Gericht: Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli durfte “islamische Sprechpuppe” genannt werden

[Aufruf von Pro Asyl] Wir geben keine Ruhe - Gemeinsam gegen Rassismus!„… Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat einen 46-Jährigen vom Vorwurf der Beleidigung der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) freigesprochen. Die Äußerungen des Mannes im Internet seien noch von der Meinungsfreiheit gedeckt und daher nicht strafbar, urteilte das Gericht am Donnerstag. In einem Video soll der Mann Chebli “Quotenmigrantin der SPD” und “islamische Sprechpuppe” genannt haben. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer die Äußerungen des Mannes als massiv abwertend und rassistisch eingeschätzt. Es sei um bewusste Diffamierung und nicht um politischen Diskurs gegangen. Die Richter sahen das anders. Der Prozess war öffentlich, doch aus Kapazitätsgründen konnten nur etwas mehr als 20 Personen in den Gerichtssaal. (…) Vor einem Nebeneingang hatten sich allerdings rund 200 Menschen in einer langen Schlange aufgereiht. Sie waren teils aus anderen Städten angereist und am Gericht erschienen, um den Angeklagten zu unterstützen. Als der Einlass gestoppt wurde, drängten sich viele von ihnen durch den Haupteingang ins Gericht. Dabei skandierten sie: „Auf die Tür, das Volk ist hier.” Einige hatten Deutschland-Fahnen dabei. Drinnen angekommen, stimmten sie die Nationalhymne an – während vor der Tür Sirenen erklangen. Die Polizei rückte gegen 13 Uhr mit mehreren Einheiten an, um die Menge wieder hinauszubringen. Polizisten baten sie, sich entweder rechts oder links vom Eingang zu platzieren, damit dieser frei bleibe. „Natürlich nach rechts”, rief eine Frau aus… „ Bericht von Tobias Dinkelborg vom 27. Februar 2020 beim RND externer Link, siehe mehr zu Urteilsbegründung und Täterprofil:

  • Freispruch für YouTuber Tim Kellner: „Eine bittere Nachricht für alle, die von Hetze betroffen sind“
    „… In taubenblauer Jogginghose sitzt Kellner, 46, am Donnerstag in Saal 101 des Amtsgerichts Tiergarten. Er hat sich eine schwarz-rot-goldene Armbinde übergestreift, die langen grauen Haare hinten zum Dutt gebunden. Kellner betreibt einen Youtube-Kanal, auf dem er vor Migranten warnt und vorm „Volkstod“ der Deutschen. Außerdem beschimpft er Politiker und andere Menschen, die nicht seiner Meinung sind. In rechtsradikalen Kreisen ist seine Plattform sehr beliebt, sie zählt zu den meistgeklickten. (…) Der Angeklagte, ein mehrfach vorbestrafter Ex-Polizist, hatte wochenlang für diesen Tag getrommelt. Seinen Anhängern hatte er verkündet, hier kämpfe „Team Deutschland“ gegen „Team Orient“. Er hoffte, sie würden Reisebusse organisieren, um den Gerichtssaal in ein „Fahnenmeer aus Schwarz-Rot-Gold“ zu verwandeln. Er erklärte in Videos, worum es ihm in diesem Prozess geht: Chebli sei Migrantin, und er als Deutscher wolle sich nicht von ihr vorschreiben lassen, was er zu sagen habe und was nicht. (…) Das Video, um das es im heutigen Prozess geht, macht nur einen winzigen Teil von Kellners Hass-Tiraden gegen Chebli aus. Er hat dutzende weitere Videos veröffentlicht, in denen er Chebli verhöhnt, nachäfft, rassistisch beleidigt. Als Cheblis Schwangerschaft bekannt wird, postet er, das Kind werde auf Anhieb 47 Cousins und Cousinen haben, und dann: „Den oder die kleine Chebli kriegen wir auch noch durchgefüttert!“ Er behauptet, Chebli beherrsche „die deutsche Sprache nur sehr unzulänglich“. Er fordert sie auf, in die Vereinigten Arabischen Emirate auszuwandern. Er sagt: „Sie waren nie eine von uns und sie werden auch nie eine von uns sein.“…“ Beitrag von Katja Füchsel und Sebastian Leber vom 27. Februar 2020 beim Tagesspiegel online externer Link
  • AG Tiergarten zu Äußerungen über Sawsan Chebli: „Quotenmiantin der SPD“ und „islamische Sprechpuppe“ nicht beleidigend
    „… Der Richter sagte im Urteil, Kernfrage sei – wie so oft – die „Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und unzulässiger Herabsetzung“. Die Äußerung „Quotenmigrantin der SPD“ könne zwar als unverschämt oder kränkend empfunden werden, sei aber „unproblematisch zulässig“. Durch die Bezeichnung „islamische Sprechpuppe“ werde die Politikerin zwar „hart getroffen“, sie liege aber im Kontext des veröffentlichten Videos „haarscharf auf der Grenze des Zulässigen“. Der Angeklagte habe im Prozess erklärt, dass er die SPD-Politikerin kritisieren wollte, weil sie über Twitter fast ausschließlich Positionen anderer weiterleite. (…) Der Richter (…) sah keine strafbare Beleidigung. Chebli als Politikerin stehe in der Öffentlichkeit. Nach höchstrichterlichen Entscheidungen „dürfen Meinungsäußerungen scharf formuliert sein“. Es sei allerdings eine Einzelfallentscheidung. Mit dem Urteil ist auch ein Strafbefehl gegen den Mann hinfällig. Er war im November 2019 zunächst zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro (50 Tagessätze zu je 30 Euro) verurteilt worden. Dagegen hatte er Einspruch eingelegt.“ Beitrag vom 27. Februar 2020 von und bei Legal Tribune Online externer Link

    • Hier sollte beachtet werden: Der Verweis des AG auf „höchstrichterliche Entscheidungen“ ergibt in sofern Sinn, wie die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG am 27. August 2019 (1 BvR 811/17) bei einer NPD-Beschwerde vertrat, dass es bei der Meinungsfreiheit nicht darauf ankäme, „ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Daher fallen die beanstandeten Kommentare nicht schon deshalb aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, weil sie sich gegen Minderheiten richten oder einen hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen Gehalt aufweisen.“ In sofern orientiert sich das AG am BVerfG: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-066.html externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=163738
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