Clearview: Diese Firma kennt Milliarden Gesichter
Dossier
„Eine US-Firma hat drei Milliarden Fotos im Internet gesammelt und als Datenbank mit Gesichtserkennung verkauft. Zu den Kunden soll das FBI gehören. Droht das auch Deutschland? Auf ihrer Webseite präsentiert sich Clearview als Helferin gegen das Böse. (…) Das bislang unbekannte Unternehmen hat einen immensen Datenberg aus dem Netz gesaugt. Drei Milliarden Fotos von Menschen soll die Firma laut New York Times horten und sie mittels Gesichtserkennungssoftware durchsuchen können. Kunden von Clearview laden ganz einfach das Foto einer Person hoch und bekommen dann weitere öffentliche Fotos der Person angezeigt – inklusive Links, die zu der Quelle führen. Die Zeitung spricht vom „Ende der Privatsphäre, wie wir sie kennen“. Die Fotos aus der Clearview-Datenbank stammen demnach aus sozialen Medien wie Facebook und YouTube sowie Millionen weiterer Webseiten, die öffentlich zugänglich sind oder waren. Die Firma behauptet, dass im vergangenen Jahr 600 Behörden ihren Service genutzt haben…“ Beitrag von Julia Klaus vom 20.01.2020 beim ZDF , siehe weitere Artikel dazu:
- Gesichtserkennung: Frankreich verhängt Höchststrafe gegen Clearview AI
„Die umstrittene Gesichtersuchmaschine Clearview AI weigert sich, Fotos von französischen Bürger:innen aus seiner Datenbank zu löschen. Jetzt hat die dortige Datenschutzaufsicht eine Millionenstrafe verhängt – bereits die dritte aus der EU. Doch das Urteil hat vor allem Signalwirkung. Die französische Datenschutzbehörde CNIL hat gegen Clearview AI eine Strafe wegen Datenschutzverletzungen in Höhe von 20 Millionen Euro verhängt. Das Start-up sammelt ohne Zustimmung der gezeigten Personen Fotos aus dem Netz und trainiert damit das Modell für eine Gesichtersuchmaschine, die es an Ermittlungsbehörden und Unternehmen vermarktet. Das sei eine nicht-erlaubte Verarbeitung von persönlichen Daten und ein Verstoß gegen EU-Datenschutzregeln, urteilte am Donnerstag die Datenschutzaufsicht CNIL – und belegte Clearview AI mit der Maximalstrafe…“ Beitrag von Chris Köver vom 21.10.2022 bei Netzpolik - Gesichtserkennung: Großbritannien droht Clearview mit Millionenstrafe – Deutschland drückt sich
„… Nach Australien zeigt nun auch Großbritannien klare Kante gegen Clearview AI. Das Unternehmen betreibt eine kostenpflichtige Gesichtersuchmaschine für Ermittlungsbehörden. Nun soll Clearview AI die Daten von Menschen aus Großbritannien löschen und keine neuen erheben. Das geht aus einer vorläufigen Mitteilung der britischen Datenschutzbehörde hervor. Demnach drohe Clearview AI eine Strafe von umgerechnet 20 Millionen Euro. Auch die Datenschutzbehörde in Australien hat Clearview AI Anfang November aufgefordert, die Daten australischer Bürger:innen zu entfernen. Die Forderungen sind eine neue Stufe der Eskalation in der internationalen Kritik an der Gesichtserkennungssoftware. In Deutschland hatte sich bisher der Hamburger Datenschutzbeauftragte durch Widerstand gegen Clearview AI hervorgetan. Recherchen von netzpolitik.org zufolge hat das Unternehmen inzwischen jedoch wenig von deutschen Datenschützer:innen zu befürchten. (…) Noch im August 2020 hatte der damalige Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar Clearview AI scharf kritisiert. Er schrieb von „düsteren digitalen Dystopien“ und sah darin eine „kaum mehr kontrollierbare Form der Herrschaft über Menschen“. Offenbar hatte die Firma auf Rückfragen der Behörde nicht zufriedenstellend reagiert, denn die Hamburger Datenschützer:innen drohten mit Strafen: Bis zu 170.000 Euro Zwangsgeld, falls Clearview AI die siebzehn Fragenkomplexe nicht umfassend beantworte. Vorangetrieben