krise gebracht hatte, dachten die meisten Europäer, dass dieses kleine Land eine Ausnahme bleiben würde. Das von den Griechen erlittene Regime sollte in der Tat als Beispiel für andere Staaten dienen, um nicht dem schlüpfrigen Pfad der hohen Haushaltsdefizite zu folgen. Jetzt, mit der Coronavirus-Krise, werden Haushaltsdefizite in vielen Ländern der Eurozone zu einem allgemeinen Problem. (…) Diese neue Krise erinnert an die Zeit, in der Hemingways Roman spielt [der spanische Bürgerkrieg, 1936-1939]. Natürlich stehen wir heute nicht vor einem echten Krieg. Aber das ist auch gut so. Unsere Volkswirtschaften schrumpfen von selbst, symmetrisch und in absoluten Zahlen. Und unsere Priorität ist es, Leben zu retten. Schulden können zurückgezahlt oder abgeschrieben werden, wie es nach einem echten Krieg 1953 der Fall war [am 27. Februar 1953 wurde durch das Londoner Abkommen ein großer Teil der deutschen Schulden abgeschafft]. Aber man kann keine Leben zurückbringen. (…) Ich fürchte, dass diese Demonstration extremer und unmoralischer Unnachgiebigkeit seitens der europäischen Führer, die, wie der niederländische Premierminister Mark Rutte, die radikalen Veränderungen, die Europa durchmacht, nicht als Grund für die Unterstützung neuer wirtschaftlicher Instrumente sehen, sich als fatal für die Einheit der Union selbst erweisen wird. (…) Die Hauptverantwortung dafür liegt bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie muss sich entscheiden zwischen ihrem Erbe als europäische Führungspersönlichkeit und der öffentlichen Meinung in Deutschland, die seit vielen Jahren mit dem Virus des Chauvinismus infiziert ist. Wenn das Problem in diesem vor allem symbolischen Wort „Eurobonds“ liegt, ist es immer noch möglich, eine Lösung zu finden. Es gibt immer technische Möglichkeiten, mit dem gleichen Ergebnis, aber einem anderen Namen. (…) Und wenn Angela Merkel schließlich das Lob der deutschen Presse einer starken Initiative für die Einheit der Eurozone vorzieht, sollten diese Länder nicht zögern, gemeinsam neue Schritte zu unternehmen. Eurobond ohne Deutschland und die Niederlande wird natürlich nicht so stark sein, aber vergessen wir nicht, dass alle anderen Länder zusammen mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone ausmachen. Vorausgesetzt, sie wollen vorankommen. Schließlich ist dies vielleicht die einzige Möglichkeit für ganz Europa, um voranzukommen.“ Beitrag von Alexis Tsipras in Le Monde am 03. April 2020 übersetzt und veröffentlicht von und bei Felix Syrovatka externer Link
  • “Wir sitzen alle im selben Boot” – Really?
    Die Coronakrise spaltet die EU. Viele Berufseuropäer wollen das nicht hinnehmen und beschwören die Einheit. “Wir sitzen alle im selben Boot”, heißt es trotzig in Brüssel. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache, leider. (…) Demgegenüber arbeiten in Deutschland viele Unternehmen weiter, angeblich ist auch die Waffenschmiede Rheinmetall noch schwer aktiv. Der deutsche Lockdown ist wesentlich laxer als etwa in Belgien oder Frankreich. Und in den Niederlanden und in Schweden herrscht weitgehend “Business as usual”. Schulen und Geschäfte sind auf, der Wirtschaft droht kein Totalschaden wie in Italien oder Spanien. Alle sitzen im selben Boot? Not really! Das wird auch deutlich, wenn wir uns die Hilfsprogramme für die Wirtschaft ansehen. In Deutschland belaufen sie sich auf bis zu 35 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Frankreich auf 14, in Italien auf knapp zehn…“ Beitrag vom 2. April 2020 bei LostinEU externer Link
  • EU in der Krise. Kritik an »unsolidarischer« BRD aus besonders von Pandemie betroffenen Ländern wird lauter. Streit um »Corona-Bonds«
    Mit den Worten »Liebe deutsche Freunde« beginnt eine ganzseitige Anzeige, die am Dienstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Unterzeichner waren die Bürgermeister von neun fast durchweg norditalienischen Städten, darunter Bergamo, Brescia und Milano, die Ministerpräsidenten zweier norditalienischer Regionen – der Emilia-Romagna und Liguriens, schließlich noch der für Italiens Nordosten ins Europaparlament gewählte Exwirtschaftsminister des Landes, Carlo Calenda. Als Vertreter des weltweit am schwersten von der Covid-19-Pandemie gepeinigten Gebiets wandten sie sich an die deutsche Öffentlichkeit mit der Bitte um Solidarität im Kampf gegen die Krise. Konkret geht