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Die Jagd auf Flüchtlinge aus Syrien: Eine große Koalition quer durch die Türkei

Dossier

Das Logo einer Flüchtlingsinitiative aus der Türkei„… „Die AKP hat sich nur für diesen Weg entschieden, nachdem sie zu der Auffassung gelangte, dass die Politik der offenen Tür für die Regierungspartei nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Verluste verursacht.“ Allerdings wurde die Kampagne gegen die Istanbuler Syrer*innen nicht nur von der AKP unterstützt. Der am 23. Juni siegreiche CHP-Kandidat Ekrem İmamoğlu hatte im April im Wahlkampf gesagt: „Wann und wie sollen die fast eine Million Syrer*innen in dieser Stadt wieder zurück in ihre Heimat gehen? Dafür werden wir vor Ort wegweisende politische Lösungen entwickeln.“ (…) Mehrere Vereine der türkischen Zivilgesellschaft riefen für den 27. Juli zu einer Kundgebung im Saraçhane-Park im Istanbuler Bezirk Fatih auf, um gegen die Razzien und Ausweisungen zu protestieren. Die meisten türkischen Medien kündigten an, „die Syrer“ wollten „auf die Straße gehen“...“ – aus dem Beitrag „Hufeisenkoalition in Istanbul“ von Meral Candan am 02. August 2019 in der taz gazete externer Link, worin auch die sozialen Dimensionen eines Flüchtlingslebens in der Türkei Thema sind…

  • Nach dem rassistischen Mob gegen syrische Geflüchtete: Angst wegen geleakter Namen, Adressen und Passnummern, die in der Türkei öffentlich gemacht wurden New
    „Die türkische Migrationsbehörde hat angekündigt, das massenhafte Durchsickern von Daten über in der Türkei lebende syrische Migranten in sozialen Medien zu untersuchen, berichtete der im irakischen Erbil ansässige kurdische Fernsehsender Rudaw am Freitag auf seiner Webseite. Nach Informationen verschiedener Medien und Posts auf der Online-Plattform X sind die persönlichen Daten von bis zu drei Millionen Syrern, die in der Türkei leben, über Nacht ins Internet gestellt worden, mutmaßlich vom Social-Media-Account eines 14-Jährigen.
    Nach den pogromartigen Gewaltausbrüchen gegen syrische Flüchtlinge in mehreren türkischen Städten zu Beginn der laufenden Woche muss ernsthaft befürchtet werden, dass die geleakten Daten von rechtsextremistischen und nationalistischen Gruppen in der Türkei genutzt werden könnten, um gezielt gegen syrische Migranten vorzugehen.
    Weiteren Anlass zur Sorge geben die Nachrichten, wonach der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich offen gezeigt hat, die Beziehungen zum syrischen Staatschef Baschar Al-Assad zu normalisieren. (…) Viele der syrischen Flüchtlinge sind jedoch vor eben diesem gewalttätigen Assad-Regime in die Türkei geflohen und stehen mutmaßlich als Regimegegner auf Listen der syrischen Regierung. Normalisierte Beziehungen zwischen den Regierungen in Ankara und Damaskus könnten dazu führen, dass das syrische Regime Auslieferungsersuchen an die Türkei richtet, um Oppositionelle in die Finger zu bekommen, von deren Aufenthaltsort sie nun dank der geleakten Daten Wind bekommen hat.
    Nach Angaben des türkischen Innenministeriums sind die Identitätsdaten von Syrern, die in der Türkei unter vorübergehendem Schutz stehen, über das Konto verbreitet worden: weit über drei Millionen Menschen. Das meldet aus Istanbul die in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ansässige Zeitung The National. Die libanesische Nachrichtenwebseite Megaphone berichtet, eine Telegram-Gruppe mit dem Namen »Uprising Turkey« habe Daten von bis zu drei Millionen in der Türkei lebenden Syrern veröffentlicht und zu Protesten gegen Flüchtlinge im Gebiet um die Stadt Sultanbeyli nahe Istanbul aufgestachelt
    …“ Artikel von Cyrus Salimi-Asl vom 05.07.2024 in ND online externer Link („Syrische Geflüchtete: Angst wegen geleakter Daten“)
  • Folgen des EU-Pakts: Rassistischer Mob zündet Geschäfte und Häuser von syrischen Geflüchteten an: Hetzjagd in Kayseri und anderen Städten in der Türkei
    • Rassistische Angriffe auf syrische Geflüchtete in Kayseri
      In der zentralanatolischen Stadt Kayseri hat ein rassistischer Mob Geschäfte und Häuser von syrischen Flüchtlingen angegriffen.