wurde die Debatte in Deutschland durch den Fall des Informatikers Matthias Marx. Er ist selbst gegen seinen Willen in der biometrischen Datenbank von Clearview AI gelandet und hat den Hamburger Datenschutzbeauftragten eingeschaltet. Mehr als ein Jahr später ist das Fazit ernüchternd. Clearview AI hat die Fragen der Hamburger Behörde ohne Zwangsgeld beantwortet; außerdem will die Firma die biometrischen Daten von Marx gelöscht haben. Und zwar nur die von Marx. Ein Vorgehen gegen Clearview AI im Namen aller Bürger:innen – wie in Australien oder Großbritannien – wird es in Deutschland anscheinend nicht geben. (…) Dass strenges Vorgehen gegen Gesichtserkennungssoftware möglich ist, haben andere Länder und Kommunen längst vorgemacht…“ Beitrag von Sebastian Meineck und Christina Braun vom 2. Dezember 2021 bei Netzpolitik.org - Clearview bietet umstrittene Gesichtserkennung Polizeien weltweit an
„Zahlreiche staatliche Institutionen und Sicherheitsbehörden weltweit haben die umstrittene Gesichtserkennungssoftware Clearview AI getestet. Eine Recherche deckt auf, dass dies oft illegal geschah. Fast 90 Sicherheitsbehörden und Regierungsinstitutionen in 24 Ländern außerhalb der USA haben die umstrittene Gesichtserkennungssoftware Clearview AI probeweise genutzt, oftmals gegen die Datenschutzbestimmungen des eigenen Landes. Dabei wurden seit Februar 2020 etwa 14.000 Suchen mit der Software durchgeführt, berichtet Buzzfeednews unter Berufung auf interne Firmenunterlagen. Dem Einsatz der Software ging offenbar eine breit angelegte Kampagne von Clearview voraus, bei der das Unternehmen tausenden Polizisten und Angestellten von Regierungsorganisationen einen kostenlosen Test zur Verfügung stellte. Diese haben die Software anschließend oftmals ohne Wissen der Vorgesetzten eingesetzt. Einige der Organisationen haben ihren Sitz laut den Recherchen von Buzzfeednews in Ländern, in denen der Einsatz von Clearview illegal ist, so zum Beispiel in Kanada. Auch in Ländern wie den Niederlanden und Frankreich wird überprüft, ob Clearview überhaupt legal ist. In Deutschland ging der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar gegen das Unternehmen vor, Clearview weigerte sich aber zu kooperieren – mit dem Hinweis, es habe keine Nutzer*innen im Land . In Europa hat zudem ein zivilgesellschaftliches Bündnis gegen Clearview in mehreren Ländern Beschwerde eingelegt …“ Artikel von Markus Reuter vom 26.08.2021 bei Netzpolitik - Klare Sicht auf die alltägliche Dystopie. Die Bilddatenbank von Clearview AI, das Ende der Anonymität und die Überwachungsmaschinerie im 21. Jahrhundert
„… Anfang 2020 kam die erste aufsehenerregende Enthüllung: Die US-Firma Clearview hatte über Jahre hinweg im Internet Milliarden Fotos für eine Datenbank für biometrische Zwecke gesammelt und diese dann verkauft. Veräußert wurden die Daten zu Identifikationszwecken, zunächst offiziell „nur“ an hunderte Strafverfolger in 27 Ländern, darunter 2.400 Polizeiwachen. Später stellte sich heraus: auch an private Kunden. Alle Bilder stammen von Webseiten und sozialen Netzwerken. Sie wurden grundsätzlich ohne Wissen und Einwilligung der Eigentümer sowie abgebildeten Personen abgegriffen. Sie werden automatisch ausgewertet und können mit frischen Bildern von Ermittlern abgeglichen werden, Verhaltens- und Aufenthaltsprofile von Verdächtigen sind gratis dabei. (…) Eine erste Beschwerde, eingereicht 2020 von Matthias Marx bei der Hamburger Datenschutzbehörde, brachte erst nach elf Monaten und Stellungnahmen durch noyb.eu klare Ergebnisse. Noyb.eu („None of Your Business“) ist die Nichtregierungsorganisation des Österreichers Max Schrems, der