Lernen für die Rendite: Der nächste PISA-Schock – Lehrkräftemangel verschärft Ungleichheit
„Wie konnte das nur passieren? Deutschlands Schülerinnen und Schüler sind bei PISA weiter abgeschmiert. Bei der neuesten Auflage der internationalen Schulleistungsstudie zeigt der Daumen verglichen mit der Vorgängeruntersuchung bei allen drei getesteten Fächern – Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften – nach unten (jW berichtete). Was sich nach dem leichten Aufwärtstrend bei den Tests von 2009 und 2012 schon bei dem von 2015 angedeutet hatte, ist seit Dienstag Gewissheit: Deutschlands lernender Nachwuchs ist im internationalen Vergleich nur Mittelmaß. An dem Befund ist zweifellos etwas dran. Aber die Art, wie und durch wen er gestellt wurde, ist höchst zweifelhaft. Die OECD als Lobbyklub der weltweit führenden Industriestaaten hegt und pflegt ein strikt ökonomistisches Bildungsverständnis. Was Kind heute lernt, muss sich morgen rentieren: für es selbst, für die Wirtschaft, für den Kapitalismus. Nicht rentabel ist aus dieser Sicht all das, was die Selbst- und Fremdverwertung als Wirtschaftssubjekt durchkreuzen könnte. Und so wie alles in der Produktions- und Arbeitswelt zwecks Optimierung zu vermessen, zu evaluieren und zu rationalisieren ist, müssen deshalb auch Lehre und Lernen verzweckt werden. Bei PISA läuft das unter »Kompetenzerwerb«, also anwendungsorientiertes Verfahrenswissen. Es geht nicht mehr um die Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, um Reflexion, Selbst- und Weltverständnis, sondern um Arbeitsmethoden und Lernstrategien. (…) Begünstigt wird das vergleichsweise schlechte Abschneiden bei den Tests freilich durch grassierenden Lehrermangel, massenhaft Aushilfskräfte, marode Lehranstalten, sogenannte Brennpunktschulen, häusliche »Bildungsferne«, wachsende Armut, exzessiven Medienkonsum – kurzum: durch fehlende Bildungs- bzw. Sozialpolitik. Damit trotzdem keinem auffällt, wie das Niveau in der Fläche immer mehr absackt, werden sukzessive die Anforderungen gesenkt. Wie nie boomen dazu die Privatschulen, und Länder mit vielen Privatschulen landen bei PISA weiter vorne. Es gibt also noch Hoffnung für Deutschland.“ Kommentar von Ralf Wurzbacher bei der jungen Welt vom 5. Dezember 2019 und dazu die GEW:
- PISA-Ergebnisse: Lehrkräftemangel verschärft Ungleichheit
„… Deutschland tut sich auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit nach wie vor schwer. „Die große Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler bleibt die Achillesferse des deutschen Schulsystems. Auch fast 20 Jahre nach dem PISA-Schock schafft es Schule nicht entscheidend, Nachteile abzubauen, die Kinder aus dem Elternhaus mitbringen“, sagte GEW-Vorstandsmitglied Schule Ilka Hoffmann am Dienstag nach Veröffentlichung der Ergebnisse der neuen PISA-Studie. Deutsche Schülerinnen und Schüler zeigten zwar Leistungen über dem OECD-Durchschnitt, schnitten in den drei untersuchten Feldern Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften jedoch schlechter ab als 2015. Weitere Ergebnisse: Insgesamt bleibt der Abstand zu den Spitzenreitern in Asien und Europa groß. Gleichzeitig hängt der Schulerfolg in Deutschland weiterhin stärker von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler ab als im Durchschnitt der OECD-Länder. (…)„Der Lehrkräftemangel verschärft das Problem. Die Schere geht weiter auf“, betonte Hoffmann. Es sei unverantwortlich, Quer- und Seiteneinsteiger insbesondere an Schulen einzusetzen, in denen ein hohes Maß an pädagogischer Kompetenz erforderlich sei. Insbesondere Schulen in schwierigen sozialen Lagen müssten gestärkt und begleitet werden, damit sie Schülerinnen und Schüler unterstützen und fördern könnten. „Sonst werden die Unterschiede zwischen Kindern aus bildungsbenachteiligten Familien und gut betuchten Elternhäusern gerade vor dem Hintergrund des gravierenden Lehrkräftemangels an Grundschulen zusätzlich verstärkt.“ Hoffmann bekräftigte die Forderung der Gewerkschaft, Deutschland müsse weitere Schritte in Richtung eines inklusiven Schulsystems machen und dafür mehr Geld und Personal bereitstellen…“ Stellungnahme der GEW vom 3. Dezember 2019