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Sozialer Frauenkongress in Poznań: Feminismus sozial – Für höhere Löhne und niedrigere Mieten

[Buch] Umkämpftes Wohnen – Neue Solidarität in den StädtenUnter dem Slogan „Für höhere Löhne und niedrigere Mieten“ fand am 3. März 2018 im Theater des Achten Tages in Poznań der erste „Soziale Frauenkongress“ statt. Er wurde organisiert von der polnischen Basisgewerkschaft „Arbeiter*innen-Initiative“, dem „Warschauer Mieter*innen-Verein“ und dem „Wielkopolska Mieter*innen-Verein“. Bei dem Kongress wurden Frauen zusammengebracht, die entweder in der Basisgewerkschaft oder der Mieter*innen-Bewegung aktiv sind. Der Austausch über ihre Probleme und Kämpfe am Arbeitsplatz oder Wohnort ermöglicht die Erarbeitung neuer Strategien für soziale Bewegungen. Feminismus sozial! Zu den etwa 120 Teilnehmer*innen gehörten Arbeiter*innen der Kinderkrippen aus Poznań, kultureller Einrichtungen, Vertreter*innen von kommunalen Einrichtungen, als auch IP-Gewerkschafter*innen u.a. von Amazon und Volkswagen und Aktivist*innen der Mieter*innen-Vereine. Sie teilten ihre Erfahrungen über den täglichen Kampf an Arbeitsplatz und Wohnort, um voneinander zu lernen…“ Beitrag von Monika Kupczyk aus dem Buch „Umkämpftes Wohnen – Neue Solidarität in den Städten“ – wir danken der Autorin, Edition Assemblage sowie den Herausgebern Peter Nowak und Matthias Coers!

Feminismus sozial – Für höhere Löhne und niedrigere Mieten

Sozialer Frauenkongress in Poznań, Monika Kupczyk

Unter dem Slogan „Für höhere Löhne und niedrigere Mieten“ fand am 3. März 2018 im Theater des Achten Tages in Poznań der erste „Soziale Frauenkongress“ statt. Er wurde organisiert von der polnischen Basisgewerkschaft „Arbeiter*innen-Initiative“, dem „Warschauer Mieter*innen-Verein“ und dem „Wielkopolska Mieter*innen-Verein“. Bei dem Kongress wurden Frauen zusammengebracht, die entweder in der Basisgewerkschaft oder der Mieter*innen-Bewegung aktiv sind. Der Austausch über ihre Probleme und Kämpfe am Arbeitsplatz oder Wohnort ermöglicht die Erarbeitung neuer Strategien für soziale Bewegungen.

Feminismus sozial!

Zu den etwa 120 Teilnehmer*innen gehörten Arbeiter*innen der Kinderkrippen aus Poznań, kultureller Einrichtungen, Vertreter*innen von kommunalen Einrichtungen, als auch IP-Gewerkschafter*innen u.a. von Amazon und Volkswagen und Aktivist*innen der Mieter*innen-Vereine. Sie teilten ihre Erfahrungen über den täglichen Kampf an Arbeitsplatz und Wohnort, um voneinander zu lernen. „Dieser Kampf ist oft eine direkte Antwort auf die frauenfeindliche Politik der lokalen Regierung. Die aktuellen Versuche der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes betrachten wir als Ergänzung dieser frauenfeindlichen Politik, aber diesmal auf zentraler Ebene. Deshalb gehen wir auch auf die Straße, weil wir Teil einer größeren Frauenbewegung sind“, schreiben die Teilnehmer*innen des Kongresses. Sie haben sich am 23. März 2018 am sogenannten „Schwarzen Freitag“ an den Protesten gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes beteiligt. In Warschau gingen dazu rund 55.000 Menschen auf die Straße.

Der Soziale Frauenkongress war der erste derartige in Polen. Die Idee, einen Kongress für gewöhnliche Frauen zu organisieren, kam anlässlich des Arbeitskampfes der Arbeiter*innen der Kinderkrippen in Poznań auf. Nachdem sie die lokalen Behörden um eine Gehaltserhöhung gebeten hatten, erfuhren sie, dass ihre Löhne bis 2033 eingefroren seien. Die Arbeiter*innen konnten die Absage nicht ernst nehmen, da es für sie wie ein Irrtum aussah. Seit 2011 sind sie bei der Basisgewerkschaft IP organisiert und haben u.a. Lohnerhöhungen für das gesamte Personal der Kinderkrippen – nicht nur für die Erzieher*innen – erkämpft. Allerdings ist ihr Forderungskatalog noch umfassender. Ihre Geschichte zeigt die Notwendigkeit, sich zu organisieren, damit Forderungen, Probleme und sie selbst als Ansprechpartner*innen ernst genommen werden. Die Lebens- und Arbeitsrealität der Erzieher*innen sind keine Einzelfälle, sondern weisen darauf hin, dass alltägliche Probleme und Rechte von Frauen oft übersehen werden. Der Kongress ist daher ein Versuch, die Situation in der Stadt zu analysieren. Ein Ziel ist es, in ihren Gemeinschaften kleinere Gruppen zu bilden, die sich gegenseitig unterstützen. Die Tatsache, dass Gewerkschaften kämpfen, sei nicht genug.