durch seine Klagen gegen Facebook und das Privacy-Shield-Urteil bekannt geworden ist. Im Februar entschied der Hamburger Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, dass Marx das Recht auf Löschung des so generierten Hash-Wertes zustehe. Ein „Minimalurteil“ nennt das noyb.eu und zeigt sich enttäuscht, dass die Datenschützer nicht auch das Sammeln der Daten verboten haben – ganz zu schweigen von der Anforderung, alle Fotos von Marx zu löschen. (…) Wer Clearview also gemäß der DSGVO verbieten will, Bilder von sich zu sammeln, muss Einspruch einlegen und hoffen. Der Vorwurf gegen die Firma, neben den Bildern selbst auch sämtliche Metadaten aus diesen auszuwerten und dafür auch nicht vor Verschleierung zurückzuschrecken, wiegt schwer. Nur scheibchenweise kamen die Details ans Licht, nachdem die New York Times im Januar 2020 die Geschäftspraktiken offengelegt hatte. Vor wenigen Tagen hat noyb.eu zusammen mit anderen Organisationen Beschwerde eingelegt bei Datenschutzbehörden in Frankreich, Österreich, Italien, Griechenland und Großbritannien. In Italien mussten Datenschützer den Polizeikräften bereits untersagen, Daten aus der Clearview-Datenbank für Echtzeitgesichtserkennung zu nutzen…“ Beitrag von Markus Feilner vom 11. Juni 2021 bei Telepolis - Techno-Faschismus: Faschisten entwickelten mit Clearview gezielt die weltweit leistungsfähigste Gesichtserkennungstechnologie
„Die Huffington Post, eine us-amerikanische Zeitung, hat im März 2020 enthüllt, wie sehr die Gesichtserkennungssoftware „Clearview AI“ von Faschisten und sog. Neoreaktionären gezielt entwickelt worden ist. Der rechtsradikale Milliardär Peter Thiel (Paypal-Gründer, Vorstandsmitglied von Facebook und Berater von Trump) gab dafür Geld. Ein ganzes Netzwerk von US-Nazis bildet den Hintergrund für einen technologischen Angri, dessen Dimension uns erschaudern lässt. (…) Clearview AI ist nicht irgendeine Gesichtserkennungssoftware. Sie ist weltweit die derzeit leistungsfähigste. Mit mehr als 3 Milliarden Fotos, die v.a. aus Social-Media-Profilen und Websites extrahiert wurden, ist seine Bilddatenbank fast sieben Mal so gross wie die des FBI. Die mobile App kann Namen und Gesichter durch Antippen auf dem Touch-screen zuordnen. Die Technologie wird bereits in Augmented-Reality-Brillen integriert, so dass die sie tragenden Menschen fast Jeden identifizieren können, den sie anschauen. Im Zuge der Corona-Pandemie befindet sich Clearview in Gesprächen mit staatlichen Stellen, um seine Technologie zum Aufspüren infizierter Personen einzusetzen. Clearview hat bereits Verträge mit der Einwanderungs- und Zollbehörde und der US-Staatsanwaltschaft für den südlichen Bezirk von New York und FBI-Agenten, Mitglieder der Zoll- und Grenzschutzbehörde und Hunderte von Polizeibeamt_innen gehören USA-weit zu seinen Nutzer_innen. Insgesamt sind etwa 2200 Repressionsbehörden, Konzerne und Universitäten weltweit Kunden von Clearview (Stand Februar 2020). (…) Der CEO und Mitbegründer von Clearview, Cam-Hoan Ton-That, sowie mehrere Personen die für ihn und das Unternehmen gearbeitet haben, haben nicht nur tiefe, langjährige Verbindungen zu Rechtsradikalen – die meisten sind selber welche. Clearview gab an, sich sofort von einigen dieser Personen getrennt zu haben, als die Huffington Post um einen Kommentar zu dieser Geschichte bat, aber die weiterhin existierenden Verbindungen zwischen dem Unternehmen und der radikalen Rechten lassen sich nicht über einige wenige Entlassungen abschütteln. Clearview ist nicht zu trennen von dem Netzwerk aus dem das Unternehmen entstanden ist. Es ist sozusagen die DNA der Firma…“ Beitrag vom 26. Februar 2021 vom und beim Untergrundblättle - Gesichtserkennung: Clearview AI lässt sich Kundenliste stehlen
