Warnstreik der Neupack-Beschäftigten aus Hamburg und Rotenburg (Wümme)

DAS ERSTE MAL … UND DOCH EIN GELUNGENER AUFTAKT

Sie stehen draußen – ein fremdes Gefühl. Denn sie streiken zum erstenmal in ihrem Leben. Die Wut über die Zustände in ihrem Betrieb gärt seit Jahren. Es ist eine Familienbetrieb mit vier Eigentümern (zwei Generationen der Familie Krüger). Viele kriegen seit zehn bis 12 Jahren keine Lohnerhöhung mehr, andere werden weit über Tarif bezahlt, wieder andere werden sehr unterschiedlich für die gleiche Arbeit bezahlt, auch bei der Urlaubsregelung herrscht Willkür.

Die am Montag um 12 Uhr rausgegangen sind, das sind die Kolleginnen und Kollegen der Firma Neupack Verpackungen GmbH & Co KG in Hamburg-Stelllingen. Die KollegInnen aus dem Zweigwerk Rotenburg/Wümme kommen zwei Stunden später mit dem Bus in Stellingen an. Sie werden freudig begrüßt. Insgesamt sind es 196 Beschäftigte. Sie stellen Verpackungen für Lebensmittel her. Von den Angestellten streikt keine/r.

Heute jedoch ruht die Produktion, in Hamburg fast ganz, in Rotenburg ganz!

Schon Anfang Mai standen sie kurz vor einem Warnstreik, da boten die Eigentümer einen Tag vorher Verhandlungen über einen Tarifvertrag an. Wie sich herausstellte, war es reine Zeitverzögerung. Jeder Monat ohne Haustarifvertrag bringt ihnen Geld. Nun war die Geduld der KollegInnen zu Ende.

Heute, am Montag hatte die Verhandlungskommission getagt wie seit Mai so oft. Wieder ohne konkretes Ergebnis. Nun war die Geduld der Aktivisten endgültig zu Ende. Sie brachen die Verhandlungen ab. Schnell beriefen die Eigentümer noch eine Betriebsversammlung ein. Einer der Eigentümer appellierte an die Belegschaft: Wir Eigentümer müssen auch leben (bei 800 000 Euro Gewinn im letzten Jahr). Dies Argument muß wohl nicht sehr überzeugt haben, denn fast alle gingen raus. Die KollegInnen in Rothenburg/Wümme, eine gute Autostunde von Hamburg entfernt, wurden informiert und gebeten nach Hamburg zu kommen. Zur Unterstützung der Streikenden waren etliche KollegInnen vom Soli-Kreis Neupack zum Tor gekommen, darunter etliche Kollegen der IGBCE aus anderen Betrieben und von DIDF informierte KollegInnen.

Die IG BCE hat für einen Wagen mit Brötchen, Kaffee und anderen Getränken gesorgt, ein Lautsprecherwagen ist auch da. Viele der Streikenden haben wie man so sagt einen Migrationshintergrund, haben verschiedene Religionen. Die sich verschlimmernden Verhältnisse im Betrieb haben Streit und Differenzen der letzten Jahre beseitigt. Alle wollen das eine: Verbesserungen durch einen Tarifvertrag, damit sie Regelhaftigkeit und Verläßlichkeit erlangen und die beleidigende Willkür aufhört.

Demgegenüber stehen die Eigentümer mit ihrem Herr-im-Hause-Standpunkt, den sie so verinnerlicht haben, daß er zum Teil ihrer Identität geworden ist. Deshalb fühlen sich die vier Eigentümer durch die Forderung nach Tarifverhandlungen persönlich angegriffen. Solche Konstellationen gibt es wohl noch häufiger in Betrieben in Deutschland. Die Maßnahmen der Geschäftsleitung waren zum regelrechten Kleinkrieg ausgeartet, besonders gegen den Betriebsrats-Vorsitzenden Murat Günes. Er erhielt zweimal eine fristlose Kündigung. Vor dem Arbeitsgericht mußte sich der Anwalt der Arbeitgeber ein großes Verwundern der Arbeitsrichterin gefallen lassen. Andere Betriebsräte erhielten Abmahnungen. Die in dieser Weise Angegriffenen ließen sich nicht provozieren.

Alle Streikenden sind neugierig, ob der Warnschuß des Warnstreiks ausreicht, daß die Arbeitgeber ihre Forderungen erfüllen. Oder ob es demnächst mit einen unbefristeten Streik weitergeht. Jedenfalls war es ein gelungener Auftakt.

Dazu beigetragen hatten auch kurze Solidaritäts-Statements von Kollegen aus anderen Betrieben und von Unterstützern.

Der Landesleiter der IG BCE Nord, Ralf Becker sprach vom gemeinsamen Weg von Belegschaft und ihrer Gewerkschaft und dass der nächste Schritt der unbefristete Streik sei, falls die Eigentümer nicht einlenkten. Er bedauerte, daß sie den Weg der Sozialpartnerschaft verlassen hätten und argumentierte mit dem Grundgesetz.

Bereichert wurde der Nachmittag durch spontane Tanzeinlagen von türkisch-stämmigen KollegInnen. Wir Deutschen und die KollegInnen aus anderen Ländern wippten nur mit, keine/r brachte es über sich, sich einzureihen. Vielleicht beim nächsten Mal?

In den sechs Stunden hatten die Beschäftigten Zeit die ganze Umgebung des Werkes, ein Gemisch von vielen Wohnhäusern und circa hundert kleineren Betrieben mit Flugblättern der IG BCE zu „versorgen“. Ebenso wurde kein parkendes Auto „verschont“. Jedenfalls sind NachbarInnen und KollegInnen der umliegenden Betriebe informiert über die Zustände bei Firma Neupack und die Gründe des Streiks.

Vor dem Tor entwickelten sich interessante Gespräche zwischen den Beschäftigten und den Unterstützern. Wir hörten von ihren Arbeitsbedingungen und unterschiedlichen Löhnen am gleichen Arbeitsplatz, welche Produkte sie herstellen, wer die Lieferanten und wer die Abnehmer sind. Waren die KollegInnen in diesen Firmen eigentlich schon informiert über diesen Streik hier? Wir überlegten gemeinsam, was weiter zur Unterstützung möglich und nötig ist, an Ideen mangelte es nicht.

Dieter Wegner, Hamburg
(Verdi-Mitglied)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=15532
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