Im Gegensatz dazu bietet der von Politiker*innen und Vertreter*innen von Arbeitgeber*innen-Organisationen veranstaltete liberale „Frauenkongress“ keine Identifikation für die Arbeiter*innen und Mieter*innen. Sie seien nur durch die Tatsache verbunden, dass sie Frauen sind. „Tatsächlich trennt uns mehr, als uns verbindet. Unser Leben ist durch materielle und soziale Bedingungen definiert. Abgesehen davon, dass wir eine Gebärmutter haben, ist unser Leben verschieden“, sagte eine Aktivistin. Um sich zu organisieren und für sich selbst zu kämpfen, haben sie den Sozialen Frauenkongress organisiert. Es gehe ihnen auch darum, sich zu befähigen und eine Liste von Forderungen zu erstellen, aber vor allem, Frauen dazu zu bringen, sich und ihre Lebensrealität zu zeigen. Sie fordern „Feminismus sozial, nicht liberal!“

Niedrige Löhne und Überlastung

Auf dem Kongress wurden Themen wie Arbeitsbelastung, niedrige Löhne, eingeschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung und die Angst vor einer instabilen Zukunft besprochen. Es wurden Forderungen erarbeitet, die Teil der öffentlichen Diskussion werden sollen. Anstelle der geplanten zehn Punkte wurden angesichts vieler Probleme und Bedürfnisse zwanzig soziale Forderungen von Frauen veröffentlicht.

Während des Kongresses wurden vor allem Lohnerhöhungen gefordert. Nicht nur für die Arbeiter*innen in Kinderkrippen und anderen staatlich und städtisch finanzierten Einrichtungen ist der reguläre Arbeitslohn nicht ausreichend. Dies zwingt zu Mehrarbeit entweder bei demselben Arbeitgeber, nicht selten in einem anderen Verantwortungsbereich, oder dazu, einen Zweitjob anzunehmen. Die Zweit- oder Minijobs werden dann am Wochenende oder während des Urlaubs ausgeübt. Diese Überlastung verursacht Gesundheitsschäden, wie Verletzungen durch Arbeitsunfälle bis hin zu chronischen Berufskrankheiten. Deshalb fordern z. B. die Arbeiter*innen der Kinderkrippen in Poznań Lohnerhöhungen, die Hand in Hand mit der Steigerung der Ausgaben für städtische Kindergärten gehen sollen, um auch eine optimale Betreuung für die Kinder zu gewährleisten. Dies bedeutet z. B. eine Verringerung der Kinderzahl in den Gruppen durch mehr Personal.
Um die Sicherheit des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten und um Spaltungen unter der Belegschaft zu vermeiden, werden feste Arbeitsverträge gefordert. Durch Agenturverträge mit kurzer Laufzeit von zwei Wochen bis zu einen Monat werden die Geschäftsrisiken auf die Arbeiter*innen abgewälzt. So schwingt immer die Drohung mit, die Arbeit zu verlieren oder keine Vertragsverlängerung zu erhalten, wenn sie aufgrund einer Krankheit oder eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig werden. Dies führt zu Unsicherheit der Beschäftigung und zu Selbstausbeutung, indem immer weitergearbeitet wird, auch trotz und während der Krankheit, nur um den Arbeitsvertrag mit der Agentur zu verlängern.

Es wird die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden ohne Senkung des Lohns gefordert. Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in Polen ist eine der längsten in Europa und beträgt ca. 500 Stunden mehr als in Deutschland. Es bedeutet, dass die Arbeiter*innen doppelt belastet sind, da sie neben der beruflichen Beschäftigung, die faktisch mehr als 40 Wochenstunden beträgt, noch die Hausarbeit erledigen müssen. Es braucht mehr Freizeit, wodurch die eigenen Bedürfnisse verwirklicht und sinnvolle Erholung gesichert werden kann. Im Fall der Arbeiter*innen der städtischen Kindergärten und -krippen, wie auch bei den anderen Beschäftigten im Pflegebereich soll die Arbeitszeit auf 25 Stunden pro Woche gekürzt werden.

