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Französische Faschisten, eine Gelbwestin und der Massenmörder von Christchurch in Neuseeland
„Der saubere Herr Camus – Renaud, nicht Albert – ist Kandidat. Sogar Spitzenkandidat: Er wird, wie er am 08. April d.J. bei einer Pressekonferenz verkündete, eine eigene Liste in Frankreich zu den Europaparlamentswahlen vom 26. Mai dieses Jahres anführen. Auf ihr wird auch eine „Gelbwesten“-Vertreterin kandidieren, sogar eine, die bei den Gummigeschosseinsätzen (mit Waffen vom Typ LBD-40) ein Auge verloren hat, unter dem Namen Fiorina Lignier. Das Problemchen dabei ist nur, dass es sich bei ihrer Kandidatur nicht um die auf „irgendeiner“ Liste handelt, sondern auf einer der insgesamt sechs respektive sieben rechtsextremen Listen, die sich in Frankreich zur diesjährigen Wahl des EU-Parlaments am 26.05.19 bewerben, den Rassemblement National (FN, „Nationale Sammlung“) – den früheren Front National – als voraussichtlich stärkste oder zweitstärkste Partei eingeschlossen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 17.5.2019 – wir danken!
Französische Faschisten, eine Gelbwestin und der Massenmörder von Christchurch in Neuseeland
Der saubere Herr Camus – Renaud, nicht Albert – ist Kandidat. Sogar Spitzenkandidat: Er wird, wie er am 08. April d.J. bei einer Pressekonferenz verkündete, eine eigene Liste in Frankreich zu den Europaparlamentswahlen vom 26. Mai dieses Jahres anführen. Auf ihr wird auch eine „Gelbwesten“-Vertreterin kandidieren, sogar eine, die bei den Gummigeschosseinsätzen (mit Waffen vom Typ LBD-40) ein Auge verloren hat, unter dem Namen Fiorina Lignier. (Vgl. https://francais.rt.com/france/61844-eborgnee-acte-gilets-jaunes-fiorina-candidate-liste-anti-grand-remplacement – Achtung, Quelle ist ein Medium für & von Putinfans und Putinknechten – und https://twitter.com/FiorinaLignier )
Das Problemchen dabei ist nur, dass es sich bei ihrer Kandidatur nicht um die auf „irgendeiner“ Liste handelt, sondern auf einer der insgesamt sechs respektive sieben rechtsextremen Listen, die sich in Frankreich zur diesjährigen Wahl des EU-Parlaments am 26.05.19 bewerben (vgl. https://jean-jaures.org/nos-productions/l-extreme-droite-aux-elections-europeennes-le-jeu-des-sept-familles ), den Rassemblement National (FN, „Nationale Sammlung“) – den früheren Front National – als voraussichtlich stärkste oder zweitstärkste Partei eingeschlossen. Unter ihnen befindet sich eine unter dem, nunja, schönen Namen „Für ein königliches Frankreich im Herzen Europas“ mit monarchistischem Einschlag, und eine, die schon im Namen explizit um die „Gelbwesten“ zu werben versucht: „Patrioten und Gelbe Westen gemeinsam“, unter Anführung von Florian Philippot.
Bei Letzterer handelt es sich allerdings um einen durchsichtig-opportunistischen Anbiederungsversuch, und Philippot, welcher im September 2017 als „Generalbeauftragter“ (aka Chefideologe) des damaligen Front National – FN – geschasst wurde, hat sich auch schon an manch anderem Ort angebiedert, um an der Spitze seiner Splitterpartei Les Patriotes politisch nicht gänzlich abzusaufen. Unter anderem auch auf clowneske Weises bei der Großbürgerin Geneviève de Fontenay, der früheren Veranstalterin der französischen Miss-Wahlen (vgl. https://www.bfmtv.com/mediaplayer/video/genevieve-de-fontenay-entonne-l-internationale-en-conference-de-presse-avec-florian-philippot-1064069.html und https://www.lci.fr/politique/genevieve-de-fontenay-et-florian-philippot-c-est-deja-fini-j-en-ai-pris-plein-la-tete-2085377.html ), oder auch bei dem in Paris mittlerweile stadtbekannten Mafiosi und politischen Polterer Marcel Campio, einem früheren Sinti-Straßenkind, das sich als Event-Veranstalter hochgearbeitet hat und heute einen mit homophoben Tönen unterlegten Feldzug gegen die Pariser Stadtregierung führt. (Vgl. https://www.closermag.fr/politique/florian-philippot-et-marcel-campion-des-amis-tres-particuliers-768347 und https://www.valeursactuelles.com/politique/philippot-sinstalle-saint-ouen-chez-le-forain-marcel-campion-91707 sowie http://www.leparisien.fr/seine-saint-denis-93/un-an-apres-philippot-et-les-patriotes-ont-deja-deserte-saint-ouen-21-12-2018-7974510.php )
Zurück zu der Liste, auf welcher die ihres Auges verlustig gegangene Gelbwesten-Demonstrantin Fiorina Lignier antritt. Diese wird unter dem Namen Ligne claire („Deutliche Linie“) stehen und soll ideologisch eine klare Kante verkörpern, auch gegenüber dem als zu schlapp und zu kompromisslerisch begriffenen Rassemblement National, wie der frühere Front National seit dem 1. Juni 2018 offiziell bezeichnet werden will.