es um die Zustimmung zu den »Corona-Bonds«, die Italien helfen könnten, einen wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern. (…) Immer ätzendere, immer bitterere Kritik an der EU und ihrer deutschen Vormacht wurde unter dem Eindruck der Coronakrise in Italien laut. In Berlin begann man die Entwicklung ernst zu nehmen. Am 20. März sandte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinem italienischen Amtskollegen Sergio Mattarella einen angeblich handschriftlich verfassten Brief, in dem er ihn verbal einer Sache zu versichern suchte, von der im echten Leben rein gar nichts zu sehen war: der »Solidarität meiner Landsleute« mit Italien in der derzeitigen »ungeheuer schweren Situation«. (…) Dumm nur für die Berliner PR-Strategen, die gerade Hoffnung schöpften, das Deutschlandbild in Italien doch noch retten zu können, dass jetzt der Streit um die »Corona-Bonds« kam, für die sich die Regierung in Rom mit aller Macht einsetzt. Das Bundeskabinett lehnt diese kategorisch ab und hat deren Einführung auf dem EU-Gipfel vergangene Woche blockiert. In Italien, wo man eine wohl noch schlimmere Wirtschaftskrise auf sich zurollen sieht als diejenige vor zehn Jahren und wo man die »Corona-Bonds« als vielleicht letzten Strohhalm betrachtet, löste das einen Sturm der Empörung ausArtikel von Jörg Kronauer in der jungen Welt vom 02.04.2020 externer Link

    • Siehe auch: „… Als die Pandemie europäischen Boden erreichte, wartete man auf Solidarität zuerst vergeblich. Solidarität mit Italien? Solidarität mit Spanien? Fehlanzeige. Wochenlang konnte man kopfschüttelnd verfolgen, wie jede Regierung nur einzig an das eigene Land dachte. Anfangs hatten Frankreich ein Masken-Embargo verhängt und Deutschland mit einem Exportverbot externer Link geantwortet. Grenzenloser Warenverkehr in der EU war plötzlich Schnee von gestern. Dann konfiszierten Polen und Tschechien Atemmasken und Beatmungsgeräte externer Link, die für Italien bestimmt waren, und Deutschland blockierte den Weitertransport von Atemmasken externer Link, die die Schweiz aus China geordert hatte. Nach Solidarität mit dem Iran lohnt leider nicht einmal die Frage. (…) Schon frühzeitig hatte die EU-Kommission Deutschland und die weiteren Mitgliedstaaten der Union nachdrücklich aufgefordert externer Link, den italienischen Behörden Hilfe zukommen zu lassen. Am 26. März wurde die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dann in ihrer Kritik externer Link deutlich: „Als Europa echten Gemeinschaftsgeist brauchte, wählten zu viele zunächst den Alleingang (…) Und als Europa wirklich beweisen musste, dass wir keine ‚Schönwetterunion‘ sind, weigerten sich zu viele zunächst, ihren Schirm zu teilen.“ Nach der erfolgreich bestandenen Krise wolle sie, dass die Bürger Europa als stark in Erinnerung behalten: „Ein Europa, das im Schnelldurchlauf arbeitet, wenn es sich so anfühlt, als hätte die ganze Welt auf Pause gedrückt. Ein Europa, das Mitgefühl über alles andere stellt. Das ist das Europa, das ich mir wünsche.“ Aber wird dieser Appell auch zu konkreten Taten führen? Oder bewahrheitet sich die Vermutung des Journalisten Tobias Riegel: „Das Bild der fehlenden Solidarität soll durch Phrasen von der Solidarität korrigiert werden“? Wird man sich am Ende eher an einen weiteren Facebook-Post von Giovani Toti erinnern?: „Amerika, China … und Europa? Brüssel, wo bist du? (…) Von einem Europäer, mit Bedauern…“ Die französische Tageszeitung „Le Monde“ nennt die Pandemie auf jeden Fall „Einen Moment der Wahrheit für Europa“ und warnt: „In dieser Coronavirus-Krise geht es auch für die EU um ihr Überleben.“ (…) Aber es wäre fatal, wenn der Gedanke der Solidarität an den Grenzen der EU – einmal mehr – Halt machen würde. Es wäre fatal und schlicht unsinnig…“ Aus dem Artikel von Andreas von Westphalen vom 1. April 2020 bei Telepolis externer Link: „Grenzenlose Solidarität“
  • Germany First – Politiker und Medien in Südeuropa laufen Sturm gegen die Weigerung Berlins, in der Coronakrise deutsche Interessen zurückzustellen
