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Trotz allem internationalen Beistand: Die Putschisten in Bolivien unter wachsendem Druck von Massenprotesten

Anti-Putsch-Plakat in Bolivien im November 2019„… In Lateinamerika findet kein rechter Putsch mehr ohne Beifall der Bundesregierung statt. Während des langen doch bislang erfolglosen Umsturzversuches in Venezuela musste sich das Auswärtige Amt noch von der Realität belehren lassen. (…) In Bolivien hingegen lief alles schneller. Nach der weiterhin unbelegten Behauptung umfassender Wahlmanipulationen durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zwangen Militär und Polizei den 2014 mit über 60 Prozent der Stimmen gewählten Präsidenten zum Rücktritt. Er beugte sich nach eigenen Aussagen dem Druck, um Blutvergießen zu verhindern. Mit dem Vizepräsidenten und den Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments nahmen auch alle verfassungsmäßigen Nachfolger auf Druck der Putschisten ihren Hut. Sie beklagten teilweise, dass ihre Häuser angezündet und ihre Familien bedroht worden seien. Der Präsident der Abgeordnetenkammer rief im Zuge seiner Rücktrittserklärung gar zur Freilassung seines entführten Bruders auf. All dies hielt Regierungssprecher Seibert nicht davon ab, den Rücktritt Morales‘ als „wichtigen Schritt hin zu einer friedlichen Lösung“ zu begrüßen und Lügen über das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu verbreiten. Im zweiten Akt des Putsches tagte der Senat ohne die MAS-Abgeordneten, die in der Parlamentskammer die Mehrheit stellen. Diese „boykottierten“ jedoch nicht die Sitzung, wie uns quer durch die meisten Medien vermittelt wird, sondern nahmen aus Sorge um ihre Sicherheit nicht teil. Sie wurden ausgesperrt…“ – aus dem Beitrag „It’s a Coup, stupid!“ von Andrej Hunko am 18. November 2019 in der Freiheitsliebe externer Link zum konkret illegalen Vorgehen der Putschisten und ihrer Unterstützung durch die Bundesregierung – zu der noch die „mediale Unterstützung“ hinzu kommt – etwa, wenn die rassistische Putschistin als „Übergangspräsidentein“ bezeichnet wird, oder die gegen den Putsch aktiven Proteste umstandslos als die von „Morales-Anhängern“ verkleinert werden. Zu Putsch und Widerstand in Bolivien vier weitere Beiträge sowohl zum Stand und zu Problemen des Widerstandes, als auch zu Vorgeschichte und Bedingungen der heutigen Situation – sowie der Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Thema:

  • „Bolivien: Ein Volksaufstand, den die Ultrarechte ausnutzt“ von Raul Zibechi am 17. November 2019 bei der Gewerkschaftslinken Hamburg externer Link ist die deutsche Übersetzung (von Matthias Schindler) eines Artikels vom 11. November in Desinformémonos, worin unter anderem die Geschichte des wachsenden Widerspruchs zwischen Regierung und sozialen Bewegungen seit etwa 2011 nachgezeichnet wird – lesens- und erinnerungswert auch dann, wenn man die These, es habe keinen Putsch gegeben, nicht teilt: „… Die soziale Mobilisierung und die Weigerung der Bewegungen, die Regierung zu verteidigen, die sie einmal als „ihre“ verstanden hatten, war der Grund für den Rücktritt. Dies wird durch die Aussagen des Bolivianischen Gewerkschaftsverbandes COB (Central Obrera Boliviana), der Professor*innen und Führungsgremien der Staatlichen Universität von El Alto (UPEA), Dutzender von Organisationen und der Organisation Mujeres Creando bestätigt, die letzte vielleicht die klarste von allen. Die lateinamerikanische Linke will nicht akzeptieren, dass ein beträchtlicher Teil der Volksbewegung den Rücktritt der Regierung forderte, weil es ihr nicht gelingt, über die Caudillos hinauszublicken. Die Erklärung des historischen Verbandes der Gewerkschaften der Bergarbeiter Boliviens (FSTMB), der der Regierung nahesteht, ist das deutlichste Beispiel für das Gefühl vieler Bewegungen: „Präsident Evo, Du hast bereits viel für Bolivien getan, Du hast die Bildung und Gesundheit verbessert, Du hast vielen armen Leuten ihre Würde wiedergegeben. Präsident, lass es nicht zu, dass sich die Gemüter des Volkes erhitzen und dass es zu noch mehr Todesopfern kommt. Das gesamte Volk wird Dich dafür schätzen, wenn Du jetzt das tust, was Du tun musst, Dein Rücktritt ist inzwischen unvermeidbar geworden, Genosse Präsident. Die nationale Regierung muss jetzt in die Hände des Volkes gelegt werden.“
