Mitgliederzahlen der DGB-Gewerkschaften rutschen weiter unter sechs Millionen – auch hausgemacht

Dossier

isw-report 78: Die Große Krise und die Lähmung der Gewerkschaften„Für Gewerkschaften gibt es nichts Wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer mit Streiks nicht einmal drohen kann, der braucht an den Tischen der Tarifverhandlungen gar nicht erst Platz zu nehmen. (…) Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist im Jahr 2017 erstmals unter 6 Millionen gesunken. Zum Jahresende 2018 waren es noch 5,975 Mitglieder, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 20.000. Zehn Jahre früher lag die Zahl noch bei 6,371 Millionen. Der DGB Vorsitzende Reiner Hoffmann schiebt diese Entwicklung nur auf die demo-grafische Entwicklung, bei der mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als in die Gewerkschaft eintreten. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht…“ Beitrag vom 19. November 2019 vom und beim Gewerkschaftsforum Dortmund externer Link, siehe mehr daraus und dazu:

  • Größer? Erfolgreicher? Politischer! Deutsche Gewerkschaften verzeichneten 2023 ein leichtes Mitgliederplus. Das allein bedeutet noch keine Erneuerung. New
    Zunächst die guten Nachrichten: Erstmals seit der Jahrtausendwende, genau genommen seit 2001, haben die deutschen Gewerkschaften ein Mitgliederplus zu verzeichnen, 0,4 Prozent im Jahr 2023. (…) Das relative Mitgliederhoch der DGB-Gewerkschaften lässt sich denn auch reduzieren auf 193 000 neue Verdi-Mitglieder sowie Zuwächse bei GEW, NGG und der Gewerkschaft der Polizei (GdP). (…)
    Es ist nicht alles schlecht in der geschrumpften Arbeiterbewegung. Einer großen Erneuerung stehen aber nicht nur Staat und Kapital, sondern auch interne Differenzen im Weg: Im organisatorischen Sinne ist das vor allem die Differenz zwischen der alten, sozialpartnerschaftlichen Verhandlungsgewerkschaft und dem Modell der konfliktorientierten Organizing-Gewerkschaft. Auch das ist nicht neu: Den entsprechenden »Doppelcharakter« der Gewerkschaften hatten gewerkschaftsnahe Intellektuelle wie Rainer Zoll und Eberhard Schmidt schon in den 70er Jahren konstatiert. Dass die größten Gewerkschaften Deutschlands ihr Engagement in Sachen Organizing allerdings deutlich reduzieren – Verdi vertraut seit einigen Jahren fast nur noch auf externe Organizing-Firmen und die IG Metall hat jüngst die Abteilung Organizing beim bundesweiten Vorstand geschlossen –, lässt wenig Hoffnung für eine neue Basisorientierung aufkeimen. Im politischen Sinne leidet die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland darüber hinaus unter zahlreichen Konflikten: Bis weit in die Gewerkschaftslinke hinein tun sich politische Gräben auf, begonnen mit der Frage nach der Beurteilung der Corona-Maßnahmen über die Beurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und, damit verbunden, der Scholz’schen »Zeitenwende« sowie westlicher und insbesondere deutscher Aufrüstungspolitik (oder »Ausrüstungspolitik«, wie es der zweite Vorsitzende der IGM Jürgen Kerner ausgedrückt hat) bis hin zur – besonders sensiblen – Beurteilung der israelisch-palästinensischen Konfrontation.
    Sympathien für die AfD
    Vor allem wird, was inhaltlich damit verbunden, aber keineswegs identisch ist, die autoritäre und rechtspopulistische Entwicklung in der Gesellschaft zu einem internen Problem der Gewerkschaften: Von Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften wird die AfD überdurchschnittlich häufig gewählt. (…)
    Die politische Stimmung der Mitgliederbasis tangiert dabei auch Kernbereiche gewerkschaftlicher Arbeit, etwa die Kampagne #wirfahrenzusammen von Verdi mit der Klimabewegung Fridays for Future zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs oder auch die Frage, wie sich die IG Metall zu den Protesten gegen die Fabrikerweiterung von Tesla in Grünheide verhält. Seine parteipolitische Neutralität droht dem DGB dabei auf die Füße zu fallen: Einerseits ist sie theoretisch gesehen völlig plausibel: Arbeiter*innen können sich gegen die stärkere Macht der Unternehmen in einem asymmetrischen Konflikt nur gemeinsam zur Wehr setzen, das heißt, sie müssen politische Differenzen beiseite lassen. Andererseits ist die soziale Funktion von Gewerkschaften ganz prinzipiell gefährdet, wenn sozialpolitische Grundpositionen – die zu Migration und Geschlechterverhältnissen nicht minder bedeutend sind als zum Kapitalverhältnis – von der Basis in Frage gestellt werden. Eine klare, auch praktische Positionierung gegen rechtsautoritäre Tendenzen ist dabei eben keine politische Parteinahme, sondern grundsätzliches Eigeninteresse der Gewerkschaften.
