50 Jahre Septemberstreiks

[Fernseh-Doku] Wilde Streiks – Der heiße Herbst 1969„Beverly Silver verwies in ihrer Historiographie der Arbeitsunruhen im 20. Jahrhundert auf die Notwendigkeit, ein systematisiertes Verständnis für die aggregierte Bedeutung lokaler Arbeitskonflikte zu entwickeln, um die Dynamik von historischen Klassenbeziehungen überhaupt zu begreifen (…) Wilde Streiks sind mithin mitten in einem Kräftefeld verortet, das ein sehr breites Spektrum zwischen „unsichtbarer“ alltäglicher Devianz im Arbeitshandeln am einen und (öffentlich) „sichtbaren“ beziehungsweise „medialisierten“ Massenaktionen am anderen Pol beschreibt. Genau dieses Spannungsfeld spielt in der sich seit einigen Jahren, nicht zuletzt im Zuge der Rezeption der Geschichte der „proletarischen“ 1968er entwickelnden historischen Aufarbeitung wilder Streiks eine wichtige Rolle. Die Septemberstreiks – die aktuell ihren 50. Geburtstag feiern – sind dafür eines von mehreren Beispielen...“Beitrag aus der Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts bei Sozial.Geschichte online vom 16. September 2019 externer Link, siehe mehr daraus und dazu:

  • 1973: Arbeitskampf für Gleichberechtigung – Zeitzeuginnen berichten über Frauenstreik bei Pierburg
    „… Über 300 Streiks, initiiert von ausländischen Fließband-Arbeiterinnen, finden im Jahre 1973 in Deutschland statt. Tausende Gastarbeiterinnen aus Südeuropa kämpfen für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und Gleichberechtigung. So etwas hatte es zuvor noch nie gegeben. Ebenfalls einzigartig ist die Welle der Solidarität, die die Frauen mit ihrer Auflehnung losreißen: Männer, Facharbeiter und die Betriebsräte schließen sich schließlich den Streiks an und sorgen gemeinsam für einen erfolgreichen Ausgang der Arbeitskämpfe. So auch beim Frauenstreik beim Automobilzulieferer Pierburg im August 1973 in Neuss. Josefa Maruccio, Irina Vavitsa und Gabriele Koenen waren bei den Streiks in Neuss und Lippstadt (Firma Hella) dabei. Am Mittwoch erzälten sie in der Zentralbibliothek in Düsseldorf im Rahmen des Projektes „#Meinwanderungsland“ des Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland (Domid), wie sie die Zeit erlebt haben. (…) „Wir haben immer zusammengehalten“, erinnert sich Gabriele Koenen. Die 67-Jährige arbeitete 42 Jahre lang bei Pierburg am Fließband – davon 20 Jahre in der Nachtschicht – und baute Vergaser und Benzinpumpen zusammen. Die Arbeitsbedingungen, erzählt sie weiter, seien nicht gerade gut gewesen. „Es war sehr dreckig. Und man musste aufpassen, dass man keine Fehler macht.“ Es habe auch Baracken auf dem Gelände der Firma gegeben, in denen bis zu sechs Arbeiterinnen in einem Zimmer untergebracht waren. Besuch sei dort strengstens verboten gewesen. Das bestätigt Josefa Maruccio, die in so einer Baracke wohnte und ihren Mann, der ebenfalls bei Pierburg arbeitete, dort nie empfangen durfte. Und so kam es, dass sich die Neusser Grünanlagen am Wochenende mit   Liebespaaren füllten – und bald als für Kinder unzulässig erklärt wurden, wie eine Zeitzeugin aus dem Publikum berichtete. (…) Hinzu kam die schlechte Bezahlung: Frauen wurden bei Pierburg in der sogenannten „Leichtlohngruppe 2“ mit gerade einmal 4,70 DM pro Stunde entlohnt, während Männer für die gleiche Arbeit 6,10 DM erhielten. Gemeinsam gingen die Pierburg-Frauen deswegen am 14. August 1973 auf die Straße. Mit Schildern und Megafonen forderten sie bessere Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung und „eine Mark mehr“. Sie trotzten der Polizei, die oft mit Prügeln antwortete, und legten den kompletten Pierburg-Betrieb lahm. Doch nicht nur das: Nach und nach schlossen sich auch die Männer im Werk dem Streik an, bis schließlich auch der Betriebsrat reagierte. „Die Solidarität und der Respekt waren da“, erinnert sich Irina Vavitsa (69), die sich seit den Streiks in der IG Metall engagiert. Von den Streiks habe sie viel gelernt, sagt sie. Zuvor habe den Arbeiterinnen niemand erklärt, was ein Betriebsrat oder ein Tarifvertrag sei, doch heute weiß sie: „Der gute Wille reicht nicht, man braucht eine starke Organisation.“ Beitrag von Maren Könemann vom 2. März 2019 bei RP Online externer Link
  • Weiter aus dem Beitrag aus der Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts bei Sozial.Geschichte online vom 16. September 2019 externer Link: „(…) Die Septemberstreiks stehen für eine Erosion einer durch den Staat regulierten, aber autoritären Betriebs- und Arbeitspolitik, von dessen sozial-staatlicher Dimension auch viele Linke noch heute träumen, die aber damals nicht unbegründet als arbeiter_innenfeindlich und als entmündigend galt. Die Streiks markierten den Anfang vom Ende der auch in der SPD zu dieser Zeit durchaus verbreiteten Vorstellung, man könne soziale Konflikte quasi durch eine Verwissenschaftlichung der Politik und ihrer Apparate regulieren. Die Septemberstreiks schlossen an einen transnationalen Zyklus unabhängiger, anderer Arbeiter_innenkämpfe an, an den „Pariser Mai“, an den „heißen Herbst“ in Italien, an zahllose weitere Kämpfe. Sie markierten den Anfang eines Zyklus von Streiks, die das Spektrum der Themen auf den Kampf gegen „Frauenlöhne“ (Pierburg, 1973) oder rassistische Benachteiligung (Ford, 1973) erweiterten.“ – Sozial.Geschichte Online erinnert an die Septemberstreiks mit einem Dossier zu Arbeit und Arbeitskämpfen

Siehe auch:

  • „Migrationsgeschichte in Bildern“: Der Pierburg-Streik – Solidarität unter Arbeiter*innen
    Der Streik beim Neusser Automobilzulieferer Pierburg machte 1973 bundesweite Schlagzeilen. Er war einer von über 300 sogenannten „wilden Streiks“ in dieser Zeit, in der ausländische Arbeitskräfte und Deutsche sich miteinander für bessere Arbeitsbedingungen einsetzten. „Wild“ wurden diese Streiks deshalb genannt, weil sie nicht von einer Gewerkschaft begonnen bzw. getragen wurden.In vielen Betrieben waren es mehrheitlich Migrant*innen, die die Streiks begannen und anführten. Bei Pierburg übernahmen dabei die migrantischen Frauen eine führende Rolle. Gemeinsam mit der Mehrheit ihrer Kolleg*innen setzten sie sich für mehr Gleichberechtigung und eine faire Arbeitssituation für alle ein...“ Beitrag bei DOMiD e.V.  externer Link – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland

  • Vom April 2013 das Buch: “Wilder Streik – das ist Revolution”. Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=154748
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