Sozial, fair, umweltfreundlich: Nach dem Rückzug von Deliveroo planen (Berliner) Fahrer*innen ein eigenes Lieferkollektiv

Dossier

#Deliverunion: FAU Berlin startet KampagneNach der Ankündigung des Lieferdienstes Deliveroo, den deutschen Markt zu verlassen, möchten sich Berliner Fahrer*innen in einem selbstverwalteten Lieferkollektiv organisieren. Rund 20 Berliner Fahrer*innen trafen sich am Montagabend und wollen nun eine Genossenschaft gründen. „Also ein Unternehmen, das in den Händen der Fahrer*innen liegt“, wie Deliveroo-Fahrer Christoph M. der taz am Dienstag sagte. Aber: „Wir müssen erst mal schauen, welche Kapazitäten da sind.“ Über die Genossenschaft könne mit den Restaurants zusammengearbeitet werden, die bereits mit Deliveroo kooperierten. Aber auch mit solchen, die absichtlich nicht mit Deliveroo zusammengearbeitet hatten: „Die Restaurants müssen teilweise sehr hohe Gebühren für die vermittelten Bestellungen zahlen“, sagte M. Das habe er während der Arbeit immer wieder mitbekommen. Das Lieferkollektiv soll sozial und fair sein für Fahrer*innen, Kund*innen und dabei großen Wert auf Umweltverträglichkeit legen. Derzeit sei die ausschließliche Nutzung von Fahrrädern im Gespräch. (…) Erste Schritte seien bereits getan: „Wir verbinden uns mit lokal existierenden Kurierkollektiven und anderen selbstverwalteten Projekten.“ Noch sei jedoch unklar, ob und wann das Projekt starten könne. (…) Am Sonntag wird ein weiteres Treffen stattfinden, um Pläne und Kapazitäten zu koordinieren.“ Artikel von Gabriel Rinaldi vom 14.8.2019 bei der taz online externer Link – siehe zum Hintergrund das Dossier Prekär geliefert: Aus für Deliveroo in Deutschland und weitere Infos zum geplanten selbstverwalteten Lieferkollektiv:

  • Ausbeutung in der digitalen Welt: Fressen und gefressen werden New
    „Plattformen, über die Kunden Essen bestellen können, konkurrieren hart miteinander. Leidtragende sind die Beschäftigten. Doch die Fahrerinnen und Fahrer organisieren sich nun selbst. Am 16. August zog sich der Essenslieferdienst Deliveroo endgültig aus Deutschland zurück. Über 1 000 Beschäftigte wurden mit einem Mal arbeitslos. Zuvor war bereits der Essenslieferdienst Foodora von Lieferando aufgekauft worden, der die wechselseitige Kannibalisierung der Lieferdienste als Sieger überstand. Für Keno Böhme, der für verschiedene Lieferdienste gearbeitet hatte, bevor er hauptamtlich begann, bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten (NGG) die dort Beschäftigten zu organisieren, hat der Abschied von Deliveroo aus gewerkschaftlicher Sicht auch positive Auswirkungen. »Unserer Meinung nach hängt der Rückzug damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbständigkeit der Fahrer nicht funktioniert hat«, sagte er der Jungle World. Wie er haben auch andere Kuriere, sogenannte Rider, mittlerweile den Wert gewerkschaftlicher Organisierung erkannt. Die NGG hatte Ende August zum dritten Riders Day nach Berlin geladen. Wichtigster Diskussionspunkt waren die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten nach der Übernahme von Foodora durch Lieferando. Die Gewerkschafter wollen durchsetzen, dass die Betriebsratsstruktur auch nach der Übernahme erhalten bleibt und den Ridern das Beschäftigungsverhältnis bei Foodora angerechnet wird. Davon hänge schließlich ab, ob die Fahrer erneut zwei Jahre befristet beschäftigt werden können; eine Festanstellung stehe ihnen nämlich erst nach zwei Jahren zu, betonte NGG-Sekretär Christoph Schink im Gespräch mit der Jungle World. Doch nicht alle Kuriere wollen nach dem Aufkauf von Foodora und dem Rückzug von Deliveroo eine Festanstellung bei Lieferando. Einige von ihnen möchten lieber ein Kollektiv gründen. (…) Die einzige Chance für ein kollektives Unternehmen, auf dem Markt zu be­stehen, sieht Ingendaay darin, dass Menschen bereit sind, mehr für die Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen. »Es braucht Kunden, die bewusst bei einem Kollektiv einkaufen, weil sie den Zweck wichtig finden.« Die müssen sich diesen Einkauf dann freilich auch leisten können. Zielgruppe für solche gesellschaftspolitisch engagierten Kollektive ist daher auch eher die konsumbewusste Mittelschicht als die Hartz-IV-Bezieher.“ Beitrag von Peter Nowak vom 19. September 2019 aus Jungle World 2019/38 externer Link – siehe dazu auch:

    • »Der Algorithmus, wo man mit muss« – Lieferdienste: FastFood 4.0 oder perfide Datensammlung?
