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Migrantinnen in der (24h)Pflege: „Niemand überwacht die Arbeitsbedingungen“ in Privathaushalten

Dossier

Plakat der freiburger Protestaktion Pflege am Boden 2015Dort, wo kranke oder alte Menschen gepflegt werden müssen, sind die Verwandten oft mit der Aufgabe überfordert. Neben der Lohnarbeit noch den Mann oder die Mutter waschen, für sie kochen und vielleicht sogar Medikamente verabreichen zu müssen, ist anstrengend und braucht viel Zeit. Deshalb beschäftigen viele Familien private Pflegerinnen. In Deutschland kommen die Frauen zum größten Teil aus Mittel- und Osteuropa. Helma Lutz forscht in Frankfurt zur Situation der Pflegerinnen in Privathaushalten. Die Soziologin fordert vor allem eine bessere Bezahlung der Pflegerinnen, ein Ende der 24-Stunden-Arbeit und mehr Unabhängigkeit vom Haushalt der Pflegeperson.“ Interview vom 6. Mai 2019 bei Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei, siehe dazu auch unser Dossier: Pflegenotstand ohne Lohnerhöhung: „(Wieder mal) Ausländer rein! Also in die Pflege.“ und hier speziell zu den Arbeitsbedingungen:

  • Bundesweite Razzien des Zolls gegen Sozialversicherungsbetrug und illegale Beschäftigung von Pflegekräften aus Rumänien in der 24-Stunden-Pflege New
    Die Pflegekräfte wurden in Rumänien rekrutiert, Sozialabgaben für sie nicht regulär bezahlt: Rund 200 Einsatzkräfte durchsuchten Wohnungen und Geschäftsräume, um Beweise für Schwarzarbeit in der Pflege zu finden.
    Bei einer bundesweiten Razzia hat der Zoll nach Beweisen für Sozialversicherungsbetrug und illegale Beschäftigung in der Pflegebranche gesucht. Die Aktion habe sich gegen einen Unternehmenskomplex gerichtet, der Pflegekräfte für die 24-Stunden-Pflege in Privathaushalten vermittelt, teilten die Staatsanwaltschaft Dortmund und das Hauptzollamt Münster mit. Rund 200 Einsatzkräfte hätten 22 Wohn- und Geschäftsobjekte in ganz Deutschland durchsucht, sagte eine Sprecherin. Gleichzeitig hätten Aktionen in Rumänien stattgefunden. Ermittelt werde gegen zwei Männer und zwei Frauen im Alter von 47 bis 75 Jahren, die über mehrere Jahre unter anderem in Rumänien Arbeitskräfte angeworben haben sollen, die dann als Pflegekräfte in Privathaushalten in Deutschland gearbeitet haben. Beiträge für die Rentenversicherung, Arbeitslosen-, Pflege- oder Krankenversicherung seien für die angeworbenen Kräfte aber nicht regulär bezahlt worden. Den Schaden für das deutsche Sozialsystem beziffern die Ermittler auf mindestens 2,2 Millionen Euro. Auch einen Anfangsverdacht der illegalen Beschäftigung gebe es
    …“ Meldung vom 18.09.2024 im Spiegel online externer Link („Bundesweite Razzien: Zoll geht gegen Schwarzarbeit in der Pflege vor“)
  • Pflege um jeden Preis: Das Geschäft mit der 24-Stunden-Betreuung 
    Tag und Nacht in Bereitschaft, so sah das Leben von Dobrina D. als 24-Stunden-Betreuungskraft in Deutschland aus. Aus einer finanziellen Notlage heraus nimmt die Bulgarin den Job vor knapp zehn Jahren an. Unwissend um ihre Rechte – und für einen Lohn von gerade einmal 950 Euro. Jetzt will sie sich nicht länger ausbeuten lassen. Die Rumänin Marinela packt dagegen gerade erst ihre Sachen, um die nächsten Wochen einen ihr unbekannten 96-jährigen Mann zu betreuen. Das Team von „mehr/wert“ begleitet sie und beobachtet, wie es ihr dabei ergeht. Ob über eine Vermittlungsagentur, eine Scheinselbstständigkeit oder illegal: Schätzungsweise 600.000 Menschen aus Osteuropa und dem Balkan arbeiten in Deutschland als 24-Stunden-Betreuungskräfte. Für sie bedeutet das ein deutlich besseres Gehalt als in ihrer Heimat. Für die mehr als 5,6 Millionen Pflegebedürftigen dringend notwendiges Personal. Ein System, von dem viele profitieren, doch verbindliche Regelungen fehlen. Wer sind diese Menschen, die unser Pflegesystem aufrechterhalten? Und um welchen Preis tun sie das?Video des Beitrags in der Sendung mehr/wert am 25.07.2024 im BR Fernsehen externer Link
  • LAG Berlin-Brandenburg 2022: „24-Stunden-Pflegekraft“ muss auch Lohn für 24 Stunden erhalten – bulgarische Betreuerin hat ihr Geld immer noch nicht erhalten
    „„Dass wir diese schwere Arbeit machen, heißt nicht, dass wir Menschen dritter Klasse sind“
    Mariana* ist 72, stammt aus Bulgarien und musste vor Gericht erstreiten, dass sie für ihre Arbeit als Betreuerin für alte Menschen in Deutschland auch bezahlt wird (…)  Mehrmals musste ich für Gerichtstermine nach Deutschland. 2021 bekam ich in letzter Instanz Recht. Weil ich rund um die Uhr verfügbar war, muss man mich entsprechend bezahlen, hieß es. Viele Medien berichteten über den Fall. Ich gab Interviews. Mein Geld habe ich aber immer noch nicht. Der Fall wurde von Deutschland an einen Anwalt in Bulgarien übergeben. Der aber macht seinen Job nicht. Ich glaube, dass er mit dem Chef der bulgarischen Firma unter einer Decke steckt. Der hat eine neue Firma gegründet, die ist inzwischen insolvent. Der Anwalt ist abgetaucht. Jetzt weiß ich nicht, wie es weitergeht
    .“ Protokoll vom 29.05.2024 im Freitag online externer Link („Ausbeutung ausländischer Arbeiter: „Wir sind keine Menschen dritter Klasse““)

    • Darin schreibt Sascha Lübbe unter „Zu Marianas Geschichte“: „„Der Fall ist für uns noch nicht abgeschlossen“, sagt Justyna Oblacewicz, Marianas Beraterin und Branchenkoordinatorin Häusliche Betreuung bei der Beratungsstelle Faire Mobilität. „Wir prüfen derzeit, warum das Geld noch nicht gezahlt wurde.“
      Das Urteil ist dennoch richtungsweisend. Mariana bekam vor dem Arbeitsgericht, dem Landesarbeitsgericht und in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht Recht. Oblacewicz sagt, das habe andere Frauen in Marianas Position gestärkt. „Für sie ist der Gang vor Gericht jetzt einfacher, sie können sich auf das Urteil beziehen.“
      Zudem habe das Urteil wesentlich dazu beigetragen, dass die Ampel im Koalitionsvertrag einen Passus zum Thema aufgenommen hat. „Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich“, steht da jetzt. Oblacewicz sagt, politisch sei dazu bisher aber wenig passiert. „Umso wichtiger ist es, dass man wieder mehr darüber spricht
      .““
    • Faire Mobilität twittert dazu am 30. Mai 2024 externer Link: „Bulgarische Betreuerin, die vor deutschen Gerichten die Vergütung der Betreuungszeiten durchsetzen konnte, hat ihr Geld immernoch nicht erhalten. @FaireMobilitaet u. eine Anwältin prüfen derzeit, warum das Geld nicht gezahlt wurde.“
    • Siehe Infos zum Prozess und Urteil hier weiter unten
  • War da nicht noch was mit der unmöglichen „24-Stunden-Betreuung“? Hinweise auf einen massiven Missbrauch bei der Arbeitszeit der Betreuungskräfte
    Der Großbaustelle fehlt weiterhin das rechtssichere Fundament. Andere werfen einen Blick auf die Menschen, die das machen (…) Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat vier Berichte zu den Betreuungskräften veröffentlicht, die man befragt hat (…) Mehr als 4 Millionen Pflegebedürftige werden in Deutschland zu Hause versorgt. Eine Gruppe, die dafür seit Jahren einen wichtigen Beitrag leistet und bislang wenig Aufmerksamkeit im ambulanten Versorgungssetting erfuhr, sind die schätzungsweise 300.000 bis 600.000 häuslichen Betreuungskräfte.
    Anhand der Ergebnisse einer Onlinebefragung von 429 Betreuungskräften aus Polen, Bulgarien, Kroatien und Rumänien werden soziodemografische und beschäftigungsbezogene Merkmale dieser Gruppe beschrieben. Bislang fehlt es in Deutschland sowohl an einem sicheren rechtlichen Rahmen für diese Betreuungsarbeit in Privathaushalten als auch an Daten zu den Arbeitsbedingungen. Bei den Daten will die BAuA einen Beitrag zur Verkleinerung des Problems leisten. Grundlage dafür bildet die Studie „Ermittlung der Arbeits- und Gesundheitssituation häuslicher Betreuungskräfte in Deutschland“, die 2023 durchgeführt wurde. (…) Die meisten Betreuungskräfte arbeiten als Auftragnehmerin bzw. Auftragnehmer (43 %), 39 Prozent arbeiten im Angestelltenverhältnis und elf Prozent als Selbständige. Die Hälfte der Betreuungskräfte verfügt über einen schriftlichen Vertrag. Knapp drei Viertel haben diesen mit einer Vermittlungsagentur geschlossen. 7 Prozent der Betreuungskräfte mit einem Vertrag haben diesen vor Arbeitsbeginn nicht zur Kenntnis erhalten. Bei knapp einem Drittel enthält der Vertrag keine Festlegungen zu den zu leistenden Arbeitsstunden pro Woche. (…)
    Hinweise auf einen massiven Missbrauch bei der Arbeitszeit der Betreuungskräfte
    Gefragt nach der üblichen Anzahl der Arbeitstage pro Woche geben 77 Prozent sieben Tage, 19 Prozent sechs Tage und vier Prozent fünf Tage an. Das muss man erst einmal sacken lassen: Die durchschnittliche Wochenstundenarbeitszeit liegt bei den häuslichen Betreuungskräften bei rund 72 Wochenstunden! Ein Großteil der Betreuungskräfte arbeitet auch abends (88 %) und nächtliches Aufstehen im Rahmen der Betreuung wird von 63 Prozent der Befragten erwartet. Arbeit am Wochenende gehört für fast alle häuslichen Betreuungskräfte dazu (97 %). Festzuhalten ist, dass Dreiviertel der Betreuungskräfte mit Vertrag und 90 Prozent jener ohne Vertrag berichten, dass ihre Überstunden weder finanziell noch durch Freizeitausgleich abgegolten werden. 
    Der Bericht Arbeit in der häuslichen Betreuung I externer Link bilanziert: »Auffällig sind die sehr langen Arbeitszeiten – pro Woche (häufig 7 Tage) aber auch pro Tag (mehr als 10 Stunden) – in einer Zeit, in der in Deutschland vermehrt über eine 4-Tage-Arbeitswoche diskutiert wird. Es ist kritisch zu fragen, inwiefern die im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) definierten Vorgaben zur Arbeitszeit (tägliche Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten, Aufzeichnung der Arbeitszeit etc.) auch bei häuslichen Betreuungskräften gewährleistet sind. Vermutlich arbeitet diese für den Arbeitsschutz insgesamt und die für den Vollzug der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben zuständigen Institutionen wenig sichtbare Gruppe in einer davon abgekoppelten Arbeitszeitrealität. Hier besteht dringender Prüfbzw. Handlungsbedarf zum Schutz der Betreuungskräfte.« (…)
    Fast 40 Prozent der Betreuungskräfte müssen immer oder oft körperlich schwer arbeiten.
    Heftig fallen die Einschätzungen zur Häufigkeit schwieriger Kontakte mit Pflegebedürftigen oder deren Angehörigen sowie zu sexueller Belästigung während der Arbeit aus. So berichtet jede fünfte Betreuungskraft, dass sie im vergangenen Jahr mehrmals beschimpft oder beleidigt wurde, und jede zehnte berichtet von Gewalterfahrungen während der Arbeit sowie unerwünschter körperlicher Annäherung.
    In der Bilanzierung des Berichts Arbeit in der häuslichen Betreuung II externer Link heißt es dann, dass die »Daten darauf hin(weisen), dass Betreuungskräfte zu einem substanziellen Anteil auch häusliche Krankenpflege erbringen, die laut SGB V Pflegefachpersonen vorbehalten ist. Dies entspricht einer illegitimen Aufgabenerweiterung und ist mit Blick auf die Versorgungsqualität sowie in Bezug auf die damit einhergehende Verantwortungsübernahme und eine mögliche Überforderung der Betreuungskräfte nicht akzeptabel und nicht legitim.« (…)
    Bei häuslichen Betreuungskräften zeigen sich im Mittel höhere Ausprägungen von Burn-out-Symptomen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Gut ein Drittel der Betreuungskräfte fühlt sich oft/immer körperlich und knapp die Hälfte oft/immer emotional erschöpft. Ein überdurchschnittlich hohes Niveau zeigen auch Ausprägungen von Präsentismus, das heißt Arbeiten trotz Krankheit.