    „Bürgermeister aus den am härtesten von der Covid-19-Pandemie betroffenen Städten Norditaliens bitten in einer ganzseitigen Anzeige in einer führenden deutschen Tageszeitung um „europäische Solidarität“. Italien sei zur Bewältigung der Coronakrise auf „Coronabonds“ angewiesen, erklären die Bürgermeister; sie dringen darauf, Berlin solle seinen Widerstand dagegen aufgeben. Seit vor allem die Bundesregierung beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche die Debatte über die „Coronabonds“ abgewürgt hat, die besonders für die Länder Südeuropas existenziell wichtig, für Berlin allerdings nicht kostenneutral wären, laufen Politiker und Medien von Spanien über Italien bis Griechenland Sturm. Deutschland treibe Politik nach dem Modell des Trump’schen „America First“, heißt es in Spanien, während in Griechenland gewarnt wird, ein Verzicht auf die „Coronabonds“ könne sich „für Europa als noch vernichtender erweisen“ als das Covid-19-Virus. Sogar EU-orientierte italienische Medien protestieren gegen das „hässliche Europa“ und schließen das Ende des „europäischen Projekts“ nicht aus. (…) Die Wirtschaftspresse erinnert daran, dass die Bundesrepublik ihren Aufstieg nur dank eines großzügigen Schuldenerlasses im Londoner Schuldenabkommen von 1953 habe erreichen können: Ohne dieses Zugeständnis, das von Italien mitgetragen wurde, hätte Deutschland „weitere 50 Jahre Schulden zurückzahlen müssen“. Ähnlich äußert sich der in Italien populäre Schauspieler und Regisseur Tullio Solenghi. Solenghi kritisiert: „Die Deutschen tragen heute auf ökonomischem Gebiet Hochmut zur Schau … . Sie fühlen sich höherwertig.“ Wäre „die internationale Gemeinschaft“ nach dem Zweiten Weltkrieg „mit demselben, stets wiederkehrenden deutschen Hochmut“ aufgetreten und hätte ihrerseits „die tatsächlichen Kriegsschulden zurückgefordert, dann würden die Deutschen heute aus den Mülltonnen leben.“…“ Bericht von und bei German-Foreign-Policy.com vom 1. April 2020 externer Link
  • [attac] Corona: Jetzt solidarisches Handeln der Euro-Länder unterstützen – Deutschland muss Widerstand gegen gemeinsame fiskalische Maßnahmen aufgeben
    „Attac fordert die Bundesregierung auf, sich für gemeinsame fiskalische Maßnahmen der Euroländer zur Bewältigung der Corona-Pandemie einzusetzen. „Die gegenseitige Blockade der Euroländer macht die egoistischen Interessen einzelner Staaten zum Nachteil aller deutlich. Die Bundesregierung muss jetzt ihren Widerstand gegen solidarisches Handeln aufgeben. Besonders in Italien und Spanien brauchen die Menschen jetzt Unterstützung“, sagt Detlev von Larcher von der bundesweiten Attac-Arbeitsgruppe Finanzmärkte und Steuern. Die sogenannten Eurobonds werden nach Ansicht von Attac benötigt, um das Gesundheitswesen in allen Ländern der Eurozone zu stärken, die Existenz der Menschen finanziell zu sichern, die wirtschaftlichen Strukturen aufrechtzuerhalten sowie den späteren Wiederaufbau und notwendigen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft zu finanzieren. Attac verweist dabei auf Artikel 122, Absatz zwei des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), demzufolge ein Staat, der „von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, […]“ betroffen ist, finanzieller Beistand zu gewähren ist. „Wann, wenn nicht jetzt, ist der Augenblick, im Geist der Solidarität in Europa zu handeln und diesen Artikel anzuwenden“, sagt Alfred Eibl vom Attac-Koordinierungskreis. (…) Attac fordert zudem eine gerechte Verteilung der Krisenkosten und warnt vor einer erneuten Austeritätspolitik, wie sie in der Eurokrise in Griechenland durchgedrückt wurde. Detlev von Larcher: „Die Euroländer müssen die Gruppen belasten, die in den vergangenen Jahren durch eine falsche Steuerpolitik begünstigt wurden. Jetzt ist die Zeit, endlich eine progressiv wirkende Steuer auf hohe Vermögen und Einkommen einzuführen.“ Attac-Forderung vom 1. April 2020 externer Link
  • Jeder stirbt für sich allein – Italienische Regierung scheitert auf EU-Gipfel mit Forderung nach »Corona-Bonds«. Deutsch-niederländische Blockade gegen europäische Solidarität
