[28./29.2.20 in Frankfurt] Klima, Digitalisierung, Gewerkschaften & Arbeitskampf 4.0 – Konferenz zu Systemwandel und Gewerkschaft

[28./29.2.20 in Frankfurt] Klima, Digitalisierung, Gewerkschaften & Arbeitskampf 4.0 - Konferenz zu Systemwandel und Gewerkschaft der FAU FRankfurt„… Unabdingbar scheint die Beantwortung der Frage, wie wir in einem Prozess der Selbstermächtigung unsere Interessen für eine ressourcensparende und klimaerhaltende Produktion durchsetzen können. Lässt sich der technische Fortschritt der Digitalisierung gar für diese Ziele positiv nutzen oder befeuert er vielmehr das sich immer schneller drehende Hamsterrad der Globalisierung? Welche Rolle sollen, ja müssen Gewerkschaften bei den gewaltigen, anstehenden Umwälzungsprozessen spielen? Gibt es überhaupt eine Zukunft der Gewerkschaften angesichts von Prognosen, die davon ausgehen, dass sich das Proletariat in rund 20 Jahren weitestgehend selber abgeschafft haben wird? Auf der Konferenz wollen wir gemeinsam mit Gewerkschafter*innen, Lohnabhängigen und Interessierten der Frage nachgehen, ob Gewerkschaften ein geeignetes Instrument sein können, eine kollektiv bestimmte, ökologische Produktion voranzutreiben, ohne dabei den Erhalt von Arbeitsplätzen als Selbstzweck über alles andere zu stellen. (…) Wir rufen alle Lohnabhängigen und Gewerkschafter*innen, für die Gewerkschaft mehr als nur ein Instrument für die kurzfristige Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen ist auf, gemeinsam mit uns die Rolle von Gewerkschaft neu zu definieren…“ Aus der Einladung der FAU Frankfurt externer Link samt Programmdetails externer Link – siehe auch die Konferenzseite externer Link und nun den Bericht von Dörthe Stein:

Union for Future – Klima, Digitalisierung, Gewerkschaften und Arbeit 4.0

Konferenzbericht

Am 28. und 29. Februar 2020 besuchten rund 70 Besucher*innen in Frankfurt am Main die Konferenz zu Gewerkschaft und Systemwandel.

Unter dem Motto Klima, Digitalisierung, Gewerkschaften und Arbeitskampf 4.0 hatte die Basisgewerkschaft FAU (Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union) Frankfurt eingeladen und eine thematische Klammer um das weite Feld aktueller gewerkschaftlicher Herausforderungen gezogen.

Unterstützt wurde sie dabei neben Einzelpersonen von dem Netzwerk TIE (transnationals Information exchange), der Basisgewerkschaft Unterbau sowie dem Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden und Fridays for Future Frankfurt.

Eine Veranstaltung am Freitagabend führte zunächst in die einzelnen AG – Themen ein.

Branchenübergreifend waren die AGs zu Klima und Gewerkschaft und zu den Folgen und Herausforderungen der Digitalisierung konzipiert. Branchenorientierter sollte es bei den Themen Pflegnotstand & Systemwechsel, Digitalisierung in der Textilbranche und Möglichkeiten von Widerständigkeit sowie in der AG Zukunft der Arbeit im Sozialwesen zugehen. Die geplante AG zur Zukunft der Automobilbranche musste krankheitsbedingt leider ausfallen, wenngleich der Arbeitskreis Umwelt zumindest seinen Input zu kollektiven Verkehrskonzepten als Alternative zum Individualverkehr am Beispiel des aktuellen Kampfes in Wiesbaden zur Errichtung einer Stadtbahn gab.

Großen Beifall erhielt Fridays for Future Frankfurt mit ihren Beitrag. In einer konsequenten Rede forderten sie von Beschäftigten eine Solidarisierung mit ihren Zielen zur Klimaneutralität und Klimagerechtigkeit, die über bloße Lippenbekenntnisse hinausgeht. Gemeint waren damit unter anderem Solidaritätsstreiks die den Druck auf Politik und Wirtschaft erhöhen sollen.

Nach einem ersten gemeinsamen Austausch endete der Abend mit einem gemütlichen Beisammensein und dem einen oder anderen Kaltgetränk.