    Im Bericht Arbeit in der häuslichen Betreuung III externer Link wird zusammenfassend ausgeführt: »Die hier berichteten Befragungsergebnisse zur Gesundheit häuslicher Betreuungskräfte belegen, dass diese im Mittel stärker von Burn-out-Symptomen betroffen sind und häufiger krank die Arbeit aufnehmen, als dies in der Altenpflege oder allgemeinen Erwerbsbevölkerung der Fall ist. Auffällig sind insbesondere die Werte zur emotionalen Erschöpfung. (…)
    Als Fazit wird in dem Bericht Arbeit in der häuslichen Betreuung IV externer Link , bezeichnenderweise ergänzt um die Überschrift „Dringender Handlungsbedarf“, auf ein Zitat aus der Befragung zurückgegriffen – das leider für sich spricht:
    „Es kann viel über die Probleme und Lösungen gesagt werden, und es wird auch gesagt, aber nur bis dahin! Niemand ist daran interessiert, die dringend notwendigen Änderungen vorzunehmen!“ (ID 689)Beitrag vom 2. Mai 2024 von und bei Stefan Sell externer Link
  • Selbstständigkeit von häuslichen Betreuungskräften in Deutschland und Österreich: Gute Lösung oder nur ein weiteres Ausbeutungsmodell?
    „Die Zukunft der häuslichen Betreuung ist Gegenstand einer intensiven Debatte zwischen Wissenschaftler*innen, Sozialpartnern und Vertreter*innen von pflegebedürftigen Familien in Deutschland. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandelns, prekärer Arbeitsbedingungen der ausländischen Beschäftigten in diesem Sektor, sowie der vom Bundesarbeitsgericht bestätigten Mindestlohnpflicht in der 24-Stunden-Pflege wird die Schaffung einer rechtssicheren Grundlage für die häusliche Betreuung immer drängender. Einige Beratungsstellen, die in Deutschland und in Österreich auch migrantische Betreuerinnen zu ihren Arbeitsrechten beraten, haben im Rahmen eines transnationalen Netzwerks eine gemeinsame Stellungnahme zu diesem Thema geschrieben. Darin machen sie auf die Risiken des sogenannten Selbstständigenmodells aufmerksam und sprechen sich deutlich für den Schutz der Arbeitsrechte in diesem besonderem Arbeitssektor aus. Auch das BEMA bei Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg DGB/VHS e. V. war an der Entstehung der Stellungnahme beteiligt.“ Pressemitteilung des Berliner Beratungszentrums für Migration und Gute Arbeit (BEMA) vom Januar 2023 externer Link

    • Aus dem Fazit in der 6-seitigen gemeinsamen Stellungnahme vom Januar 2023 externer Link : „… Beim Vergleich der Arbeitsbedingungen von selbstständigen Betreuer*innen in Österreich und in Deutschland wird deutlich, dass ihre Situation in beiden Ländern ähnlich prekär zu sein scheint. Sowohl die entgrenzten Arbeitszeiten als auch der daraus resultierende geringe Lohn sowie mangelnde Sozialabsicherung sind integrale Bestandteile der Modelle. Zudem wird deutlich, dass die Betreuer*innen sehr eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten ihrer eigenen Arbeitsbedingungen haben, da diese maßgeblich durch die Agenturen diktiert werden. Die starke Abhängigkeit von den Agenturen als auch das oft ausgeübte Weisungsrecht der Familien der Klienten*innen deuten zudem auf eine Scheinselbstständigkeit hin. Die oft sehr prekären Arbeitsbedingungen tragen häufig sogar Merkmale des Straftatbestands der Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB). In der Gesamtschau kommen wir zu dem Schluss, dass die Arbeit als Betreuer*in auf Grundlage einer Selbstständigkeit abzulehnen ist, da sie für die Zielgruppe mehr Nachteile als Vorteile bietet. Die einzigen Nutznießer bei den Modellen sind die Agenturen, die sich auf Kosten der Betreuer*innen bereichern und die Familien, die mit diesen Beschäftigungsmodellen aus ihrer Verantwortung als Arbeitgeber*innen entlassen werden. Die die Stellungnahme unterzeichnenden Beratungsstellen sprechen sich entschieden gegen die Einführung des Selbstständigenmodells nach österreichischem Vorbild in Deutschland aus und plädieren für die Einführung des Arbeitgebermodells, in dem entweder die Agentur oder aber die Familie die Arbeitgeberrolle innehat und die Betreuer*innen durch Arbeitnehmer*innenrechte geschützt sind….“
  • 24-Stunden-Betreuung: Wie die deutsche Politik wegschaut 
    Pflegerinnen und Pfleger, die 24 Stunden arbeiten, sollen nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch dafür bezahlt werden. Bisher werden sie oftmals ausgebeutet…“ Text und Video des Beitrags von Anne Ruprecht externer Link in der Panorama 3 Sendung auf NDR vom 13.12.2022, die sehenswerte Reportage schaut auf die Situation der Betreuungskräfte in Deutschland sowie zieht den Vergleich zu Österreich, wo die Betreuungskräfte als Selbständige arbeiten. (Siehe dazu unser Dossier: 24-Stunden-Betreuer*innen in Österreich: „Wir wollen nur ein paar Rechte“)
  • Auch in der „24-Stunden-Pflege“: Bereitschaftszeit muss bezahlt werden 
    Häusliche Betreuung: Klägerin aus Bulgarien erstreitet Lohnnachzahlung nach mehrere Jahren Prozess durch alle Instanzen. Urteil sollte Signalwirkung haben – auch für die Politik
    »Ich bin stolz, dass ich diesen Schritt gewagt habe.« So kommentiert Dobrina Alekseva das Urteil  des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (LAG) vom 5. September 2022. Nach einem mehr als vier Jahre dauernden Prozess, der bis vor das Bundesarbeitsgericht ging, sprach das LAG der Klägerin Anspruch auf Lohnnachzahlung in Höhe von 38.709 Euro brutto zu. Dobrina Alekseva hatte über Jahre als sogenannte  „24-Stunden-Pflegekraft“ eine über 90-jährige Seniorin in Deutschland in ihrer Privatwohnung betreut. In ihrem Arbeitsvertrag war allerdings nur eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden vereinbart. Und nur für diese 30 Wochenstunden wurde sie auch bezahlt, mit 950 Euro netto im Monat. (…) Die nun wahrscheinlich endgültige Entscheidung gibt den Ansprüchen der Klägerin weitgehend Recht. Nur für einen kleinen Teil der eingeklagten Zahlungen wies das Gericht die Klage ab. Hier sah es das Gericht nach der Beweisaufnahme als nicht zweifelsfrei erwiesen an, dass die Klägerin tatsächlich Bereitschaft geleistet  habe. Dabei ging es um Zeiten, die die Seniorin mit Familienangehörigen in ihrer Wohnung oder im Restaurant verbracht habe. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, dass Beschäftigte, gerade in der häuslichen Betreuung, ihre tatsächlich erbrachten Arbeitszeiten möglichst lückenlos, genau und nachvollziehbar dokumentieren. Auch wenn das Bundesarbeitsgericht im September 2022 klarstellte, dass die Arbeitszeiterfassung zu den Pflichten des Arbeitgebers gehört, sollten sich Beschäftigte niemals darauf verlassen, dass dies tatsächlich korrekt geschieht. Eigene Arbeitszeitaufzeichnungen sind deshalb ein Muss! Ein Notizbuch oder Taschenkalender reicht dafür aus und bietet im Fall eines Rechtsstreits auch nach Jahren eine deutlich bessere Argumentationsgrundlage gegenüber dem Arbeitgeber und kann vor Gericht entscheidend sein. Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg könnte unter Beschäftigten in der häuslichen Betreuung eine Signalwirkung haben. Denn die Zustände, gegen die sich Dobrina Alekseva wehrte, sind kein Einzelfall. Mehrere hunderttausend sogenannter »24-Stunden-Pflegekräfte«, überwiegend aus Osteuropa, arbeiten nach Expertenschätzungen in deutschen Seniorenhaushalten in oft rechtswidrigen Vertragskonstruktionen, unter hoch problematischen Arbeits- und Lebensbedingungen. Das Modell funktionierte über viele Jahre, auch weil viele Beschäftigte ihre Rechte nicht kennen und nur selten Zugang zu Gewerkschaften und Beratungsstellen wie denen von „Faire Mobilität“ finden.“ Artikel in „Faire Mobilität“ vom November 2022 externer Link
  • Einsatz polnischer Betreuungskräfte (Live-ins) in Deutschland: Handlungsempfehlungen für mehr Rechtssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen 
    „Die häusliche Betreuung jenseits professioneller Pflege ist zu einem festen Bestandteil des deutschen Pflegesystems geworden. Sie wird durch – fast ausschließlich weibliche – migrantische Erwerbstätige sichergestellt, die in den Haushalten der Pflegebedürftigen nicht nur arbeiten, sondern auch wohnen („Live-in“). Ihre Situation ist durch rechtliche Intransparenz und Unsicherheit geprägt sowie mit einem Verdacht systematischer Rechtsverstöße belastet. Vor allem mit dem Arbeitszeitregime, das nicht selten mit dem Begriff „24-Stunden-Pflege“ beschrieben wird, sind tiefgreifende rechtliche Probleme verbunden. Die aktuelle Studie im Auftrag der Gleichbehandlungsstelle EU-Arbeitnehmer/IntB, nimmt sich rechtlicher Fragestellungen beim Einsatz polnischer Betreuungskräfte in deutschen Privathaushalten an. Dafür wurden Original-Verträge analysiert, mit denen die polnischen „Live-ins“ in Deutschland tätig wurden. Auf Basis dieser Analyse legen die Autorinnen Handlungsempfehlungen vor, die für mehr Rechtssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen sorgen sollen.“ Pressemitteilung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – Gleichbehandlung EU-Arbeitnehmer vom 5. Oktober 2022 externer Link („Studie zu Rechtsfragen beim Einsatz polnischer Betreuungskräfte (Live-ins) in Deutschland durch Vermittlung polnischer Agenturen“)

    • Im Einzelnen empfehlen u.a. Eva Kocher und Nastazja Potocka-Sionek in ihrer 97-seitigen Studie vom Oktober 2022 externer Link : „… Für die Rechtsposition ist relevant, ob es sich um Arbeitsverträge oder zivilrechtliche Dienstverträge handelt. Mit dieser Abgrenzung geht aber in allen Rechtsordnungen hohe Rechtsunsicherheit einher. Dies hat einerseits etwas mit der typologischen Methode der Abgrenzung zu tun, wie sie auch im polnischen und im deutschen Recht angewandt wird.Gestaltungen mit zivilrechtlichen Dienstverträgen enthalten oft auch in Situationen weitgehender Abhängigkeit der Live-in-Kräfte einzelne Gestaltungselemente, die sie als Argumente für Selbstständigkeit liefern (…). Weitere Rechtsunsicherheit kommt aus der grenzüberschreitenden Situation. (…) Das arbeitspolitische Kernproblem sind vor allem überlange Arbeitszeiten; diese drohen zur Überforderung von Live-ins beizutragen, und stellen insofern auch ein Risiko für die Versorgungsqualität dar.Nicht zu unterschätzen sind daneben auch die zahlreichen arbeitspolitischen Folgeprobleme, die sich in der typischen transnationalen Konstellation aus der starken Abhängigkeit der Live-in-Kräfte ergeben (…) Die vorliegende Untersuchung hat bestätigt, was bereits zahlreiche frühere Studien hervorgehoben haben: Die rechtliche Unsicherheit in der Anwendung des Arbeitsrechts stellt vor allem für die betroffenen Live-ins und ihre Berater:innen ein Problem dar. (…) Die Zielsetzung des Koalitionsvertrags eine „rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden Betreuung im familiären Bereich“ zu schaffen, kann deshalb nur auf eine Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Arbeitsverhältnis hinauslaufen, ob im Wege der Entsendung oder nicht…“
  • Harte Arbeit, wenig Schutz. Osteuropäische Arbeitskräfte in der häuslichen Betreuung in Deutschland 
    „… Die vorliegende Publikation leistet einen Beitrag zu einem besseren Verständnis für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Live-Ins und verdeutlicht anhand von 17 Fallbeispielen aus der Beratungspraxis typische Problemkonstellationen. Es kommt zu Verletzungen von Arbeitsrecht aufgrund der Ausgestaltung der Beschäftigung etwa durch (menschen-)rechtswidrige Vertragsinhalte, intransparente Arbeitsverträge, irreguläre Beschäftigung oder auch (schein-)selbstständige Tätigkeit. Insbesondere ausufernde Arbeitszeiten aufgrund der Erwartung einer „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ und unbezahlte Arbeit gehören zu den zentralen Problemen der Live-In-Betreuung. Zudem ergeben sich aus der häufig kurzzeitigen Beschäftigung migrantischer Live-Ins auch weitere Hindernisse beim Zugang zu grundlegenden Rechten, wie der medizinischen Versorgung und bei der Rechtsdurchsetzung. Live-Ins sind darüber hinaus mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert, die sich aus der Tatsache ergeben, dass sie in einem Privathaushalt arbeiten und wohnen. Sie erleben teilweise starke Überlastung und körperliche sowie sexualisierte Gewalt. Außerdem kann die Privatsphäre in Folge von (unzulässiger) Videoüberwachung und ständiger Kontrolle bedroht sein. Die Corona-Pandemie hat die Lage für Live-Ins in verschiedener Hinsicht verschlimmert, beispielsweise durch einen Zuwachs an übertragenen Aufgaben und Verantwortung sowie der Isolation im Privathaushalt. Die Analyse verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf bei der Regulierung der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse von Live-Ins in Deutschland…“ Aus der Einleitung zur Analyse von Greta Schabram und Nora Freitag vom Oktober 2022 externer Link beim Deutschen Institut für Menschenrechte