    Das zentrale Motto der Gewerkschaften zum 1. Mai 2024 ist deshalb, sagen wir mal, mager. Die Losung »Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit« laviert sich nicht nur um sämtliche gesellschaftlichen, sondern auch um sämtliche gewerkschaftlichen Konflikte herum: Denn mehr Lohn und mehr Freizeit, so richtig wie immer, ist einfach nur die Legitimationsgrundlage aller Gewerkschaften seit Bestehen der Arbeiterbewegung. »Mehr Sicherheit« mag sozioökonomisch gemeint sein – bedient aber auch einen letztlich autoritären Diskurs: noch mehr Mitglieder für die GdP. (…) Es geht kein Weg daran vorbei: Auch wenn es eigentlich der Grundidee einer parteiübergreifenden »Partei der Arbeit« (Émile Pouget) widerspricht, müssen die Gewerkschaften notwendig politischer – oder politisch eindeutiger – werden.“ Artikel von Torsten Bewernitz vom 26.04.2024 in ND online externer Link
  • DGB-Gewerkschaften im Sinkflug: Sie haben es zugelassen, dass „wir einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut haben, den es in Europa gibt“ und lassen es nun wieder zu
    „Für Gewerkschaften gibt es nichts Wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer nicht einmal mit Streiks drohen kann, der braucht an den Tischen der Tarifverhandlungen gar nicht erst Platz zu nehmen. Immer zum Jahreswechsel bilanzieren die Gewerkschaften die Entwicklung ihrer Mitgliederzahl. Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist seit der Wiedervereinigung um etwa die Hälfte eingebrochen. Im Jahr 2017 ist sie erstmals unter 6 Millionen gesunken. Zum Jahresende 2021 waren es noch 5.7 Millionen Mitglieder, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 130.000. Von offizieller Seite wird diese Entwicklung hauptsächlich auf die demografische Entwicklung, Beschäftigungsabbau allgemein, Strukturwandel in der Berufswelt und neuerdings zusätzlich noch auf die Pandemie, mit ihrer erschwerten Mitgliederwerbung geschoben. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht. Zum Beispiel haben die DGB-Gewerkschaften es zugelassen, dass in Deutschland einer der „besten Niedriglohnsektoren aufgebaut wurde, den es in Europa gibt“. (…) So wie die Hartz Gesetzgebung den Ausbau des Niedriglohnsektors forciert hat, so wird auch das neue Bürgergeld bei der Beschäftigungsoffensive mit Niedriglöhnen Pate stehen. Damals wie heute werden die DGB-Gewerkschaften die Gesetzesvorhaben unterstützen und „kritisch begleiten“. Das war ab 2004 so und wird ab 2023 wieder so sein. (…) DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte am 10.11.2022: „Der Bundestag hat trotz der Blockade der Union das Bürgergeld beschlossen. Dieser Beschluss ist für viele Millionen Menschen mit geringen Einkommen und ohne Arbeit eine gute Nachricht. Ihre Situation wird endlich verbessert. Jetzt müssen die Bundesländer in der Sondersitzung des Bundesrats am Montag den Weg für das Bürgergeld mit seinen wichtigen Verbesserungen freimachen. Das Bürgergeld bietet soziale Sicherheit für langjährig Beschäftigte, mühsam Aufgebautes nicht zu verlieren. Für sie ist das Bürgergeld eine Chance, dass bei Arbeitslosigkeit nicht sofort der soziale Abstieg auf Sozialhilfeniveau folgt. Der DGB appelliert deshalb an die Bundesländer, verantwortungsvoll zu handeln und in der Sondersitzung des Bundesrats am Montag den Weg für das Bürgergeld mit seinen wichtigen Verbesserungen frei zu machen“. Ob die „vielen Millionen Menschen mit geringen Einkommen und ohne Arbeit“ das heute auch so sehen, scheint zweifelhaft zu sein. Die Gewerkschaften sagen, sie würden die prekär beschäftigten Menschen mit ihrer Mitgliederwerbung kaum erreichen und für und mit Nichtmitgliedern zu kämpfen lohne sich nicht. Die im Niedriglohnsektor arbeitenden potentiellen Gewerkschaftsmitglieder sagen, die Gewerkschaften tun nichts für uns und eine Mitgliedschaft mit einem Prozent Beitrag vom Bruttolohn monatlich ist eine ziemlich teure und ineffiziente Sache. Beim weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors wird dieser Kreislauf noch an Dynamik gewinnen und die Mitgliederzahlen der DGB-Gewerkschaften weiter sinken lassen.“ Beitrag vom 24. November 2022 beim gewerkschaftsforum.de externer Link
  • Weniger als 20 Prozent der Beschäftigten sind noch in einer Gewerkschaft – Mehr als zwei Drittel halten starke Gewerkschaften aber für wichtig 
