Wem gehört die Revolution? Replik auf eine «Offene Erklärung» ostdeutscher Bürgerrechtler
„… Die AfD war im August in ihren Wahlkampf in Sachsen und Brandenburg mit Slogans wie «Hol dir dein Land zurück – vollende die Wende!» gezogen. Ob es grade diese Aufforderung gewesen ist, die ihnen die Stimmen gebracht hat, sei dahingestellt. Aber im 30.Jahr der demokratischen Revolution an die Enttäuschungen zu erinnern, die sich für viele mit deren «Ergebnissen» verbindet und zu erklären, die Revolution von 1989 sei nicht erfolgreich gewesen, lässt auf ein geschicktes Management schließen. Dem sollte überzeugend widersprochen werden; fragt sich, ob den erwähnten Bürgerrechtlern dies gelungen ist? Geradezu kämpferisch, einem Schlachtruf gleich, klingt ihre Überschrift: «Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf». Wie argumentieren sie nun gegen die «Aneignungsversuche» durch die AfD? Sie weisen empört den Gedanken zurück, dass sich mit der Revolution von 1989 nicht alles zum Guten gewendet habe – im Prinzip jedenfalls. Sicher, da sei einiges noch zu verändern und auch zu verbessern, aber eine Revolution braucht es nun wirklich nicht, denn: «Mit der Wiedervereinigung (hätten) sich die Ziele der Revolution (erfüllt): Demokratie, Freiheit. Rechtsstaatlichkeit, offene Grenzen, ein geeintes Europa und Wahrung der Menschenrechte.» (…) Mir scheint, je mehr Ostdeutsche sich den systemkritischen Parolen der Rechten anschließen, umso emphatischer reagiert die liberale Bürgerrechtsseite. (…) Was müssten wir sowohl der AfD als auch den Liberalen entgegensetzen? Ohne selber wieder in Mythen zu verfallen?…“ Replik von Renate Hürtgen in der Soz Nr. 10/2019 auf „Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf“ bei der Robert-Havemann-Gesellschaft – und weiteres Zitat:
- Darin auch: „… «Der Prozess ist revolutionär», schrieb Heiner Müller im Dezember 1989, «vielleicht die erste Revolution in Deutschland, das Tempo ist schwindelerregend, eine sozialistische Revolution ist es nicht und kann es, nach Jahrzehnten stalinistischer Perversion des Sozialismus, nicht sein.» (…) Kein Sozialismus auf der Agenda, aber auch keine Gesellschaft à la Kohl als Perspektive – Müller hat diesen Satz Anfang Dezember 1989 geschrieben. Als im November 1989 im ganzen Land zivilgesellschaftliche und betriebliche Basisgruppen entstanden, hatten diese Formen der Selbstermächtigung wenig mit dem heutigen parlamentarischen Repräsentativsystem zu tun. Hätten sich die mit großem Selbstbewusstsein von der DDR-Bevölkerung eingeklagten Mitbestimmungsstrukturen und Inhalte durchgesetzt, wir hätten heute eine andere Bundesrepublik. Für die kurze Zeit des Machtvakuums entstand ein basisdemokratisches Leben in der DDR, wie es keine Bundesrepublik – auch nicht in ihren besten Tagen – je erlebt hat. Und jene, die im Herbst 1989 einen rechten, konservativen Geist sehen, den sie heute vollenden möchten, seien daran erinnert, dass im Herbst 1989 ein Staat gestürzt und in Betrieben, in Kommunen, an Runden Tischen und in betrieblichen Basisgruppen mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein begonnen wurde, die Sache selber in die Hand zu nehmen.
Der Erbe dieser basisdemokratischen Revolution vom Herbst 1989 ist nicht die AfD; deren politisches Ziel ist ein starker, ein autoritärer Staat und keine staatskritische, sich selbst vertretende Bevölkerung. Aber das sind nur Schlaglichter; es bleibt die immer dringlicher werdende Aufgabe, den Rechten wie den Liberalen eine eigene Perspektive entgegenzusetzen…“