„Bei der umstrittenen Gesichtserkennungsfirma Clearview AI ist es zu einem Datenleck gekommen. Auf einer gestohlenen Kundenliste stehen wohl mehrere Hundert Polizeibehörden, die die Technik nutzen. Als wäre das Geschäft von Clearview AI nicht schon unheimlich genug. Das Unternehmen stellt Gesichtserkennungssoftware her, die ihm zufolge Milliarden von Gesichtern aus dem Internet gespeichert hat. Lädt ein Polizist ein Foto in das Programm hoch, findet er so gut wie alle anderen Bilder der Person im Netz. Datenschützer sprechen von einem Albtraum für die Privatsphäre aller Menschen. Umso unangenehmer für das Unternehmen, dass jemand seine Kundenliste gestohlen hat. Auf der stehen vermutlich Hunderte Polizeibehörden in den USA und anderen Ländern. (…) Der Eindringling konnte demnach sehen, wie viele Nutzerkonten ein Kunde betrieb und wie viele Suchanfragen er stellte. Der Inhalt jener Suchanfragen ist das Heikle an Clearviews Geschäft. Das Unternehmen sorgte im Januar für Schlagzeilen. Die New York Times hatte aufgedeckt, dass viele Polizeibehörden die Technik nutzen, ohne dass es die Öffentlichkeit mitbekommt. Mit ihr lassen sich Spuren von Menschen finden, auch wenn der Suchende weder deren Namen noch andere Informationen über sie kennt. Ein Foto reicht. (…) Firmengründer Hoan Ton-That hat immer wieder betont, man erfasse nur „öffentliche“ Daten. Aber dazu zählen auch Fotos, die Nutzer auf „privat“ gestellt haben, nachdem sie schon erfasst worden waren – womit sie offensichtlich zu Unrecht glaubten, sie dem Zugriff unbekannter Dritter entzogen zu haben. Vielen Nutzern ist ohnehin nicht bewusst, dass ihre Facebook-Fotos von außerhalb des Netzwerkes so einfach gescannt werden können und in Datenbanken zur Strafverfolgung landen. Ganz abgesehen davon, dass Facebook solches Abgreifen von Daten verbietet. Nur die Polizeibehörden sind von der Effektivität der Technik begeistert…“ Artikel von Jannis Brühl vom 27. Februar 2020 in der Süddeutschen Zeitung online - Clearview AI: Der lange Weg zu den eigenen Datenschutzrechten
„Clearview AI funktioniert wie eine Suchmaschine für Gesichter: Strafverfolgungsbehörden aus mehreren Ländern nutzten die Software, um Personen zu identifizieren. Wir haben mit Matthias Marx gesprochen, der sich in der Gesichter-Datenbank wiederfand und die Datenschutzaufsicht eingeschaltet hat. (…) Der Informatiker Matthias Marx fand sich in der Datenbank von Clearview wieder, damit begann für ihn ein langer Weg. Er kontaktierte erst das Unternehmen selbst und reichte dann deshalb gemeinsam mit Alan Dahi von der Datenschutz-Organisation noyb Beschwerde beim Hamburgischen Datenschutzbeauftragten (HmbBfDI) ein. Am Ende stand für Marx ein kleiner Erfolg, doch er hatte sich mehr erhofft, erzählt er im Gespräch mit netzpolitik.org. (…) Das Beispiel Clearview zeigt: Die Gefahren der Privatsphäre gehen weniger von Unternehmen aus, die in der EU ansässig sind, als von solchen, die jenseits des aufsichtsbehördlichen Kontrollbereichs im Ausland sitzen. Es ist daher eine zentrale Herausforderung für alle Aufsichtsbehörden, eine Strategie für das gemeinsame Handeln zu finden. (…) Seine Behörde habe Clearview AI deutlich gemacht, dass die DSGVO anwendbar ist und sei nun auf ähnliche Beschwerden eingestellt. Das Unternehmen bietet auf seiner Website mittlerweile Formulare an, mit denen Privatpersonen ihre personenbezogenen Daten anfragen oder löschen lassen können. Matthias Marx wertet des Vorgehen der Datenschutzaufsicht als kleinen Erfolg: Die Hamburger Datenschutzbehörde ist jetzt ausreichend