Des Weiteren soll die Arbeitszeitorganisation, z. B. Arbeitszeitpläne, Absprache von Änderungen oder Pausenzeiten, entsprechend den Bedürfnissen der Arbeiter*innen angepasst werden. So heißt es „Nachtarbeit, erzwungene Überstunden […] zerstören unsere körperliche und geistige Gesundheit. Insbesondere bei Nachtarbeit verlangen wir […] die Möglichkeit, die Dauer zu begrenzen […] und die Arbeitszeiten mindestens drei Monate im Voraus zu planen.“ Vor allem die ständig wechselnden Arbeitszeiten bei der Schichtarbeit im 24-Stunden-Betriebsablauf bedeuten eine große Belastung für Eltern und Familienangehörige, die sich um Kinder, Ältere oder Menschen mit Behinderung kümmern. Die gesetzlich regulierten Pausen, die der Erholung dienen, sollen nicht für zusätzliche betriebliche Abläufe benutzt werden. Auch klagen die Amazon-Arbeiter*innen über die faktische Kürzung der Pausen durch die langen Laufwege zum Pausenraum.

Betriebe wie Amazon siedeln sich in strukturschwachen Gebieten an und haben dabei ein großes Einzugsgebiet für billige Arbeitskräfte. Sie funktionieren nur durch Einstellung der Arbeiter*innen, die nicht in der unmittelbaren Umgebung leben. Der mit dem Weg zur Arbeitsstelle verbundene Aufwand wird aber nicht als Arbeit gewertet. Viele müssen täglich weite Strecken pendeln, teilweise 80–100 km pro Strecke, und fordern, die Fahrt zum Arbeitsplatz als Arbeitszeit zu berechnen. Den Amazon-Arbeiter*innen, die sich bei einem Stundenlohn von maximal 18 PLN / 4,50€ eine lange Anfahrt mit ÖPNV zur Arbeit nicht leisten können, werden Busse zum Transport in die Lagerhäuser zur Verfügung gestellt. Jedoch unterliegen sie häufig Kontrollen und Vorschriften, so sind Mahlzeiten und Getränke untersagt. „Die Anreise ist […] eine Zeitverschwendung und dient nur den Bedürfnissen von Unternehmen […]. Als Konsequenz geben wir unseren Chef*innen jede Woche ein paar Stunden unseres Lebens gratis […]“ , kritisieren die Kongressteilnehmer*innen.

Außerdem sollte es den Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmer*innen-Vertretungen ermöglicht werden, die andauernde Arbeitsbelastung zu kontrollieren, damit die Arbeitssicherheit gewährleistet wird. Branchenübergreifend besteht Einigkeit, dass die Arbeitsnormen hochgeschraubt wurden und dadurch unrealistisch zu erfüllen sind – sei es am Laufband oder in der Kita. Egal, ob es um die Amazon-Arbeiter*in oder die Erzieher*in geht, die physischen Kapazitäten der Mitarbeiter*innen werden überstrapaziert. „Die Arbeitsproduktivitätsstandards müssen die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer*innen, insbesondere Älterer oder Menschen mit Behinderung, berücksichtigen.“ Ebenso stark wird gegen Entlassungen aufgrund der Nicht-Erfüllung von Arbeitsnormen u.a. bei Amazon protestiert.

Nicht nur Frauensache

Die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit führt dazu, dass alle Arbeiter*innen von Altersarmut bedroht sind. Die niedrigen Renten zwingen auch Senior*innen, weiter zu arbeiten. Dieses Problem betrifft vor allem alleinstehende Menschen, insbesondere Frauen, die während ihres Arbeitslebens in der Regel weniger gut bezahlt wurden. „Niedrige Renten machen es unmöglich, die Miete zu bezahlen oder notwendige Medikamente zu kaufen, was ältere Menschen auf lange Sicht zur Zwangsräumung oder zu frühem Tod verurteilt.“ Durch eine allgemeine Rente auf dem Mindestlohnniveau soll diese Entwicklung gestoppt werden.