Trotz einiger Proteste über die gewählte frühe Anfangszeit fanden sich am Samstag auch in allen AGs des Vormittags Interessierte ein.

In der AG Klima und Gewerkschaft wurde ausgehend von der Annahme, dass Loharbeit kein Selbstzweck ist und dass sie unter dem Aspekt der Klimagerechtigkeit auf den Prüfstand gehört, unter anderem die Frage erläutert, unter welchen Voraussetzungen Gewerkschaften sich von der Maxime des unbedingten Erhaltes von Arbeitsplätzen lösen können. In diesem Zusammenhang wurde Teilen der gewerkschaftlichen Basis durchaus der Wille zu Systemwandel und der Wunsch nach einer Transformation von Gewerkschaften, die sich vornehmlich um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen kümmern hin zu einer sozialpolitischen Kraft, die die notwendige klimapolitischen Wandel forciert, attestiert.

In der AG Pflege und Systemwandel wurde zunächst die Bedeutung der Pflege im Kapitalismus, deren durch konservative Rollenzuschreibungen produzierte strukturelle Abwertung sowie die Auswirkungen der Ökonomisierung der Pflege erläutert. Beschäftigte äußerten sich in diesem Zusammenhang dahingehend, dass zumindest in den Krankenhäusern weder Lohnerhöhungen, noch Überlastung derzeit das vorderdringliche Thema seien. Vielmehr seien es eine bereits nach wenigen Jahren der beruflichen Tätigkeit auftretende Perspektivlosigkeit und die geringe soziale Anerkennung der Pflegberufe, die zumindest den examinierten Pflegern und Pflegerinnen die Laune verhageln würden. Begründet wurde dies auch damit, dass inzwischen eine starke Unterbauung des examinierten Personals stattgefunden habe, die zwar die Überlastung minimiere, jedoch auf der anderen Seite in alter tayloristischer Manier die Vielfältigkeit der Arbeit stark einschränke. So gäbe es inzwischen sogar Personal eigens für das Befüllen der Medikamentenblister, die die Patienten*innen täglich bekommen.

Zur Digitalisierung der Krankpflege wurde einerseits festgestellt, dass sie insbesondere im Dokumentationswesen zur Entlastung geführt habe. Assistenzsysteme, die dem Personal genau vorgeben, was wann getan werden muss, wurden eher kritisch betrachtet, würden sie den Menschen doch eher zum Anhängsel der Computer degradieren. Die Rolle von Robotern im Pflegeinsatz wurde als derzeit eher marginal betrachtet. Zu teuer seien die Maschinen im Verhältnis zu den in der Pflege gezahlten Löhnen.

Als größte Herausforderung wurde der ob ungünstiger demoskopischer Entwicklung drohende Pflegenotstand betrachtet. Die Neu- bzw. Umverteilung der Arbeit von sogenannten Bullshit-Jobs hin zur Pflege und der hierfür zu forcierende, notwendige Wertewandel wurden als gewerkschaftliche Aufgabe gesehen. Ein anderer Ansatz war die Forderung nach einer generellen, drastischen Arbeitszeitverkürzung, die denen, die es wollen, die Pflege ihrer Angehörigen ermöglichen würde. Betont wurde in diesem Zusammenhang allerdings auch die Notwendigkeit flankierender Maßnahmen, die einer erneuten Zuschreibung der Pflege als weibliche Aufgabe vorbeugen.

In der AG Sturm auf die Maschine oder totale Unterwerfung ging es zunächst um die sozialen und ökologischen Folgen der Digitalisierung, welche sich im globalen Norden und im globalen Süden unterscheiden

Unter anderem der durch Digitalisierung getriggerte immense Stromverbrauch wurde als Ansatzpunkt in der Softwareproduktion aber auch bei der Errichtung und dem Betrieb von Rechenzentren identifiziert, um künftig eine klimaneutralere Digitalisierung zu ermöglichen.

Darüber hinaus wurde auch das Spannungsverhältnis Verzichtsdebatten und Gewerkschaft diskutiert. In Anbetracht der Tatsache, dass weltweit die reicheren Bevölkerungsschichten für einen deutlich höhren CO2 Ausstoß und Ressourcenverbrach sorgen, wurden beispielsweise Steuerkonzepte nach dem Gießkannenprinzip weder als zielführend, noch als wünschenswert erachtet. Eine gesellschaftliche Debatte darüber, welche Produkte wir uns künftig noch leisten wollen und können, sowie eine Umstellung der Produktion auf deutlich mehr Nachhaltigkeit – sprich längere Haltbarkeit sowie ein Umkehr vom Absatzdruck und eines des permanenten wirtschaftliche Wachstums wurden für dringend notwendig befunden.