  • „Die Hölle und der Putschplan in Bolivien“ von Marco Teruggi am 19. November 2019 bei amerika21.de externer Link (in der Übersetzung von Vilma Guzmán), worin es zum massiven Widerstand gegen den Putsch und den aktuellen Problemen der Volksbewegungen unter anderem heißt: „… Die Putschisten haben sich getäuscht und eine Reaktion ausgelöst, die sie in diesem Ausmaß nicht einkalkuliert hatten. Die erste Antwort angesichts der Eskalation war die der Streitkräfte, die in einem faktischen Ausnahmezustand raus auf die Straßen gegangen sind. Militärflugzeuge kreisen, Hubschrauber, Panzer (jetzt mit der Whipala) werden in La Paz, El Alto, auf den Autobahnen des Landes eingesetzt. Was ist der Plan derer, die den Putsch durchgeführt haben? Das ist die zentrale Frage. Es werden wohl drei Schritte sein. Der erste, der erreicht wurde, war der Sturz der Regierung unter der Führung von Evo Morales und Álvaro García Linera. Der zweite, der in Teilen umgesetzt wurde, ist die Schaffung einer institutionellen Fiktion, die sich in der Selbsternennung von Añez, der Einsetzung von Ministern und der Führungsriegen der Streitkräfte und der Polizei materialisierte. Dieser zweite Schritt hat noch einen Haken: das Parlament, das aus zwei Kammern besteht und in der Hand der Bewegung zum Sozialismus (Movimiento Al Socialismo, MAS) ist, die über eine Zweidrittelmehrheit verfügt und neue Vorsitzende gewählt hat (…) Aufrufen von Evo Morales zur Mobilisierung wurde gefolgt, aber unkoordiniert und ohne unmittelbare Wirkung, und beim Schlussangriff war die Straße verloren. Eine Antwort darauf zu finden, warum das so war, beinhaltet, sich zu fragen, wie es aktuell um die Bewegungen und darüber hinaus um den Veränderungsprozess zur Stunde des Putsches bestellt war. Ein Beispiel für diese Situation kann man in El Alto sehen, wo die größte Organisation, der Verband der Nachbarschaftsräte (Federación de Juntas Vecinales, Fejuve), sich in zwei Fraktionen gespalten hat: eine regierungsnahe, die andere oppositionell, und das Bürgermeisteramt in der Hand der Opposition. Am Mittwoch fand eine Volksversammlung statt, bei der versucht werden sollte, eine neue, einheitliche Leitung zu bilden – da die bisherige sehr umstritten war –, aber das Ziel wurde noch nicht erreicht. Drei zentrale Aspekte lassen sich feststellen: An erster Stelle, dass die Person Evo Morales, ihre Verteidigung und Rückkehr, keine vereinheitlichende Forderung ist, zumindest vorerst. Zweitens, dass die Anführer der Bewegungen in vielen Fällen Erscheinungen von Abnutzung und Spaltungen zeigen. In El Alto gibt es eine große Kraft und Radikalität, aber (noch) ohne Linie oder fähige Leitung. Drittens, eine Stragie zu entwickeln, welche die Bewegungen – wie jene die zur Coordinadora Nacional para el Cambio gehören – mit der Gewerkschaftszentrale COB und dem parlamentarischen Bereich im Rahmen eines gemeinsamen Plans verbindet und organisiert, ist eine ebenso unabdingbare wie komplexe Aufgabe...“