      „… Der Markt sortiert sich neu – und dabei ist durchaus erst mal die Frage zu stellen, welcher Markt denn überhaupt. Denn ganz offensichtlich geht es bei Foodora, Deliveroo, Lieferando und Co. nicht um Essen, es geht um Daten. Wer ein Faible für Verschwörungstheorien hat, dürfte nun sogar vermuten, dass der Marktausstieg von Foodora und Deliveroo schlicht bedeutet, dass die Firmen nun genug Daten gesammelt haben – sie sind so vom Markt verschwunden, wie der E-Scooter verschwinden wird, wenn genügend Bewegungsdaten gesammelt worden sind. Das hat auch für die bisherigen Proteste erhebliche Auswirkungen. Es stellt sich die Frage, ob dieser nicht von Anfang an eine falsche Zielrichtung genommen hat, weil die Organisierenden nachvollziehbarerweise glaubten, es ginge um die Lieferung von Mahlzeiten. Mit Foodora ist das einzige Unternehmen der Branche verschwunden, das Betriebsräte, wenn auch mit fragwürdigen Erschwerungen der Betriebsratsarbeit, akzeptiert und sich zeitweise – zumindest in Deutschland – als mit Gewerkschaften verhandlungswillig gezeigt hat (junge welt, 31. Januar 2019). Was die Rider-Proteste der vergangenen drei Jahre einerseits so relevant und andererseits auch so öffentlichkeitswirksam macht, ist die Schnittstelle, an der diese Arbeit stattfindet: Als hochgradig von digitaler Technik und Algorithmen abhängige Arbeit steht sie exemplarisch für die sogenannte »Industrie 4.0« (oder eher: Service 4.0). Gleichzeitig zeigt sie einen alltagsnahen prekären Dienstleistungsbereich auf, mit dem viele Menschen in Kontakt geraten, sei es als direkte KonsumentInnen, als VerkehrsteilnehmerInnen oder als BesucherInnen kooperierender Restaurants oder Fastfood-Ketten. Im weiteren Sinne gehört die Arbeit der Riders zum expandierenden Bereich der Logistik…“ Artikel von Torsten Bewernitz, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 10/2019
  • CoopCycle: Ein Open-Source-Bündnis vernetzt Lieferkollektive in ganz Europa 
    „Deliveroo zog sich praktisch über Nacht aus Deutschland zurück. Rund tausend Fahrer verloren ihren Job. Ex-Mitarbeiter wollen nun ein selbstverwaltetes Kollektiv gründen. Starthilfe bietet ihnen eine Plattform, die in einigen Städten Europas bereits Erfolge feiert. (…) Von Anfang an mit dabei: Jérôme Lühr, ein Vertreter von CoopCycle, einem Netzwerk von Kurierkollektiven. Über zwanzig Kollektive aus vier Ländern haben sich unter diesem Namen zusammengeschlossen, um eine bessere Chance gegen die internationalen Liefergiganten zu haben. (…) Gegründet wurde CoopCycle im Sommer 2016. Damals erfuhr der Entwickler Alexandre Segura von einem Verwandten, dass dieser unfreiwillig ein paar Tage umsonst für ein belgisches Liefer-Start-Up gearbeitet hatte, das bankrott ging. Dieses Scheitern inspirierte den Programmierer. „Ich entschied mich, diese Art von Plattformen zu klonen, nur aus Spaß, als Denksport“, sagte Segura zu netzpolitik.org. Seine Lieferplattform veröffentlichte Segura auf GitHub – frei benutzbar und öffentlich zugänglich. Damit kann jede nachvollziehen, wie die Plattform Aufträge an Kuriere vergibt. „Denn eins der Probleme dieser Plattformen ist, dass Algorithmen, die über die Organisation von Arbeit entscheiden, undurchsichtig sind“, so Segura. (…) Die Kooperativen schauen mit vorsichtiger Zuversicht in die Zukunft. „Unser Wachstum ist konstant, aber immer noch fragil“, antwortete ein belgisches Kollektiv auf Anfrage von netzpolitik.org, ein anderes sieht eine „gute Wachstumsperspektive für die kommenden Jahre“. Und eins hat CoopCycle den kommerziellen Diensten voraus: Bisher hat noch keine der Kooperativen mit dem Liefern aufgehört. „ Beitrag von Maximilian Henning vom 6. September 2019 bei Netzpolitik externer Link
  • Kolyma 2 – der andere, kollektive Essenlieferdienst in Berlin gestartet 