    „Am Ende der sechsstündigen Videoschalte der EU-Staatsoberhäupter am Donnerstag abend war klar: Die von einer Ländergruppe um Italien eingeforderte Solidarität bei der Bekämpfung der sozioökonomischen Folgen der Coronapandemie wird es in der EU nicht geben. (…)Insbesondere Italien und Spanien müssen in den kommenden Monaten in großem Stil investieren, sollen Wirtschaft und Gesellschaft durch die Folgen der Pandemie nicht komplett kollabieren. Da die Regeln der Währungsunion jedoch keine Staatsfinanzierung über die Zentralbank erlauben, sind sie gezwungen, sich an die Finanzmärkte zu wenden. Mit den sogenannten Corona-Bonds hätten sie bei der Aufnahme neuer Kredite von der Bonität der gesamten Währungsunion profitiert und so ihre Marktposition gestärkt. Weitergehende Maßnahmen zur Eindämmung der Zinsbelastung, etwa entsprechende regulatorische Eingriffe in die Finanzmärkte oder eine direkte Staatsfinanzierung durch die EZB, wurden erst gar nicht diskutiert. Nun soll die Euro-Gruppe neue Vorschläge ausarbeiten. Gefeilscht wurde unter den Staats- und Regierungschefs vor allem darüber, wie nachdrücklich die Finanzminister dazu aufgefordert werden und wieviel Zeit man ihnen gibt. Die Regierungen Spaniens und Portugals hatten auf weitgehende Vorschläge für neue Finanzierungsinstrumente binnen einer Woche gedrängt. Die BRD und ihre nordeuropäischen Verbündeten wollten es schwammiger und langsamer – und setzten sich durch: »In dieser Phase ersuchen wir die Euro-Gruppe, uns innerhalb von zwei Wochen Vorschläge zu unterbreiten«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Die Drohung des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, den Gipfel platzen zu lassen und die Erklärung nicht zu unterzeichnen, war ins Leere gelaufen. Keine Erwähnung in der Abschlusserklärung findet auch die Option zusätzlicher Kreditlinien des »Europäischen Stabilitätsmechanismus« (ESM). Dennoch liegt sie weiterhin auf dem Tisch. So stellte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Videoschalte klar, dass der ESM aus ihrer Sicht das »präferierte Instrument« sei, weil er »wirklich für Krisenzeiten geschaffen wurde«. Mit dem »Euro-Rettungsschirm« wurden in der Euro-Krise zwischen 2010 und 2015 bereits Griechenland, Irland, Portugal, Zypern und Spanien über Wasser gehalten, allerdings zum Preis knallharter Kürzungs- und Liberalisierungsauflagen. Teil davon waren drastische Einschnitte in den Gesundheitssystemen, die heute zu deren dramatischer Überlastung durch die Pandemie beitragen…“ Artikel von Steffen Stierle in der jungen Welt vom 28. März 2020 externer Link, siehe dazu:

    • Die neuen globalen Gesundheitsmächte: Berlin und Brüssel werfen China wegen seiner Covid-19-Hilfen einen „Kampf um Einfluss“ mit einer „Politik der Großzügigkeit“ vor
      „Die Bundesregierung und die EU-Kommission bringen sich gegen chinesische Hilfsaktionen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie in Stellung. Mit Blick darauf, dass beispielsweise Italien systematisch Unterstützung aus Beijing bekommt, nachdem die EU ihm Hilfen verweigert hat, heißt es im Bundesverteidigungsministerium, es stünden „kontroverse Debatten zum Umgang mit … China“ bevor. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell diagnostiziert eine „globale Schlacht der Narrative“: Beijing führe einen „Kampf um Einfluss“ mit einer „Politik der Großzügigkeit“; dem müsse die Union nun entgegentreten. Hintergrund ist, dass China, seit es ihm gelungen ist, das Covid-19-Virus einzudämmen, einer wachsenden Zahl an Staaten weltweit zur Seite springt, während die Mächte des Westens, die traditionell mit Hilfsleistungen ihren globalen Einfluss zementiert haben, das Virus nicht unter Kontrolle bekommen und teils selbst von Hilfe abhängig werden. Experten prognostizieren für die Zeit nach dem Ende der Pandemie „eine veränderte Weltordnung“ mit den Ländern Ostasiens als „neue globale Gesundheitsmächte“…“ Bericht vom 27. März 2020 von und bei German-Foreign-Policy externer Link
  • Wie Merkel die EU-Institutionen ausbooten will
    Auf den ersten Blick ist es nur eine Kleinigkeit: Nicht die EU–Kommission, der Rat oder die EZB sollen neue Vorschläge zur Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise erarbeiten, sondern die Finanzminister der Eurogruppe. Doch dahinter steckt eine gezielte Strategie von Kanzlerin Merkel. Beim EU-Krisengipfel war Merkel schwer unter Druck geraten. Neun EU-Staaten hatten neue, gemeinsame Finanz-Instrumente wie Coronabonds gefordert. Die EU-Institutionen sollten binnen zehn Tagen Vorschläge ausarbeiten, forderte Italiens Premier Conte. Das Problem für Merkel: Die fünf Präsidenten der Institutionen sind eigentlich alle für Coronabonds. Es ist ganz ähnlich wie in der Eurokrise, wo sich die EU-Chefs bereits für Eurobonds ausgesprochen hatten. Damals drückte Merkel das weg. Diesmal war es nicht ganz so einfach. Um das Problem zu lösen, verfiel Merkel auf einen Trick. Nicht die eigentlich zuständigen EU-Institutionen, sondern die Eurogruppe soll nun einen Plan ausarbeiten. Dabei ist das nur ein informelles Gremium. Wie intransparent und unberechenbar die Eurogruppe arbeitet, hat zuletzt J. Varoufakis in seinen “Euroleaks” dokumentiert. Im Kreise der Euro-Finanzminister geht gegen Deutschland gar nichts. Das hat sich in der Eurokrise immer wieder gezeigt…“ Beitrag vom 27. März 2020 bei LostinEU externer Link
