Der T-ZUG der IG Metall nach der Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie 2017/2018

Dossier

IG Metall: 190 000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie, die Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder Schicht arbeiten, wollen im nächsten Jahr acht zusätzliche freie Tage statt mehr Geld„… Besonders stolz scheint die IG Metall über die Möglichkeit zu sein, dass Beschäftigte für bis zu 2 Jahre ihre Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden verkürzen können. Einen Lohnausgleich gibt es aber nicht. Im Gegenzug wird es für den Arbeitgeber auch möglich in vergleichbarem Umfang mehr Arbeitsverträge bis zu 40 Wochenstunden abschließen. Über den Abschlusshaben wir mit Mag Wompel von labournet gesprochen.“ Interview vom 9. Februar 2018 von und beim Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei: „Kritik am IG Metall Tarifabschluss in der Metall- und ElektroindustrieTarifverträge: Zeit oder Geld? Unternehmer können Beschäftigte erpressen“. Siehe zum Hintergrund das Dossier zur Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie 2017/2018 und auch auch das Dossier: IG Metall: Für eine neue Arbeitszeitkultur – Kampagne “Mein Leben – meine Zeit”. Hier konkret verfolgen wir die weitere Umsetzung und Debatte des T-ZUGs:

  • Metall- und Elektroindustrie: Immer mehr Beschäftigte wollen freie Tage statt Geld New
    “340 000 Beschäftigte nehmen 2020 zusätzliche freie Tage statt Geld – 80 000 mehr als im Jahr zuvor. Diese Wahlmöglichkeit hatte die IG Metall vor zwei Jahren mit dem neuen tariflichen Zusatzgeld (T-ZUG) in der Metall- und Elektroindustrie durchgesetzt. „Die Menschen nehmen die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung, die wir gemeinsam erkämpft haben, wahr“, betont Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall. „Das ist ganz konkreter Fortschritt durch Tarifpolitik.“ Besonders belastete Beschäftigte mit Kindern, zu pflegenden Angehörigen oder in Schichtarbeit haben die Wahl: Statt dem T-ZUG A (27,5 Prozent vom individuellen Monatsentgelt) können sie zusätzliche acht Tage im Jahr frei nehmen. Wobei auch sie einen Teil des tariflichen Zusatzgelds erhalten: den vollen Zusatzbetrag (T-ZUG B) von 12,3 Prozent vom Facharbeiter-Eckentgelt (derzeit etwas über 400 Euro). 2020 hat sich der Kreis der Anspruchsberechtigten noch einmal erweitert. Bei Wechselschicht galten 2019 als Voraussetzung 15 Jahre Betriebszugehörigkeit und zehn Jahre in Wechselschicht. Ab 2020 sind nur noch sieben Jahre Betriebszugehörigkeit und fünf Jahre in Wechselschicht Voraussetzung für den Antrag auf freie Tage. Den größten Zuwachs gab es entsprechend auch bei den Anträgen von Schichtbeschäftigten mit plus 46 000 ( 27 Prozent) gegenüber dem Vorjahr. Auch die Anträge wegen Kinderbetreuung erhöhten sich um 24 000 ( 44 Prozent).“ IG Metall Meldung vom 06.02.2020 externer Link
  • Mensch, Markt und Maßlosigkeit. Wie weiter in der Tarifpolitik der IG Metall? 
    Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr. 117 vom März 2019Die IG Metall hat im vergangenen Jahr, ebenso wie auch andere Gewerkschaften (ver.di, EVG), das Thema „Arbeitszeit“ tarifpolitisch wieder aufgegriffen. Schon allein deswegen ist der Tarifabschluss vom Februar 2018 für die Metall- und Elektroindustrie ein wichtiger und guter Schritt nach vorn. (…) Die Umsetzung des Tarifvertrags konfrontiert die IG Metall mit großen Aufgaben. Einerseits ist es nicht vollständig gelungen, klare Konfliktlösungsmechanismen im Tarifvertrag zu verankern, falls ein Unternehmen es verweigert, die Anträge auf  Arbeitszeitverkürzung umzusetzen. Hier werden betriebliche Auseinandersetzungen vorbereitet. Die Palette betrieblicher Kampfformen ist breit. Andererseits wird, auch wenn den Anträgen stattgegeben wird und auch davon unabhängig, ein schon seit langem bestehendes Konfliktfeld deutlich: Die Leistungsverdichtung und zunehmende Leistungsüberforderung in den Betrieben. Der Zusammenhang zwischen Arbeitszeitverkürzung und drohender Leistungsverdichtung ist offensichtlich. (…) Die Leistungsverdichtung und -überforderung in den Betrieben hängt stark mit den dramatischen Veränderungen zusammen, die spätestens seit Ende der 1980er Jahren spürbar sind. Der kurze Rückblick auf diese Veränderungen und die damit gewonnenen Erfahrungen ist auch hilfreich, um die nun anstehenden Aufgaben zur Umsetzung des Tarifvertrags vom Februar 2018 genauer zu umreißen. (…) Umso wichtiger ist es nun, dass die große kollektiv bewusstseinsbildende Erfahrung der Stärke aus den Ganztagesstreiks, die den Tarifabschluss 2018 ermöglichten, erhalten und gestärkt wird. Das wird notwendig sein, weil die Umsetzung des Tarifvertrags in den Betrieben ein konfliktreicher Prozess sein wird. Einerseits bereitet sich die IG Metall daher darauf vor, durch vielfältige betriebliche Aktionen die individuellen Freizeitansprüche der Beschäftigten auch dann durchzusetzen, wenn das Unternehmen das aus Profitgründen verweigert. Andererseits wird es unverzichtbar, das Thema „Leistungspolitik“ auf die  tagespolitische Agenda der IG Metall zu nehmen…“ Artikel von Robert Sadowsky aus der Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr. 117 vom März 2019  – wir danken! Siehe weitere Beiträge im Inhaltsverzeichnis der der Z. Nr. 117 beim Verlag externer Link
  • Der T Zug der IG Metall – ein kritischer Kurzbericht aus der Praxis
    Mehr Freizeit zu einem hohen Preis, so könnten unsere Verhandlungen zur T Zug Umwandlung zusammengefasst werden. In der Theorie, bzw. in den Köpfen einer wirklichkeitsfremden Gewerkschaftsführung, mag der Tarifabschluss wegweisend sein. In der Praxis, zumindest bei uns im Betrieb, müssen die zusätzlichen freien Tage über verpflichtende Samstagsarbeit oder zusätzliche 40h Wochen ausgeglichen werden – von großen Teilen der Belegschaft! Im Betriebsratsgremium brodelt schon lange ein Konflikt zwischen IG Metall kritischen Betriebsräten und der Fraktion, die den Weg der IG Metall blind unterstützt. Dieser Konflikt ist mit der T Zug Verhandlung neu entflammt, da sich im Fall der T Zug Umwandlung die Kritiker der IG Metall zurecht bestätigt sehen. Ein Argument der Befürworter des Tarifvertrags hinkt mittlerweile gewaltig. Diese BR Kollegen fabulieren tatsächlich über einen vorhandenen Solidargedanken, die Bereitschaft der Belegschaft Mehrarbeit zu leisten, um Anspruchsberechtigten die T Zug Umwandlung zu ermöglichen. Eine Argumentation, die bei einem Anteil von fast 40% Arbeitnehmern in Leiharbeit oder befristeten Arbeitsverhältnissen nur mehr als lächerlich anzusehen ist. Fakt ist, die Bereitschaft zur Solidarität ist in der Belegschaft nicht mehr gegeben. Leiharbeit und Befristungen fördern keine Solidarität, sondern Angst, Ausgrenzung und Missgunst. (…) Es braucht keine Raketenwissenschaft, um zu erkennen, dass der Druck auf die Beschäftigten seit Jahren zunimmt. Eine Gewerkschaft, die diesen Druck noch zusätzlich erhöht, indem sie die Spaltung von Belegschaften mit absolut fragwürdigen Tarifverträgen vorantreibt, hat in meinen Augen ihre Daseinsberechtigung verloren…” Kurzbericht vom 20.12.2018 von einem IG Metall-Betriebsrat – wir danken (Name der Redaktion bekannt)