  • „Schwerkraft der Ökonomie“ von Raul Zelik in der Ausgabe 46/2019 des Freitag online externer Link zu Auswirkungen des neoliberalen Diktats auf Regierungen in Südamerika unter anderem: „… Doch dieses wenige war offenbar immer noch viel zu viel. In Brasilien mündeten die Ermittlungen gegen die PT in einen Staatsstreich gegen die an der Korruption gar nicht beteiligte Präsidentin Rousseff und führten zur Machtübernahme des Rechtsextremen Jair Bolsonaro. In Venezuela kämpft die Guaidó-Opposition ebenfalls nicht für mehr Demokratie, sondern für eine Rückkehr der alten Eliten. Und was in Bolivien gespielt wird, zeigt ein Blick auf die Proteste: In einem Land, in dem die Indigenen zwei Drittel der Bevölkerung  ausmachen, sind die Demonstranten auffallend weiß. Die wohlhabenden Bolivianer haben zwar auch unter Evo Morales gut verdient, doch dass ein ungebildeter „Indio“ das Sagen hat, ist für diese Leute untragbar. Da ist es schwierig, eine konsequente Haltung einzunehmen. Auf der einen Seite darf man nicht verschweigen, dass sich unter Linksregierungen neue Eliten gebildet haben und Personenkult die Debatten erstickte. Und wo die Linke nicht gestürzt ist, droht ein Zustand wie in Nicaragua, wo Präsident Ortega autoritäre Klientelpolitik mit linkem Anstrich betreibt. Doch wahr ist eben auch, dass die Alternative häufig auf nichts anderes hinausläuft als auf die Herrschaft einer faschistoiden Oligarchie. Manches hätten die Linksregierungen sicher anders machen können, doch vieles hat auch strukturelle Gründe. Hätte sich Brasiliens PT nicht dem Baukonzern Odebrecht angenähert, hätte die MAS in Bolivien kein System der (finanziell an sie gebundenen) Claqueure aufgebaut, wären die Regierungen vermutlich noch früher gefallen. Wer einen Staat im globalen Süden kontrollieren will, braucht entsprechende Netzwerke: Polizisten wollen geschmiert werden, Großagrarier im großen Stil Soja oder Drogen exportieren, Militärs Rüstungsgüter kaufen und dafür „Honorare“ der Konzerne aus dem Norden kassieren…“
  • „Bolivien ist blockiert“ von Thomas Guthmann am 18. November 2019 in neues deutschland online externer Link zu wachsenden Widerstandsaktionen: „… An vielen Ecken im Land sind Straßen blockiert. In El Alto bringen die Proteste die Stadtgesellschaft zum Zerreißen. Nicht alle wollen die Blockade aufrechterhalten. Denn die Proteste beeinträchtigen auch das eigene Leben. In den Märkten gibt es bereits kein Fleisch mehr und auch das Gemüse wird knapp, die Preise steigen. Insbesondere für die Familien, die knapp bei Kasse sind, wird die Versorgungslage schwieriger. Aber auch anderweitig zeigen sich Risse. Junge Leute, die unter Evo Morales groß geworden sind, und für Carlos Mesa gestimmt haben, fühlen sich ebenfalls betrogen um ihre Wählerstimme. Noch ist nicht klar, wie lange und wie umfangreich die Blockade in der Stadt aufrechterhalten werden kann. In Rio Abajo, von wo aus La Paz mit Gemüse versorgt wird, zeigen sich die Leute entschlossen: »Kein Salatblatt werden wir hier durchlassen, bis Präsidentin Añez zurücktritt«, meint eine Blockiererin. Viele sind hier immer noch geschockt von den Beleidigungen, der Schändung der Wiphala, der Flagge der indigenen Pluralität, und vom erzwungenen Gang ihres Präsidenten ins Exil. Mamani meint »hier in unserer Gemeinde haben 90 Prozent Evo Morales gewählt. Am Abend der Wahl hat die Opposition bereits von einem Wahlbetrug gesprochen, da waren unsere Ergebnisse noch gar nicht berücksichtigt, sie wollen, dass ihre Wahlentscheidung berücksichtigt wird, respektieren unsere aber nicht.« Die meisten hier seien keine Anhänger der Bewegung zum Sozialismus (MAS), fährt er fort, aber »Morales ist der erste Präsident gewesen, der bei uns vorbeigeschaut hat und überhaupt was für die Gemeinden auf dem Land gemacht hat.« Daher wollen sie nicht ruhen, bis die für sie rechtmäßige Regierung wieder eingesetzt wird. Die tiefe Demütigung, die sie diese Tage erleben, ist überall greifbar, immer wieder ringen die Blockierer um Worte, wenn sie berichten. Aus Kreisen der neuen Regierung hört man derweil, dass sie erst dann Neuwahlen ansetzen will, wenn die »Ordnung« wieder hergestellt ist...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=157521
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