  • LAG Berlin-Brandenburg: „24-Stunden-Pflegekraft“ muss auch Lohn für 24 Stunden erhalten
    „… Eine im Rahmen einer „24-Stunden-Pflege zu Hause“ eingesetzte Pflegekraft hat Anspruch auf Zahlung von Mindestlohn für die gesamten 24 Stunden. Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG) entschieden und gab der Klage einer bulgarischen Pflegekraft im Wesentlichen statt (Urt. v. 05.09.2022, Az. 21 Sa 1900/19). Eine Bulgarin war als Pflegekraft von einer deutschen Agentur, die mit dem Angebot einer „24-Stunden-Pflege zu Hause“ wirbt, vermittelt und von ihrem bulgarischen Arbeitsgeber als Pflegekraft nach Deutschland entsandt worden. Hier pflegte sie eine ältere, alleinlebende Dame in ihrer Wohnung in einer Seniorenwohnanlage. Sie wohnte bei der Frau und betreute sie umfänglich: Sie führte den Haushalt, half der Dame beim Essen und bei der Körperpflege und leistete ihr Gesellschaft. Dafür war ein Betreuungsentgelt für 30 Stunden pro Woche vereinbart. Die bulgarische Pflegerin forderte nun Vergütung nicht nur für die 30 Stunden pro Woche, sondern für die jeweils ganzen 24 Stunden pro Tag. Denn sie habe jeden Tag von 6.00 morgens bis 22.00 oder 23.00 Uhr abends arbeiten und auch nachts jederzeit bereit sein müssen. Ihr stehe daher der Mindestlohn für 24 Stunden an sieben Tagen die Woche, also 168 Wochenstunden, zu. Der Arbeitgeber bestritt diese Arbeitszeiten jedoch und verwies auf die vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden. Das LArbG gab der Klage im Wesentlichen statt. Im Rahmen einer umfassenden Beweisaufnahme kam es zu der Überzeugung, dass die bulgarische Pflegerin die Pflege der alten Dame tatsächlich für rund 24 Stunden am Tag und damit für deutlich mehr als die vertraglich vereinbarten 30 Stunden in der Woche habe sicherstellen müssen, da sie ständig in Bereitschaft hätte sein müssen. Damit stehe ihr für diesen Zeitraum der Mindestlohn zu. Lediglich für Zeiten, in denen die Dame Besuch von ihrer Familie erhielt oder mit Familienangehörigen im Restaurant war, entfalle dieser Anspruch. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen. Es besteht die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.“ Meldung vom 5. September 2022 bei Legal Tribune Online externer Link, siehe auch:

    • Pressemitteilung des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Aktenzeichen 21 Sa 1900/19 externer Link
    • Pressemitteilung von DGB-Rechtsschutz vom 05.09.2022 externer Link
    • DGB: 24-Stunden-Betreuung – LAG stärkt Rechte von Betreuungskräften
      „Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied, zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zur sogenannten 24-Stunden-Betreuung: „Bundesarbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben mit ihren Urteilen die Rechte hunderttausender Live-In-Betreuungskräfte in Deutschland gestärkt. Die heutige Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg zeigt: Es lohnt sich zu klagen. Damit Betreuungskräfte den Rechtsweg nicht ausschließlich individuell und unter hohem persönlichem Risiko beschreiten können, fordert der DGB ein Verbandsklagerecht. Die Koalition ist in der Pflicht, Betreuungskräfte von vornherein vor Ausbeutung und Arbeitsrechtsverstößen zu schützen. Sie muss praktikable, rechtskonforme Lösungen entwickeln, die nicht-pflegerische Bedarfe abdecken – zum Beispiel Arbeiten im Haushalt und andere Unterstützung und Betreuung. Gleichzeitig bedarf es effektiver Vorkehrungen, damit Beschäftigte nicht in rechtlich fragwürdige Anstellungsmodelle wie Scheinselbständigkeit gedrängt werden, in denen sie ihre Rechte wieder mühsam erkämpfen müssen. Der Gesetzgeber muss außerdem endlich die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs umsetzen und Arbeitgeber verpflichten, ein manipulationssicheres, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem für alle Beschäftigten einzuführen. Auch Bereitschaftszeiten müssen damit lückenlos erfasst werden.“ DGB-Pressemitteilung vom 5. September 2022 externer Link
    • ver.di-Statement zum LAG-Urteil zur sog. 24-Stunden-Betreuung
      „Zum heutigen Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zur sogenannten 24-Stunden-Betreuung erklärt Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand:„Das heutige Urteil ist für unsere Kollegin ein Erfolg auf ganzer Linie. Es zeigt erneut den dringenden Handlungsbedarf. Die 24-Stunden-Betreuung muss von der Politik endlich angegangen werden. Beschäftigte sind davor zu schützen, rund um die Uhr arbeiten zu müssen. Das System verstößt elementar gegen das Arbeitszeitgesetz und den Gesundheitsschutz, außerdem wird hier regelmäßig der gesetzliche Mindestlohn umgangen. Aber auch pflegebedürftige Menschen mit ihren Familien brauchen endlich Rechtssicherheit und vor allem ein offizielles bedarfsgerechtes Hilfesystem. Auch vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Tariflohnpflicht für nicht tarifgebundene Arbeitgeber ist es überfällig, die Pflegeversicherung zu einer „Solidarischen Pflegegarantie“ weiterzuentwickeln: jeder und jede zahlt ein und pflegebedingte Kosten werden vollständig von der Solidargemeinschaft getragen. Und es muss damit Schluss sein, dass deutsche und internationale Pflegekonzerne dem System mit hohen Renditen Geld entziehen. Die Pflege muss wieder gemeinwohlorientiert organsiert werden.“ ver.di-Statement vom 5. September 2022 externer Link
  • [Verhandlung am 5. September vor dem Landesarbeitsgericht Berlin] »Wer sagt ihr, wie sie was zu tun hat?« Über die Rechte der 24-Stunden-Pflegerinnen 
    „[Am 5. September wird der Fall nun noch einmal vor dem Landesarbeitsgericht Berlin verhandelt, warum?]
    Das Gericht soll die Zahl der Arbeitsstunden noch einmal genauer bestimmen. Es war auf 21 Stunden am Tag gekommen. Die höhere Instanz fand die Begründung nicht ausreichend, weshalb der Fall noch einmal zurückverwiesen wurde. Das ist auch schwierig zu bemessen. Gab es Freizeit? Wie hoch war der Betreuungsaufwand? Am Landgericht gab es dazu im April stundenlange Zeugenbefragungen. Familienmitglieder sagten aus, die Geschäftsführung des bulgarischen Entsendeunternehmens, auch die Klägerin. Die Crux: Außer ihr war keiner der Zeugen permanent im Haushalt anwesend. Die Seniorin kann leider nicht mehr gefragt werden, sie ist inzwischen verstorben. Und laut deutschem Arbeitsrecht muss die Klägerin ihre Ansprüche erst mal belegen.[Welche Stundenzahl wird am 5. September rauskommen?]
    Ich hoffe natürlich für Dobrina, dass der gesamte Arbeitsumfang anerkannt und vergütet wird. Was ich bezeichnend bei ihr finde: Sie will nicht mehr Geld, sondern nur das, was sie erarbeitet und verdient hat.
    [Ihr Rechtsstreit dauert inzwischen vier Jahre, wie kämpferisch ist sie noch drauf?]
    Sie wird nicht müde, Betreuerinnen zu informieren, taucht immer wieder auch in Reportagen oder Artikeln auf. Ihr geht es vor allem darum, dass Kolleginnen nicht alles mit sich machen lassen, sondern für ihre Rechte einstehen. Gleichzeitig wünscht sie sich, dass der Prozess bald zu Ende geht und sie das ihr zustehende Geld endlich erhält.
    [Wie konnte sie das Ganze überhaupt finanziell durchstehen?]
    Sie hat die Klage mit Hilfe einer Beratungsstelle und einer privaten Anwältin eingereicht und in der ersten Instanz gewonnen. Aufgrund der Bedeutsamkeit des Falls für die Beschäftigtengruppe hat Verdi sie als Mitglied aufgenommen und den Fall bis vor das Bundesarbeitsgericht gebracht. Um ehrlich zu sein: Ohne die Unterstützung durch die Gewerkschaft und den DGB-Rechtsschutz wäre dieser Fall bestimmt nicht so weit gekommen und hätte auch nicht diese Reichweite.
    [Was hatte das Urteil bisher für Auswirkungen?]
    Wir bekommen vermehrt Anfragen von Betreuerinnen, die sich auf dieses Urteil beziehen: Ich habe davon gehört, kann ich das auch für mich anwenden? Vereinzelt haben uns Betreuerinnen von eingereichten Klagen berichtet. Die enden häufig mit Vergleichen, was im Sinne der Betreuerinnen ist, die so schnell wie möglich das Geld sehen wollen. Außerdem hat das Urteil zu einem Satz im Koalitionsvertrag geführt: »Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich.«…“ Gespräch mit Justyna Oblacewicz von Alexander Reich in der jungen Welt vom 29.08.2022 externer Link
  • Mindestlohn für 24-Stunden-Pflege: Das Verfahren geht weiter – Urteil vertagt
    „Bulgarische Pflegekräfte, die rund um die Uhr in einem deutschen Haushalt beschäftigt werden, haben Anspruch auf Mindestlohn. Das hat das Gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht im Juni vergangenen Jahres beim Bundesarbeitsgericht durchgesetzt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20). Wie viele Stunden im konkreten Fall zu vergüten sind, hat jetzt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu klären. (…) Das Landesarbeitsgericht hatte den Aufwand der bulgarische Klägerin auf 21 Stunden geschätzt und ihr hierfür etwa 30.000 € zugesprochen. Nach dem Arbeitsvertrag hätte sie nur 30-Stunden in der Woche arbeiten sollen und bekam auch nur diese bezahlt. Das Bundesarbeitsgericht sah allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Klägerin täglich drei Stunden Freizeit gehabt habe und hatte das Verfahren zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verhandelte daher (…) am Montag, den 25. April ab 10 Uhr…“ Mitteilung der DGB Rechtsschutz GmbH Berlin vom 22. April 2022 externer Link und die Aktualisierung: 

    • Verfahren wegen Mindestlohnes bei 24-Stunden-Betreuung vertagt
      Im Verfahren um Mindestlohn für die bulgarische Haushaltshilfe, die rund um die Uhr im Haus einer Seniorin eingesetzt war, gibt es vorerst keine Entscheidung. Nach einer Mammutsitzung vertagte sich das Gericht. Jetzt sind die Parteien am Zug. Nach neun Stunden schloss die Vorsitzende Richterin Dr. Oda Hinrichs gegen 20 Uhr die Verhandlung. Sie hatte neben den Prozessparteien auch die beiden Kinder der pflegebedürftigen Frau vernommen, die die Klägerin betreut hat. Zu klären war, in welchem Umfang die Klägerin, die vom DGB Rechtsschutz Büro Berlin vertreten wurde, im Haushalt tätig war bzw. Bereitschaftsdienst hatte, und in welchem Umfang Freizeit. Sofern sie gearbeitet hat oder in Bereitschaft war, ist dies zu vergüten. Im Arbeitsvertrag waren hierfür nur 30-Arbeitsstunden vereinbart. Das Gericht hat jetzt den Parteien sechs Wochen Zeit gegeben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Danach wird es über den weiteren Fortgang des Verfahrens entscheiden. Gert Groppel vom ver.di Kontaktbüro der DGB Rechtsschutz GmbH, der das komplette Verfahren begleitet hat, wagt eine erste Prognose: „Den Kindern ist es erkennbar darauf angekommen, dass immer jemand im Haus war. Die Gegenseite kann sich nicht darauf berufen, die Klägerin habe ja auch woanders wohnen können. Die 30 Stunden sind keineswegs zu halten.“…“ Mitteilung der DGB Rechtsschutz GmbH Berlin vom 26. April 2022 externer Link
  • Eine interdisziplinäre Untersuchung von Maßnahmen der Vermittlungsagenturen: Reduktion der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege
    „Neben der stationären und ambulanten Pflege hat sich die Live-In-Pflege mittlerweile zur dritten Säule des Altenpflegesystems entwickelt. In der von irregulärer Beschäftigung dominierten Branche sind die Arbeitsbedingungen von überlangen Arbeitszeiten und unvergüteten Bereitschaftsdiensten gekennzeichnet. Jedoch etablieren einige Vermittlungsagenturen freiwillige Maßnahmen der Selbstregulierung. Die sozial- und rechtswissenschaftliche Untersuchung eigt Möglichkeiten und Grenzen auf, inwiefern hierdurch eine Reduktion der Arbeitszeit bewirkt werden kann.“ In der 166-seitigen Study 471 der Hans-Böckler-Stiftung vom April 2022 externer Link ziehen Simone Habel und Theresa Tschenker u.a. folgendes Fazit: „… Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist zudem zu kritisieren, dass eine Live-In die Hauptverantwortung für die Einhaltung der Arbeitszeitregelungen trägt. Diese Praxis widerspricht grundlegend der europäischen und innerstaatlichen Rechtslage, nach der die Arbeitgeber*innen für die rechtskonforme Arbeitsorganisation verantwortlich sind. (…) Insgesamt hat die Untersuchung sichtbar gemacht, dass sich trotz der etablierten Maßnahmen bezüglich der Thematik der Arbeitszeit auch bei den „Pionieren“ ganz grundlegende Lücken zeigen. Die Studie verdeutlichte – in Einklang mit der bestehenden Literatur – dass Agenturen zentral mit Legalität werben, um Legitimität herzustellen, jedoch gegen rechtliche Bestimmungen, wie die gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen, verstoßen (…). Die Kernproblematik der Arbeitszeit, die Erwartung einer sogenannten 24-Stunden-Betreuung, wird auch von den „Pionieren“ der Agenturen nicht gelöst. Daher kann argumentiert werden, dass eine unternehmerische Selbstregulierung allein zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Live-In-Pflege unzureichend ist; vielmehr braucht es staatliche Regulierungs- und Kontrollinstrumente (…) Die vorliegende Studie zeigt somit, dass die sich etablierende Selbstregulierung durch Vermittlungsagenturen allein das zentrale Problem der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege nicht lösen kann.“
  • Altenpflege: Pflege-Fortschritt à la Ampel 
    „Hunderttausende Frauen aus Osteuropa betreuen alte Menschen zu Hause, oft unter illegalen Bedingungen. Die Ampel-Parteien planen nun eine »rechtssichere« Regelung. Die kann ganz unterschiedlich aussehen (…) Was die BAG-Entscheidung vorangetrieben hat, ist die politische Debatte, wie die Betreuung von alten Menschen zu Hause künftig geregelt werden soll. (…) So fordert der Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) eine »Lösung wie in Österreich«. (…) In Österreich sind die meisten Betreuerinnen aus Osteuropa Selbstständige und – wie alle anderen Selbstständigen – sozialversichert. Gleichzeitig gelten für sie »keine gesetzliche Obergrenze bei der Arbeitszeit« und auch keine Mindest-Stundenvergütungen, erläutert Kurt Schalek von der Arbeitskammer Wien »nd.Die Woche«. (…) Gleichzeitig blieben die Vergütungen für die Live-in-Betreuungskräfte niedrig und die Arbeitszeiten unreguliert. Genau deswegen lehnen Diakonie, Caritas und Gewerkschaften dieses Modell ab. (…) Im Koalitionsvertrag findet sich im Kapitel zur Pflege nichts zu der Frage, ob die Ampel-Parteien das Selbstständigen- oder das Angestelltenmodell bevorzugen. Stattdessen steht im Kapitel zum Arbeitsmarkt, dass künftig haushaltsnahe Dienstleistungen gefördert und dadurch auch mehr sozialversicherte Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Konkret ist vorgesehen, dass Personen mit Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen künftig für haushaltsnahe Dienstleistungen Zulagen erhalten. Der Bonus solle bis zu 2000 Euro pro Jahr betragen, sagte der alte und neue Arbeitsminister Hubertus Heil. Davon profitierten auch die »Alltagshelfer«, da sie sozialversichert seien und den Mindestlohn erhielten. Der Koalitionsvertrag schließt allerdings nicht explizit aus, dass es diese Zuschüsse auch dann gibt, wenn die Alltagshelferinnen selbstständig sind. Der Verdi-Fachmann Erdmeier geht jedoch davon aus, dass der Bonus nur dann gezahlt wird, wenn die Person angestellt ist und alle Arbeitnehmerrechte hat, inklusive im Schnitt maximal acht Arbeitsstunden am Tag, wie es das Arbeitszeitgesetz vorsieht. (…) Das Problem sei, dass Agenturen weiterhin formal freie Betreuerinnen vermitteln können, die mehr oder weniger rund um die Uhr zur Verfügung stehen sollen. Etliche Familien dürften auch weiterhin diese Arbeitskräfte anfordern. Denn »das Grundproblem in der Altenpflege ist nicht gelöst: Die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt nur einen Teil der Pflegekosten«, sagt Heike Prestin von der Diakonie. (…) »Insbesondere in der ambulanten Pflege wird es aber weiter nur eine Teilleistungs-Versicherung geben.« Ein zu großer Anteil der Pflege müsse darum privat organisiert und von Angehörigen oder Betreuungskräften aus Osteuropa übernommen werden. »Hier muss die neue Regierung deutlich nachbessern.« Auch Erdmeier fordert eine Vollversicherung, die sämtliche Pflegekosten abdeckt, für alle. »Nur so kann es gelingen, dass es künftig ausreichend ambulante Pflegeangebote gibt und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt werden.«“ Artikel von Eva Roth vom 30. Dezember 2021 in neues Deutschland online externer Link
  • Mehr als ein Vollzeitjob. Die mittlerweile verbreitete »Live-In-Pflege« bedeutet für die meist migrantischen und weiblichen Pflegekräfte absolute Verfügbarkeit 
    „… Pflegebedürftige, Angehörige und Agenturen richten an die sogenannten Live-Ins die Erwartung, ständig ansprechbar und einsatzbereit zu sein – eine Anspruchshaltung, die auch dadurch hergestellt wird und aufrechterhalten bleibt, dass Agenturen mit dem Angebot einer »24-Stunden-Pflege« werben. Indem sich die (nahezu ausschließlich weiblichen) Sorgearbeiterinnen in ständiger Bereitschaftszeit befinden, wird die gesetzliche Höchstarbeitszeit deutlich überschritten. Trotz der offensichtlichen Verstöße gegen Minimalstandards von Arbeitsrechten versorgen derzeit in Deutschland zwischen 300 000 und 600 000 Migrantinnen die Pflegebedürftigen auf diese Weise, unter stark prekären Bedingungen. Die Rechtsverstöße in der Live-In-Pflege werden vom Staat bislang akzeptiert. Aus Ermangelung staatlicher Kontrollen der Arbeitsbedingungen und der Unterfinanzierung des Pflegesektors hat sich ein »grauer Markt« ausgebildet. Die entsprechenden Vermittlungsagenturen gestalten diesen Markt mit und beziehen sich dabei auf rechtliche Rahmenbedingungen, die sie jedoch nicht vollständig umsetzen. Unsere Studie »Reduktion der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege. Eine interdisziplinäre Untersuchung von Maßnahmen der Vermittlungsagenturen« hat sich mit einer besonders einflussreichen Gruppe von Agenturen befasst: mit den sogenannten Pionieren. Vermittlungsagenturen, die als »Pioniere« verstanden werden, zeichnen sich durch eine proaktive Kritik daran aus, dass die Live-In-Pflege nicht als eigenständige Branche reguliert ist. Die »Pioniere« prägen den Live-In-Markt durch ihre Größe oder durch politische Lobbyarbeit. Einige sind sehr aktive Mitglieder in der Verbändestruktur der Agenturen. Sie haben die Qualität der Pflegeleistungen und Vermittlungstätigkeiten als Wettbewerbsvorteil erkannt und versuchen sich von anderen Anbietern und dem »Schwarzmarkt« abzuheben. Zudem etablieren sie Ansätze der Selbstregulierung und gehen freiwillige Selbstverpflichtungen zu Mindeststandards ein. Uns hat interessiert, ob diese Ansätze der Selbstregulierung die Arbeitsbedingungen – insbesondere die umfassende Arbeitszeit – verbessern können. (…) Inwiefern hat die Selbstregulierung der Agenturen zur Reduktion der Arbeitszeit der Live-Ins beigetragen? Unsere Untersuchung hat gezeigt – kaum. (…) Zugleich wird in der Studie sichtbar: An der grundlegenden Problematik der Arbeitszeit ändert sich wenig; vielmehr ziehen sich auch bei den »Pionieren« problematische Strukturen der Live-In-Pflege durch. So ist das Verständnis von Arbeitszeit durch die Agenturen vielfach gekennzeichnet von Widersprüchen und vom Absprechen des Charakters der Arbeit. Sorgearbeit, Ansprechbarkeit und Fürsorge werden nicht als Arbeit verstanden...“ Artikel von Theresa Tschenker und Simone Habel vom 12.11.2021 im ND online externer Link
  • Wie sich Ausbeutung verhindern lässt: Wenn ausländische Pflegekräfte in deutschen Haushalten zum Einsatz kommen, sind ihre Arbeitsbedingungen oft untragbar. Die Politik muss die Branche regulieren 
    „Die 24-Stunden-Pflege muss dringend reformiert werden. Die Situation der meist aus Mittel- und Osteuropa stammenden Arbeitskräfte ist geprägt durch problematische Arbeitsbedingungen und eine unsichere Rechtslage. In der Regel wohnen die Betreuerinnen unter einem Dach mit der zu pflegenden Person, sie sind rund um die Uhr im Einsatz, werden aber nur für wenige Stunden pro Tag bezahlt. Zum einen sollte die Politik durch alternative Angebote dafür sorgen, den Bedarf nach sogenannter Live-In-Care zu verringern. Zum anderen sollte sie, wo sich nicht darauf verzichten lässt, die Verantwortung von Vermittlungsagenturen sowie Qualitätsstandards für gute Arbeit regeln. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam um Eva Kocher von der Europa-Universität Viadrina und Bernhard Emunds vom Nell-Breuning-Institut im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Die Vorschläge der Expertinnen und Experten: Die stationäre Pflege muss verbessert und bezahlbare professionelle Dienstleistungen zur Angehörigenpflege müssen ausgebaut werden. Dadurch würde die Nachfrage nach Live-In-Care zurückgehen. Grundlage von Live-In-Care sollte ein Arbeitsvertrag zwischen der Arbeitskraft und einer Agentur sein. Die Pflegebedürftigen beziehungsweise ihre Angehörigen schließen dann wiederum einen Vertrag mit der Agentur. Damit sind nicht nur Mindeststandards des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einschließlich der Arbeitszeitbegrenzung, sondern auch Mindestentgelte und soziale Absicherung gewährleistet. Als ergänzende öffentliche Finanzierungsquelle kommt vor allem die Pflegeversicherung in Frage. Prinzipiell ermöglicht das Sozialgesetzbuch schon heute, den Umwandlungsanspruch und den Entlastungsbetrag für ein als „Unterstützung im Alltag“ anerkanntes Angebot an häuslicher 1:1-Betreuung zu nutzen. Diese Kofinanzierung durch die Pflegekasse sollte deutlich ausgebaut werden. Im Vorfeld muss klar festgelegt sein, welche Arbeiten die Betreuungskraft übernimmt und welcher Anteil von Bereitschaftszeit dabei geplant ist. Voraussetzung hierfür ist eine umfassende Bedarfserhebung, die von einem kommunalen Pflegestützpunkt koordiniert werden sollte. Damit die gesetzlich vorgeschriebenen freien Zeiten eingehalten werden können, braucht es zusätzliche Personen, die Betreuungs- und Bereitschaftszeiten übernehmen. Die Agenturen sollten dafür Personal vorhalten. Ein wichtiger Schritt der Bundesregierung könnte eine Aufklärungskampagne sein, die die problematische Seite von häuslicher Pflege durch Migrantinnen thematisiert. Zur Sicherung der Qualität von Agenturen sollte ein Zertifikat geschaffen werden, das durch eine unabhängige Prüfstelle vergeben und zur Voraussetzung für den Empfang öffentlicher Leistungen gemacht wird. Ein Zertifikat sollten nur Agenturen erhalten, die selbst als Arbeitgeber in der häuslichen 1:1-Betreuung auftreten, Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten übernehmen und ausreichend Personal vorhalten…“ Beitrag aus Böckler Impuls Ausgabe 17/2021 externer Link
  • Zweifel am Willen zu Arbeitszeitbegrenzung: Bundesarbeitsgericht zur 24-Stunden-Pflege