Ein weiterer Fokus der Arbeitsgruppe lag auf der Erläuterung der verschiedenen Aspekte von Überwachung als Digitalisierungsfolge und ihrer Bedeutung für gewerkschaftliche Vernetzung im Betrieb.

Einigkeit bestand darin, dass die Kontrolle über die Algorithmisierung der Welt in die öffentliche und nicht in die Hände weniger Megakonzerne gehört.

Problematisiert wurde auch die häufig zu geringe IT- Expertise bei Beschäftigen und Betriebsräten, die die zum Beispiel die Beurteilung über einzuführende Software verunmöglicht. Als Forderung wurde ein barrierearmer Zugang zu IT-Expertise und Beratung für Beschäftigte und Betriebsräte befürwortet.

In der AG zur Digitalisierung in der Textilbranche und den Möglichkeiten der Widerständigkeit wurde zunächst festgestellt, dass sich die Ziele und Formen der Digitalisierung im globalen Süden, wo es vornehmlich um eine Verkürzung der Produktionszirkel geht und denen des globalen Nordens, wo derzeit Auswirkungen im Einzelhandel verzeichnet werden, unterscheiden.

Kleinteilige digitale Arbeitsanweisungen auf Handgeräten führten dazu, dass sich  Verkäufer*innen im Einzelhandel heute eher „als austauschbare Postbotinnen, denn als Modefachverkäuferinnen“ fühlten.

Insbesondere die in der Öffentlichkeit immer noch wenig wahrgenommenen geänderten Kontrollformen würden nicht nur dem Personal bei Amazon, sondern auch den Verkäuferinnen im Einzelhandel zu schaffen machen.

Während digitale Handgeräte bei Amazon den Beschäftigten genau vorgeben, wieviel Zeit für den nächsten Arbeitsschritt besteht, berichten Verkäufer*innen im textilen Einzelhandel unter anderem von einer zunehmenden Selbstkontrolle. Allzeit abrufbare Statistiken, die die eigene Leistung ins Verhältnis zu der von Kolleg*innen, bzw. Filialen setzen, würden die Selbstkontrolle forcieren. Eine Zunahme von Arbeitsverdichtung und Stress sei in diesem Zusammenhang eine direkte Digitalisierungsfolge.

Als gewerkschaftsfeindlich wurde die mit Hilfe digitaler Plattformen praktizierte Jobvergabe im textilen Einzelhandel bezeichnet. All jene, die lediglich für einen zeitlich begrenzten Job von 1- 4 Stunden, zum Beispiel zum Zusammenlegen von Pullovern erscheinen, seien für gewerkschaftliche Organisierung verloren, machten sich die Festangestellten häufig noch nicht einmal die Mühe ihre Namen kennen zu lernen. Entsolidarisierung kann so als weitere Digitalisierungsfolge betrachtet werden.

In der AG Zukunft der Arbeit im Sozialwesen wurde zunächst die Ökonomisierung der sozialen Arbeit seit den 90ziger Jahren und deren Auswirkung auf die Lohnarbeit thematisiert. Ähnlich wie schon in anderen AGs wurde eine Teilung der Arbeit in qualifizierte und weniger qualifizierte Aufgaben, bzw. Jobs beobachtet. Dies führe unter anderem zu einer Minimierung der erholsameren Phasen der Arbeit. Eine sich seit Jahrzenten verschärfende Trägerkonkurrenz, sowie der daraus resultierende Trend zur Projektarbeit, bei der Beschäftigte für die Sicherung der Finanzierung des Folgeprojektes und damit ihres eigenen Arbeitsplatzes zuständig sind, seien ursächlich für die weite Verbreitung des Burnoutphänomens in der Branche.

