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- Wachdienste und Sicherheitsgewerbe
Geschäftsmodell E-Scooter – Auf dem Rücken der „Juicer“
Dossier
„Die neuen E-Tretroller sind da. Gleich drei Verleihfirmen wittern das große Geschäft in der Hansestadt und haben rund 500 Scooter aufgestellt. Leider wird das Geld aber auf dem Rücken derer verdient, die die Roller am Abend einsammeln und wieder aufladen, sogenannten Juicer. Das sind Freiberufler, die das Aufladen der Roller in Eigenregie managen und auch noch den Strom bezahlen. Ein Knochenjob. Pro E-Scooter erhalten sie maximal 5 Euro. (…) Die sogenannten Juicer werden ohne soziale Absicherung in ihrer Selbstständigkeit sich selbst überlassen, mit einer Bezahlung unterhalb des Mindestlohns. Vergleichbar mit den miesen Arbeitsbedingungen bei den Paketzustellern oder bei Deliveroo und Co. (…) Was mit dem Stadtrad klug durchdacht, organisiert und wirtschaftlich angefangen hat, wird nun durch wild-west Methoden untergraben. Das zeigt auch, das grüne, vermeintlich ökologische, Geschäftsmodelle viel zu häufig sozialen Kriterien zuwiderlaufen und nichts anderes sind, als der Versuch, schnelles Geld zu machen…“ Pressemitteilung vom 28.06.2019 des DGB Hamburg , siehe dazu Berichte aus Hamburg und Berlin sowie nun auch allgemeiner:
- Wildes TIER gezähmt: E-Scooter-Verleiher TIER Mobility in Hannover muss zahlen: Minijobber erhält knapp 1200 Euro
„Gewerkschaftsmitgliedschaft zahlt sich aus: Nachdem ein Mitglied der FAU Hannover beim E-Scooter-Verleiher TIER Mobility um Lohn und bezahlten Urlaub geprellt worden war, konnte nun durch öffentlichen und juristischen Druck ein außergerichtlicher Vergleich erzielt werden. Nach einem aus Gewerkschaftssicht unzureichenden Angebot des Unternehmens in der Güteverhandlung vorm Arbeitsgericht erweiterte der Minijobber mit Unterstützung der Gewerkschaft und ihres Anwalts die bereits eingereichte Klage. Daraufhin stimmte TIER einem Vergleich doch noch zu und muss jetzt zahlen. Das Mitglied erhält neben dem ausstehenden Gehalt und der Urlaubsabgeltung eine Abfindung in Höhe von 1,5 Monatsgehältern, insgesamt knapp 1200 Euro.
Dies zeigt, dass sich ein langer Atem und eine gewerkschaftlich und juristisch ausgefeilte Strategie auszahlen. Denn die Güteverhandlung am 16. Mai 2023 am Arbeitsgericht Hannover war zunächst nicht zufriedenstellend verlaufen. TIER ließ sich durch die Union Busting-Kanzlei Taylor Wessing vertreten. Union Busting ist die systematische Behinderung von Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit. Der vorsitzende Richter Bödecker drang auf eine Einigung und beschied dem Anliegen des Minijobbers beim ausstehenden Kammertermin geringe Aussichten. Taylor Wessing-Anwalt Johannes Höft bot ihm daraufhin eine Zahlung von etwas mehr als 200 Euro an. Dieses Angebot lehnten das Mitglied und der Anwalt entschieden ab. Bei den im Saal vertretenen FAU-Gewerkschafter*innen löste die geringe Summe Empörung aus. Denn abgesehen vom nicht gezahlten Gehalt und Urlaubsentgelt, hatte die FAU Hannover auch sogenannten Annahmeverzugslohn geltend gemacht. Dem Minijobber war nämlich eine Weiterbeschäftigung versprochen worden, woraufhin er in einem Monat mehr Arbeitsleistung erbracht hatte, als vertraglich vorgesehen. Eine Weiterbeschäftigung des Mitglieds und damit auch die Zahlung des Annahmeverzugslohns konnte nun zwar nicht erreicht werden. Doch die Auseinandersetzung zeigt, dass selbst in prekären Minijobs den Beschäftigten oft größere Summen vorenthalten werden und Abfindungen durchaus verhandelbar