    „Das geht aus den veröffentlichten schriftlichen Gründen zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Az. 5 AZR 505/20) zur häuslichen 24-Stunden-Pflege hervor. Bei seiner Verkündung im Juni sorgte das Erfurter Urteil bundesweit für Aufsehen. Danach gilt der Mindestlohnanspruch auch für Bereitschaftszeiten und auch für ausländische Arbeitgeber. Die klagende Sozialassistentin aus Bulgarien hatte einen Arbeitsvertrag über 30 Wochenstunden und erhielt monatlich rund 1560 Euro. Sie machte geltend, faktisch rund um die Uhr gearbeitet oder nachts Bereitschaft geleistet zu haben. Daher verlangte sie den Mindestlohn für 24 Stunden täglich. Hierzu entschied das BAG, dass die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns auch für ausländische Arbeitgeber und die von ihnen entsandten Mitarbeiter gilt. Die Vorschrift habe »international zwingende Wirkung«, heißt es in dem schriftlich veröffentlichten Urteil. Dies diene auch Gemeinwohlinteressen und sei auch mit EU-Recht vereinbar. Weiter betonte das Bundesarbeitsgericht, der Mindestlohn gelte laut Gesetz »je Zeitstunde«. Da auch Bereitschaftsdienst Arbeitszeit sei, sei auch dieser davon umfasst. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte als Vorinstanz der Bulgarin den Mindestlohn für täglich 21 Arbeitsstunden zugesprochen. Das BAG hob dies als reine Schätzung auf und verpflichtete das LAG zu einer genaueren Prüfung. Dies konkretisierte das BAG nunmehr. So soll das LAG klären, »ob die arbeitsvertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 30 Stunden ernsthaft gewollt war« oder nicht nur der Kostenbegrenzung gedient habe. Die Pflicht der Sozialassistentin, im Haushalt der Kundin zu wohnen, ergebe bei einer 30-Stunden-Woche keinen Sinn. Auch werde den Kunden eine 24-Stunden-Betreuung mit umfangreichen Leistungen versprochen. Die bulgarische Arbeitgeberin habe keine Arbeitszeiten vorgegeben und auch nicht dargelegt, dass die der Kundin versprochenen Leistungen in 30 Wochenstunden zu schaffen seien.“ Meldung vom 19. Oktober 2021 in neues Deutschland online externer Link

    • Siehe dazu auch die Begründung zum Urteil des 5. Senats des BAG vom 24. Juni 2021 (5 AZR 505/20) externer Link mit den über den konkreten Fall hinausgehenden wesentlichen Aussagen sind: „Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben, soweit nicht der Anwendungsbereich der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche eröffnet ist, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Bereitschaftsdienst. (…) „Der Anspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 1 MiLoG und die korrespondierende Verpflichtung der Beklagten nach § 20 MiLoG bestehen unabhängig davon, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ansonsten nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) aufgrund Rechtswahl im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO oder anhand objektiver Anknüpfung iSd. Art. 8 Abs. 2 bis Abs. 4 Rom I-VO bulgarisches Recht Anwendung findet. Durch die ausdrückliche Verpflichtung auch von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland zur Zahlung des Mindestlohns hat § 20 MiLoG international zwingende Wirkung (… ) und ist jedenfalls eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gilt, ob im Übrigen deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. (…) In welchem Umfang tatsächlich geleistete Arbeit mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten ist, richtet sich entgegen der Auffassung der Revision auch bei entsandten Arbeitnehmern nicht nur nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, sondern primär nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes. Denn der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt…“
  • Gute Arbeit für Live-In-Care – Gestaltungsoptionen für Praxis und Politik
    „„Die 24-Stunden-Pflege gerät ins Wanken“. So wurde ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Juli 2021 in der Presse kommentiert. Das Gericht hatte sich mit dem Fall einer bulgarischen Live-In befasst, die nach eigener Aussage – wenngleich nur sechs Stunden pro Tag vergütet – rund um die Uhr im Einsatz war. Mit dieser Erfahrung steht sie exemplarisch für die Live-In-Branche, in der primär mittel- und osteuropäische Pendelmigrantinnen in deutschen Privathaushalten Tätigkeiten der Pflege, Hauswirtschaft und Betreuung zu prekären Bedingungen übernehmen. (…) Mit diesem Urteil wird einmal mehr der von Gewerkschaften und Forschung seit Jahren identifizierte dringende Regelungsbedarf der Branche offenkundig. Das zentrale Problem der Live-In-Branche sind die überlangen Arbeitszeiten. (…) Dieses Policy Paper gibt Anregungen für die dringend notwendige Neuausrichtung und Regulierung der Live-In-Branche. Es wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts erstellt, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird und das die juristisch und sozialethisch informierte Weiterentwicklung der Tätigkeit von Agenturen in der Live-In-Branche zum Ziel hat. Wir befassen uns hier allein mit der durch Agenturen organisierten Live-In-Pflege, da wir deren Tätigkeit für eine notwendige Vorbedingung für die Ermöglichung von guter Arbeit in der Live-In-Pflege halten. Wir verwenden den Begriff „Live-In-care“, um das gesamte Spektrum der Aufgaben, die die Live-Ins in der Praxis übernehmen, zu erfassen. Neben Bereitschaftsdiensten umfassen diese ein weites Spektrum an Sorgeaktivitäten. Dieses reicht von körperbezogener und psychosozialer Unterstützung im Alltag über Beschäftigung und kognitive Aktivierung sowie Haushaltsführung und Beaufsichtigung (bei Demenz) bis hin zu Aufgaben der Grund- und (im Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen) manchmal sogar der Behandlungspflege…“ Policy Paper vom 20.10.2021 externer Link von Bernhard Emunds, Eva Kocher, Simone Habel, Rebekka Pflug, Theresa Tschenker und Verena von Deetzen beim  Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik  
  • Pflege: 24 h Arbeit, 24 h Lohn 
    „Sie stammen meist aus Osteuropa: So genannte „Live-Ins“ sind privat beschäftigte Pflegekräfte, die alte oder kranke Menschen rund um die Uhr in deren Wohnung versorgen, auch selbst dort leben – und in vielen Fällen ausgebeutet werden (Forum Migration November 2019). Das Bundesarbeitsgericht hat nun ihre Rechte gestärkt. Ende Juni entschied es: Die „Live-Ins” können Anspruch auf den Mindestlohn für 24 Stunden täglich haben – auch für Bereitschaftszeiten und gegenüber ausländischen Arbeitgebern gilt dieser Anspruch.  Geklagt hatte die Sozialassistentin Dobrina D. aus Bulgarien, die 2015 eine Seniorin in deren Berliner Wohnung sieben Monate versorgt hatte. D. hatte einen Arbeitsvertrag über 30 Wochenstunden und bekam dafür rund 950 Euro monatlich. Ihr Arbeitgeber war ein bulgarisches Unternehmen, das mit einer deutschen Vermittlungsagentur kooperierte, die wiederum mit „24-Stunden-Pflege zu Hause“ geworben hatte. D. musste nahezu rund um die Uhr für Sorgetätigkeiten zur Verfügung stehen, ihre Zimmertür musste sie nachts offen lassen, um im Notfall jederzeit helfen zu können. Zunächst mit Unterstützung der Beratungsstelle für entsandte Beschäftigte, später mit der DGB Beratungsstelle ,Faire Mobilität‘ und ver.di hatte D. vor dem Arbeitsgericht Berlin und dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) auf Nachzahlung von vorenthaltenem Arbeitslohn geklagt. Sie verlangte den Mindestlohn für 24 Stunden täglich, insgesamt 42.636 Euro für die sieben Monate. Das LAG sprach ihr rund 38.000 Euro für täglich 21 Arbeitsstunden zu. Wegen der hohen Streitsumme und weil das Urteil grundsätzliche Bedeutung für das Geschäftsmodell der 24-Stunden-Pflege hatte, legte die bulgarische Agentur Rechtsmittel ein. Auch der Prozessvertreter des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes hatte die Entscheidung des LAG moniert, die ursprüngliche Forderung von 24 auf 21 Arbeitsstunden täglich zu kürzen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte nun, dass Betreuer_innen, die rund um die Uhr arbeiten oder sich nachts auf Zuruf bereithalten müssen, der Mindestlohn für volle 24 Stunden pro Tag zustehen kann. (…) Fast zeitgleich mit dem Karlsruher Urteil ist am 1. Juli 2021 das „Gesetz zur Sicherung der Qualität der Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland” in Kraft getreten. Das regelt unter anderem die Erteilung eines neuen Gütesiegels „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“.(…) Doch wie effektiv das Siegel Ausbeutung eindämmen kann, hängt von den konkreten Kriterien ab. Und über die herrscht keine Einigkeit. Ein Streitpunkt etwa sind Eigenleistungen und Vorabzahlungen der Arbeitnehmenden…“ Beitrag aus dem Newsletter 08/2021 ‚Forum Migration‘ des DGB Bildungswerkes externer Link
  • Mindestlohn? Nicht mit uns! Osteuropäische Pflegekräfte kämpfen für eine faire Bezahlung. Deutschen Medien schmeckt das überhaupt nicht
    „Wie rassistisch die deutsche Medienlandschaft ist, konnte man gut in den vergangenen Tagen beobachten. Am 24. Juni 2021 entschied das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz, dass die sogenannte 24-Stunden-Pflege in Deutschland auch bezogen auf 24 Stunden Arbeit entlohnt werden muss. Osteuropäische Pflegekräfte verdienen geschätzt zwischen 1.500 und 1.700 Euro monatlich, das entspricht einem durchschnittlichen Stundenlohn 2,08 Euro. So hatte es der Bundesverband der Betreuungsdienste errechnet. Geklagt hatte die ehemalige Betreuerin Frau Alekseva – der Name ist geändert – aus Bulgarien, die gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft ver.di richtig feststellte: Wer in Deutschland arbeitet, für den gilt deutsches Arbeitsrecht, also der gesetzliche Mindestlohn. Es wäre ein Tag zum Feiern gewesen, denn Frau Alekseva hat stellvertretend für ihre geschätzt 600.000 Kolleg*innen, die in Deutschland rund um die Uhr, Tag für Tag, Alte und Kranke betreuen, einen enormen Sieg errungen. So sieht es auch Justyna Oblacewicz vom DGB-Projekt Faire Mobilität, die ausländische Arbeiter*innen bei ihren schwierigen Kämpfen in Deutschland unterstützen: „Das Urteil ist ein echter Durchbruch. Das ist ein richtungsweisendes Urteil für die ganze Branche, denn das Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert ja gerade darauf, dass zwar bis zu 24 Stunden pro Tag gearbeitet werden, jedoch nur ein Bruchteil dessen tatsächlich bezahlt wird.“ Eigentlich logisch und auch rechtlich glasklar. Die Überschriften der deutschen Medien schlugen trotzdem einen anderen Ton an. Hier gab es keinen Platz für den Sieg der osteuropäischen Betreuungs-Arbeiter*innen, keine Solidarität: „Klatsche für Pflegebedürftige und Angehörige“ titelte der DLF, „Preisschock für Pflege zu Hause“ die FAZ, „Häusliche Pflege wird teurer“ die SZ und „Sozialverbände halten Rund-um-die-Uhr-Pflege für kaum noch bezahlbar“ schrieb Zeit Online.  „Ein System, das auf Ausbeutung basiert aufrecht erhalten zu wollen, weil es sonst zu teuer würde, halte ich für kein überzeugendes Argument. Wenn wir gute Pflege und Betreuung für unsere Angehörigen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen gut sind und die Arbeit fair bezahlt wird. Davon profitieren am Ende auch die Familien“, entgegnet ihnen Justyna Oblacewicz. Im deutschen Journalismus regiert aber offenbar mehrheitlich die Ansicht, dass nicht die Bundesregierung, die die illegale Ausbeutung institutionalisiert hat, der Gegner ist, oder die Pflegeplattformen, die daran verdienen. Vielmehr stört man sich an der osteuropäischen Arbeiterin, die für sich den Mindestlohn einfordert. Wo käme man denn da hin, bei der Pflege, auf dem Bau, bei der Obst- und Gemüseernte und in der Fleischfabrik?…“ Artikel von Nina Scholz vom 1. Juli 2021 bei der Freitag online externer Link
  • [BAG zur 24-Stunden-Pflege] Gesetzlicher Mindestlohn für entsandte ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten  
    Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeitsstunden. Dazu gehört auch Bereitschaftsdienst. Ein solcher kann darin bestehen, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten…“ Pressemitteilung zum Urteil vom 24.6.21 beim BAG externer Link zu 5 AZR 505/20, siehe auch:

    • [Auswirkungen des BAG-Urteils] »Das Urteil zwingt zum Handeln«
