NGfP-Kongress: »Digitalisierung« – Sirenengesänge oder Schlachtruf der »Kannibalistischen Weltordnung«

Dossier

Buch „Digitalisierung – Sirenentöne oder Schlachtruf der kannibalistischen Weltordnung“„»Digitale Revolution«, »Digitalisierung«, »Digitalpakt« und »5G-Mobilfunk«, »Internet der Dinge«, »Künstliche Intelligenz« (Blockchaining, Abschaffung des Bargeldes, autonomes Fahren etc.) lauten die Refrains des Sirenengesangs, die von den Eliten in Politik und Wirtschaft angestimmt werden. Digitalisierung ist Staatsaufgabe höchster Priorität. Das Feld ist bereits gut vorbereitet. Dennoch regen sich Kritik und zum Teil auch Widerstand gegen einen weiteren, intensivierten Ausbau der Digitaltechnologie: Die Möglichkeit einer digitalen Totalüberwachung wird ebenso vorstellbar, wie der Verlust von immens vielen Arbeitsplätzen, von Privatheit, persönlicher Freiheit und demokratischer Teilhabe, psychischer und physischer Unversehrtheit. Der Kongress stellt sich dem Thema der Digitalisierung in unterschiedlichen Facetten und Bereichen: Telematik und Digitalisierung der Psychotherapie, Digitalisierung der Arbeitswelt, des Gesundheitswesens, der Schule und des Bildungswesens, Digitalisierung der Militärischen Einsätze, Überwachung und soziale Kontrolle, und die Perspektiven des Widerstands dagegen…“ Infos und Programm bei der Neuen Gesellschaft für Psychologie externer Link zum Kongress vom 6. März 2020 bis 7. März 2020 in Berlin. Siehe erste Beiträge und Interviews zum Kongress:

  • Arbeit demokratisieren – Digitalisierung gestalten. Bisherige Formen des organisierten und arbeitsrechtlichen Widerstands New
    „… Der Kampf um die menschenrechtliche Gestaltung digitalisierter Arbeit ist noch in den Anfängen. Die ersten Pioniere der Digitalisierung wie Apple, Microsoft und die Chip-Hersteller des Silicon Valley haben global erfolgreich auf entrechtete Niedriglohnarbeit gesetzt, tun dies heute noch und überglänzen das mit ihren sauber erscheinenden Produkten und konsumentenfreundlichen Dienstleistungen. Ebenso agieren die neuen Akteure der Plattform-Ökonomie wie Amazon (Handel), Uber (Fahrdienste), Deliveroo (Essensauslieferung) und Soziale Netzwerke (Löschdienste). Auch in traditionellen Branchen wie bei Autoherstellern und Medien wird Crowdworking ausgebaut (Einzel- und Kleinstaufträge per App). Im Folgenden werden einige bisherige Versuche vorgestellt, um digitalisierte Arbeit menschenrechtlich zu organisieren. Es handelt sich um Versuche, bei denen die Erfolge sich bestenfalls in Vor- und Teilformen des Menschenrechtlichen bewegen. (…) »Der Kampf gegen die unternehmerische Gier Amazons ist einer der wichtigsten Arbeitskämpfe der jüngeren Geschichte«, bilanziert Christy Hoffman von der Gewerkschaft UNI Global Union… (…) Die Plattform-Unternehmer behandeln die Beschäftigten als isolierte Selbstständige, als »freie Unternehmer«: Es bestehe kein Arbeitsverhältnis. Die Annäherung an das Menschenrecht auf Arbeit besteht also erst einmal darin, den Status als rechtsfähiger Arbeitnehmer zu erringen. Deshalb zieht die IG Metall seit 2019 einen Fall exemplarisch gerichtlich durch. Ein Crowdworker hatte für die Plattform »Roamler« während eines Jahres 2 978 Einzelaufträge durchgeführt. Sie bestanden in Fotos, die er zur mehr oder weniger werbewirksamen Platzierung einzelner Produkte in Regalen von Supermärkten machen musste. Er verdiente damit durchschnittlich 1 750 Euro pro Monat und war der belobigte Topverdiener der Plattform. Nach einem Jahr bekam er keine Aufträge mehr, die Plattform erklärte, mit der Qualität der Fotos nicht mehr zufrieden zu sein. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage auf den Status auf abhängige, weisungsgebundene Beschäftigung mit Kündigungsschutz im Dezember 2019 ab. Der Kläger geht mit der IG Metall und dem gewerkschaftsnahen Münchner Rechtsanwalt Rüdiger Helm vor das Bundesarbeitsgericht (…). So sehr solche rechtlichen Verfahren zu begrüßen sind, so geht wohl nichts daran vorbei, dass die inzwischen Millionen Crowdworker direkte und öffentlich aktive Organisationsformen finden. Aber wie kommt man heraus aus der vom Kapital organisierten Vereinzelung?“ Auszug bei den NachDenkSeiten am 24. August 2020 aus dem Beitrag von Werner Rügemer externer Link im Buch zur Tagung externer Link: Digitalisierung – Sirenentöne oder Schlachtruf der kannibalistischen Weltordnung“, herausgegeben von Klaus-Jürgen Bruder u.a., Westend Verlag 2020, 336 Seiten zum Preis von 28 Euro
  • NGfP-Kongress: »Individualität ist nicht gewollt« Der Widerstand gegen Digitalisierung und Ausbeutungsstrukturen am Beispiel von Amazon
    Der Anwalt, Autor und Aktivist Detlef Hartmann im Gespräch mit Christa Schaffmann bei der jungen Welt vom 2. März 2020 externer Link auf die Frage: „Gibt es aus Ihrer Sicht eine »Szene des Widerstands« gegen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI)? Nicht in dem Sinne, den wir normalerweise mit dem Szenebegriff verbinden. Es gibt eine ganze Reihe von Wissenschaftlern, die sich mit Digitalisierung und KI sehr kritisch auseinandersetzen, weil sie darin eine akute Gefahr für die Freiheit sehen. Nicht umsonst nennt Werner Meixner sein jüngstes Buch »Wollt Ihr die totale Digitalisierung?«. Aber das ist eine andere Ebene als die der Menschen, die in ihrer täglichen Arbeit oder gar durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes erfahren, wohin die Technologieentwicklung führt, welche Zwänge sie erzeugt. Die bei Amazon Arbeitenden erleben Sklaverei, die anderen analysieren Sklaverei, um es vereinfacht zu sagen. Die Ebenen kommen selten zusammen. Es wird die Aufgabe der Intellektuellen sein, den Weg zu den Quellen des Widerstands an der Basis zu finden und nicht darauf zu warten, dass die andere Seite sich auf sie zubewegt. (…) Amazon ist ein Paradebeispiel für die neuen Ausbeutungsstrukturen. Bei Amazon ist die vollständige Enteignung des Arbeitsprozesses durch modernste Technologie Programm. Was sich dort abspielt, gibt einen Vorgeschmack auf maschinell optimierte menschliche Arbeit, wie sie durch Digitalisierung und KI in immer mehr Bereichen eingeführt wird. (…) Es geht um Standardisierung, um die Teilung der Arbeit in Einzelschritte per Algorithmisierung; Individualität ist nicht gewollt. Sie würde die Austauschbarkeit jedes beliebigen Beschäftigten erschweren. (…) Es gibt einige linke Mitglieder in Gewerkschaften, die eine positive Rolle im Kampf gegen die totale Digitalisierung spielen können, aber von den großen systemstabilisierenden Gewerkschaften mit ihrer korporatistischen Haltung erwarte ich das nicht. (…) Ich traue den Politikern eine Steuerung von Digitalisierung und KI im Interesse der Menschen durch Gesetze, Verordnungen und dergleichen nicht wirklich zu. Die deutsche Beteiligung an einem Verbot autonomer Waffensysteme hat die Merkel-Regierung gerade abgelehnt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sehr weitgehende Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung auf den Weg gebracht etc. Es hilft nur geballter Druck aus allen kritischen Ebenen. Dieser hat immerhin zu Abmilderungen bei der KI-gestützten Gesichtserkennung im öffentlichen Raum geführt.“