sind. (…) Um auf den Konflikt aufmerksam zu machen, hatte die FAU Hannover Ende März vorm TIER-Lager in Hannover-Anderten Flugblätter verteilt und mit Kollegen des Mitglieds gesprochen . Möglicherweise ließ sich TIER auch auf den Vergleich ein, weil das Start-Up befürchtete, dass noch mehr Arbeiter*innen Ansprüche stellen könnten, wenn der Konflikt und die Berichterstattung andauere…“ Meldung der FAU Hannover vom 3. Juli 2023 und mit Video auf Twitter - Das E-Scooter-Debakel ist ein Paradebeispiel für die oft verlogene Digital-Denke
„Die Elektroroller vermüllen nicht nur deutsche Innenstädte. Es lässt sich auch wunderbar ablesen, wie die Digitalwirtschaft heute tickt. (…) Regel 3: Keine Rücksicht nehmen auf Verluste – weder bei den Kunden oder Geldgebern, noch bei Fragen der Nachhaltigkeit oder gar der Arbeitsbedingungen der eigenen Beschäftigten. Ein Heer von scheinselbstständigen Minijobbern rumpelt nun nachts mit Diesellastern durch die Innenstädte, um die Roller aufzuladen. Noch absurder: Keiner aus der mittlerweile unüberschaubaren Menge sogenannter „Mobilitätsdienstleister“ wirft bislang Geld ab… So denken sie alle. Sie eint die reine Lehre, dass nur siegt, wer die Plattform beherrscht. Mit den Sharing-Diensten erobert diese Ideologie nun auch noch den öffentlichen Raum und missbraucht ihn zugleich, ohne dass irgendwer Verantwortung für sein Tun oder gar dessen Kollateralschäden übernehmen wollte. Das war bei sozialen Netzwerken wie Facebook in der Fake-News-Debatte zu beobachten. Das sieht man bei Amazon, wenn es um seine millionenfachen Zwischenhändler und deren Steuerehrlichkeit geht. Und das gilt nun für Lime, Vio und wie die Roller-Revolutionäre sonst noch heißen. „Wir sind doch nur die Dienstleister“, wird dann gesagt, was bedeutet: Sie wollen nur spielen – und spielend den Rahm abschöpfen. Die Share-Mär von den lustigen E-Scootern ist letztlich Silicon Valley in Reinkultur: missionarischer Eifer, gepaart mit einer unangenehmen Radikalität und einer meist infantilen Geschäftsidee…“ Kommentar von Thomas Tuma vom 26.12.2019 beim Handelsblatt online (!) - [Juicer schon wieder out?] Kommen jetzt selbstfahrende E-Scooter und E-Fahrräder in die Städte?
„Damit sollen Scooter oder Bikes selbständig wieder zu Parkplätzen, zum Auftanken oder zum Abholen vors Haus kommen – und damit Jobs für Menschen wegautomatisieren. Elektrische Roller und Fahrräder haben die größeren Städte bereits erobert. Noch müssen die Benutzer selbst fahren. Aber demnächst werden wahrscheinlich selbstfahrende Scooter, Fahrräder oder Motorroller in den Städten unterwegs sein. Segway hat bereits den wohl ersten halbautomatisch fernsteuerbaren dreirädigen E-Scooter KickScooter T60 für Sharing-Firmen entwickelt. Damit lassen sich mehrere Scooter gleichzeitig über ein Ki-gesteuertes Cloudsystem bewegen, um diese zu verteilen oder an eine Dockingstation zu bringen, um sie automatisch dort aufzuladen. (…) Die Idee hinter selbständig fahrenden und fernsteuerbaren E-Scootern ist, menschliche Arbeitskräfte einzusparen, die bislang die Fahrzeuge suchen, einsammeln, aufladen und verteilen müssen, aber auch zu verhindern, dass sie, irgendwo abgestellt, Fußgänger oder anderen Verkehr behindern. Scooter ließen sich auch zu Sammelpunkten fahren oder man könnte sie bestellen, so dass man nicht einmal mehr bis zum nächsten Scooter gehen muss, sondern dieser einen abholt. Dann würden sie nicht nur für die viel beworbene „letzte Meile“ sein, sondern dafür sorgen, dass man möglichst keinen Schritt mehr gehen muss. Wenn ein Scooter umfällt oder umgestoßen wird, kann er sich allerdings (noch) nicht selbst aufrichten, dann ist auch bei Tortoise wieder menschliche Hilfe vonnöten, die automatisch angefordert wird. (…) Zunächst sollen die Scooter aus der Ferne mittels einer Kamera gesteuert werden, was dann den Verkehr, aber nicht auch schon menschliche Arbeitskraft reduzieren würde…“ Artikel von Florian Rötzer vom 22. Oktober 2019 bei telepolis