      Die häusliche Pflege in Deutschland basiert auf der Ausbeutung osteuropäischer Pflegerinnen. Eine von ihnen hat dagegen geklagt – und Recht bekommen. Justyna Oblacewicz hat die Klägerin beraten. JACOBIN sprach mit ihr über die Auswirkungen des Urteils. (…) Inwiefern diese Entscheidung auch für Betreuungskräfte gilt, die im Rahmen eines ausländischen Dienstleistungsvertrages in Deutschland arbeiten – man könnte diese Arbeitskräfte als arbeitnehmerähnliche Selbständige bezeichnen –, muss noch geklärt werden. Denn anders als bei der Klägerin, gilt das deutsche Arbeitsrecht für diese Betreuungskräfte nicht automatisch, sondern muss vor Gericht erst erstritten werden. Genau deshalb ist dieses Modell in dieser Branche so populär. Die Vermittlungsagenturen machen so auf Kosten der Betreuungskräfte maximale Profite. Dennoch glauben wir, dass das Urteil diese Betreuungskräfte dazu ermutigen wird, vor Gericht das für Arbeitnehmerinnen geltende Recht zu erstreiten. Dazu gehört auch, dass für jede geleistete Arbeitsstunde der Mindestlohn gezahlt werden muss. (…) In Bezug auf diesen konkreten Fall hat das BAG auch entschieden, dass das ursprüngliche Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) in Berlin, in dem der Betreuungskraft knapp 40.000 Euro für 21 Stunden Arbeitszeit pro Tag zugesprochen wurden, aufgehoben wird. Daher muss das Gericht nun erneut über den Umfang der zu vergütenden Arbeitszeit entscheiden. Die Begründung des LAG war für den zugesprochenen zeitlichen Arbeitsumfang zu oberflächlich. Nun müssen gegebenenfalls wieder Beweise für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit vorgelegt werden. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig eine detaillierte Dokumentation der Arbeitszeiten für eine gerichtliche Auseinandersetzung ist und wie sich die Vermittlungsagenturen aus der Verantwortung stehlen – sie wälzen die Beweispflicht einfach auf die Beschäftigten ab. (…) Die Lösung kann jedenfalls nicht darin liegen, dass die Beschäftigungsverhältnisse nun zu einer Selbstständigkeit umgelabelt werden. Dann würde sich an den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen selbst nämlich nichts ändern, aber das Modell der Betreuung rund um die Uhr durch nur eine Person würde plötzlich legal. Aus unserer Erfahrung in der Beratungsarbeit handelt es sich bei der Betreuungsarbeit in häuslicher Umgebung um weisungsgebundene Arbeit, die auch im Wesentlichen durch die Bedürfnisse der Betreuungsperson gesteuert wird. Die Betreuungskräfte selbst agieren als Arbeitnehmerinnen und nicht als Selbständige. Deshalb wäre eine Selbständigkeit in diesem Bereich eine Scheinselbständigkeit. Wir brauchen einen umfassenden und systemischen Wandel in der Altenpflege (…) Die Kosten der Altenpflege müssen voll finanziert werden, damit die Pflegebedürftigen erst gar nicht in die Lage kommen, ein Modell in Anspruch nehmen zu müssen, das auf der Ausbeutung der Frauen aus Osteuropa basiert. Wir brauchen zudem insgesamt ein vielfältigeres Angebot an ambulanten Betreuungsmöglichkeiten für Menschen, die in den eigenen vier Wänden bleiben möchten…“ Interview von Loren Balhorn vom 30.06.2021 in Jacobin externer Link
    • [ZDFzoom-Reportage] Ware Pflegekraft? Das fragwürdige Geschäft privater Vermittlungsagenturen
      Ein Großteil wird über private Personalvermittlungsagenturen angeworben – ein lukratives Geschäft. Bis zu 21 000 Euro zahlen Kliniken für die Anwerbung einer Pflegekraft. Doch der Markt ist völlig unreguliert. „Wir werden es ohne die internationale Pflege nicht schaffen“, so die Pflegedirektorin eines großen Krankenhauses. 2020 blieben im Schnitt rund 36 000 Stellen in der Pflege unbesetzt. Die Zahl ausländischer Pflegekräfte ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Im vergangenen Jahr waren rund 208 000 Beschäftigte ohne deutschen Pass. Fast dreimal so viele wie noch 2013. Mehr als die Hälfte kommt dabei inzwischen aus Ländern außerhalb der EU wie Bosnien, Serbien und den Philippinen. Aber auch aus Lateinamerika. Wie läuft das Geschäft der Vermittlung von ausländischen Pflegekräften? „ZDFzoom“-Reporterin Carolin Hentschel blickt hinter die Kulissen der Rekrutierung. Die Vermittler sichern den Pflegekräften ihre Dienste meist kostenlos zu: Arbeitsvertrag mit einer deutschen Klinik, Deutschkurs, Hilfe im Umgang mit den Behörden und bei der Wohnungssuche. Doch in den Vermittlungsverträgen finden sich oft versteckte Kosten und Bindungsklauseln. Läuft es nicht wie vorgesehen, sollen die Pflegekräfte oft mehrere Tausend Euro zahlen. Summen, die viele von ihnen nicht aufbringen können. Christiane Tenbensel vom Projekt „Support Faire Integration“ in Dortmund berät täglich Pflegerinnen und Pfleger, die für den deutschen Markt angeworben wurden. Hilfesuchende mit Schulden, die unter hoher psychischer und körperlicher Belastung stehen, seien keine Einzelfälle. Die Politik kennt die Probleme auf dem Vermittlungsmarkt. Sie setzt dennoch auf Freiwilligkeit, statt verbindliche gesetzliche Regelungen zu schaffen: Vermittler, die nach fairen und ethischen Standards vermitteln, können sich demnächst für ein freiwilliges Gütesiegel bewerben. Kann das die Lösung sein?ZDFzoom-Reportage von Carolin Hentschel vom 30.06.2021 externer Link
    • [BAG-Urteil] DGB-Jurist: Viele Pflegekräfte haben Angst, ihren Arbeitgeber zu verklagen 
      „… Osteuropäischen Betreuungskräften in deutschen Seniorenhaushalten steht laut DGB-Jurist Thomas Heller schon seit Jahren der gesetzliche Mindestlohn zu. Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am Donnerstag verkündeten Urteil im Fall einer nach Deutschland vermittelten bulgarischen Pflegekraft klarstellte, müssen die Betroffenen unbezahlte Arbeitsstunden nicht hinnehmen. „Viele haben aber Angst, ihren Arbeitgeber daraufhin zu verklagen“, sagte Heller von der DGB Rechtsschutz GmbH in Kassel dem „Evangelischen Pressedienst“. Heller hatte die bulgarische Klägerin vor Gericht vertreten. Wer den Mund aufmacht, müsse damit rechnen, dass sich dies in der Branche herumspricht und eine Pflegekraft dann keinen Job mehr erhält. „Hier hat die Klägerin den Mut gefasst, gegen ihre bulgarischen Arbeitgeber vorzugehen und die volle Vergütung für ihre Leistung gefordert“, sagte Heller. (…) Das bundesweit beachtete Verfahren lege aber den Finger in die Wunde, dass bei ausländischen Arbeitgebern angestellte und in deutsche Familien vermittelte Pflegekräfte nicht ausreichend bezahlt geschweige denn bei ihnen die gesetzlichen Arbeitszeiten eingehalten werden. Zwar ist laut Heller der Arbeitgeber nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet, die Arbeitszeiten zu dokumentieren. „Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, ist die Arbeitszeit bei einem Pflege- und Betreuungseinsatz in einem Privathaushalt schwer zu beweisen“, sagte Heller. Konsequenzen habe die unterbliebene Arbeitszeitdokumentation für den Arbeitgeber nicht wirklich. Er werde belohnt, indem Pflegekräfte letztlich unbezahlte Arbeit leisteten. Im Streitfall hatte die bulgarische Pflegekraft angeführt, über Monate 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche eine über 90-jährige Frau betreut zu haben. (…) Das BAG sah dies als nicht belegt an, auch wenn das Gericht davon ausging, dass die vereinbarten 30 Wochenstunden wohl überschritten worden seien und damit ein Lohnnachschlag bestehe. „Nun muss wohl das Landesarbeitsgericht Berlin im Wege der Schätzung die tatsächliche Arbeitszeit neu bestimmen“, sagte Heller…“ Beitrag von Frank Leth vom 29. Juni 2021 bei MiGAZIN externer Link
    • Aus der Schattenwelt des deutschen Pflegesystems: Die un-mögliche „24-Stunden-Betreuung“ als Geschäftsmodell ist beim Bundesarbeitsgericht aufgelaufen
      „… Damit wir die Zeiträume nicht aus den Augen verlieren: Mit gewerkschaftlicher Unterstützung hatte Dobrina D. im August 2018 vor dem Berliner Arbeitsgericht geklagt und auf Basis des seit 2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohnes Lohnnachzahlungen in Höhe von rund 40.000 Euro geltend gemacht. Im August 2019 bekam sie in erster Instanz Recht. Dagegen legte die bulgarische Firma Berufung ein, die dann vor dem Landesarbeitsgericht verhandelt wurde. Im August 2020 kam dann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, die für ein Beben in der Szene gesorgt hat (…) Die Aufhebung des LAG-Urteils seitens des BAG bezieht sich nicht auf eine – vom Gericht gar nicht leistbare – Feststellung, dass es nur 30 Stunden Arbeit pro Woche gewesen sind, wie die beklagte Firma behauptet, sondern dass das Landesarbeitsgericht diesen Einwand des Unternehmens gar nicht ausreichend geprüft habe. Das BAG selbst positioniert sich zu diesem Punkt nur in einer merkwürdig anmutenden Distanz zu den Verhältnissen in der wirklichen Wirklichkeit: »Dass die Klägerin mehr als die im Arbeitsvertrag angegebenen 30 Stunden/Woche zu arbeiten hatte, dürfte – nach Aktenlage – nicht fernliegend sein.« Während die beklagte Firma natürlich möglichst wenig zu vergütende Arbeitszeit anerkannt bekommen möchte, denn auf der Differenz zwischen der auf Papier stehenden und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit basiert ja das ganze Ausbeutungskonstrukt, wird von Dobrina D. die Schätzung des LAG, sie hätte drei Stunden Freizeit gehabt, angegriffen. (…) auch hier eine Rückverweisung an das LAG, weil dieses Gericht aus der Perspektive des BAG nicht ausreichend und belegbar den Einzelfall geprüft und die tatsächlichen Arbeits- und Bereitschaftszeiten, die mindestlohnrelevant sind, festgestellt hat. Das BAG schreibt dazu, man habe das Verfahren an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, »um insoweit den Sachverhalt weiter aufzuklären, den Vortrag der Parteien umfassend zu würdigen und festzustellen, in welchem Umfang die Klägerin Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leisten musste und wie viele Stunden Freizeit sie hatte.« Das liest sich leichter, als es dann in praxi sein wird. Wie soll man denn genau die Stunden-Aufteilung auf Arbeit- und Bereitschaftszeit auf der einen, Freizeit auf der anderen Seite später nachweisen bzw. belegen? Nur zur Erinnerung: Die Vorgänge, um die es in diesem Verfahren ging, fanden im Jahr 2015 statt. (…) Zum einen ist interessant, dass ein Beteiligter gar nicht auftaucht – die Agentur in Deutschland. Zur Erinnerung: Dobrina D. wurde über eine Agentur mit Hauptsitz in München vermittelt und war bei einer bulgarischen Leiharbeitsfirma angestellt, die sie nach Deutschland entsandt hatte. Man könnte schon auf die Idee kommen nachzufragen, wie es eigentlich mit der Verantwortung und den Pflichten der Agentur aussieht im vorliegenden Fall…“ Beitrag vom 24. Juni 2021 von und bei Stefan Sell externer Link
    • Ausländische Pflegekräfte können auf Mindestlohn pochen
      Sie kochen, putzen, kaufen ein, helfen alten Menschen bei der Körperpflege und leisten ihnen Gesellschaft: Zehntausende Betreuungskräfte aus dem Ausland arbeiten in deutschen Haushalten. Zu ihrer Bezahlungen hat das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag in Erfurt ein Grundsatzurteil gefällt, das nach Einschätzung von Fachleuten Auswirkungen auf die Pflege zu Hause haben wird. Den ausländischen Arbeitnehmern, die Senioren in ihren Wohnungen betreuen, stehe der gesetzliche Mindestlohn zu, urteilten die höchsten deutschen Arbeitsrichter (5 AZR 505/20). Der Mindestlohn gelte auch für Bereitschaftszeiten, in denen die zumeist aus Osteuropa stammenden Frauen Betreuung auf Abruf leisteten. «Auch Bereitschaftsdienstzeit ist mit dem vollen Mindestlohn zu vergüten», sagte der Vorsitzende Richter Rüdiger Linck in der Verhandlung. Er machte deutlich, dass Bereitschaftsdienst auch darin bestehen könne, dass die Pflegehilfe im Haushalt der Senioren wohnen müsse «und grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten». «So nachvollziehbar die Entscheidung auch ist. Das Urteil löst einen Tsunami aus für alle, die daheim auf die Unterstützung ausländischer Pflegekräfte angewiesen sind», erklärte Eugen Brysch, Vorstand bei der Deutsche Stiftung Patientenschutz in Dortmund. Es sind nach seinen Angaben mindestens 100.000 ausländische Helfer offiziell in deutschen Haushalten beschäftigt. Hinzu kämen schätzungsweise 200 000 Menschen, die ohne schriftliche Vereinbarung als Betreuungskraft arbeiteten. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagt den Zeitungen der Funke Mediengruppe, nach dem Urteil drohe der häuslichen Pflege ein «Armageddon»...“ Agenturmeldung vom 24. Juni 2021 bei der Zeit online externer Link
  • 24-Stunden-Pflege in Deutschland: Ausbeutung rund um die Uhr? 