Allerdings dürfte dies der letztgenannten Partei in Wirklichkeit wohl eher zu gute kommen. Denn die neofaschistische Partei könnte vordergründig, im Vergleich zu der sich als „konsequenter“ begreifenden rechtsextremen Konkurrenz rund um Renaud Camus, dann beinahe gemäßigt wirken – und auf diese Weise ihre politische Verantwortung als Stichwortgeberin rassistischer und potenziell mörderischer Ideen entsorgen. Denn Renaud Camus wird, ebenso wie indirekt auch der frühere FN und jetzige RN, aber in wesentlich unmittelbarerer Weise, mit dem australischen Massenmörder Brenton Tarrant in Verbindung gebracht, welcher am 15. März 19 mindestens fünfzig Menschen in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch tötete.
Inhaltlich soll es bei der Liste Camus‘ gegen die remplacistes („Austauschler“) gehen, und gegen die „Davokratie“ – eine andere Wortneuschöpfung des 72jährigen Schriftstellers, die sich auf das jährlich stattfindende Weltwirtschaftsforum (WEF) im schweizerischen Davos bezieht und sinngemäß so viel wie „Globalisten“ bedeuten soll. Auch wird gegen „Brüssel, die Hauptstadt der Kapitulation“ zu Felde gezogen, womit gemeint ist, dass die Europäische Union vor Feinden wie Einwanderung, Islam und „Lobbygruppen“ längst eingeknickt. Auf dem dritten Listenplatz hinter Camus bewirbt sich Karim Ouchikh, der 54jährige Chef (seit dem Jahr 2014) der Splitterpartei SIEL. Ihr Kürzel steht für „Souveränität, Unabhängigkeit und Freiheit“. Die laut eigenen Angaben zweitausend Mitglieder zählende Kleinpartei war bis vor zwei Jahren eng mit dem damaligen FN verbündet, kündigte dann jedoch die Allianz auf, weil der Front National nicht mehr entschieden genug gegen die europäische Integration eintrete. Tatsächlich hat letztere Partei sich infolge der Wahlergebnisse der FN-Chefin Marine Le Pen im Frühjahr 2017, die schlechter als erwartet ausfielen, von ihrer zuvor mal offensiv, mal schamhaft vertreteten Forderung nach Austritt aus der Union verabschiedet, die unter anderem konservative Wechselwähler und mittelständische Unternehmer von ihr entfremdeten und sie in ihren Augen „politikunfähig“ machten.
Dadurch, dass die besonders fanatischen oder ohne strategische Rücksichtnahmen auftretenden Nationalisten und Rassisten nunmehr eine eigene Wahlkandidatur betreiben, wird der Rassemblement National gewissermaßen zwei Probleme – die Reputation als offen EU-feindliche Kraft, und die Identifikation mit ungeschminkten Rassisten –auf einmal zum Schein los. Camus und Ouchikh dürften vor allem Teile der aus außerparlamentarischen Aktivisten bestehenden „identitären Bewegung“, die bezüglich ihrer Optionen und Bündnisse in den Sphären der „Realpolitik“ allerdings gespalten ist, um sich herum sammeln.
Jedoch stehen sie damit nicht alleine: Philippe Vardon, einer der früheren Chefs der „identitären Bewegung“ und jahrelang ihr unumstrittener Anführer In Nizza, seit 2015 Regionalparlamentarier des FN / RN für Südostfrankreich, wurde im Herbst 2018 zum Wahlkampfleiter der Partei Marine Le Pens für die Europaparlamentswahlen ernannt. Seiner früheren Organisation, dem Bloc identitaire, oder jedenfalls seiner (nicht gar so jugendlichen) Jugendorganisation – Génération identitaire – könnte unterdessen ein gesetzliches Verbot drohen: Seitdem Letztere am 29. März 19 in der Pariser Vorstadt Bobigny in einer spektakulären Aktion das Dach eines Sozialamts besetzte, um „Geld für französische Interessen statt für Ausländer“ zu fordern (vgl. u.a. https://www.tf1.fr/tmc/quotidien-avec-yann-barthes/videos/mesures-de-facade-elagage-arbres-trottoir-generation-identitaire-a-pree-operation-a-caf-de-bobigny.html ), erwägt die Regierung, einen Auflösungsbeschluss gegen die Organisation zu fassen. (Vgl. eine Darstellung aus faschistischer Sicht dazu: https://ripostelaique.com/les-identitaires-ne-leur-suffisent-plus-ils-revent-de-dissoudre-la-ldj.html/comment-page-1 )