Des Weiteren soll auch eine allgemeine Krankenversicherung für alle Personen mit Wohnsitz in Polen angestrebt werden. Zurzeit dürfen nur Personen, die fest angestellt sind, das Sozialversicherungssystem nutzen. Diejenigen, die „Müllverträge“ haben, oder „[…] Personen, die nicht arbeitslos gemeldet sind, müssen ein Vermögen für private medizinische Versorgung und Medikamente bezahlen.“ Diese Bedingungen zusammen mit einem niedrigen Einkommen zwingen die Menschen, immer mehr und härter zu arbeiten. Die fehlenden finanziellen Mittel für medizinische und ärztliche Behandlung und Prophylaxe können insbesondere bei älteren Menschen zu einer Verschlechterung ihrer Gesundheit führen. Von daher wird ein allgemeiner uneingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung gefordert, denn die „[…] Kosten, die durch die Zerstörung von Gesundheit durch Arbeit entstehen, sollten vom Staat und von Unternehmern getragen werden, nicht von Arbeiter*innen, die oft gezwungen sind, sich selbst und ihre Verwandten mit Hausmitteln zu behandeln.“

In der Familie, auf dem Arbeitsmarkt oder im öffentlichen Raum werden Frauen und ihre Arbeit als weniger wert angesehen. Im Privaten sollen sie eine traditionelle, ihrem Geschlecht zugeschriebene Rolle einnehmen und als Mütter und Hausfrauen die Fürsorge-, Haushalts- und Erziehungsarbeit kostenlos verrichten. Diese geringe Wertschätzung spiegelt sich auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt wider. Die Carearbeiter*innen werden unterbezahlt, befristet, ausgebeutet, stigmatisiert, illegalisiert. Sie sind häufiger prekären Arbeitsbedingungen ausgesetzt und öfters von Arbeitslosigkeit und (Alters-)Armut bedroht. In diesem Kontext wird nicht nur von der „Feminisierung der Armut“ gesprochen, da alle in gleichem Maß von Armut betroffen sind oder sein können. Viele Jahre der Unterfinanzierung und Kürzungen der öffentlichen Ausgaben trafen jedoch Frauen direkt. Die Unterentwicklung von Einrichtungen der öffentlichen Fürsorge, z. B. für Kinder und ältere Menschen, bedeutet, dass kostenlose oder schlecht bezahlte Arbeit von Frauen diese Lücken füllt. In der Praxis kümmern sich zum Beispiel ältere Frauen während der Arbeit ihrer erwachsenen Kinder um die Enkelkinder. Um die arbeitenden Mütter zu unterstützen wird nicht nur die Erhöhung der Anzahl von Plätzen in Kinderkrippen und Kindergärten, sondern auch die Senkung der Gebühren gefordert.

Die vorangetriebene (Re-)Privatisierung

Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurden auch Forderungen in Bezug auf die städtische Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten gestellt. Um der Verschärfung auf dem Wohnungsmarkt entgegenzuwirken, soll neben dem sozialen Wohnungsbau das Mietrecht reformiert werden. Die Struktur des Wohnungsbaus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten schrittweise verändert und der Immobilienmarkt wird von Privatanbietern dominiert. Eine Entwicklung, die u.a. durch die Reprivatisierung kommunaler Wohnungsbestände vorangetrieben wird. Ein Oligopol der Bau- und Immobilienfirmen, der sogenannten Developers, die den Markt aufgeteilt haben, führt zu überhöhten Mietpreisen.

Die Developers stellen heutzutage 60–65% der Gesamtwohnungen zur Verfügung während es 1995 nur 6,3% waren. Die Nachfrage nach Sozialwohnungen kann von den Gemeinden nur zu 1 bis 2% erfüllt werden. Der Zusammenbruch des sozialen Wohnungsbaus begünstigt Großinvestoren, Baufirmen und Banken, die den privaten Sektor finanzieren. „Um einer solchen Situation entgegenzuwirken, ist es daher notwendig, den Immobilienmarkt zu diversifizieren und städtische Wohnressourcen zu erschließen. Die Entwicklung von sozialem Wohnungsbau soll als Alternative zum kommerziellen Wohnraum und nicht als Form der Hilfe betrachtet werden.“

Vor allem in Warschau, das nach dem zweiten Weltkrieg mit Hilfe von öffentlichen Mitteln und der freien Arbeit der Bürger*innen wiederaufgebaut wurde, wurden Vermögenswerte aus der Vorkriegszeit in private Hände gegeben, einschließlich des städtischen Wohnungsbestandes. „Wie damals, als ‚die ganze Nation die Hauptstadt wieder aufgebaut hat‘, bezahlen wir nun für das Vermögen der neuen Eigentümer reprivatisierter Immobilien“, schreiben die Kongressteilnehmer*innen.