    Rund um die Uhr und jeden Tag in der Woche mussten die Pflegerinnen für ihre deutschen Patientinnen da sein, auch nachts, berichten die Rumänin Daniela und die Bulgarin Dobrina.“ Manuskript externer Link und Video des Beitrags in Frontal 21 vom 8. Juni 2021 externer Link
  • 24 Stunden Pflege – und jetzt vor Gericht
    Ausbeutung Hunderttausende Pflegekräfte arbeiten effektiv rund um die Uhr, werden aber nicht so bezahlt. Eine Frau hat nun gegen diese Feudalarbeitsverhältnisse geklagt. Etwa eine halbe Million Menschen halten sich in Deutschland Diener*innen, die das Haus fast nie verlassen und immer zur Verfügung stehen müssen. An solche massenhaften Feudalarbeitsverhältnisse glauben Sie nicht? Dann fragen Sie mal 24-Stunden-Pflegekräfte, wie ihre Arbeitsbedingungen sind! Diese Pflegekräfte sind meistens weiblich, meistens aus Osteuropa, sie betreuen Pflegebedürftige rund um die Uhr in deren Häusern und bekommen diese Zeit nicht einmal annähernd vollständig entlohnt. Einer von ihnen hat es jetzt gereicht. (…) Als Nächstes wird vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelt, weil Frau Aleksevas Arbeitgeber zum dritten Mal Berufung eingelegt hat. Der Arbeitgeber ist eine bulgarische Agentur, wie es sie zu Tausenden gibt und wie sie gut an den Vermittlungen verdienen. Unterstützung bekommt Frau Alekseva vom Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)…“ Artikel von Nina Scholz im Freitag online externer Link Ausgabe 11/2021
  • „Für Deutschland sind wir nichts” – der 24/7-Job in der Altenpflege
    Pflegekräfte kommen aus Polen, Bulgarien, Rumänien oder der Ukraine nach Deutschland und werden für wenige Monate zu persönlichen Altenpflegern – oft ohne richtigen Feierabend. Ist es legal, dass Menschen so lange arbeiten? Und wer sind diese Menschen, die zeitweise in ein fremdes Zuhause ziehen? Diesen Fragen ist Y-Kollektiv-Reporterin Sophie Rebmann nachgegangen…“ Reportage vom 16.3.2021 als Podcast von Y-Kollektiv in der ARD-Audiothek externer Link Audio Datei
  • Gefangen im Privathaushalt
    Die Bulgarin Diana Markova musste rund um die Uhr pflegebedürftige Menschen in deren Zuhause betreuen. Jetzt streitet sie mit Unterstützung von ver.di dafür, dass ihre Arbeitszeit wenigstens vollständig bezahlt wird…“ Artikel von Daniel Behruzi bei ver.di Gesundheit & Soziales externer Link
  • [Doku] „Eine Polin für Oma“ 
    Hunderttausende Menschen in Deutschland brauchen im Alter Pflege, aber die wenigsten wollen ins Heim. Der Markt der Betreuerinnen aus Mittel- und Osteuropa, die Senioren in häuslicher Gemeinschaft unterstützen, boomt. (…) Der Film zeigt die Höhen und Tiefen von durch das Schicksal – Pflegebedürftigkeit hier, Armut dort – erzwungenen Zweierbeziehungen. Nicht zuletzt ist die Betreuung pflegebedürftiger auch ein Geschäft. Der Markt ist für die Angehörigen Pflegebedürftiger nicht leicht zu durchschauen, die Seriosität der Anbieter nicht leicht zu prüfen. In den vergangenen Monaten haben Staatsanwälte umfangreiche Ermittlungen in der Szene aufgenommen. Auch damit beschäftigt sich die Dokumentation.“ Film von Mirjana Momirovic und Caroline Haertel in der Reihe „Die Story im Ersten“ in der ARD-Mediathek externer Link (08.03.21 | 43:40 Min. | Verfügbar bis 08.03.2022)
  • Adieu 24 Stunden-Pflege! Eine rechtliche Bewertung der (rechtswidrigen?!) Praxis von polnischen Vermittlungsagenturen
    “Mit dem Urteil 21 Sa 1900/19 externer Link vom 17.08.2020 hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) dem Thema Live-In Pflege wieder neue Bedeutung gegeben. Live-In Pflege umfasst die Pflege und Betreuung durch Arbeiter*innen, die im selben Haushalt leben und arbeiten. Das LAG hat einer Live-In den Anspruch auf Nachzahlung von nicht vergüteten Arbeitsstunden zugesprochen – für täglich 21 Stunden geleisteter Arbeit. Das Urteil hat das Potenzial eine gesamte Branche auf den Kopf zu stellen. (…) Vor diesem Hintergrund sind die Erkenntnisse des Working Papers No. 28 besonders interessant. Es beschäftigt sich mit der rechtlichen Beurteilung von polnischen Verträgen und der Durchsetzung von Arbeitsschutzrechten. Es legt die Besonderheiten und Probleme dieser Vertragsverhältnisse dar und stellt fest, wie Live-Ins ihren Rechtsschutz erhalten können…“ Meldung vom 15.02.2021 beim Grundundmenschenrechtsblog externer Link zum Working Paper 28 externer Link : „Arbeitsrechtschutz für Live-In Pflegekräfte aus der EU in Deutschland
  • Häusliche Pflege: Ukrainerinnen offenbar oftmals illegal vermittelt
    “In etwa 300.000 Familien in Deutschland betreuen Osteuropäerinnen Menschen zu Hause. Weil Frauen aus Polen zunehmend höhere Löhne bekommen, schleusen Pflegeunternehmen offenbar Ukrainerinnen oftmals illegal nach Deutschland. (…) Svetlana hat für eine polnische Pflegevermittlung gearbeitet, die Firma Senior VIP/ Senior Germany UA. Doch ein Arbeitsvisum für die Bundesrepublik hatte sie nicht, so Svetlana. Angereist ist sie Ende Oktober mit einem Kleinbus, von der Ukraine aus durch Ungarn bis nach Deutschland. „Ich sollte sagen, ich würde nur jemanden in Deutschland besuchen“, sagt Svetlana. „Oder dass ich auf der Durchreise nach Holland wäre, um dort auf dem Feld zu arbeiten.“ Das habe ihr jemand aus der Firma gesagt. (…) In etwa 300.000 Familien in Deutschland arbeiten Osteuropäerinnen als Betreuungskräfte, so Schätzungen der Branche. Durch unterjährige Wechsel könnten es bis zu 700.000 Arbeitskräfte jährlich sein. Als „24-Stunden-Pflege“ werden sie oft angepriesen, obwohl die Frauen nur etwa acht Stunden am Tag arbeiten dürfen. Die Branche ist bekannt für ihre schlechten Arbeitsbedingungen. Weil die Betreuungskräfte in Privathaushalten leben, sind Kontrollen kaum durchführbar. „Grauer Pflegemarkt“ nennen Experten das Feld. (…) Betreuungskräfte würden schon seit einigen Jahren aus immer weiter östlich liegenden Ländern gewonnen werden. „Das hat unter anderem den Grund, dass die Nachfrage steigt. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern“, so Eisenreich. „Und polnische und rumänische Arbeitskräfte kommen immer mehr dahin, dass sie verstehen, dass sie auch Geld fordern können, dass ihre Arbeit was wert ist.“ Nach eigener Aussage verdienen manche polnische Mitarbeiterinnen der Firma Pronobel mittlerweile fast 1500 Euro im Monat, die Ukrainerinnen hingegen nur etwa 800 Euro. Thomas Eisenreich nennt das „Discounter-Prinzip“: „Wenn die polnische Kraft mehr Geld fordert, dann werden Ausweichmöglichkeiten gesucht. Und dann geht es zum Beispiel in die Ukraine.“ Für Svetlana, die in Sachsen gearbeitet hat, waren ihr Gehalt von 900 Euro viel Geld. Doch nochmal würde sie nicht illegal arbeiten, sagt sie. Denn mit der Illegalität komme die Hilflosigkeit, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren…“ Beitrag von Carina Huppertz, Lukasz Grajewski und Jonas Seufert vom 26.01.2021 bei tagesschau.de externer Link, siehe dazu auch das ARD-Magazin FAKT (MDR) zum Thema „grauer Pflegemarkt“ externer Link
  • Corona: Fehlende Impfungen für Haushaltshilfen aus Osteuropa kritisiert 
    “Private Haushaltshilfen kommen oft aus Osteuropa und verhindern nicht selten, dass Pflegebedürftige ins Heim umziehen müssen. Sie leben auf engem Raum mit den Senioren daheim. Doch schnell geimpft werden die Frauen nicht. Der Berliner Integrationsforscher Niklas Harder vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat eine bevorzugte Impfung auch für Pflegekräfte in Privathaushalten gefordert. Wolle man daheim lebende Senioren im Alter über 80 Jahren wirksam schützen, „müssen ihre regelmäßigen Kontaktpersonen geimpft werden, also auch ausländische Betreuerinnen“, sagte Harder dem „Evangelischen Pressedienst“. Dass diese Hilfskräfte oft selbst schon zur Altersgruppe mit einem erhöhten Risiko gehörten, zeige, wie dringend diese Impfungen sind. Bisher wird nur Pflegepersonal, das in Heimen und bei ambulanten Diensten angestellt ist, bevorzugt mit höchster Priorität geimpft. (…) Harder verwies auf das Forschungsprojekt des DeZIM „Häusliche Pflege in Zeiten der Pandemie“. Dort wurden vor allem Frauen aus Polen genauer betrachtet, die hierzulande in Haushalten von Senioren arbeiten…“ epd/mig Meldung vom 13.01.2021 im Migazin externer Link, siehe dazu zuvor:

    • Keine Impfung für Betreuerinnen“. Pflegekräfte in Privathaushalten sind in der Impfstrategie nicht vorgesehen 
      “[taz: Herr Harder, nach Schätzungen gibt es 100.000 oder mehr osteuropäische Pflege- und Betreuungskräfte in privaten Haushalten in Deutschland. Haben die Frauen Zugang zu Impfungen gegen Corona?] Niklas Harder: Nein, diese Gruppe wird in der Impfstrategie der Bundesregierung bisher nicht berücksichtigt. Bisher wird nur das Pflegepersonal, das in Deutschland in Heimen und bei ambulanten Diensten angestellt ist, bevorzugt geimpft. Die Gruppe der osteuropäischen Betreuerinnen müsste unbürokratisch Zugang zu Impfungen erhalten, etwa in den Impfzentren. (…) [Haben diese Betreuungsformen während der Pandemie zugenommen?] Die Agenturen, mit denen wir gesprochen haben, sagen, dass die Nachfrage nach Hilfspflegekräften für private Haushalte während der Pandemie gestiegen sei. Manche Pflegeheime haben ja schon während des ersten Lockdowns keine neuen Pflegebedürftigen mehr aufgenommen. Manche Menschen hatten auch Angst, ihre Angehörigen nicht mehr besuchen zu können, wenn diese ins Heim kämen. (…) [Verfügen die Frauen über Schutzmaterial?] In der Online-Befragung der Betreuerinnen zeigte sich, dass die meisten zwar mit Schutzmaterial ausgestattet waren. Dieses wurde in den meisten Fällen selbst organisiert oder von Angehörigen gestellt. Wir vermuten aber, dass viele Frauen in Privathaushalten aus praktischen Gründen ohne Masken arbeiten…“  Interview von Barbara Dribbusch mit Niklas Harder vom 05.01.2021 in der taz online externer Link – Niklas Harder ist Integrationsforscher.
    • Siehe auch unser Dossier: Immer öfter keiner mehr da. Ambulante Pflegedienste sowie Pflegebedürftige und ihre Angehörigen stoßen zunehmend an Grenzen
  • Rechtsfreie Branche: Ganztagespflegerin aus Bulgarien klagt in Berlin vor Gericht gegen Lohndumping – Klage vom Landesarbeitsgericht in Berlin abgewiesen 
    “Die Gewerkschaftsinitiative »Faire Mobilität« hat am Donnerstag einen Rückschlag erlitten. Sie hatte den Fall einer Bulgarin vor das Landesarbeitsgericht in Berlin gebracht, die in Deutschland in der häuslichen Ganztagespflege beschäftigt war. Der Fall war in zwei Verfahren verhandelt worden: Während der erste im August gewonnen wurde, wurde nun die zweite Klage vom Gericht abgewiesen. »Wir können das Urteil überhaupt nicht nachvollziehen«, erklärte Justyna Oblacewicz, Referentin bei »Faire Mobilität« auf jW-Nachfrage am Freitag. Dass die Klage abgewiesen wurde, habe sie sehr überrascht. In beiden Verfahren ging es um die Höhe des Arbeitsentgeltes der Klägerin, einmal aus dem Jahre 2015, im aktuellen Verfahren aus 2016. »Für das Jahr 2015 hatte die Betroffene noch Recht bekommen. Weshalb ihr Anspruch für das Jahr 2016 abgelehnt wurde, ist uns unklar«, sagte Oblacewicz. Das Gericht habe am Donnerstag seine Entscheidung nicht begründet; nun könne es ein paar Monate dauern, bis das Urteil schriftlich vorliege. …“ Artikel von Bernd Müller in der jungen Welt vom 19.12.2020 externer Link
  • Bulgarische Pflegerin klagt gegen Ausbeutung: „Das war wie Freiheitsentzug“
