Bundesverfassungsgericht: Meinungsfreiheit umfasst auch rassistische NPD-Hetze gegen Flüchtlinge – und ein Kommentar
„Die NPD hatte auf Facebook zahlreiche hetzerische Beiträge zur Flüchtlingspolitik veröffentlicht. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg stufte sie als „jugendgefährdend“ ein. Zu Unrecht, entschieden jetzt Verfassungsrichter in Karlsruhe. Die Meinungsfreiheit darf bei rechter Hetze gegen Flüchtlinge auf Facebook nicht pauschal als „jugendgefährdend“ eingestuft und von der Medienaufsichtsbehörde eingeschränkt werden. Wenn eine Landesmedienanstalt einen Landesverband der verfassungsfeindlichen NPD wegen veröffentlichter „jugendgefährdender“ Inhalte auf deren Facebook-Profil zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten verpflichtet, muss dies verhältnismäßig sein und genau begründet werden, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag in Karlsruhe veröffentlichten Beschluss. Damit hatte die Verfassungsbeschwerde des Berliner NPD-Landesverbandes Erfolg. (…) [A]uch hetzerische und möglicherweise offen rassistische Äußerungen gehörten zum Schutzbereich der Meinungsfreiheit, entschied das Bundesverfassungsgericht. Zwar dürfe die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, dies „bedarf aber immer der besonderen Rechtfertigung“, so die Verfassungsrichter. Dies sei hier unterlassen worden…“ Meldung vom 14. Oktober 2019 von und bei MiGAZIN – siehe das Urteil und einen Kommentar von Armin Kammrad (wir danken!)
- Diese Meldung bezieht sich auf die Entscheidung 1 BvR 811/17 der 2.Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. August 2019, aufbereitet in der BVerfG-Pressemitteilung Nr. 66/2019 vom 11. Oktober 2019
Kommentar von Armin Kammrad:
Die zentrale Aussage dieser fragwürdigen Entscheidung ist wohl die Feststellung der Richter Masing, Paulus, Christ von der 2. Kammer des Ersten Senats: „Politische Parteien sind Träger von Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Gegenstand des Schutzbereichs sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Daher fallen die beanstandeten Kommentare nicht schon deshalb aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, weil sie sich gegen Minderheiten richten oder einen hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen Gehalt aufweisen“ (zit. nach PM). Diese höchstrichterliche Tolerierung von „hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen“ Angriffen auf Minderheiten mag bereits aufgrund des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots befremden (hatte nicht irgendwann einmal das BVerfG selbst die NPD als verfassungsfeindlich eingeschätzt?). Es geht jedoch noch schlimmer, stellt die Kammer doch fest: „Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können“ (Beschluss Rdnr. 16). Dies klingt zwar recht unverfänglich, bedeutet im Zusammenhang mit der rassistischen NPD-Hetze gegen Minderheiten jedoch, dass die Kammer offenbar von Tatsachenbehauptungen ausgeht, wo die Basis rassistische Erfindungen sind. Auf Basis meines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung erlaube ich mir deshalb die Frage: Wie kommt ein Richter beim BVerfG überhaupt auf die Idee, dass an der rassistischen Hetze der NPD irgendetwas den Tatsachen entspricht? Solchen tatsachenfreien Rassismus hatten wir eigentlich bereits einmal mit den schrecklichsten Folgen: beim Antisemitismus.