Es heißt, neben der Reprivatisierung Tausender Häuser würden die Behörden Dutzende Milliarden Zloty für die finanzielle Entschädigung der Vorkriegsbesitzer zur Verfügung stellen. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel würden durch die Hauptstadtregierung dem Haushaltsbudget durch die Einführung antisozialer Reformen entnommen: durch Privatisierung der Schulkantinen und des Fernwärmesystems; durch Erhöhung der Mieten kommunaler Wohnungen und der Fahrpreise öffentlicher Verkehrsmittel. „Aus diesem Grund scheint die Reprivatisierung der größte Raub in der Warschauer Nachkriegsgeschichte zu sein.“

Die Behörden sollten also die Verantwortung für soziale Schäden, die sich aus dem Reprivatisierungsprozess ergeben, nicht nur übernehmen, sondern das entstandene Unrecht wiedergutmachen. Dies sollte u.a. durch die Überprüfung aller Eigentumserwerbungen, Wiederherstellung des städtischen Eigentums, Rücknahme der Privatisierungen und Stärkung des öffentlichen Dienstes sowie durch Wiederaufbau und Erweiterung des städtischen Wohnungsbestandes erreicht werden.

„Wohnung ist ein Recht, keine Ware“

Neben mehr bezahlbaren Wohnungen wird auch eine Anpassung des Einkommenskriteriums bei der Gewährung von kommunalem und sozialem Wohnraum gefordert. Die Kongressteilnehmer*innen berichteten, dass die Behörden die Verpflichtung zur Bereitstellung einer angemessenen Anzahl von kommunalen und sozialen Wohnungen umgehen, indem sie selbst Kriterien für die Wohnungszuteilung definieren, um so die Berücksichtigung der Anträge eines großen Teils der Bedürftigen zu begrenzen. Das bislang angewandte Einkommenskriterium schließt Personen aus, die wiederum zu wenig verdienen, um eine Wohnung auf dem freien Markt zu mieten. „Wir sind ‚zu reich‘ für die soziale Wohnungen und zu arm, um die kommerziellen Wohnungen zu mieten“, hat eine der Teilnehmer*innen mit einem bitteren Lächeln quittiert.

Daneben gibt es weitere Faktoren. Da der städtische Wohnungsbestand zu gering ist, können die Bewohner*innen das Recht auf soziales Wohnen nicht nutzen. Teilweise zahlt die Kommune Ausgleichszahlungen an private Eigentümer, wenn die Bewohner*innen die hohen Mieten nicht tragen können. Diese Kosten werden aber den Mieter*innen in Rechnung gestellt. Die geraten in eine Schuldenfalle und bezahlen so selbst für den Mangel an Sozialwohnungen. Die Lage ist somit hoffnungslos, denn die Wartezeit auf eine vom Gericht zugeschriebene Sozialwohnung beträgt oft über zehn Jahre.

Außerdem gibt es weitere Kostenfallen. Viele von der Kommune verwaltete Gebäude sind nicht an das Zentralheizungssystem angeschlossen und es muss durch teuren Strom geheizt werden. Beispielsweise sind fast 70% der von der Kommune verwalteten Gebäude in Warschau nur elektrisch heizbar. Die somit unverhältnismäßig hohen Heizkosten führen zur Verschuldung und im Endeffekt zur Räumung von Mieter*innen. „Für die Nachlässigkeit der Stadtbehörden in Bezug auf den Zugang zu billiger Energie zahlen Mieter*innen, während die Beamten ihre Köpfe in den Sand stecken“. Es wird die Einführung einer echten Regulierung der Energiepreise und Aufhebung der Mietschulden gefordert. Die Mieter*innen, die drastische Heizkosten haben, sollten durch den Wegfall der Mietzahlung entlastet werden.

Durch die genannten Entwicklungen kommt es zu Zwangsräumungen. Die Mieter*innen werden in sogenannte temporäre Unterkünfte einquartiert, wie z. B. Arbeiter*innen-Hotels, die von den Stadtbehörden meistens nur für einen Monat bezahlt werden. Nach dieser kurzen Zeit landen die Menschen in Obdachlosenunterkünften ohne weitere Perspektive. Obdachlosenunterkünfte sind eigentlich ein Schutz in Krisensituationen und sie sollen unter keinen Umständen die Funktion eines Ersatz- oder Sozialwohnens übernehmen. Gefordert wird deshalb „[…] die Einführung eines totalen Räumungsverbots in die sogenannten temporären Unterkünfte, die eigentlich nur eine Tarnung für die Räumung auf den Gehsteig darstellen.“