      In der türkischen Stadt Kayseri hat ein Mob Geschäfte und Wohnhäuser von syrischen Flüchtlingen angegriffen, nachdem zuvor ein Syrer wegen mutmaßlicher Belästigung eines Kindes festgenommen worden war. In sozialen Netzwerken und von Nachrichtenagenturen veröffentlichte Videos zeigen mehrere Gruppen von Männern, die am Sonntagabend durch ein Viertel im Bezirk Melikgazi ziehen und die Schaufenster von Lebensmittelläden und anderen Geschäften einschlagen und diese dann in Brand setzen. Auf anderen Aufnahmen sind Personen zu sehen, die mit Steinen und Metallstangen Fahrzeuge von syrisch gelesenen Menschen umwerfen und andere Besitztümer beschädigen. „Wir wollen keine Syrer mehr, wir wollen keine Ausländer mehr!“ (…)
      Syrische Flüchtlinge leben in der Türkei gefährlich. Die mehr als drei Millionen Syrer:innen, die vor dem Krieg fliehen mussten und nun in der Türkei leben, sind Opfer eines alltäglichen Rassismus und dienen der Gesellschaft als Sündenbock. Besonders in Großstädten wie Istanbul, Izmir und Ankara brechen schnell pogromartige Stimmungen gegen Syrerinnen und Syrer aus. Oftmals genügen Gerüchte, ein Araber habe ein türkisches Mädchen belästigt, und schon werden die Scheiben syrischer Geschäfte eingeschlagen. Jedes Jahr kommen Dutzende Menschen bei solchen Übergriffen ums Leben oder werden verletzt.
      Ob die hohe Arbeitslosigkeit und fallende Löhne, steigende Mieten und die schlechte Wirtschaftslage im Land; nahezu alle Probleme werden den „ungebetenen Gästen“ angelastet. Besonders Türkinnen und Türken, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sehen in den syrischen Flüchtlingen Konkurrenten, weil sie in ihrer Not bereit sind, für noch weniger Lohn zu arbeiten. Zudem hält sich das Vorurteil, die syrischen Flüchtlinge müssten keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Ihnen wird auch angelastet, Schuld für überfüllte Klassenzimmer und Warteschlangen in den Krankenhäusern zu sein.
      Abschiebungen in Besatzungszone
      In vielen Städten verdrängt die lokale Bevölkerung syrische Flüchtlinge durch rassistische Diskriminierung und körperliche Übergriffe aus dem öffentlichen Raum. Doch Handlungsbedarf sieht die türkische Regierung nicht. Statt gesellschaftlicher Aufklärung werden durch eine allgemeine hassbeladene Rhetorik nationalistische Gefühle immer mehr hochgekocht, die Rassismus und Diskriminierung weiter anfachen. Während des Wahlkampfs für die Präsidentschaftswahl im Mai 2023 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan versprochen, die „freiwillige“ Rückkehr einer Million Syrer:innen „vorzubereiten“. Innerhalb eines Jahres sind mehr als 100.000 Geflüchtete nach Syrien „zurückgekehrt“, seit 2016 mehr als 650.000, wie der Innenminister Ali Yerlikaya Mitte Juni erklärte. Faktisch wurden die Geflüchteten in den meisten Fällen gegen ihren Willen in die türkisch-dschihadistische Besatzungszone in Nordsyrien abgeschoben.“ Meldung vom 1. Juli 2024 in ANF deutsch externer Link
    • Hetzjagden in der Türkei, Tote bei Protesten in Syrien
      Während die Hetzjagd auf syrische Geflüchtete in Kayseri auf andere Städte in der Türkei übergreift, kommt es in der türkischen Besatzungszone in Syrien zu massiven Protesten. Die Hetzjagd gegen syrische Geflüchtete in der Türkei ist auf weitere Städte übergegriffen. In Kayseri hat am Sonntag ein Mob Geschäfte und Wohnhäuser angegriffen, nachdem zuvor ein Syrer wegen mutmaßlicher Belästigung eines Kindes festgenommen worden war. Am Montag kam es auch in den Provinzen Hatay, Bursa, Kilis, Adana, Dîlok (tr. Gazitantep), Izmir und Istanbul zu rassistischen Ausschreitungen. In digitalen Netzwerken wurde ein Video verbreitet, demnach ein Syrer in Dîlok durch Messerstiche verletzt worden sein soll. Die DEM-Partei spricht von pogromartigen Angriffen und warnt vor den Folgen…“ Meldung vom 2. Juli 2024 in ANF deutsch externer Link
    • Was sich seit gestern in einigen Städten der Türkei abspielt, zeigt, welch gefährliche Ausmaße Flüchtlingsfeindlichkeit annehmen kann. Vor allem in Kayseri wurden mehrere Autos, Geschäfte und Häuser von syrischen Geflüchteten angezündet – es gibt schreckliche Lynchvideos.