Am Beispiel einer vorgestellten Software zur Überwachung von Beschäftigten und Kindern in Kitas durch die Eltern, wurden die Auswirkungen einer Rundumüberwachung, die bereits Kinder erfahren, diskutiert. Anpassungsdruck und daraus potentiell resultierende negative Folgen für emanzipatorische Einstellungen wurden befürchtet. Widerstand gegen Dokumentationswut (zum Beispiel Dokumentationsstreiks) und Überwachung wurde deshalb befürwortet.

Am Beispiel von auch in Deutschland zum Teil bereits eingeführten digitalen Instrumenten zur Bemessung von Kindeswohlgefährdung, wurde die Algorithmisierung der sozialen Arbeit sehr kritisch betrachtet. Nicht nur der Umstand von durch Algorithmen schnell intransparent werdenden Entscheidungsgründen, sondern auch auch der potentiell entstehende Rechtfertigungsdruck auf Beschäftigte, die sich den Algorithmen nicht beugen, wurde als Digitalisierungsrisiko bewertet. Kritisch bemerkt wurde zudem die Individualisierung von sozialen Lagen, die durch Maschinen nicht mehr in einen sozialen Kontext gestellt würden.

Zu den Perspektiven einer Re-Politisierung der sozialen Arbeit durch Gewerkschaften wurde unter anderem eine Studie der FAU Freiburg zitiert, wonach Beschäftigte sich für kurzfristige Engagements oder Solidarisierungen aktivieren ließen, jedoch weniger für ein langfristiges gewerkschaftliche Engagement. 2 Gründe wurden von der AG benannt. Zum einen führe die Arbeitsverdichtung dazu, dass Menschen über die Loharbeit hinaus wenig Lust verspürten sich mit dieser zu beschäftigen, zum anderen hätten die etablierten Gewerkschaften mit ihren Modellen der Stellvertreter*innenpolitik vermutlich zu einer gewerkschaftlichen Entpolitisierung und Deaktivierung der Beschäftigten selber beigetragen.

Veranstalteter*innen und Teilnehmende bewerteten die von Mitgliedern der GEW, Verdi, des Unterbaus, der IG BCE, der FAU, Unorganisierten und verschieden gewerkschaftlichen Initiativen besuchten Konferenz trotz einer überschaubaren Anzahl von Besucher*innen als Erfolg.

Insbesondere die branchenübergreifenden Ergebnisse eines eng mit der Digitalisierung verknüpften Trends zur Taylorisierung und Überwachung am Arbeitsplatz wurde als Ansatzpunkt für künftige Arbeitskämpfe identifiziert. Diese müssen laut Konferenzfazit, sofern sie global Ziele sozialer und klimatischer Gerechtigkeit berücksichtigen wollen, international und branchenübergreifend geführt werden. Nur so ließen sich bestehende Branchenegoismen wie globale Konkurrenzen überwinden.

Die mit der Digitalisierung einhergehende Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeit wurden als weitere Ansatzpunkte eines Arbeitskampfes 4.0 gesehen.

Der überwiegende Teil der Konferenz war sich zudem über die Notwendigkeit eines Wandels der Wirtschaft einig. Unvereinbar sei das Diktum des ewigen Wirtschaftswachstums mit Zielen der Klimagerechtigkeit. Aufgabe von Gewerkschaften sei es, den notwendigen Wertwandel in einem emanzipatorischen Sinn zu gestalten, anstatt sich auf die Rolle des Advokaten für gute Arbeitsbedingungen vor der eigenen Haustür zu beschränken.

Die Teilnehmer*innen der Konferenz schätzten die Möglichkeit der branchenübergreifenden Auseinandersetzung über aktuelle gewerkschaftliche Themen und formulierten den Wunsch nach Folgeveranstaltungen.

Gewünscht wurden unter anderem eine weitere Konkretisierung von Digitalisierungsfällen am Arbeitsplatz, eine Beleuchtung der Chancen von Digitalisierung für die globale Organisierung Lohnarbeitender durch sogenannte workers voice tools sowie eine Diskussion über gewerkschaftliche Selbst-ermächtigung.

Zur Verstetigung der Konferenzergebnisse und als Grundlage für weitere Diskussionen, kündigte die FAU Frankfurt einen Nachbereitungsreader an. Dieser wird ab Frühsommer unter anderem über die Konferenzseite: https://unions4future.blogspot.com externer Link  erhältlich sein.

Dörthe Stein, FAU Frankfurt, 08.03.2020 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164167
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