in das Thema eingearbeitet, das ist letztendlich kein einfaches Thema, weil geklärt und geschaut werden muss, inwiefern die DSGVO auch für Firmen gilt, die angeblich keine EU-Konten haben und definitiv keinen Sitz in der europäischen Union. Das ist jetzt erfolgt. Das heißt, man kann künftig auf meinen Fall blicken und dann hoffentlich schneller zu einem Ergebnis kommen. Allerdings ist Marx nicht zufrieden damit, dass nur das biometrische Template und nicht die Fotos selbst gelöscht werden müssen. „Das heißt, Clearview AI kann das Bild oder die Bilder zu meinem Gesicht aufheben“, so Marx. Alan Dahi von noyb ist der Meinung, dass Marx ein Recht auf eine Löschung der Fotos gehabt hätte. Die beiden hatten außerdem gehofft, dass das Vorgehen des Unternehmens Deutschland- oder Europa-weit verboten wird. Marx weist darauf hin, dass die Hürden für eine Beschwerde hoch sind. „Ich finde es sehr ungünstig, dass diese Anordnung nur meine Person betrifft“, sagt der Informatiker. Dass alle Betroffenen einzeln Auskunftsersuchen stellen und sich beschweren müssen, hält er für nicht praktikabel...“ Interview und Artikel von Josefine Kulbatzki vom 21.02.2021 bei Netzpolitik - Gesichtserkennung: Clearview AI verweigert Zusammenarbeit mit deutscher Datenschutzaufsicht
„… Clearview AI weigert sich offenbar, mit dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) zu kooperieren. Bei der Aufsichtsbehörde war im Februar eine Beschwerde gegen das US-Start-up eingegangen. In deren Folge hatte sie Kontakt zu Clearview aufgenommen. Jetzt wirft der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar dem Unternehmen vor, seine Fragen nur ausweichend beantwortet zu haben. Er droht, ein Zwangsgeld von bis zu 170.000 Euro zu verhängen. Caspar erklärte in einer Mitteilung zudem, die Aufsichtsbehörden müssten „düstere digitale Dystopien“ verhindern, die durch den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware entstehen könnten. (…) Allerdings streitet noch nicht einmal Clearview selbst ab, dass in seiner Datenbank biometrische Daten von Menschen aus Europa abgespeichert sind. Um diese Daten verarbeiten zu dürfen, müsste Clearview nach Ansicht des Datenschutzbeauftragten jedoch Einwilligungen von sämtlichen Betroffenen eingeholt haben. Ein Vorhaben, das bei drei Milliarden Fotos so realisierbar wäre wie die Aufzucht von Flugsauriern. Deshalb geht die Behörde nach eigenen Angaben weiterhin von der Anwendbarkeit der DSGVO aus. (…) Johannes Caspar will, dass Clearview bis Mitte September nun endlich umfassend Auskunft erteilt – andernfalls droht das Zwangsgeld. Auch außerhalb von Deutschland bringen sich Datenschutzbehörden gegen das Unternehmen in Stellung. Erst kürzlich starten Großbritannien und Australien eine gemeinsame Untersuchung.“ Artikel von Daniel Laufer vom 20. August 2020 bei Netzpolitik.org - Clearview: Wenn Milliardäre Gesichtserkennung als Spionage-Spielzeug nutzen
„… Clearview ahnte, dass dieser Tag kommen würde. „Wir geben zu, dass mächtige Werkzeuge immer das Potenzial haben, missbraucht zu werden“, schrieb das Unternehmen Ende Januar auf seiner Webseite. Es stelle seine Gesichtserkennung nur Strafverfolgungsbehörden und ausgewählten Sicherheitsexperten zu Verfügung. „Wir nehmen diese Bedrohung sehr ernst.