Auswirkungen des Hartz IV Urteils auf das Migrationsrecht: Leistungskürzungen bei MigrantInnen und Flüchtlinge nicht mit Bundesverfassungsgerichtsurteil vereinbar
„Das höchste deutsche Gericht betrachtet Kürzungen von Hartz-IV-Leistungen als verfassungskonform. Das Ausmaß der Sanktionen wurde aber erheblich verringert. Statt bisher bis zu 100% dürfen ab sofort „nur“ noch 30% des Regelbedarfs gestrichen werden. In der Reaktion auf das Urteil sind nun erst einmal alle Sanktionen gegen Hartz IV EmpfängerInnen eingestellt, wohl aber nur zeitweise. Nach RDL Informationen wollte sich das Arbeitsministerium von vornherein darauf einlassen, die komplette Streichung der Hartz IV Bezüge aufzugeben. Seehofers Innenministerium intervenierte gegen die Prozesstaktik aber, weil er die komplette Streichung weiterhin für die Asylbewerberleistungen haben möchte. Welche Konsequenzen das Urteil nun also im Migrationsrecht eigentlich haben müsste, haben wir den Juristen David Werdermann gefragt. Er befasst sich immer wieder mit verfassungsrechtlichen Fragen im Migrationsrecht.“ Beitrag von und bei Radio Dreyeckland vom 8. November 2019 und unsere Anmerkung dazu sowie ein neues Gerichtsurteil:
- Gericht erlaubt Leistungskürzung für Asylbewerber als Anreiz zur Ausreise
„… Städte und Landkreise dürfen einem Asylbewerber nach einem Urteil des Sozialgerichts Osnabrück Geldleistungen kürzen, wenn er bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat. Es habe die Klage eines Sudanesen gegen die Leistungskürzung durch den Landkreis Osnabrück abgelehnt, teilte das Sozialgericht am Dienstag mit. Der hatte zuerst in Frankreich Asyl beantragt. Entscheidend sei, dass der in Deutschland gestellte Asylantrag unzulässig sei, da nach dem sogenannten Dublin-Verfahren das Ersteinreiseland zuständig sei. Die Leistungskürzung könne als Anreiz für die freiwillige Ausreise nach Frankreich betrachtet werden. (AZ: S 44 AY 76/19 ER). (…) Das Gericht urteilte, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 zu Sanktionen bei Hartz-IV-Empfängern treffe auf diesen Fall nicht zu. Danach wären Kürzungen von mehr als 30 Prozent des Regelsatzes nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht habe sich nur mit der Leistungskürzung zur Wiedereingliederung in Arbeit befasst. Hier gehe es aber um einen Anreiz zur freiwilligen Ausreise nach Frankreich. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Sie kann mit der Beschwerde zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen angegriffen werden.“ Meldung vom 11. März 2020 bei MiGAZIN - Anm.: David Werdermann ist in soweit zuzustimmen, dass die Situation eines Hartz IV-Berechtigten bezüglich Sanktionen, nicht mit den – z.B. ang. „ausreisepflichtigen“ – Migranten vergleichbar ist. So können ersteren Leistungen u.U. bis zum Vollentzug nur gekürzt werden, wenn entweder Vermögen oder eine sog. „zumutbare“ Arbeit als Existenzsicherung vorhanden ist (ohne dem sind nur 30-Prozentsanktionen möglich). Bei Migranten besteht diese Möglichkeit nicht (besonders bei Arbeitsverbot). Es besteht folglich auch kein Nachranggrundsatz. Allerdings besteht der Zwang zur Mitwirkung bezüglich Statusermittlung. Ob hier und in wieweit Sanktionen verhängt werden können, ist in sofern verfassungsrechtlich noch offen und wurde nur teilweise bereits in der erwähnten BVerfGE angesprochen. Eine Klage ist von daher sinnvoll, eine Verbindung mit der jetzigen Entscheidung schwierig (wobei das BVerfG in der Sanktionsentscheidung allerdings unkommentiert die Regelung zum ALG erwähnt). Als vermutlich sicher kann angenommen werden, das Sanktionen bei Migranten sachgerecht und verhältnismäßig sein müssen.