      Die ersten Lynchmobs begannen, nachdem ein Syrer des Kindesmissbrauchs beschuldigt wurde. Die zutiefst rassistischen Übergriffe werden mit einem moralischen Überlegenheitsanspruch gesellschaftlich zu legitimieren versucht. Ein grenzüberschreitendes Phänomen. Gleichzeitig kommt es in den Gebieten Nordsyriens, die von der Türkei in Kooperation mit dschihadistischen Gruppen kontrolliert werden, zu Kämpfen zwischen türkischen Streitkräften und Dschihadisten, die wohl eine mögliche Annäherung Assad-Erdoğans verhindern wollen. Erdoğan hatte eine Wende/“Normalisierung“ in den Beziehungen zu Assad angekündigt, was die Dschihadisten in Nordsyrien nicht zufrieden stellte. Viele fragen sich, ob nun Bedingungen für eine Deportationswelle vorbereitet werden. Eine Sammlung von Tweets aus dem Land
      …“ Thread von Sächsischer Flüchtlingsrat e.V. vom ·2. Juli 2024 externer Link zu einem Video
    • Folgen des EU-Pakts: Mob zündet in Türkei Geschäfte von Syrern an
      Deutschland und die EU sind bemüht, Drittstaaten mit Flüchtlingspakten dazu anzuhalten, ihre Grenzen für Geflüchtete dichtzumachen. Damit wird das Problem aber nicht gelöst, sondern nur verlagert, wie ein Blick in die Türkei zeigt. (…)
      Kommunalpolitiker beklagen finanzielle Überforderung und fordern mehr Geld vom Land, die Länder wiederum sehen den Bund in der Pflicht. Dieser öffentlich geführte Streit führt bei vielen Menschen dazu, dass ihre Aufnahmebereitschaft gegenüber Geflüchteten sinkt. In manchen Teilen der Bevölkerung so sehr, dass sie sich in Gewalt umschlägt. Experten weisen darauf hin, dass gewalttätige Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Einrichtungen steigen, je mehr sich die Politik überfordert mit der Situation zeigt, je populistischer die Flüchtlingsdebatte geführt wird. Gleichzeitig will die Politik nicht, dass Deutschland auf internationaler Bühne mit Bildern von brennenden Flüchtlingsunterkünften von sich reden macht. Deshalb sind die Bundesregierung und die Europäische Union (EU) bemüht, Pakte mit Drittstaaten auszuhandeln, damit weniger Menschen nach Europa kommen. Diese Vereinbarungen sehen in der Regel Geldzahlungen an die Drittstaaten vor. Im Gegenzug sollen diese Länder ihre Grenzen dichtmachen für Geflüchtete, damit sie nicht nach Europa flüchten können.
      Mob greift Geschäfte von Syrern an
      Wie ein Blick in die Türkei zeigt, wird mit solchen Pakten das Problem allerdings nicht gelöst, sondern nur verlagert. (…)
      Die Menschen sind gefangen in dem Land, weil die EU mit der Türkei bereits 2016 einen Flüchtlingsdeal geschlossen hat. Das Land bekommt EU-Gelder und soll dafür sorgen, dass Geflüchtete nicht über die Landesgrenzen nach Europa weiterziehen. Die Türkei steckt allerdings in einer Wirtschaftskrise und ist überfordert mit der Aufnahme und Integration der Menschen. Eine Reaktion der Bundesregierung oder der EU auf die Vorfälle in Kayseri gab es nicht
      .“ Beitrag vom 04.07.2024 im Migazin externer Link
    • Als Folge der seit Tagen andauernden rassistischen Angriffe gegen Flüchtlinge wurde in Antalya ein 17-jähriger syrischer Flüchtlingsjunge, Ahmet el Naif, auf dem Rückweg von der Arbeit getötet! Seit Tagen werden keine Maßnahmen gegen die Angriffe auf Flüchtlinge ergriffen! Findet die Mörder sofort!“ türk. Tweet von MorDayanışma vom 3.7.24 externer Link
    • Europa macht Politik gegen Schutzsuchende: Die rassistische Gewalt gegen syrische Flüchtlinge in der Türkei stellt Europas Migrationspolitik bloß