“ Ganz so ernst kann es Clearview damit nicht gewesen sein. Fünf Wochen, nachdem das Unternehmen öffentlich beschwichtigte, deckt die New York Times (NYT) auf: Die zentrale Aussage des Blogeintrags war eine Lüge. Neben Tausenden Behörden und Organisationen konnten auch etliche Privatleute Clearviews Datenbank durchsuchen, in der mehr als drei Milliarden Fotos von Gesichtern gespeichert sein sollen – Milliardäre, Investoren und Geschäftspartner. (…) Entgegen der öffentlichen Beteuerungen hätten die Clearview-Gründer neben Behörden auch privaten Kunden und Freunden Zugriff auf die mächtige Suchfunktion gegeben, berichtet die NYT. Diese sollen die App auf Partys, Dates und Geschäftstreffen eingesetzt haben. (…) Ohnehin verschweigt Clearview so einiges. (…) Unter anderem wurde bekannt, dass Clearview seine Dienste mitnichten nur in den USA und Kanada anbietet, sondern global expandieren wollte. Zu den mehr als 2200 Kunden zählen auch Behörden und Organisationen in autokratischen Regimen wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. (…) „Sicherheit ist Clearviews oberste Priorität“, behauptete das Unternehmen – nachdem es sich seine Kundenliste stehlen ließ. Datenpannen seien nun einmal „Teil des Lebens im 21. Jahrhundert“, beschwichtigte ein Anwalt. Wenn Clearview selbst davon ausgeht, früher oder später gehackt zu werden, erinnern die angeblich drei Milliarden gespeicherten Fotos an eine tickende Zeitbombe. Dieser Datenbank will es alle Fahndungsfotos hinzufügen, die in den vergangenen 15 Jahren in den USA aufgenommen wurden. (…) In Deutschland scheint Clearview noch nicht eingesetzt zu werden. Zumindest sind bislang keine Kooperationen mit Behörden bekannt…“ Artikel von Simon Hurtz vom 7. März 2020 bei der Süddeutschen Zeitung online - Auch ohne Clearview: Polizei findet schon jetzt Hunderte Täter per Gesichtserkennung [mutmaßliche Täter, also nicht verurteilte!]
„Gesichtserkennung gehört auch in Deutschland längst zum Polizeialltag – und sie funktioniert auch ohne die umstrittene Clearview-Software, wie Zahlen des LKA Bayern belegen. Bundesinnenminister Horst Seehofer verzichtet vorerst darauf, die automatisierte Gesichtserkennung in Deutschland mithilfe des künftigen Bundespolizeigesetzes auszuweiten. Doch das heißt nicht, dass die Technik an sich hierzulande tabu ist – im Gegenteil. (…) Allein in Bayern, wo sich das dortige Landeskriminalamt (LKA) als Vorreiter in Sachen Gesichtserkennung sieht, hat sich die Zahl der mutmaßlichen Straftäter, die mithilfe des Programms identifiziert wurden, mehr als verdoppelt – von 146 im Jahr 2018 auf 387 im vergangenen Jahr. (…) 600.000 Euro hat das LKA seit 2018 in den Ausbau seiner Gesichtserkennung gesteckt. (…) Seit zwölf Jahren nutzt das LKA inzwischen schon die Möglichkeit, Bildmaterial, auf dem unbekannte mutmaßliche Täter zu sehen sind, mit Fotos aus einer Datenbank des Bundeskriminalamtes (BKA) abzugleichen. In der sind Bilder von Inhaftierten enthalten, aber auch Fotos von Menschen, die zur Fahndung ausgeschrieben oder die einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen wurden. (…) Mehr als 20.000 Recherchen werden nach BKA-Angaben pro Jahr durchgeführt, Testabfragen eingerechnet. Wie hoch die Erfolgsquote 2019 war, teilte das BKA auf Anfrage nicht mit. Nach Angaben der Bundesregierung recherchierte allein die Bundespolizei im ersten Halbjahr 2019 rund 1200 Mal im Gesichtserkennungssystem des BKA und identifizierte 219 Menschen…“ Beitrag vom 10. Februar 2020 von und bei Spiegel online – Da bereits Fahndungen gespeichert werden, ist davon auszugehen, dass z.B. alle mutmaßlichen „G20-Verdächtigte“ betroffen sind. Ebenso werden offensichtlich auch die Daten von einmal erkennungsdienstliche (auch rechtwidrig) behandelter Versammlungsteilnehmer nicht gelöscht. Das polizeistaatliche Element kommt vor allem dadurch hinein, dass es nur um Verdächtige geht, deren Speicherung und Suche ohne richterliche Zustimmung erfolgen kann. - Gesichtserkennungs-App „Clearview“: Jedes Gesicht eine offene Datenbank?