Den Kommunen soll es untersagt werden, minderwertige Wohnungen in Form von Baracken, Containern oder Sperrholzhäusern zu bauen und sie als Sozialwohnungen und temporäre Räumlichkeiten zu nutzen. In Polen wohnen ungefähr 5,5 Millionen Menschen unter prekären Bedingungen. Das Statistische Zentralamt erklärte im Jahr 2012 wiederum, dass der Durchschnittslohn Polens den Erwerb von rund einem halben Quadratmeter Wohnraum zulässt und damit die Hälfte dessen wie noch zehn Jahre zuvor. Tausende Menschen warten auf die Zuteilung sozialer Räumlichkeiten, während die öffentliche Hand zunehmend Wohnungsformen realisiert, die oft gegen die Bestimmungen des Baugesetzes verstoßen. Dazu werden diese „Baracken” in abgesonderten Stadtrandgebieten gebaut und tragen zur sozialen Segregation und Entstehung sog. „sozialer Ghettos der Armut“ bei, die wiederum als Schreckgespenst gegen „schwierige Mieter*innen“ benutzt werden – berichten die Kongressteilnehmer*innen.

„Nur eine aktive Selbstverwaltungspolitik, die auf der Umsetzung von sozialen und kommunalen Wohnungsbauprogrammen basiert, ist in der Lage, angemessenen Wohnraum zu bieten, die Entvölkerung von Städten und soziale Ungleichheiten zu verringern.“ Eine der bei der Vergabe von Wohnungen benachteiligten Gruppen sind die Roma-Migrant*innen, die seit 2013 in ihrem Kampf vom Wielkopolska Mieter*innen-Verein unterstützt werden. Aufgrund der schlechten finanziellen Situation sind sie gezwungen, in verlassenen Schrebergartenhäuschen zu wohnen. Sie können weder ihren Aufenthalt registrieren noch legal arbeiten. Daher werden sie häufiger sowohl von Stadtbehörden als auch von privaten Vermietern illegal ausgesiedelt oder zwangsgeräumt. Personen, die auf eine Entscheidung über den Asylantrag oder eine andere Form des Schutzes warten, können in Polen wie auch in Deutschland keine legale Beschäftigung aufnehmen. Außerdem haben sie nicht die Möglichkeit, einen Grundschutz in Form einer Wohnung zu erhalten. In dieser Situation sind sie gezwungen, irregulär zu arbeiten, um die Miete auf dem privaten Markt zu zahlen. Gefordert wird die Einführung von Wohnunterstützungsprogrammen für Ausländer in wirtschaftlicher Notlage, Geflüchtete und Asylbewerber*innen.

Während des Sozialen Frauenkongresses wurde auch die besonders schwere Situation der Frauen dargestellt, die in einer gewalttätigen Beziehung leben müssen. Die bestehenden Formen des Schutzes von Opfern von Gewalt reichen nicht aus, um die Rechte dieser Mieter*innen zu schützen. Oft sind Gewaltopfer gezwungen, die Wohnung zu verlassen, und warten Monate oder Jahre auf Gerichtsurteile und die Möglichkeit, Wohnhilfe zu beantragen. Es wird die Einführung von Regelungen gefordert, so dass der Gewalttäter verpflichtet ist, die Wohnung zu räumen.

Der Warschauer Mieter*innen-Verein wurde vor zehn Jahren als Reaktion auf die Deregulierung des Mietrechts in Polen gegründet. Hervorgegangen ist er aus der landesweiten Kampagne „Wohnung ist ein Recht, keine Ware“, die anarchistische und linke Organisationen in vielen Städten des Landes zusammenbrachte. Eine der Gründerinnen war Jolanta Brzeska. Sie war betroffene Mieterin und hat schnell erkannt, dass auf individueller Ebene Widerstand nicht möglich ist. Zusammen mit anderen führte sie den Kampf gegen Zwangsräumungen und die vorantreibende Reprivatisierung, die tausende von Menschen in die Obdachlosigkeit gezwungen hat. Sie beteiligte sich an Protesten und Blockaden gegen Zwangsräumungen und unterstützte andere, die sich in einer ähnlichen Situation wie sie befanden, sowohl moralisch, als auch praktisch mit ihrem selbst erworbenen juristischen Wissen. Das von ihr geführte Verzeichnis der fortschreitenden Räumungsfälle half, das Thema in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Sie beteiligte sich häufig an Sitzungen des Warschauer Stadtrats und pochte auf die Annahme und Umsetzung von Forderungen, die im Zusammenhang mit der Verteidigung von Mieter*innen entstanden sind. Niemand konnte ahnen, dass sie für ihr Engagement, ihre Solidarität und Hartnäckigkeit mit dem eigenen Leben bezahlt. 2011 wurde ihre verbrannte Leiche im Kabaty-Wald in Warschau gefunden. Bis heute wurde ihr Tod nicht aufgeklärt und von den Ermittlern als Selbstmord eingestuft. Familie, Freunde und Bekannte als auch der Warschauer Mieter*innen-Verein bezweifeln diese offizielle Version und verlangen, das Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen um ihre Mörder und diejenigen, die Spuren dieses Verbrechens verwischt haben sollen – Polizisten und Staatsanwälte – zu bestrafen. Jolanta Brzeska wurde zu einer wichtigen Figur für die Mieter*innen-Bewegung in Polen, sie ist gleichzeitig zu einem Symbol des Kampfs gegen Zwangsräumungen und für das Recht auf Wohnen für alle geworden.