- Schnelles Geld und hohe Risiken: Wer die E-Scooter auflädt und was in den „Juicer“-Verträgen steht
„Sie heißen Juicer, Ranger, Watcher, Hunter oder Fleet Supporter: Gemeint ist das Personal, das für Sharing-Anbieter wie Lime, Tier[*], Voi, Bird & Co. die E-Scooter einsammelt und auflädt. Doch das schnelle Geld birgt viele Nachteile. (…) Juicer verdienen für das Abholen, Laden und Ausliefern eines E-Scooters etwa 4,50 Euro pro Stück. Anfallende Fahrtkosten, Strom, Mehrwertsteuer und etwaige Versicherungen – wie zum Beispiel eine für gewerbliche Immobilien und Brandschutz – muss der Juicer selbst zahlen. Ein Berliner, der für einige Wochen als Juicer aktiv war, sagte auf CHIP-Anfrage, dass ihm am Ende von den 4,50 Euro noch 2,80 Euro geblieben sind. Er hat mittlerweile mit dem „Juicen“ aufgehört. Hinzu kommt ein prekäres Arbeitsverhältnis. Anwältin Julia Sontheimer hat sich für CHIP den Vertrag angesehen, den Lime seinen Juicern vorlegt. Ihr Fazit: „Ich kann niemandem empfehlen, so einen Vertrag zu unterschreiben“. Aus ihrer Sicht sei die Zusammenarbeit mit Lime für Juicer sehr benachteiligend. Auffällig sei, wie oft Lime im Vertrag erwähne, dass der Juicer „unabhängig“ und damit selbstständig agiere. „Die Arbeitnehmerschutzrechte gelten damit für sie nicht“, stellt Sontheimer klar, „Vorschriften zu Mindestlohn und Arbeitszeiten, die Arbeitnehmer schützen sollen, werden damit außer Kraft gesetzt“. (…) Zwar betont Lime so oft es geht, dass der Juicer ein selbstständiger Unternehmer ist, doch würde es auch Ansatzpunkte geben, die dem widersprechen. Entscheidend sei, wie ein Arbeitsverhältnis „gelebt“ werde, stellt Anwältin Julia Sontheimer klar.“ Beitrag von Sebastian Lang vom 24. September 2019 bei Chip online
- Mikromobilität: Da rollt noch was
„In deutschen Großstädten fahren und stehen seit Mitte Juni nun auch noch tausende Elektroscooter rum. Die Arbeitsbedingungen für die Menschen, die sie nachts aufladen, sind oft ausbeuterisch. Auch sind die Gefährte nicht umweltfreundlich. Doch bei der aktuellen Aufregung gerät das zentrale verkehrspolitische Problem aus dem Blick. (…) Fast alle E-Roller in Deutschland gehören bisher Leihunternehmen – manche sind Neugründungen, andere international unterwegs. Sie heißen Circ, Voi, Bird, Tier [*] oder Lime und arbeiten alle nach einem ähnlichen Prinzip. Wer einen Roller nutzen will, muss nur rasch die App des Anbieters auf sein Smartphone laden, seine Bankverbindung oder Kreditkartennummer eingeben und bekommt dann angezeigt, wo in der Nähe ein freier Roller rumsteht. Für eine einstündige Spritztour werden 9 bis 13 Euro fällig. 