Die unglaublich vielen Einzelfälle rechtsradikaler Polizisten: Zwischenbilanzen
„… Und die Beamten? Sie folgen Melamed, überwältigen den jüdischen Professor, fixieren ihn am Boden und legen ihm Handschellen an. Einer der Polizisten schlägt ihm mehrmals ins Gesicht. Melameds Brille bricht entzwei, das Armband seiner Uhr reißt. Fotos werden später mehrere Hämatome in Melameds rechter Gesichtshälfte zeigen. Zwei Tage später veröffentlicht Yitzhak Melamed einen langen, wütenden Beitrag bei Facebook, in dem er der Polizei Rassismus vorwirft. Er prangert nicht nur die Brutalität der Polizisten an, er beschreibt auch die aggressive Stimmung auf dem Bonner Revier: Wie niemand Erste Hilfe leistete, obwohl sein Gesicht blutete. Wie man versucht habe, ihm einzureden, dass er zuerst ausfällig geworden sei. Melamed schreibt: “Dann insinuierten sie, dass sie, wenn ich die Presse informiere, mich beschuldigen würden, ich hätte Widerstand geleistet.” Und genau das passiert. Die Bonner Polizeibeamten verzerren den Tathergang, um ihre Kollegen zu entlasten. Erst versuchen sie die Schuld an Melameds Verletzungen auf den jungen Mann abzuwälzen, der, wie man inzwischen weiß, wegen Körperverletzung und schweren Raubs mehrfach vorbestraft ist und an jenem Tag unter Drogeneinfluss stand. Als dann mehrere Augenzeugen, unter anderem Melameds Kollegin, widersprechen, ändern sie ihre Geschichte und behaupten, der prügelnde Polizist habe sich gegen den aufsässigen Melamed verteidigt. Melamed bestreitet das im Gespräch mit der ZEIT, er habe sich nicht gewehrt. /Wenig Bereitschaft, Fehltritte aufzuarbeiten/ Kurz nach der Tat melden sich die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa, der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul und Emily Haber, die deutsche Botschafterin in Washington, bei Yitzhak Melamed. Alle drei bitten im Namen ihrer Behörde oder der Bundesrepublik Deutschland um Entschuldigung für das Geschehene. Alle drei versprechen eine schonungslose Aufklärung.Anfang März 2019 stellt die Staatsanwaltschaft Bonn das Verfahren gegen den Polizisten ein. Der Beamte wurde von einer Augenzeugin entlastet. Diese ist nicht nur selbst Polizistin, sie ist auch die Lebensgefährtin des Beschuldigten und war ebenfalls am Tatort…“ – aus dem Beitrag „Wie rechts ist die Polizei? fragt sich „Die ZEIT“ von gefährlich.noblogs am 10. Mai 2019 bei de.indymedia , die Dokumentation eines ausführlichen Zeit-Beitrags. Siehe dazu auch eine weitere Zwischenbilanz:
- „Tiefer Staat oder Einzelfälle?“ von Martina Renner und Sebastian Wehrhahn im Mai 2019 bei der Rosa Luxemburg Stiftung beantwortet diese Frage unter anderem so: „… Dass es sich um lauter Einzelfälle handelt, lässt sich schnell widerlegen, indem man sich im Detail mit den Komplexen befasst. Schnell wird klar: Die Täter haben Netzwerke. Bei denen muss es sich gar nicht um streng organisierte Geheimbünde handeln. Es können auch bloß Chatgruppen oder informelle kollegiale Seilschaften sein. Es gilt allerdings unbedingt, die Einzeltätervermutung als Standard-Herangehensweise zurückzudrängen. Sie schadet Ermittlungen und Aufklärung, weil sie die sozialen, logistischen und politischen Bedingungen von extrem rechtem Handeln nicht in den Fokus nimmt und stattdessen nur auf individuelle Beweggründe abhebt. Sie dient außerdem dazu, die jeweiligen Apparate und ihre Führung aus der Verantwortung zu entlassen. Gleichzeitig zeigen die Fälle auch: Das Problem ist kein «tiefer Staat», keine Schattenregierung, die im Hintergrund planvoll die Fäden zieht. Das Problem besteht in einem gesellschaftlichen Rechtsruck, der neben Parlamenten, Fußballstadien und Schulen eben auch Behörden erfasst. Verschärft wird das Problem dadurch, dass demokratische Kultur in den Sicherheitsapparaten ungenügend verankert ist. Anzeichen dieser mangelhaften Verankerung sind zum Beispiel rassistische Einstellungen ebenso wie institutioneller Rassismus, der sich in fehlerhaften Ermittlungen und rechtswidrigem racial profiling niederschlägt. Zu den Anzeichen gehört aber auch eine weit verbreitete gewaltvolle und schädliche Männlichkeitsvorstellung, ein Hang zum Autoritären, die Vorstellung behördlicher Unfehlbarkeit und eine tradierte Feindschaft gegen linke und humanistische Ideen…“