  • Italien und Spanien gegen Merkel-Deutschland
    „Es erinnert an die dunkelsten Stunden der Eurokrise: Ähnlich wie vor zehn Jahren konnten sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag nicht auf das weitere Vorgehen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik verständigen. Italien und Spanien standen gegen Kanzlerin Merkel – sie fordern mehr Solidarität. Der EU-Gipfel sollte nur zwei Stunden dauern – und zog sich dann vier weitere Stunden hin. Die 27 Chefs verhakten sich bei der Frage, ob es in der Coronakrise, die täglich hunderte Todesopfer fordert, mehr finanzielle Solidarität geben sollte. Für eine solche Solidarität – etwa in Gestalt von gemeinsamen Anleihen (“Coronabonds”) – hatten sich schon vor dem Gipfel neun Staaten ausgesprochen, darunter Frankreich, Italien und Spanien, aber auch Belgien und Luxemburg. Dagegen waren die üblichen Verdächtigen: Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich. Es war genau dasselbe Nord-Süd-Schisma wie in der Eurokrise – nur dass diesmal das südliche Lager größer und offensiver war und sich nicht abspeisen ließ. (…) Auch diesmal war es wieder Merkel, die die Solidarität verweigerte. Sie will allenfalls den Euro-Rettungsfonds ESM einsetzen, der von dem Deutschen K. Regling geleitet wird – und möglichst auch nur Kredite vergeben, die bisher stets mit strikten Konditionen verbunden waren. Einen Kompromiß haben Conte und Merkel am Donnerstag nicht gefunden. Damit der Gipfel nicht platzt, wurden die Euro-Finanzminister beauftragt, binnen zwei Wochen neue “Vorschläge” zur Unterstützung von Krisenländern auszuarbeiten. Damit wurde zwar Zeit gewonnen. Doch die Krise ist nicht gelöst – im Gegenteil: Jetzt stehen Italien und Spanien, die am stärksten von der Coronakrise betroffen sind und nun auch noch den Druck der Märkte fürchten, gegen Merkel–Deutschland…“ Meldung vom 26. März 2020 von und bei Lost in Europe externer Link
  • Isch over – Stabilitätspakt für den Euro ausgesetzt, nun sollte man ihn am besten gleich ganz abschaffen
    Er wurde 1997 auf deutschen Druck eingeführt und schon fünf Jahre später gebrochen – auch von Deutschland. Nun wird der Stabilitätspakt ausgemustert: Das Coronavirus hat ihn dahingerafft. Endlich mal eine gute Nachricht: Die EU hat den Stabilitätspakt für den Euro ausgesetzt. Damit fallen die strikten Budgetregeln, die Italien, Spanien, Griechenland und andere Krisenländer am Geldausgeben gehindert haben. Die Eurostaaten können sich nun unbegrenzt verschulden, bis das COVID-19 besiegt ist. Das “3,0 ist 3,0” eines Theo Waigel gilt nicht mehr, die Austeritätspolitik ist vorerst beendet. Doch rechte Freude will über diese Entscheidung nicht aufkommen. Schließlich kommt sie reichlich spät. Der „dumme deutsche Pakt“, wie ihn der frühere Kommissionspräsident Romano Prodi nannte, hätte schon zu Beginn der Corona-Krise ausgesetzt werden müssen. Und nun sollte man ihn am besten gleich ganz abschaffen. Denn für Stabilität haben die Regeln nie gesorgt. Griechenland kam in den Euro, obwohl es die Vorgaben von Anfang an brach. Spanien schlitterte in die Krise, obwohl es die Regeln befolgte. Das Problem war nicht die öffentliche Verschuldung, die die EU begrenzt, sondern die private Überschuldung – bei den Banken. Die Gefahr ging also nicht von den Staatsschulden aus, vor denen deutsche Ideologen immer warn(t)en…“ Kommentar vom 25. März 2020 bei Lost in Europe externer Link, siehe auch:

    • Die schwarze Null wankt, der Stabilitätspakt auch