    Ein kleines Kollektiv von Deliveroo-Fahrern hat bereits einen Essens-Lieferdienst in Berlin gestartet: „Die ultimative Post-Deliveroo-Erfahrung: Pop-Up! Lokal! Kollektiv!…“ Siehe dazu die Homepage des Kollektivs externer Link und deren Twitter-Account externer Link
  • [genossenschaftliche Plattformen] Deliveroo und die Plattformökonomie: Jetzt braucht es staatliche Förderung für Alternativen 
    Deliveroo zeigt mit dem überstürzten Rückzug aus Deutschland, wie wenig die Plattformökonomie für die da ist, die sie erst möglich machen. Einige aus der Ex-Belegschaft denken darüber nach, eine selbstverwaltete Alternative aufzubauen. Das Land Berlin sollte sie dabei unterstützen und auch andere digitale Genossenschaften mit einem eigenen Coop-Fund fördern. (…) Die Plattformökonomie zeigt sich in solchen Momenten von ihrer brutalen Seite, die mit der Erzählung von finanzieller Unabhängigkeit und zeitlicher Selbstbestimmung nur notdürftig verdeckt wurde. Dabei gibt es Alternativen. Einige der Fahrer:innen wollen einen selbstverwalteten Lieferdienst aufbauen. Schnell wurden auf Twitter Wünsche an die Politik laut: Sie solle der Belegschaft beim Aufbau ihrer selbstverwalteten Plattform unter die Arme greifen. (…) Die Ex-Deliveroo-Fahrer:innen könnten von einer Idee inspiriert sein, die mittlerweile in ganz Europa Unterstützer:innen gewinnt. Unter dem Namen Coopcycle externer Link wird seit einiger Zeit an einer eigenen genossenschaftlichen Plattform für Liefer- und Kurierfahrer:innen gearbeitet. Sie ist Teil einer wachsenden internationalen Bewegung externer Link, die Genossenschaften in das digitale Zeitalter holen will. Die Grundregeln sind so simpel wie erprobt: Genoss:innen haben ein Stimmrecht, sie entscheiden gemeinschaftlich über die Satzung, den Zweck und die Mittel der Unternehmung. Neu daran ist der technische Ansatz. Bei Coopcycle wird die Software von den Genoss:innen entwickelt und verwaltet. Sie steht unter einer neuartigen Lizenz, ihr Quellcode ist auf Anfrage auf Github einsehbar. Das kann Schluss machen mit den intransparenten algorithmischen Verfahren, derer sich Deliveroo hier so gerne bediente, um die Fahrer:innen zu mehr Leistung anzutreiben. Außerdem steht die Software anderen Kollektiven, die Technikinteressierte und Nerds unter sich wissen, zur Anpassung bereit – vorausgesetzt, sie organisieren sich auch als Genossenschaft…“ Artikel von Leon Kaiser vom 14.08.2019 bei Netzpolitik externer Link mit interessanten Ausführungen zu Platform Co-ops
  • „… Diese Kollektividee existiert schon etwas länger, die Deliveroo-Ankündigung am Montag hat das nun in den Mittelpunkt gerückt. Ein Mitglied eines anderen Kollektivs hat uns gestern schon einen ersten Eindruck vermittelt: Es wird einen sehr großen Aufwand bedeuten und lange dauern, das umzusetzen. Wir müssen erst einmal genau diskutieren, welche Prinzipien wir uns als Genossenschaft auferlegen. Es würden auch hohe Kosten auf uns zukommen, voraussichtlich etwa 10.000 Euro für die Gründung, dazu noch technisches Equipment, das wir den Restaurants zur Verfügung stellen müssten. Das sind zum Beispiel Tablets, mit denen Sie Aufträge annehmen und Drucker für die Kassenzettel, die sie an die Essenslieferungen tackern. Bei der technischen Seite haben wir den Vorteil, dass es in Frankreich schon eine Firma gibt, die spezielle Software für solche Kollektive entwickelt hat. Die hat auch ein Modul für Essenslieferanten, das wird in Frankreich und den Niederlanden bereits erfolgreich genutzt. Zusammen mit einer Berliner Firma würden die uns unterstützen…“ Aus: Fahrer über Ende des Lieferdienstes „Deliveroo war nie transparent für uns“. Interview von Sebastian Schneider vom 13.08.19 beim rbb24 externer Link
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