  • Großes Interesse an zusätzlichen freien Tagen: 190 000 Beschäftigte wollen lieber acht Tage frei statt Geld 
    190 000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie, die Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder Schicht arbeiten, wollen im nächsten Jahr acht zusätzliche freie Tage statt mehr Geld. Das zeigen erste Zwischenergebnisse einer Befragung der IG Metall unter Betriebsräten in 1400 von 2800 Unternehmen. (…) Aus den Rückmeldungen aus 1400 von befragten 2800 Unternehmen sind bisher folgende Trends erkennbar: 40 000 Antragssteller wollen die neue Regelung nutzen, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Auch 10 000 Beschäftigte, die Angehörige pflegen, suchen mithilfe der acht zusätzlichen freien Tage Entlastung. Die meisten Anträge auf Umwandlung von Geld in Zeit wurden von 140 000 Schichtarbeitern gestellt. „Das hohe Interesse der Schichtarbeiter an zusätzlichen freien Tagen wundert uns nicht. Gerade in den Bereichen mit starren Schichtsystemen sind die Belastungen durch Mehrarbeit und Sonderschichten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die Kolleginnen und Kollegen brauchen dringend mehr zeitliche Freiräume – auch zum Erhalt ihrer Gesundheit“, betonte Hofmann. Neben den acht Tagen hat die IG Metall in den Tarifverträgen zudem für alle Beschäftigten den Anspruch festgeschrieben, ihre wöchentliche Arbeitszeit befristet auf bis zu 28 Stunden reduzieren zu können. Von dieser „kurzen Vollzeit“ wollen nach den bisherigen Umfrageergebnissen im nächsten Jahr rund 8 000 Beschäftigte Gebrauch machen…“ IG Metall-Meldung vom 12.11.2018 externer Link
  • Freie Tage sind der Renner: Mit der Umsetzung des Tarifabschlusses Metall steht Schichtarbeitern und anderen Beschäftigten ein Zusatzgeld zu 
    „Weniger arbeiten statt mehr Geld – bei den Schichtbeschäftigten im Geltungsbereich des Flächentarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie scheint die Idee gut anzukommen. Wie Gewerkschafter aus verschiedenen Regionen und Betrieben übereinstimmend berichten, gibt es einen regelrechten Run auf die Option, im nächsten Jahr bis zu acht zusätzliche freie Tage in Anspruch zu nehmen und dafür auf einen Teil des sogenannten »Tariflichen Zusatzgelds« (T-ZUG) zu verzichten. (…) Offenbar hat die IG Metall zumindest mit den freien Zusatztagen einen Nerv getroffen, denn – wo man auch nachfragt – das Phänomen scheint ziemlich flächendeckend zu sein. So auch bei BMW in Leipzig: Täglich gehen hier neue Anträge ein, berichtet Betriebsratsvorsitzender Jörg Köhler. Und: »Wir gehen davon aus, dass bei uns fast jeder Anspruchsberechtigte davon Gebrauch machen wird.« (…) Nach der jetzigen Regelung haben alle Vollzeit-Tarifbeschäftigten die Möglichkeit, ihre persönliche Wochenarbeitszeit bis zu zwei Jahre lang auf 28 Stunden zu reduzieren. Die Einkommensverluste müssen sie allerdings selber tragen – einen teilweisen Lohnausgleich durch den Arbeitgeber, wie ihn die IG Metall ursprünglich für bestimmte Beschäftigtengruppen mit besonderen Arbeitsbelastungen gefordert hatte, gibt es nicht. Die freien Zusatztage sind zwar auch nicht umsonst, werden mit Verzicht auf zusätzliches Geld erkauft – nicht aber mit Einkommenseinbußen.“ Beitrag von Jörn Boewe in neues Deutschland online vom 4. Oktober 2018 externer Link, siehe dazu:

    • Wähle jetzt Deine Arbeitszeit