      „Die Corona-Krise macht’s möglich: Die EU–Kommission hat vorgeschlagen, den Stabilitätspakt auszusetzen. Damit würden die strikten Defizitregeln ausgehebelt, die Euroländer könnten sich unbegrenzt neu verschulden. Macht Merkel das mit? (…) Schon zu Beginn der Pandemie hatte die Kommission die ungeliebten Regeln gelockert. Nun will sie sie ganz aufheben. „Wir aktivieren die allgemeine Ausweichklausel”, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. “Der Schritt bedeutet, dass nationale Regierungen so viel Liquidität wie nötig in die Wirtschaft pumpen können”. Von der Leyen schloss angesichts der dramatischen Lage auch nicht aus, eine Variante der umstrittenen Eurobonds einzuführen. “Wir gucken alle Instrumente an”, sagte sie. “Und das, was hilft, wird eingesetzt.” Das gelte auch für sogenannte Corona-Bonds. “Wenn sie helfen, wenn sie richtig strukturiert sind, werden sie eingesetzt.“ Die Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen hätte den Vorteil, dass sich damit alle EU-Länder zu denselben, günstigen Bedingungen finanzieren könnten. Demgegenüber gelten für Staatsanleihen ganz unterschiedliche Bedingungen. So muß Italien deutlich mehr für neue Kredite zahlen als Deutschland, das sogar noch mit Negativzinsen belohnt wird. (…) Die Finanzminister haben den Stabipakt tatsächlich ausgesetzt. Doch Coronabonds soll es nicht geben, erklärte Wirtschaftsminister Altmaier – das sei eine “Gespensterdebatte”. Wenn es dabei bleibt, kann Deutschland wesentlich massiver gegensteuern als das schwer gebeutelte Italien…“ Meldung vom 23. März 2020 bei Lost in Europe externer Link
  • Vier Vorschläge für eine europäische Corona-Wirtschaft
    „… Die Coronakrise bedroht die Existenzgrundlage von Millionen von Menschen, doch sich ins nationale Heim zu verkriechen, würde die Situation nur verschlimmern. Es braucht eine gemeinsame europäische Antwort. Einige Instrumente dafür sind schon da und müssen nur angepasst werden, andere müssen etabliert werden, wie in einem Statement von Volt Europa (Englisch) beschrieben. Meine Vorschläge hier basieren auf diesem Statement, gehen aber teilweise darüber hinaus. Erstens: Kein Land sollte seine Grenzen schließen oder exzessive Kontrollen durchführen. Grenzschließungen sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht sinnvoll, da das Virus schon längst in allen Ländern ist und sich dort verbreiten kann. Im Gegenteil schaden Grenzschließungen und -kontrollen der gesamten europäischen Wirtschaft, da Waren- und Pendlerverkehr eingeschränkt wird. (…) Zweitens: Mit Hilfe des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der in der letzten Finanzkrise die Finanzwirtschaft gestützt hat, sollte dieses Mal die Gesundheitswirtschaft gestützt werden. (…) Drittens: Die EU sollte Krisenanleihen herausgeben, also sich gemeinschaftlich verschulden. Dadurch verfügt die Union über Finanzmittel, mit denen sie von Corona besonders betroffenen Volkswirtschaften – wie Italien und vielleicht demnächst auch Deutschland – helfen kann. (…) Viertens: Es sollte über die Etablierung einer Krisenwirtschaft nachgedacht werden, die die wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Bekämpfung des Virus umlenkt. Sofern möglich sollten mehr Unternehmen ihre Produktion darauf umstellen, medizinische Güter wie Atemschutzmasken oder Beatmungsgeräte herzustellen – eine staatliche Koordination auf lokaler und auf EU-Ebene wäre dabei sicher hilfreich. (…) Nicht Abschottung und Egoismus werden uns aus dieser Krise führen, sondern Kooperation, Solidarität – und Mut.“ Vorschläge von Steffen Daniel Meyer vom 23. März 2020 bei Lost in Europe externer Link
  • Unvorbereitet für die Covid-19-Rezession
    „Wenn ein europäisches Gremium unfähig ist, um Wirtschaftskrisen zu bewältigen, dann ist es die Gruppe der Euro-Finanzminister. So wie sie in der Euro-Krise versagt haben, werden sie auch in der Covid-19-Krise mit heroischen Ankündigungen reagieren, die jedoch lediglich verschleiern, wie unzureichend sie wirklich handeln. (…) Den ersten Hinweis darauf bietet die jüngste Ankündigung eines deutschen Finanzhilfepakets für den privaten Sektor. Während es in den internationalen Medien als 550-Milliarden-Euro-Panzerfaust bezeichnet wird, können wir bei näherem Hinsehen nicht mehr als eine Wasserpistole erkennen. Mit seinen Steuerstundungen und hohen Kreditlinien enthüllt das deutsche Paket ein ernsthaftes Missverständnis über die Art der Krise. Es ist dasselbe Missverständnis, dass vor zehn Jahren zur Eskalation der Eurokrise führte. Damals wie heute standen und stehen die Unternehmen und Haushalte nicht vor der Illiquidität, sondern vor der Insolvenz. Um die Krise aufzuhalten, müssten die Regierungen „alles in einen Topf werfen“ und eine gewaltige Haushaltsexpansion in die Wege leiten. Aber genau dies soll das deutsche