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Das algerische Regime verteidigt eine angebliche nationale Einheit: Gegen die besonders starke Demokratiebewegung in der Kabylei
„… Nadir Fetissi kann aufatmen. Der 41-jährige Algerier wurde vergangenen Donnerstag von einem Gericht in Annaba, im Osten Algeriens, freigesprochen. Fetissi war Anfang Juli verhaftet worden, als er an einem der seit Monaten andauernden Massenproteste gegen die algerische Staatsführung teilnahm. Er wurde wegen «Gefährdung der nationalen Einheit» angeklagt. Die Staatsanwaltschaft forderte zehn Jahre Haft. Fetissi wurde zur Last gelegt, dass er während des Protests die Berber-Fahne geschwenkt hatte. Das blau-grün-gelbe Emblem war, neben der algerischen Flagge, häufig bei den Massendemonstrationen auf den Strassen Algeriens zu sehen – nicht nur in der mehrheitlich von Berbern bewohnten Region Kabylei, sondern auch in anderen Teilen des Landes. Die Fahne steht in erster Linie für die Kultur und Identität sowie für die Rechte der Berber-Minderheit, deren Sprache in Algerien etwa von einem Viertel der Bevölkerung gesprochen wird. «Sie wird aber auch mit dem Streben nach Demokratie und nach einem Rechtsstaat in Verbindung gebracht», sagt Koceila Zerguine, einer von Fetissis Anwälten, im Gespräch. Seit Wochen können Personen, die die Fahne bei einem der Proteste tragen, in Schwierigkeiten geraten...“ – aus dem Beitrag „Proteste in Algerien: Die Berber-Fahne darf nicht geschwenkt werden“ von Judith Kormann am 11. August 2019 in der NZZ online über die besondere „Zielgruppe“ der Repressionsmaßnahmen. Siehe dazu zwei weitere aktuelle Beiträge zu diesen Repressionsversuchen – und dem Widerstand dagegen, einen aktuellen Demonstrationsbericht sowie den Hinweis auf den bisher letzten unserer zahlreichen Beiträge zur algerischen Demokratiebewegung:
- „Freispruch für Aktivisten“ von Sofan Philip Naceur am 08. August 2019 in der taz online zum selben Prozess – und aber auch zum Zusammenhang mit anderen nicht nur juristischen Verfahren: „… In anderen Landesteilen liefen die Prozesse gegen Menschen, die im Rahmen von Demonstrationen die Berberfahne geschwenkt hatten, jedoch weniger glimpflich ab. Ende Juli verurteilte ein Gericht in der Küstenstadt Chlef zwei junge Männer zu einer Bewährungsstrafe von zwei Monaten. In der Provinz Batna im Osten des Landes müssen sich derzeit 18 weitere Angeklagte wegen des Tragens der Berberfahne verantworten. Für Anwalt Zerguine ist dieses Vorgehen der Behörden politisch motiviert. „Es handelt sich um einen Versuch, die Protestbewegung zu spalten“, sagt er. Das Regime macht sich nämlich schon seit Längerem die Heterogenität der Protestbewegung, die aus linksliberalen, konservativen und nationalistischen Kreisen speist, zunutze. „Die Berberfahne“, sagt Zerguine, „ist ein Symbol einer nationalen Kultur, die von der algerischen Verfassung explizit anerkannt wird. Wie kann es also sein, dass sie die nationale Einheit gefährdet?“ Seit Beginn der Massenproteste gegen Algeriens Staatsführung im Februar war die Fahne in der mehrheitlich von Berbern bewohnten Provinz Kabylei östlich der Hauptstadt Algier, aber auch in anderen Landesteilen omnipräsent, wird sie von vielen doch nicht nur als Symbol des Kampfes der Berberminderheit für kulturelle Freiheiten angesehen, sondern auch als Ausdruck politischer Kämpfe…“
- „Algerischer Abnutzungskampf“ von Christoph Sydow am 03. August 2019 beim Spiegel online zu den Repressionsversuchen – und dem Widerstand dagegen: „… Einer der prominentesten Häftlinge ist der 86-jährige Unabhängigkeitsheld Lakhdar Bouregaa. Er hatte mehrfach an Demonstrationen teilgenommen und öffentlich Armeechef Gaïd Salah kritisiert. Ende Juni wurde er festgenommen. Die Justiz wirft ihm „Beleidigung einer staatlichen Institution“ und, etwas komplizierter, „Teilnahme an einem Plan zur Demoralisierung der Armee mit dem Ziel der Schwächung der nationalen Verteidigung“ vor. Dafür drohen Bouregaa zehn Jahre Haft. Einen Antrag der Verteidigung, den alten Mann aus gesundheitlichen Gründen freizulassen, lehnte die Justiz in dieser Woche ab. Bouregaa war einer der Kommandeure der Nationalen Befreiungsfront FLN, die 1962 die Unabhängigkeit von Frankreich erkämpft hatte. Auch danach war er politisch aktiv. Wenn sich nicht einmal ein Mann mit seinem Renomée Kritik am Regime erlauben darf, zeigt das, dass sich in puncto Meinungsfreiheit auch nach Bouteflikas Sturz wenig zum Besseren verändert hat. Beim Protestzug am Freitag trugen Demonstranten Schilder mit der Aufschrift „Nein zum algerischen Sisi“. Daraus spricht die Sorge, dass der Militärchef sich ähnlich wie der frühere ägyptische Generalstabschef Abdel Fattah el-Sisi selbst an die Staatspitze wählen lassen könnte. Gleichwohl hat Gaïd Salah derartige Absichten bislang nicht zu erkennen gegeben. So gleicht der innenpolitische Konflikt in Algerien derzeit einem Abnutzungskampf. Beide Seiten beharren auf ihren Forderungen, eine substanzielle Annäherung zeichnet sich seit Wochen aber nicht ab...“
- „25e vendredi du hirak dans la capitale: Relâchez nos enfants pour l’Aïd!“ von Mustapha Benfodil am 10. August 2019 bei El Watan ist der Demonstrationsbericht über den „25. Freitag“ der Proteste, der erneut gewaltige Massen von Menschen mobilisierte – die die vom Regime diktierten Dialog-Angebote und Bedingungen nachwievor rundweg ablehnen. In dem Beitrag kommen auch zahlreiche Aktive zu Wort, die unterschiedliche Kritikpunkte am Regime vortragen, in der Ablehnung dieses Dialogs übereinstimmen und auch zahlreiche Überlegungen, wie es weiter gehen könnte anstellen – wobei verschiedentlich Aussagen zitiert werden wie etwa „machen wir es wie im Sudan“ (gemeint ist ein zivilgesellschaftlicher Generalstreik, was auch einige der unabhängigen Gewerkschaften des Landes bereits vorgeschlagen haben).
- Zu den Massenprotesten in Algerien zuletzt: „Das Militär-Regime in Algerien stellt ein Team für den “nationalen Dialog” vor – die demokratische Massenbewegung hat eine klare Antwort: „Haut ab!““ am 29. Juli 2019 im LabourNet Germany