    Die Deutschen halten starke Gewerkschaften für wichtig – die meisten sind aber nicht Mitglied. Nur 18,5 Prozent der Beschäftigten gehören laut einer Umfrage noch einer Gewerkschaft an; in den Jahren vor der Wiedervereinigung waren es über 30 Prozent. In Ostdeutschland liegt der Organisationsgrad bei nur 13,4 Prozent, in Westdeutschland bei 19,6 Prozent, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Donnerstag hervorhob. (…) „Ja, ich bin Mitglied“, sagten nur 18,5 Prozent der im Rahmen der allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) interviewten Arbeitnehmer im Jahr 2016. Werden auch Rentner, Arbeitslose, Hausfrauen und Schüler berücksichtigt, sind laut IW 26 Prozent der Bevölkerung Gewerkschaftsmitglied. Fast ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder seien also gar nicht erwerbstätig – die meisten (90 Prozent) von ihnen seien Rentner. Vor allem junge Arbeitnehmer, Frauen, Teilzeitbeschäftigte mit weniger als 30 Arbeitsstunden je Woche und Migranten treten laut der IW-Studie selten einer Gewerkschaft bei. In der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen etwa betrage der Anteil nur 14,5 Prozent, bei den über 50-Jährigen seien es dagegen 22,5 Prozent, heißt es in der IW-Studie. Der Organisationsgrad bei Teilzeitbeschäftigten mit weniger als 30 Stunden pro Woche liegt demnach bei 11,5 Prozent, bei außerhalb Deutschlands geborenen Arbeitnehmern sind es 15,6 Prozent. Dennoch stimmten fast 70 Prozent der 2016 Befragten der Aussage zu, dass Arbeitnehmer starke Gewerkschaften brauchen. Studienautorin Schneider erklärte, das Verhalten vieler Arbeitnehmer könne als „riskantes Kalkül“ bewertet werden…“ afp-Meldung vom 20.12.2018 in der Welt online externer Link
  • Die Mitgliederzahlen der DGB-Gewerkschaften rutschen weiter unter sechs Millionen – Gründe auch hausgemacht 
    Für Gewerkschaften gibt es nichts wichtigeres als Mitglieder. (…) Immer zum Jahreswechsel bilanzieren die Gewerkschaften die Entwicklung ihrer Mitgliederzahl. Die acht Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen  Gewerkschaftsbundes (DGB) sind dabei sehr genau. Mal aus Eigeninitiative, mal auf Nachfrage teilen sie aufs Mitglied genau den Stand mit. Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist im Jahr 2017 erstmals unter 6 Millionen gesunken. Zum Jahresende 2019 waren es noch 5.934.971 Mitglieder, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 40.000. Zehn Jahre früher lag die Zahl noch bei 6,371 Millionen. Der DGB Vorsitzende Reiner Hoffmann schiebt diese Entwicklung nur auf die demografische Entwicklung, bei der mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als in die Gewerkschaft eintreten. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht. (…) Als Gründe für das Schrumpfen der Mitgliederzahlen können,  auch wenn es nicht gern gehört wird, beispielsweise genannt werden: Hohe verstetigte Arbeitslosigkeit und Abrutschen in Hartz-IV (…) Zunahme prekärer Beschäftigung (…) Spaltung der Belegschaften (…) Co-Management (…) Tariflöhne stiegen zuletzt nominal um 3,0 Prozent, real erzielen die Tarifbeschäftigten ein Plus von 1,6 Prozent (…) Trend zur Tarifflucht hält an – weniger als die Hälfte der Beschäftigten fallen unter einen Tarifvertrag (…) Traditionelle DGB-Gewerkschaften sind maskulin (…) Keine Umverteilung von Arbeit (…) Gewerkschaften sind die größten Rentnerklubs…“ Artikel vom 1. August 2020 von und beim Gewerkschaftsforum externer Link
  • Weiter im Beitrag vom 19. November 2019 vom und beim Gewerkschaftsforum Dortmund externer Link: „… Zur Jahrtausendwende hatte der DGB noch knapp 7,8 Millionen Mitglieder. 17 Jahre später rutschte die Zahl der Mitglieder in den DGB-Gewerkschaften erstmals unter die 6 Millionen Grenze. Die beiden größten Einzelgewerkschaften IG Metall und ver.di haben unterm Strich Verluste an Mitgliedern zu verkraften, ebenso die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE). ver.di hatte Ende 2017 erstmals weniger als zwei Millionen Mitglieder und ein Jahr später waren es noch 1.969 Millionen. Geschrumpft sind auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die nur noch auf rund 187.396 Mitglieder kommt und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die knapp unter die Marke von 200.000 Mitgliedern gefallen ist und hier waren es Ende 2018 noch 198.026 Mitglieder. Stabil geblieben ist die Mitgliederzahl der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit 279.389 Mitgliedern. Zulegen konnte allein die kleinste DGB-Gewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei (GdP), sie verzeichnet unter dem Strich rund 5.000 Zugänge und kommt jetzt auf 190.931 Mitglieder. Während die Berufsgewerkschaften tendenziell stabil oder wachsend sind, haben die meisten Branchengewerkschaften weiterhin Mühe, die Zahl ihrer Mitglieder zu halten. (…) Dabei ist die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt angestiegen, doch handelt es sich hierbei überwiegend um Menschen die ungesicherte, befristete und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse eingehen müssen, um am oder unter dem Existenzminimum leben zu können. Diese Menschen scheinen die DBG-Gewerkschaften nur wenig zu interessieren.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=157748
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