Paket vermeiden. (…) Bald werden die „Südländer“ dann ihre Bemühungen aufgeben und mit ihrem Stillschweigen ein weiteres fiskal bedeutungsloses Eurogruppen-Paket auf den Weg bringen, das dann von der kommenden Rezession überrollt wird. (…) Bei diesen Eurogruppentreffen wurde systematisch jede rationale Debatte über eine angemessene Haushaltspolitik verhindert. Und genau so wird es dieses Mal wieder sein. Das ist der Grund, warum die Eurogruppe daran scheitern wird, eine effektive fiskale Abwehr des Corona-Schocks zu leisten…“ Beitrag von Yanis Varoufakis vom 19. März 2020 bei der DGB-Gegenblende externer Link (aus dem Englischen von Harald Eckhoff). Siehe die Details zu seiner Einschätzung:

    • Die Eurogruppe wird ihrer Verantwortung für Europa ein weiteres Mal nicht gerecht. Wappnet euch für eine grauenhafte Rezession
      „… Wie jeder weiß, stecken die Regierungen der Eurozone in der Zwangsjacke des so genannten Fiskalpaktes, der nahezu keinen Spielraum für konjunkturpolitische Ausgaben zulässt. Dieser Fiskalpakt enthält jedoch eine Klausel, die im Notfall aktiviert werden kann und die die Regierungen vorübergehend entbindet und es ihnen erlaubt, bei einer unerwarteten Krise Mittel bereitzustellen. Vor dem gestrigen Treffen erwartete fast jeder, dass die Eurogruppe die Aktivierung dieser Klausel ankündigen würde. SIE HABEN ES NICHT GETAN! Was sie stattdessen verkündeten, waren zwei Dinge: Erstens, eine Unzahl von Krediten für den privaten Sektor. Zweitens verwiesen sie auf die Inanspruchnahme der so genannten automatischen Stabilisatoren und auch auf nicht näher spezifizierte Maßnahmen in Höhe von 1% des BIP. (…) Was die Unternehmen jetzt brauchen, ist entweder die Regierung als Käufer der letzten Instanz oder einen Erlass ihrer Verbindlichkeiten – keine neuen Kredite. (…) Die Regierung, die das Darlehen erhält, muss eine MoU-Verpflichtung (Memorandum of Understanding) unterzeichnen (wie Griechenland 2010), die massive zukünftige Sparmaßnahmen beinhaltet und somit den betreffenden Staat noch mehr zum Vasallen Brüssels macht. Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass die italienische Regierung mit der Unterzeichnung einer solchen MoU-Verpflichtung ihr eigenes Todesurteil unterschreibt? (…) Das einzige Konkrete, das sie erwähnen, sind Steuerstundungen (…) Selbst wenn die Abschottung endet und man zum “Business-as-almost-usual” zurückkehrt, werden die Europäer nicht genug verdienen, um die aufgeschobenen Steuern plus die neuen zu bezahlen. (…) Kurzum, die Europäer hätten einen Steuer-Erlass nötig. Stattdessen bekommen sie einen Zahlungsaufschub, eine Art staatliches Darlehen, mit dem sie ihre Steuern später zurückzahlen können. (…) Das Mindeste, was die Eurogruppe dem Europäischen Rat hätte empfehlen sollen, ist, dass die Europäische Investitionsbank grünes Licht für die Emission von EIB-Anleihen im Wert von 600 Milliarden Euro erhält, mit der Auflage, dass die Europäische Zentralbank im Rahmen ihres laufenden und kürzlich verstärkten Programms zur quantitativen Lockerung den Wert dieser Anleihen auf den Anleihemärkten unterstützt. Diese 600 Milliarden Euro sollten direkt zur Unterstützung des nationalen Gesundheitswesens ausgegeben werden und auch in Wirtschaftssektoren investiert werden, die von der Abschottung stark betroffen sind – und gleichzeitig sollte unsere Wirtschaft auf umweltfreundlichere Formen des Transports, der Energieerzeugung usw. umgestellt werden. Außerdem sollte der Fiskalpakt sofort außer Kraft gesetzt werden, und die Regierungen sollten einen Steuerabschlag für kleine und mittlere Unternehmen, Haushalte usw. vornehmen. Dies würde wahrscheinlich ausreichen, die Rezession zwar nicht abzuwenden, aber doch auf etwa minus 1 bis minus 2 Prozent des BIP zu begrenzen. Um sie vollständig abzuwenden, hätte die Eurogruppe beschließen sollen, Hongkong nachzuahmen und die Europäische Zentralbank aufzufordern, einen Notfallfonds einzurichten, aus dem jeder europäische Haushalt zwischen 1000 und 2000 Euro erhält. (…).Das gemeinsame Kommuniqué der Eurogruppe verwies auf die “vollständige Nutzung der automatischen Stabilisatoren”. (…) Sie sagen: Macht euch keine Sorgen, Leute. Es stimmt zwar, dass wir, die Finanzminister, fast nichts tun, um die Katastrophe abzuwenden, aber wenn die Katastrophe kommt, werden eure Arbeitsplatzverluste und eure Armut einen automatischen Mechanismus auslösen, der den Niedergang der Wirtschaft aufhalten wird. Das ist ein wenig so, wie Pestopfer mit dem Gedanken zu trösten, dass ihr Tod durch die Verringerung des Arbeitskräfteangebots die künftigen Löhne und Gehälter in die Höhe treibt …“ Artikel von Yanis Varoufakis vom 18. März 2020 bei DiEM25 externer Link (mit Link zu #EUROLEAKS von Varoufakis in Englisch)