      Die vom türkischen Nationalismus motivierte rassistische Gewalt gegen syrische Flüchtlinge in der Türkei zeigt auf schonungslose Weise, dass der 2016 geschlossene Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei auf Kosten derjenigen geht, die aus einem Land im Krieg geflohen sind und daher schutzbedürftig sind. Europa hat diesen Menschen den Rücken zugekehrt und viel Geld über den Tisch geschoben, damit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich des »Flüchtlingsproblems« annimmt. Angesichts dessen, wie es Geflüchteten in der Türkei ergeht, können die Regierungen in Berlin, Paris oder Rom nicht einfach wegschauen. Diese pogromartigen Ausschreitungen gehen auch die Scholzens, Macrons, Melonis und Orbáns etwas an, und natürlich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen…“ Artikel von Cyrus Salimi-Asl vom 03.07.2024 in ND online externer Link
    • Siehe unser Dossier: EU-Türkei-Deal in der Flüchtlingsfrage 
  • „Istanbul: Rassistischer Angriff auf Solidaritätsaktion“ am 27. Juli 2019 bei der ANF externer Link berichtete zu dem Angriff auf die Solidaritätsaktion: „… Eine Kundgebung gegen die vom türkischen Innenministerium und dem Istanbuler Gouverneur beschlossene Abschiebung syrischer Schutzsuchender ist von Rassisten angegriffen worden. Zu der Kundgebung im Saraçhane-Park hatte ein Bündnis aus mehreren Vereinen aufgerufen. Es kam zu mehreren Festnahmen. Der Park wurde bereits im Vorfeld von der Polizei umstellt. Die Aktivist*innen des Bündnisses und Pressevertreter*innen wurden erst nach einer Ausweiskontrolle auf den Platz gelassen. Auf die Frage nach dem Grund für dieses willkürliche Vorgehen antworteten die Polizisten, dass sie den Zugang syrischer Flüchtlinge verhindern wollten. Auf der Kundgebung, an der auffällig viele Frauen teilnahmen, wurde ein Ende der Repression gegen Migrant*innen gefordert und gegen die Abschiebung von Schutzsuchenden aus Syrien protestiert. „Es sind keine Fremden, es sind unsere Geschwister“, stand auf einem Transparent. Ridvan Kaya, der Vorsitzende des Vereins Mazlum-Der, erklärte in einem Redebeitrag, dass die Ausweisung von Flüchtlingen, die nicht in Istanbul registriert sind, in andere Provinzen oder Lager keine Lösung sei. Er erinnerte an das Genfer Abkommen von 1951, das auch von der Türkei ratifiziert worden ist. Repressive Maßnahmen seien keine Lösung, hierfür müssten vielmehr entsprechend des internationalen Rechts und türkischer Regelungen zivilgesellschaftliche Organisationen einbezogen werden…“
  • „Was haben die Türken plötzlich gegen Syrer?“ von Michael Thumann am 31. Juli 2019 in der Zeit online externer Link zu den Ursachen der aktuellen „Wende“ unter anderem: „… Die harte Wende in der türkischen Flüchtlingspolitik hat vor allem einen Grund: die Wirtschaft. Sie schrumpft, während das Land unter 16 Prozent Inflation, hohen Zinsen und dramatischer Arbeitslosigkeit leidet. Längst ist die Depression im Alltag angekommen. Viele Türken finden, dass es nichts mehr an Flüchtlinge zu verteilen gibt. Eine Mehrheit hält wenig von der humanitären Pflicht, Syrer aufzunehmen. Und darauf reagieren jetzt die Politiker.  Sie machen sich zunutze, dass die Flüchtlinge in der Türkei nur zeitweilig als „Gäste“ registriert sind, wie Präsident Erdoğan betont. Sein Innenminister sagt, dass die Türkei Syrern helfe, die freiwillig nach Syrien zurückgehen wollten, „in sichere Gebiete“. Genau das aber ist Idlib, wo jetzt Flüchtlinge angekommen sind, nicht. Doch solche Argumente dringen kaum noch durch. In der Türkei kippt die Stimmung. Im Fernsehen wird darüber gelästert, dass Syrer für den Urlaub in ihre Heimat zurückkehren und zum Arbeiten nach Istanbul kommen. Die säkular-kemalistische Opposition verstärkt diese Stimmung. Der im Juni gewählte Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu, beklagt, dass die Syrer den Türken Arbeit wegnehmen würden. Die Abschiebung von Syrern aus Istanbul sei notwendig. „Wir müssen die Interessen unseres Volkes schützen“, sagt der Held der türkischen Opposition...“

Siehe zum Thema im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=152584
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