12 bis maximal 25 Kilometer kann ein solches Gefährt zurücklegen – dann ist die Batterie alle. Abends sammeln Menschen die Roller ein, um sie über Nacht aufzuladen und sich so ein paar Euro dazuzuverdienen. Am originellsten daran sind die englischen Jobbezeichnungen wie Juicer, Ranger oder Hunter – Fruchtpresse, Feldhüter oder Jäger. Einige Firmen engagieren 450-Euro Kräfte, die die Gefährte mit Lieferwagen einsammeln. Die US-Firma Lime dagegen erwartet, dass die Beschäftigten ein Auto haben und die Roller in der eigenen Wohnung oder Werkstatt aufladen. Vier Euro bringt ihnen das pro Stück, allerdings müssen Sprit und Strom – etwa 30 Cent pro Akkuladung – selbst bezahlt werden. Auch für Sozialabgaben und Steuern sind die Juicer allein zuständig. Die Abholstandorte werden ihnen per Smartphone angezeigt, immer mal wieder kommt es zu Rangeleien, wenn mehrere Leute die gleichen Roller einladen wollen. Am nächsten Morgen müssen die Gefährte zu nachtschlafener Zeit an vom Unternehmen angegebenen Orten abgestellt werden. Wer zu spät liefert oder die Batterie nicht komplett aufgeladen hat, muss mit deutlichen Abzügen rechnen. „Für die sogenannten Juicer bei Lime ist selbst der gesetzliche Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde in weiter Ferne. Das ist Ausbeutung pur. Wie können Städte ein solches Geschäftsmodell zulassen?“, fragt ver.di-Gewerkschaftssekretär Gerd Denzel, tätig im Fachbereich Besondere Dienstleistungen...“ Artikel von Annette Jensen in ver.di-Publik 05/2019
- E-Scooter boomen in Hamburg – auf dem Rücken der „Juicer“
„2150 Leih-Scooter gibt es schon auf Hamburger Straßen. Doch das Geld wird oft auf Kosten von schlecht bezahlten Freiberuflern gemacht. (…) Laut einer Datenanalyse der Firma Civity liegt Hamburg derzeit auf Platz drei in Deutschland. Nur in Berlin und Köln gibt es mehr Leihroller. Der schnelle Anstieg der Gefährte von 500 in der vergangenen Woche auf nun schon 2150 zeigt, dass die Unternehmen mit großer Energie auf den Markt drängen. (…) Bei 2150 Rollern dürften mittlerweile viele Hamburger mit dem Einsammeln und Aufladen der Geräte Geld verdienen. Wie viele es sind und was ihnen dafür bezahlt wird, bleibt indes unklar.“…“ Artikel von Matthias Popien vom 06.07.19 beim Hamburger Abendblatt online
- Für eine Handvoll Roller: Warum Denis aus Berlin jede Nacht E-Scooter einsammelt
„… Der 24-Jährige ist einer der ersten „Juicer“ in Deutschland. So bezeichnet der US-amerikanische Leih-Anbieter „Lime“ die Menschen, die für ihn Elektroroller einsammeln und über Nacht zu Hause aufladen. Etwa vier Euro gibt es dafür pro Roller. Über dieses Geschäftsmodell dürfte in den kommenden Wochen noch öfter zu lesen sein. Sind die Juicer die Pioniere einer neuen Form von Mobilität? Gemeinschaftlich und flexibel? Oder ist es in Wahrheit nur eine weiteres Konzept, mit dem Start-ups Innenstädte zum Geldverdienen missbrauchen und dabei alle Risiken an Privatpersonen auslagern? Anders als in vielen anderen Ländern sind die E-Scooter in Deutschland erst seit zwei Wochen im Straßenverkehr zugelassen. Wer einen Scooter will, kann ihn für 200 bis 2000 Euro kaufen – oder einfach ausleihen. Quasi über Nacht sind in zahlreichen Innenstädten Roller von bislang unbekannten Unternehmen auf den Gehwegen aufgetaucht. Lime, Voi, Circ und Tier [*] heißen die vier größten. Sie alle kämpfen um die Aufmerksamkeit der Kunden. (…) Wie die Elektroroller jeden Morgen wieder aufgeladen auf dem Gehweg landen, dürfte bislang vielen Menschen unklar geblieben sein. Tatsächlich steckt dahinter gewaltiger Aufwand. Jede Nacht rauscht jetzt eine kleine Schattenarmee durch Berlin, Hamburg oder München. Juicer wie Denis, Kurierfahrer und angestellte Mitarbeiter sammeln die Roller Nacht für Nacht ein…“ Beitrag von Jan Petter vom 05.07.2019 bei Bento
Die Firma Tier behauptet uns gegenüber, noch nie einen Juicer beschäftigt zu haben: „All unsere Mitarbeiter sind sozialversicherungspflichtig angestellt und werden immer mit einem Fixgehalt entlohnt – nicht auf Erfolgsbasis.“ (Ergänzung vom 30.12.2019)