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Neupack bietet Verhandlungen an, aber Streiken ist schöner
Bis heute waren für die Krüger-family Verhandlungen mit der IG BCE ausgeschlossen, verhandeln wollte sie nur mit dem Betriebsrat – nun doch die Mitteilung an die Hauptverwaltung, daß sie zu Verhandlungen bereit sind.
Weitere Infos gibt es dazu noch nicht. Die Streikenden sind skeptisch nach ihren jahrelangen Erfahrungen mit der Geschäftsleitung. Sie reagieren ironisch: Streiken ist schöner. Hoffentlich dauern die Verhandlungen recht lange.
Der Weg geht sich inzwischen fast von selbst: S-Bahn Stellingen, Randstraße, direkt unter der Autobahn links ab den kleinen Gang mit dem verschmierten Schild Roscherweg, nach sechs Minuten bin ich da, am Streikzelt im Doerriesweg 15. Auch hier hört man noch das Rauschen der Autobahn, auch den Lärm der Flugzeuge aus der Anflugschneise für Fuhlsbüttel – und samstags, wenn früher die Beschäftigten Überstunden machten, hörten sie auch alle 14 Tage den Lärm von der HSV-Arena. Die S-Bahn Stellingen habe ich früher nie benutzt, ich bin kein HSV-Fan. Auf der Autobahn bin ich oft die Abfahrt Stellingen abgefahren, die die Hamburger liebevoll St. Ellingen nennen.
Auf dem Weg überlege ich, ob sich die KollegInnen eine HSV-Dauerkarte leisten können, viele von ihnen bekommen so wenig, daß sie Aufstocker sind. Einer ihrer Chefs ist HSV-Fan, ob er einen Logenplatz hat? Ich überlege, ob ich mir einen Schlag aus der „Gulaschkanone“ nehme, einen Becher Kaffee auf jeden Fall. Mir ist es peinlich, wenn Streikende merken, daß ich mir einen Kaffee holen will und aufspringen: Ich hole schon, mit Zucker und Milch? Ich komme mir vor wie in einem Cafè. Aber vielleicht sollte es mir nicht peinlich sein, sie wollen den UnterstützerInnen nur ihre Dankbarkeit zeigen. Was denken sie?: Wir müssen ja hier sein. Aber warum kommen die vielen UnterstützerInnen hierher?
Vielleicht sollte man mal darüber sprechen? Oder vielleicht merken sie es von selbst? Bei den Treffen des Soli-Kreises, das ein- oder zwei Mal in der Woche im Streikzelt stattfindet sind viele von ihnen dabei. Sie merken: Es geht nur um die Sache, der Streik muß gewonnen werden. Es gibt keine Partei- oder Organisationsaktivisten, die ihre Blättchen an die Streikenden loswerden oder sie gar werben wollen – unter den Hamburger linken Gruppen hat sich herumgesprochen, daß das nicht Stil ist beim Neupack-Streik. Sie wären Außenseiter und scheel angesehen – so wie die Krüger-family mit ihren Herrschaftsmethoden. Außenseiter bei ihren Klassengenossen. An den Zeltwänden hängen ein paar verschämte Zettel mit Soli-Bekundungen von den wobblies und der MLPD, die Streikenden fragen nicht mal nach, wer das ist.
Parteireklame dürfen nur die Promis machen. Die Streikenden sind nicht begeistert, aber meinen: Vielleicht nützt es was? Álso: Keine Parteizeitungen, keine Parteiwerbung von Seiten der Unterstützer – und die Streikenden nehmen es als Selbstverständlichkeit. Und das ist gut so. Für den Soli-Kreis ist dies die Grundlage für das bisherige produktive Arbeiten!
Vor drei Wochen, zu Beginn des Streiks, war es noch ganz anders: Eine Kollegin sollte interviewt werden von Filmstudenten. Sie zupfte mich am Ärmel: Stell Dich neben mich, und wenn ich nicht mehr weiter weiß, sagst Du was. Ich lachte und ging beiseite. Oder es wurde gerufen: Murat, ein Interview! Heute stehen die Streikenden ganz souverän vorm Mikrophon und geben Auskunft. Ich freue mich.
Es kommen etliche Kollegen aus Chemiebetrieben, nicht nur einmal sondern regelmäßig und viele Unterstützer aus Initiativen der Recht auf Stadt Bewegung (RAS), KollegInnen, die auch prekär leben und arbeiten, die kommen, weil es den Neupack-Beschäftigten so geht wie ihnen. Es fehlen aber weitgehend KollegInnen aus Hamburger Großbetrieben, Gewerkschaftslinke, die man sonst schon bei Ereignissen wie dem 1. Mai sieht. Warum kommen sie nicht? Warum klingt bei ihnen nichts an? Waren die Signale nicht laut genug? Weil das so ein kleiner Betrieb ist? Weil es die IG BCE ist und nicht IGM oder die jeweilige eigene Gewerkschaft? Weil sie ja geregelte Arbeitsverhältnisse mit Tarifen und halbwegs funktionierenden Stellvertretern haben? Oder weil das prekär Beschäftigte sind – und sie selbst ja einen sicheren Arbeitsplatz haben, drei- oder vier Mal so viel verdienen?
Aber es gibt keine sicheren Arbeitsplätze im Kapitalismus, siehe jetzt Ford, Opel. Auch die Arbeitsplätze bei Daimler, Airbus oder im Hamburger Hafen sind nicht sicher. Worauf es jetzt ankommt, ist, daß in den Betrieben die Stammbelegschaften mit ihren Outgesourcten und LeiharbeiterInnen, mit den Prekären an einem Strang ziehen, daß sie gemeinsam den Co-Managern in den eigenen Reihen die Rote Karte zeigen – und daß sie über den betrieblichen Tellerrand schauen und solidarisch sind mit den prekär-Beschäftigten und Bedrohten in hunderten Hamburger Betrieben. Aber das ist wohl noch ein weiter Weg.
Die Streikenden, von denen die allermeisten noch niemals auf einer Demo waren, nahmen teil an der Mieterdemo, einer von ihnen sprach über ihre Betriebssituation. Wenn man das politisch einordnen will: Stadtteilkämpfe und Betriebskämpfe kommen zusammen. Und sie gehören zusammen.
Heute am Mittwochmittag, kamen zwei Kollegen aus Bad Münster, vom Schulungsheim der IG BCE. Was sie brachten? Eine riesige Torte mit der Inschrift: Ihr packt das! Und für die Streikkasse: 800 Euro!
Aus Hannover von der Firma Conti waren drei Betriebsräte angereist, um ihre kämpfenden KollegInnen kennenzulernen.
Morgens waren 20 Streikende ins Rathaus eingeladen zur Fraktion der Linkspartei. Man saß in einer großen Runde. Es gabe eine Soli-Erklärung und eine gute Bewirtung mit lecker belegten Brötchen. Ja, streiken ist schöner!
Heute Abend ist dann der große Laternenumzug, der Rundgang durch den Stadtteil. Danach gibt es dann „leckeres Essen“ wie versprochen und die riesige Torte als Nachtisch.
Dieter Wegner, Soli-Kreis Neupack, 25.11.2012. Kontakt: soli-kreis@gmx.de