      In der Metall-Tarifrunde hat die IG Metall die verkürzte Vollzeit sowie acht freie Tage bei Kinderbetreuung, Pflege und Schichtarbeit durchgesetzt. Wer das im Jahr 2019 nutzen will, muss jetzt den Antrag einreichen…“ Meldung der IG Metall vom 27.09.2018 externer Link – Die Resonanz auf die durchaus fragwürdige Tarifvereinbarung zeigt vor allem, wie viel den Betroffenen freie Zeit wert ist, was auch bei der Debatte um ein BGE zu beachten wäre…
  • [Interview] Kritik am IG Metall Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie. Tarifverträge: Zeit oder Geld? Unternehmer können Beschäftigte erpressen
    “… Ich habe mich sehr gefreut, dass das Thema der Gesundheitsbelastung durch Schichtarbeit endlich angesprochen worden ist. Aber mit selbstbezahlten freien Tagen ist das Problem nicht vom Tisch. Man müsste eigentlich das Problem der alltäglichen Belastung durch Schichtarbeit angehen. Man müsste was an den Arbeitsbedingungen der Schichtarbeit machen und die Frage auch mal stellen: Warum Schichtarbeit überhaupt in Bereichen, die nicht gesellschaftlich notwendig sind, erlaubt ist. Wir hatten das Thema schon zum Beispiel bei uns in Bochum, als Nokia erpresste abzuwandern (was sie ja letztlich gemacht haben) und die Betriebsratsvorsitzende damals selbst zum Land NRW gefahren ist, um sich die Sondergenehmigung, Handys auch am Sonntag zu bauen, abzuholen. Die Autoindustrie muss auch nicht unbedingt im Dreischichtbetrieb Autos bauen, schon gar nicht, wenn wir wissen, wie gesundsgefährlich sie sind. (…) dieser Abschluss – ich möchte noch mal betonen – liefert nicht nur durch die Laufzeit Planungssicherheit für die Arbeitgeberseite. Alle Zusatzabschlüsse – das ist ein ziemlich kompliziertes Werk -, sind aber trotzdem einheitlich mit einem versehen, nämlich mit einem Konjunkturvorbehalt. Das heißt, all das kann zurückgenommen werden, wenn es dem Einzelbetrieb schlecht geht oder die gesamte Konjunktur einbrechen sollte. Das unternehmerische Risiko ist auch hier wieder einmal gegen Null und wird komplett von den Belegschaften getragen. Bei diesem Abschluss werden wir wahrscheinlich nie erfahren, wie hoch tatsächlich die Lohnerhöhung ausfällt, weil es so stark betrieblich-konjunkturell und auch von der Anzahl derjenigen, die die Arbeitszeitverkürzung tatsächlich in Anspruch nehmen werden, abhängig ist. Das ist Augenwischerei und ein eindeutiger Mangel an innergewerkschaftlicher Demokratie und da sollten alle Unzufriedenen jetzt aufstehen und sagen “mit uns nicht!” – schon im Interesse ihrer eigenen Würde.” Das Interview von Mag Wompel beim Radio Dreyeckland am 8. Februar 2018 ist auf Anregung aus der lobenden Leserschaft vertextet worden und als pdf-Datei abrufbar
  • IGM verfestigt geschlechtsspezifische Arbeitsteilung 
    „… Dass die Betriebe nach dem Tarifabschluss bei Bedarf für deutlich mehr Beschäftigte als heute die Arbeitszeit verlängern dürfen, d. h. verstärkt 40-Stunden-Verträge abschließen können, wird kaum erwähnt. Die Gefahr, dass Familienväter länger arbeiten und Mütter und pflegende Töchter die Erwerbsarbeitszeitverkürzung in Anspruch nehmen, kann nicht übersehen werden. An der geschlechtsspezifischen Verteilung der Arbeitszeit in Produktion und Reproduktion wird sich kaum etwas ändern, dazu braucht es anderer Modelle. Vor allem braucht es eine allgemeine Verkürzung der Vollzeit-Erwerbsarbeit und eine egalitäre Verteilung der unbezahlten Arbeiten auf alle Geschlechter, nicht nur individuell, sondern auch kollektiv. Ohne eine Veränderung des traditionellen Familienbildes wird es nicht gehen.“ Artikel von Gisela Notz in der Soz Nr. 03/2018  – wir danken!
  • Neuanfang oder Anfang vom Ende der (gesellschaftlichen) Arbeitszeitdebatte? Mehr Schatten als “Leuchtturm” in der Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie 2018 der IG Metall
    Artikel von Mag Wompel vom Januar 2018
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162440
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