„… Ob bei einer Demonstration oder abends in der Bar: Wenn es nach dem Entwickler Hoan Ton-That geht, könnte künftig jeder Mensch dank Gesichtserkennung identifizierbar werden. Wie die „New York Times“ berichtet, sollen mit der App „Clearview“ nicht nur Namen von Passanten, sondern auch sensible Daten wie der Wohnsitz und private Hintergründe nur wenige Klicks entfernt sein. (…) Eine solche Art der Gesichtserkennung galt bisher als Tabu unter Tech-Unternehmen. „Die Möglichkeiten, dies als Waffe einzusetzen, sind endlos“, zitiert die „New York Times“ Eric Goldman, Co-Direktor des High Tech Law Institute an der Santa Clara University. „Stellen Sie sich einen schurkischen Strafverfolgungsbeamten vor, der potenzielle romantische Partner verfolgen möchte, oder eine ausländische Regierung, die dies nutzt, um Geheimnisse über Menschen zu erpressen oder ins Gefängnis zu werfen.“ (…) Ob die App letztlich für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird, ist unklar. Doch Nachahmer könnten sich dem Konzept bedienen – und die Privatsphäre nachhaltig verändern.“ Beitrag von Gloria Geyer vom 18. Januar 2020 beim Tagesspiegel online - Gesichtserkennung: Die Firma, die uns alle identifizieren will
„… Es klingt dystopisch: Ein kleines New Yorker Unternehmen namens Clearview hat eine App entwickelt, mit der man jede Person im Netz identifizieren können soll – und das nur anhand eines Fotos. Es reicht aus, das Bild einer Person hochzuladen und schon spuckt die App ähnliche Fotos aus, inklusive Link auf die Quelle. Möglich ist das dank einer Datenbank, in die rund drei Milliarden Bilder aus allen möglichen Quellen eingeflossen sind: Instagram-Selfies, Porträtfotos von der Website des Arbeitgebers, YouTube-Videos, Fotos von Nachrichtenseiten. Eine der größten Sammlungen ihrer Art – und vor allem interessant für Strafverfolgungsbehörden. Allein im vergangenen Jahr sollen 600 von ihnen begonnen haben, Clearview zu nutzen. So berichtet es die New York Times mit Verweis auf Unternehmensangaben, wobei nicht ganz klar ist, ob es sich dabei um 600 Behörden weltweit oder allein in den USA handelt. (…) Wäre ein System wie das von Clearview in Deutschland überhaupt möglich? Alexander Roßnagel hat daran seine Zweifel. Er ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Kassel und Sprecher des Forums Privatheit. „Keiner der Betroffenen hat Clearview eine Einwilligungserklärung gegeben“, sagt er. Die Sammlung der Daten sei daher nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) unzulässig, genauso wie das Geschäftsmodell von Clearview. Allerdings heiße das nicht, dass dies immer so bleiben werde. Die öffentliche Meinung dazu könne sich ändern: Je mehr Erfolge es mit Systemen zur Gesichtserkennung in anderen Ländern gebe, desto stärker steige womöglich auch hierzulande der Druck – sowohl im öffentlichen Raum wie an U-Bahn-Stationen als auch in privaten Räumen wie Stadien, so Roßnagel. Auch Technik, deren Einsatz hierzulande gar nicht legal wäre, kann den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Und sie wirft Fragen an die Gesellschaft auf: Wollen wir wirklich riskieren, uns in der Öffentlichkeit nicht mehr anonym bewegen zu können? Wollen wir, dass jede Person als potenzielle Straftäterin oder Straftäter behandelt wird? Wollen wir Unternehmen gestatten, Daten zu speichern, für deren Verwendung sie nie eine Erlaubnis eingeholt haben? Der US-amerikanische Fall zeigt, wie wichtig diese Fragen sind. Und wie wichtig es ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Technikrechtler Alexander Roßnagel selbst wünscht sich klare Regeln. „Automatisierte Gesichtserkennung sollte in Europa verboten werden“, sagt er. Sollte es wirklich Ausnahmen geben, müsse die Verwendung klar begrenzt sein…“ Beitrag von Lisa Hegemann vom 20. Januar 2020 bei der Zeit online