Ohne Kampf keine Chance auf ein besseres Leben!

Angesichts der großen medialen Welle nach dem ersten Kongress und erster Erfolge in ihren Kämpfen haben sich Teilnehmer*innen dazu entschieden am 13. Oktober 2018 einen zweiten Sozialen Frauenkongress zu organisieren. Es ist kein Zufall, dass der zweite Frauenkongress im Oktober stattfindet. „Wir haben beschlossen, uns dieses Jahr zum zweiten Mal zu treffen, weil die Kommunalwahlen kurz bevorstehen und wir wollen, dass unsere Postulate und Konflikte mit den Behörden zu dieser Zeit noch mehr zu hören sind.“ – betonte eine Kongressteilnehmerin. Durch die soziale Bottom-Up-Bewegung wollen sie Druck auf die Behörden ausüben. Die bisher aufgezählten Forderungen und ihre Umsetzung sollten analysiert, Erfahrungen ausgetauscht und zahlreiche Organisationen und Initiativen aus unterschiedlichen Städten zusammengebracht werden, „[d]amit die Behörden uns nach den nächsten Wahlen nicht ignorieren können“ – meinten die Teilnehmer*innen.

An dem zweiten Sozialen Frauenkongress haben neben der Basisgewerkschaft Arbeiter*innen-Initiativen, Mieter*innen-Vereine u.a. aus Warschau, Poznań und Lodz teilgenommen. Dazu kamen zahlreiche Frauenorganisationen, die u.a. Sexarbeiter*innen in Polen oder Arbeiter*innen aus der Ukraine unterstützen. Anwesend waren auch feministische Organisationen und Initiativen, die rund um den 8. März Ereignisse organisieren und u.a. für den freien Zugang zu Abtreibungen kämpfen, aus Thorn, Breslau, Poznań, „Abtreibungs Dream Team“ oder „Für unsere Sache“. Es gab andere Arbeiter*innen- und Frauen*-Organisationen u.a. aus Krakau, Warschau, Breslau, und Thorn. Der Kreis der teilnehmenden Organisationen hat sich seit dem ersten Treffen im März deutlich erhöht und diversifiziert. Allgemein haben sich an dem Kongress 100 Personen beteiligt, die 20 unterschiedliche Organisationen und Initiativen aus Polen repräsentierten .

Beim Sozialen Frauenkongress haben die Teilnehmer*innen ihre Initiativen und Aktivitäten präsentiert. Anschließend haben sie die Probleme, denen sie jeden Tag am Arbeitsplatz und Wohnort gegenüberstehen, diskutiert. Sie haben nach Möglichkeiten der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen gesucht und beantworteten dabei die Frage, welche Prioritäten, Prinzipien und Ideen sie haben, um soziale Bewegungen aufzubauen. Sie haben auch über die kleinen Erfolge in ihren Kämpfen am Arbeits- und Wohnort berichtet. Obwohl die Berichte zeigen, dass sich langsam etwas ändert, sind es eher Einzelfälle als das Zeichen einer systemischen Änderung. So verbessern die lokalen Behörden immer noch nicht die Situation der Frauen. Das Problem sei nicht der Mangel an Geldern, sondern die Art, wie diese verteilt würden. Zu niedrige Löhne in den städtischen Einrichtungen würden aus der Festlegung spezifischer politischer Prioritäten und nicht aus dem „knappen Budget“ resultieren. Die Ausgaben für soziale Wohlfahrt, kommunale Dienstleistungen oder Kultur brächten der Wirtschaft keine großen Gewinne, in der Regel würden sie als Verlust betrachtet und ihre Unterdeckung sei die Norm. Andererseits ermögliche der Bau von Prestige-Projekten die Überweisung von Millionenbeträgen in private Taschen. Daher würden diese Ausgaben als „Entwicklungsinvestitionen“ bezeichnet. Um die Transparenz der Finanzen der Stadt zu ermöglichen, wird die Erhöhung der sozialen Kontrolle über die Finanzen und Aktivitäten der lokalen Regierung gefordert. Angesichts dessen wurden während des Kongresses so viele Forderungen ausformuliert, dass unter Applaus die Frage aufkam, ob die Teilnehmer*innen einen Generalstreik organisieren und auf die Straße gehen sollen. „Ohne Kampf gibt’s keine Chance auf ein besseres Leben!“