Renaud Camus seinerseits täte vielleicht besser daran, diskret zu bleiben, seitdem bekannt wurde, dass der Massenmörder von Christchurch sich in seinem – wenige Minuten nach Beginn seiner Attacke im Internet publizierten – 73seitigen Manifest immer wieder und immer auf das Konzept des „großen Austauschs“, englisch the great replacement, bezieht. Das französische Original dafür lautet le grand remplacement und wurde in den letzten fünfzehn durch den Schriftsteller Camus zum veritablen Konzept ausgebaut. Es bezeichnet eine vorgebliche geplante Verschwörung von politischen und gesellschaftlichen Eliten, die darauf abziele, die angestammte weiße Urbevölkerung in Europa zu vertreiben, zu vergraulen oder zu unterjochen, um eine gegenüber interessierten Kreisen „unterwerfungswillige“, da „historischer Wurzeln beraubte und dadurch manipulierbare“ Mischbevölkerung an ihre Stelle zu setzen. Beim FN / RN ist die Benutzung dieses Begriffs, die etwa durch den zur Partei gehörender Marseiller Bezirksbürgermeister und Senator (Mitglied des parlamentarischen Oberhauses) Stéphane Ravier immer wieder benutzt wird, umstritten. Parteichefin Marine Le Pen machte vor nunmehr fünf Jahren vorsichtige Absetzbewegungen und erklärte gegenüber der Tageszeitung Libération, sie vermeide den Begriff aufgrund seiner verschwörungstheoretischen Konnotation, obwohl es stimme, dass führende Unternehmerkreise gerne einen „Arbeitskräfteimport“ betrieben. Dadurch versuchte Marine Le Pen, sich in ein moderat wirkendes Licht zu setzen.
Erfunden hat Camus das Konzept nicht, denn bereits die historischen Nationalsozialisten kannten den Begriff der „Umvolkung“, der nichts anderes bedeutet und nach dem Zweiten Weltkrieg – gegenüber den neuen Realitäten einer industriellen Einwanderungsgesellschaft – von ihren ideologischen Kontinuitätswahrern lediglich aktualisiert wurde. Im französischsprachigen Raum hat jedoch Camus, ein sonst bis dahin vor allem für extrem elitäres Denken bekannter Autor, von dessen Büchern eines am 21. April 2000 aufgrund antijüdischer Passagen durch den Verleger zurückgezogen wurde (vgl. unseren damaligen Beitrag dazu: https://jungle.world/artikel/2000/26/camus-braune-pest ), eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung und Vulgarisierung des Konzepts gespielt.
Verbindung aufgenommen hatte der Attentäter von Christchurch jedoch auch zu den oben bereits erwähnten französischen „Identitären“ (ebenso wie zu den österreichischen, deren Obernudel Martin Sellner den Eingang einer Spende von dessen Seite bestätigen musste und dadurch ein bisschen in Ungemach geriet, so dass sich sogar die mitregierende FPÖ von ihm distanzieren musste). Génération identitaire in Frankreich räumte ihrerseits öffentlich ein, ebenfalls Spenden von Brenton Tarrant verzeichnet zu haben, in ihrem Falle jedoch ihrer vier (vgl. https://www.lepoint.fr/faits-divers/attentat-de-christchurch-le-tueur-a-fait-des-dons-a-generation-identitaire-04-04-2019-2305830_2627.php oder https://www.ouest-france.fr/societe/racisme/le-tueur-supremaciste-de-christchurch-fait-des-dons-generation-identitaire-6295027 ); zunächst war von zweien die Rede (vgl. https://www.bfmtv.com/societe/generation-identitaire-dit-avoir-recu-deux-dons-du-tueur-de-christchurch-1666742.html ). Dies wirft kein allzu gutes Licht in der Öffentlichkeit auf diese Strömung; doch konnte diese kurz darauf einen Propagandacoup landen, indem sie PR-wirksam dem amtierenden Innenminister Christophe Castaner eine Ehrenmitgliedschaft antrug (vgl. https://www.huffingtonpost.fr/entry/castaner-migrants-ong-mediterranee-generation-identitaire_fr_5cab1716e4b0a00f6d424e32 ). Den Anlass dazu lieferte Castaner selbst am 05. April 19, indem er sich abträglich über Seenotrettung für Migranten im Mittelmeer betreibende NGOs äußerte (ihm zufolge „Helfer der Schlepper“, wie es auch Rechtsextreme darstellen, nur bei ihnen mit stärker hetzerischen Formulierungen).
Aber auch Marine Le Pen wurde durch Brenton Tarrant in seinem „Manifest“ zitiert. Und zwar schrieb er dort, im Hinblick auf die Wahlniederlage von Marine Le Pen im zweiten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl am 07. Mai 2017: „Der mögliche Sieg einer Beinahe-Nationalistin war für mich das Anzeichen dafür, dass eine politische Lösung noch immer möglich war.“ Nachdem Marine Le Pen jedoch (mit 33,9 Prozent der abgegebenen Stimmen) gegen den Kandidaten Emmanuel Macron scheiterte, habe die Erfahrung ihm gezeigt, dass dieser Weg verbaut sei, weshalb er beschlossen habe, dass der Griff zur Waffe erforderlich sei.