  • Die Solidarität der EU (II): Experten rechnen mit schweren Erschütterungen der EU in der Coronakrise. Zentrifugale Kräfte werden schon jetzt stärker
    „Experten rechnen mit ernsten Erschütterungen der EU durch die Coronakrise und spekulieren über einen möglichen Zerfall der Union. Die schweren menschlichen Kosten der Pandemie und das Gefühl, „dass die europäischen Institutionen nicht helfen“, könnten gerade in den am härtesten betroffenen Ländern wie Italien und Spanien, die zugleich in hohem Maß verschuldet seien, zentrifugale Tendenzen hervorbringen, urteilt ein US-Experte. Bereits jetzt steigen die Spannungen etwa zwischen Deutschland auf der einen und Frankreich und Italien auf der anderen Seite, nachdem Berlin im Alleingang die deutschen Außengrenzen geschlossen und damit das Schengener Abkommen ausgehebelt hat. Während der Élysée-Palast „die unilateralen Maßnahmen an den Grenzen“ verärgert moniert, heißt es in der EU-freundlichen italienischen Tageszeitung La Repubblica, Berlin sei, anstatt sich „mit den Partnern“ detailliert abzustimmen, in einer der schwersten Krisen der Union einer „nationalen Logik“ gefolgt. Faktisch habe damit das Covid-19-Virus die letzten „Illusionen“ über die EU „hinweggefegt“. (…) Rückendeckung erhält Berlin in Sachen Grenzschließung durch die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen. Die Kommission spricht sich zwar pflichtgemäß prinzipiell gegen Grenzschließungen aus, da diese dem Schengener Abkommen zuwiderlaufen. Doch wird etwa von der Leyens Sprecher Eric Mamer mit der Aussage zitiert, Brüssel müsse in der Praxis wählen, ob es die Grenzschließungen anprangere oder doch lieber für die Verbesserung der Lage kämpfe – und vor diese Wahl gestellt, entscheide sich die Kommissionspräsidentin für die zweite Option.[7] Entsprechend heißt es in Leitlinien, die jetzt in Brüssel abgefasst wurden, in einer „außerordentlich kritischen Lage“ seien Grenzkontrollen zulässig. (…) Zu den politischen Spannungen um die deutschen Grenzschließungen kommen die ökonomischen hinzu, die die Union spätestens seit der großen Krise der Jahre 2007 und 2008 begleiten und die nach wie vor ungelöst sind. Daran hat jetzt ein Experte des American Enterprise Institute aus Washington erinnert. (…)“Die Anführer der EU“ stünden vor der Wahl, „entweder mutig der Peripherie zu helfen, oder die Peripherie wird sich so helfen, wie sie kann – auch wenn das bedeutet, dass sich die Eurozone und die EU auflösen“…“ Bericht vom 18. März 2020 von und bei German-Foreign-Policy externer Link
  • Die Solidarität der EU: Wegen des Ausbleibens von Unterstützung aus Brüssel und Berlin bitten mehrere Staaten Europas Beijing um Hilfe im Kampf gegen Covid-19
    „Nach dem Ausbleiben von Unterstützung sowie nach Exportverboten für medizinische Schutzausrüstung seitens Deutschlands und der EU bitten mehrere europäische Staaten China um Hilfe im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie. Hatte vergangene Woche Italien erste Hilfslieferungen aus der Volksrepublik erhalten, weil Deutschland die Ausfuhr wichtiger Schutzkleidung nicht erlaubt, so hat sich am Sonntag nun auch Serbien mit der Bitte um Hilfe an Beijing gewandt. Vorausgegangen war der Beschluss der EU, das deutsche Exportverbot umgehend für sämtliche Mitgliedstaaten verpflichtend zu machen und die Ausfuhr wichtiger Güter zur Covid-19-Bekämpfung allenfalls noch in Ausnahmefällen zu gestatten. Serbien hat drastische Maßnahmen eingeleitet, um die Pandemie zu stoppen – ein Versuch, der in China gelungen ist, den Deutschland jedoch unterlässt; hierzulande heißt es nur noch, man wolle die Virus-Ausbreitung „verlangsamen“. Die Coronakrise verstärkt neben den Rissen in der EU auch die transatlantischen Spannungen: Die Trump-Administration hat einen aussichtsreichen deutschen Impfstoffhersteller zu übernehmen versucht…“ Bericht vom 17. März 2020 von und bei German-Foreign-Policy externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164723
nach oben