Die Stadt ist keine Firma!

Die Teilnehmer*innen des Kongresses betonen: „Seit den ersten freien Wahlen 1989 hat keine politische Macht in Polen die Interessen der Arbeiter*innen vertreten, ganz zu schweigen von den Interessen der arbeitenden Frauen. Politische Parteien auf nationaler und lokaler Regierungsebene dienen der Wirtschaft. Auf diese Weise wird einem bedeutenden Teil der Gesellschaft der Einfluss auf die Bedingungen seiner Arbeit und seines Lebens entzogen. Die Stadtbehörden verhalten sich so, als würden sie private Unternehmen führen. Sie streben nach maximalem Gewinn durch Kostensenkung.

 Die Bedürfnisse von Arbeiter*innen spielen dabei keine Rolle. Sie werden begrenzt durch niedrige Löhne, schwierige Arbeitsbedingungen und eine Verringerung der sozialen Sicherheit. Niedrige Löhne zwingen uns, im öffentlichen Dienst oder in privaten Unternehmen hart zu arbeiten, und die mangelnde soziale Sicherheit zwingt uns, im Haushalt für umsonst zu arbeiten. Der Gewinn sind alles Güter, die außerhalb unserer Kontrolle liegen: hohe Löhne von Politikern und Managern, Banketts und Limousinen für die Wenigen, Infrastruktur hauptsächlich für Unternehmen, Stadions statt Wohnungen, Denkmäler statt pränataler Untersuchungen. Die Höhe der Löhne entspricht nicht dem Wert unserer Arbeit und die Minderheit, denen unser niedrig bezahlter Job nutzt, sagt uns, dass dies der freie Markt und die Demokratie sind. Solange die Demokratie die Zunahme sozialer Ungleichheiten und Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zulässt, wird keine Wahl die Situation der Arbeiter*innen verbessern. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Bürgermeisterin von Warschau. Trotz der Tatsache, dass diese Stadt von einer Frau regiert wird, raubt ihre Reprivatisierungspolitik Tausenden Mieter*innen das Dach über dem Kopf. Die Zunahme von Frauen an der Macht wird unsere Probleme nicht lösen, wenn diese von unserer Realität an den Arbeitsplätzen oder in den mit Pilz befallenen Wohnungen entfernt sind. Frauen, die täglich um höhere Löhne und niedrigere Mieten kämpfen, brauchen nicht noch solche Politiker*innen, die unsere Interessen nicht vertreten können.“

Poznań, Herbst 2018
Facebook: socjalnykk

Beitrag von Monika Kupczyk aus dem Buch „Umkämpftes Wohnen – Neue Solidarität in den Städten“:

In Zeiten gesteigerter Verwertungsinteressen und angespannter Wohnungsmärkte wird für immer breitere Bevölkerungsteile schmerzhaft erfahrbar, die persönliche Wohnungsfrage individuell nicht mehr lösen zu können. Dabei entstehen im Wohnumfeld und städtischen Raum statt Ressentiments Suchbewegungen nach praktischer Solidarität. Konkrete Mieter*innenkämpfe entwickeln sich zu neuer Stadtteilarbeit. Peter Nowak und Matthias Coers stellen mittels Text und Bild Initiativen aus dem In- und Ausland vor, geleitet von der Frage, wie Kämpfe um Wohnraum, niedrige Mieten, gegen Verdrängung und die Kämpfe um höhere Löhne und Einkommen zusammen geführt werden können.“ Info des Verlags Edition Assemblage zum von Peter Nowak und Matthias Coers herausgegebenen Buch externer Link (ISBN 978-3-96042-017-0, 144 Seiten, 10,00€) vom Februar 2020. Siehe Inhaltsverzeichnis und Einleitung/Einführung externer Link als Leseprobe des Verlags sowie die Website zum Buch externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164245
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