    • Dieses Interview fand im Vorfeld des Kongresses der Neuen Gesellschaft für Psychologie vom 6. März 2020 bis 7. März 2020 in Berlin unter dem Motto »Digitalisierung« – Sirenengesänge oder Schlachtruf der »Kannibalistischen Weltordnung« statt. Teilnehmen werden Jürgen Hardt, Detlef Hartmann, Andrea Kleeberg-Niepage, Christoph Marischka, Bijan Moini, Bernd Nielsen, Werner Rügemer, Sabrina Saase, Jorinde Schulz, Werner Seppmann, Günter Steigerwald, Magda von Garrel, Friedrich Voßkühler und Klaus-Jürgen Bruder. Weitere Infos und Buchungsmöglichkeit bei der Neuen Gesellschaft für Psychologie externer Link
  • [NGfP-Kongress] Arbeitsmarkt ohne Regeln. Amazon, Uber oder Deliveroo: Beschäftigte rechtlich ohne Schutz, Gewerkschaften außen vor
    Die Zahl der Onlineplattformen, die weltweit »dezentrale Arbeitnehmer«, wie Freiberufler und Scheinselbstständige, vermitteln, hat stark zugenommen. Das im Silicon Valley ansässige Startup-Unternehmen Upwork beschäftigte im vergangenen Jahr geschätzt zehn Millionen Menschen aus dieser Gruppe, darunter Architekten, Ingenieure, Anwälte, Softwareentwickler und Programmierer. Andere Startups haben digitale Arbeitsplattformen und mobile Apps geschaffen, über die, arbeitsrechtlich völlig ungeschützt, Erwerbstätige ­gegeneinander um Aufträge feilschen können. Was für ein riesiger Arbeitsmarkt durch Digitalisierung da entsteht, der – was die Rechte der Beschäftigten betrifft – an das 19. Jahrhundert erinnert, liegt weitgehend im dunkeln. (…) Der Widerstand von Unternehmerseite sei groß, wie die Reaktion ihrer Verbände auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2019 über die vollständige Erfassung der Arbeitszeiten von Beschäftigten gezeigt habe. »Sie wollen weder die Arbeitszeit ihrer Festangestellten genau dokumentieren – dann würden unbezahlte Überstunden offengelegt – noch die Arbeitszeit der digital ohne Arbeitsverträge Arbeitenden. Der Zustand der Nichtdokumentation ermöglicht Erpressbarkeit und mehr Ausbeutung.« Widerstand regt sich, angefangen von den Beschäftigten bei Amazon und Uber bis zu den Essenskurieren von Deliveroo…“ Artikel von Christa Schaffmann in der jungen Welt vom 02.03.2020 externer Link (im Abo)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=163871
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