    “Eine bulgarische Agentur vermittelte Dobrina zuerst nach Koblenz und Köln, dann nach Berlin. Dort betreute sie zwei Jahre lang eine 92-jährige Frau, die eine Wohnung in einer Seniorenresidenz bewohnte. Vor fünf Jahren war das. Im Vertrag vereinbart waren 30 Stunden pro Woche. Erwartet wurde von Dobrina aber viel mehr: „Die Frau war bettlägerig, sie brauchte rund um die Uhr Betreuung, das fing morgens früh an mit waschen und anziehen. Dann Frühstück machen. Ich habe eingekauft und gekocht, die Wohnung sauber gemacht. Zwischendurch Windeln wechseln. Und wieder kochen. Medikamente verabreichen. Ich war den ganzen Tag beschäftigt. Rund um die Uhr. Ich war für alles zuständig. Es gab keine Pausen.“ Dobrina hatte ein Zimmer in der Wohnung der Frau, musste 24 Stunden am Tag verfügbar sein, sieben Tage in der Woche. Auch nachts musste sie immer wieder raus, die Tür zu ihrem Zimmer stand immer offen, damit sie auch nachts hörte, wenn der Frau etwas fehlte. „Ich habe der Familie dann gesagt, ich brauche auch mal Pausen, Zeit für mich. Da haben sie gesagt: Nein, das ist nicht vorgesehen. Die Agentur habe ihnen gesagt, dass ich immer da sein müsse, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche.“ Und das alles für 950 Euro netto im Monat, so war es im Vertrag fixiert, allerdings für 30 Wochenstunden. Es war eine zermürbende Situation, sagt Dobrina: „Ich habe mich gefühlt wie jemand, der unter Freiheitsentzug steht. So war mein Alltag.“ (…) Dobrina wehrt sich gegen die Arbeitsbedingungen, sie fordert Ruhezeiten und bezahlten Urlaub. Und bekommt dafür im September 2016 die Quittung: Sie wird entlassen. Dobrina verliert damit nicht nur ihren Job, sie hat auch keine Wohnung mehr in Berlin. Sie kehrt zurück nach Bulgarien. Und verfolgt von dort – unterstützt vom Deutschen Gewerkschaftsbund – weiter ihre Rechte: „Ich glaube schon, dass ich so etwas wie eine Vorreiterin bin. Viele Frauen haben einfach Angst, sie fürchten, ihre Arbeit zu verlieren, dass man ihnen kündigt. Ich hoffe, dass es da auch in Deutschland endlich ein Umdenken gibt.“ (…) Mit einer zweiten Klage befasst sich das Arbeitsgericht Berlin am 17. Dezember. Es geht um das Jahr 2016. Dobrina fordert eine Nachzahlung in Höhe von 43.644 Euro. „Ich will ja keine Geschenke, ich will niemandem Geld stehlen. Ich will nur meine Rechte. Ich will nur für die Arbeit bezahlt werden, die ich geleistet habe.“ Auch das Arbeitsgericht Berlin wird diese Frage womöglich nicht abschließend klären. Das wird 2021 von höchster Stelle entschieden, vom Bundesarbeitsgericht.“ Beitrag von Gerhard Schröder vom 17.12.2020 beim Deutschlandfunk Kultur externer Link
  • Arbeitsgerichtsurteile: Die Illusion der 24-Stunden-Pflege 
    Ein neues Urteil macht klar: Auch Pflegekräfte, die bei Pflegebedürftigen einziehen, haben für jede Stunde ihres Einsatzes Anspruch auf den deutschen Mindestlohn. Das System der 24-Stunden-Pflege gerät dadurch ins Wanken. (…) Nun gerät dieses Modell ins Wanken. Denn eine bulgarische Pflegerin nahm nicht mehr hin, dass sie bei ihrem Einsatz in Deutschland von 2015 bis 2016 deutlich mehr arbeiten musste, als in ihrem bulgarischen Arbeitsvertrag stand. Sie zog vor Gericht und bekam sowohl vom Arbeitsgericht als auch vom Landesarbeitsgericht in Berlin Recht: Die bulgarische Agentur muss rund 36.000 Euro an sie nachzahlen. Offen ist noch, ob das Bundesarbeitsgericht das als letzte Instanz bestätigen wird. Die Agentur hat Revision eingelegt. Aber die Richter in den beiden unteren Instanzen fanden die Sache eindeutig: Wenn der Vertrag nicht eingehalten wird, hat die Helferin Anspruch darauf, auch die Stunden bezahlt zu bekommen, die sie „zu viel“ gearbeitet hat. Bei der Frau aus Bulgarien stand im Vertrag, sie müsse sechs Stunden pro Tag und 30 Stunden pro Woche arbeiten. Tatsächlich zog sie bei einer 96-Jährigen in einer Seniorenwohnanlage ein und war über längere Zeit jeden Tag im Einsatz, von morgens um sechs Uhr bis abends um 23 Uhr. Nachts musste sie, so sagt sie, ständig die Tür offenlassen, damit sie das Rufen der alten Damen hören konnte, die etwa Hilfe brauchte, um auf Toilette zu gehen. (…) Deswegen sind bei einem Einsatz in Deutschland deutsche Vorschriften zu beachten: Es muss daher zum Beispiel Mindestlohn gezahlt werden, auch die Regeln zur Arbeitszeit sind einzuhalten. Ein Einsatz rund um die Uhr inklusive Nachtbereitschaft ist in Deutschland für kein Arbeitsverhältnis längerfristig erlaubt. Bei denjenigen, die als vermeintliche „Selbstständige“ kommen, stellt sich die Frage nach Scheinselbstständigkeit, weil sie weder über Zeit noch Ort des jeweiligen Einsatzes bestimmen können. Auch dieses Modell ist also rechtlich höchst fragwürdig. (…) Schon jetzt bemühen sich kirchliche Organisationen, Alternativen anzubieten: „Carifair“ von der Caritas oder „Faircare“ von der Diakonie Baden-Württemberg. Noch gibt es diese Angebote allerdings nur in einzelnen Regionen der Republik. Beide Organisationen beraten ausführlich, wie eine Pflege organisiert werden kann und übernehmen die Verwaltungsarbeit, wenn die Helferinnen direkt bei der Familie angestellt werden. Sie achten darauf, dass die wöchentliche Arbeitszeit für die Helferinnen eingehalten wird und bieten mehrsprachige Gesprächspartner in der Nähe an, damit Konflikte schnell gelöst werden können. Einen Rund-um-die Uhr-Service gibt es dort aber nicht. Das Ganze funktioniert dann eher wie ein Baukastensystem mit weiterer Hilfe von außen und wird damit bei schwer Pflegebedürftigen deutlich teurer.“ Beitrag von Gigi Deppe vom 20.11.2020 bei tagesschau.de externer Link
  • Analyse: Arbeitsausbeutung beenden. Osteuropäische Arbeitskräfte in der häuslichen Betreuung in Deutschland
    Auszug aus Empfehlungen in Kürze: Rechtliche Gutachten schaffen Klärung der Beschäftigungsverhältnisse: Grundsätzlich besteht Bedarf, die Entsendung durch polnische Vermittlungsagenturen auf der Grundlage sogenannter Dienstleistungsverträge, die selbstständige Tätigkeit von Live-ins und die Möglichkeiten für eine erleichterte Direktanstellung im Privathaushalt (respektive Arbeitgeber_innen) rechtlich zu klären. − Zugänge zu einer regulären abhängigen Beschäftigung in Deutschland tragen zur Unabhängigkeit von Vermittlungsdiensten bei: Es muss vorrangiges Ziel der Politik sein, Liveins den Zugang zu einer direkten Anstellung in einem Privathaushalt in Deutschland zu erleichtern, um einen vollumfänglichen Schutz durch deutsches Arbeits- und Sozialrecht zu gewährleisten. Betreuungsbedürftige und ihre Angehörigen müssen dazu noch besser über ihre Rolle als Arbeitgeber_innen informiert und bei der Umsetzung ihrer Rechte und Pflichten unterstützt werden. − Ein klares Tätigkeitsprofil wertet die Arbeit von Live-ins auf: Die Zuordnung zu einer Berufsgruppe ist notwendig, um das Tätigkeitsprofil der Live-ins klar zu definieren, anzuerkennen und die Arbeit im Privathaushalt aufzuwerten. Ein leicht zugänglicher Professionalisierungsprozess durch verschiedene Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme führt diesen Ansatz konsequent fort. − Rechtlich verbindliche Qualitätsstandards für Vermittlungsagenturen beugen Arbeitsausbeutung vor: Solange private Agenturen in größerem Maße an der Vermittlung migrantischer Live-ins an betreuungsbedürftige Menschen in Deutschland beteiligt sind, ist es dringend geboten, Anforderungen an eine Vermittlungspraxis zu etablieren. Hierzu müssen verbindlich gültige Qualitätsstandards entwickelt sowie deren Umsetzung systematisch überprüft werden. − Beschwerdemöglichkeiten für Live-ins stärken die Position der Betroffenen: Um ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen konsequent zu begegnen ist es dringend notwendig, die Position der von Ausbeutung betroffenen Live-ins durch Angebote für Beschwerden zu stärken. − Durch unabhängige, mehrsprachige Beratungsangebote besser informieren: Live-ins müssen weiterhin umfassend über ihre Rechte durch leicht zugängliche und mehrsprachige Beratungsangebote informiert werden. Die bestehenden Angebote müssen systematisch bekannt gemacht werden.“ Analyse von Nora Freitag bei Deutsches Institut für Menschenrechte vom Juli 2020 externer Link
  • ver.di begrüßt Urteil des LAG Berlin-Brandenburg: Bulgarischer Betreuerin wird Nachzahlung des gesetzlichen Mindestlohns zugesprochen – Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert auf Gesetzesbruch 
    „… Sie lebte im Haushalt einer 96-Jährigen und sollte dort rund um die Uhr für Körperpflege, Hilfe beim Essen und Ankleiden sowie soziale Aufgaben zur Verfügung stehen. Bezahlt wurde sie laut Arbeitsvertrag allerdings nur für 30 Stunden pro Woche und erhielt knapp 1.000 Euro netto. Vermittelt wurde die Beschäftigte von einer deutschen Agentur, angestellt war sie bei einer bulgarischen Firma, die nun zur Nachzahlung von über 30.000 Euro allein für das Jahr 2015 verurteilt wurde. Die Revision ist zugelassen, weshalb der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht landen könnte. „Das Urteil ist ein wichtiger Erfolg für die Kollegin und für ver.di und den DGB, die sie in diesem Prozess unterstützt haben“, bilanzierte Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. „Es bestätigt, dass die hiesigen Arbeitsschutzgesetze auch für ausländische Betreuungskräfte gelten, die zu Hunderttausenden in den Haushalten pflegebedürftiger Menschen tätig sind. (…) Pflegebedürftige und ihre Familien brauchen Alternativen zu dieser illegalen Praxis. Die ambulanten Pflege- und Betreuungsangebote müssen massiv ausgebaut werden.“ Die Gewerkschafterin plädierte dafür, die Pflegeversicherung zu einer „Solidarischen Pflegegarantie“ weiterzuentwickeln, bei der alle pflegebedingten Kosten übernommen werden und die von allen Bürgerinnen und Bürgern solidarisch finanziert wird. „Das Urteil ist für die politischen Entscheidungsträger ein Weckruf. Sie dürfen nicht länger wegschauen, sondern müssen die Versorgung pflegebedürftiger Menschen endlich auf eine solide und gesetzeskonforme Grundlage stellen.“ ver.di-Pressemitteilung vom 17. August 2020 externer Link
  • „24-Stunden-Pflege“: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg meldet grundsätzliche Bedenken an verbreitetem Modell der Altenpflege an 
    Sich zu wehren lohnt sich – auch für Beschäftigte in der „24-Stunden-Pflege“. Das ist das Signal, das das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Mitte Juli aussandte. (…) Das Gericht halte es „grundsätzlich mindestens für bedenklich“, dass eine Betreuungskraft auf Dauer in derselben Wohnung mit einer Person lebt, „die einen Betreuungsbedarf von letztlich 24 Stunden hat“, betonte die Richterin. „Wie soll sich die Klägerin abgrenzen von der alten Dame und deren Bedürfnisse zurückweisen? Wie soll sie ihre Arbeitszeit auf sechs Stunden täglich beschränken?“ So ergebe sich „schon aus den Indizien, dass ein Vertrag über 30 Stunden nicht ernstgemeint sein kann“. (…) Unberührt vom Ausgang dieses Verfahrens ist eine weitere anhängige Klage der Beschäftigten, in der es um Forderungen aus dem Jahr 2016 geht. Der im Januar eröffnete Prozess soll in der zweiten Jahreshälfte 2020 fortgesetzt werden. „24-Stunden-Pflege“ ist für die involvierten Betreiber ein lukratives Geschäftsmodell – und für den deutschen Staat eine Möglichkeit, sich aus seiner Verantwortung für die Daseinsvorsorge älterer Menschen zu stehlen. Zwischen 100.000 und einer halben Million meist osteuropäischer Migrantinnen leben und arbeiten Expertenschätzungen zufolge in deutschen Haushalten, um pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren zu betreuen. Die meisten von ihnen arbeiten unter extrem prekären Bedingungen, meist ohne den Schutz durch das deutsche Arbeitsrecht. Obwohl das Beschäftigungsmodell offensichtlich gravierend gegen elementare Grundsätze des deutschen Arbeitsrechts verstößt, drückt die Politik seit Jahren die Augen zu.“ Artikel vom Juli 2020 beim DGB-Projekt „Faire Mobilität“ externer Link
  • 24-Stunden-Pflege: Verband kritisiert Arbeitsbedingungen osteuropäischer Pflegekräfte
    Der Bundesverband der Betreuungsdienste beklagt die teils unhaltbaren Arbeitsbedingungen Zehntausender osteuropäischer Betreuungs- und Pflegekräfte, die in deutschen Privathaushalten meist ohne Arbeitsvertrag beschäftigt seien. Geschäftsführer Thomas Eisenreich sagte der „Rheinischen Post“: „In der Branche der sogenannten selbstorganisierten 24-Stunden-Pflegekräfte haben wir oftmals genauso prekäre Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse wie in der Fleischindustrie, in der Landwirtschaft oder auf dem Bau.“ Osteuropäische Pflegekräfte bekommen laut Eisenreich zwischen 1500 und 1700 Euro im Monat. Die 24-Stunden-Betreuung sei dabei oft wörtlich zu nehmen, was einem Stundenlohn von 2,08 Euro entspreche. Auch die Unterbringung sei teilweise skandalös – etwa wenn Betreuer im ehemaligen Ehebett neben der Pflegeperson schlafen müssten. „Wenn wir nationale Maßstäbe an eine 24-Stunden-Betreuung anlegen, sind das etwa 3,5 Stellen, damit Urlaub, freie Tage und Urlaubszeiten gewährt werden können. Das wären circa 9100 Euro pro Monat.“ Das könne sich aber niemand leisten. (…) Eisenreich forderte, die Schwelle für Sachleistungen für die Pflegebedürftigen zu senken, damit sie mehr Leistungen aus der Pflegekasse bekämen. „Dadurch könnten osteuropäische Pflegekräfte entlastet werden und hätten wie im deutschen Arbeitsrecht vorgeschrieben auch Pausen und Ruhezeiten.““ Beitrag vom 24.07.2020 beim Spiegel online externer Link
  • Gerichtsverfahren zu Arbeitszeit: 24-Stunden-Pflege gerät unter Druck
    “Es ist ein Modell, das Tausenden von hochaltrigen Menschen in Deutschland ermöglicht, weiterhin in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben. Auch dann, wenn sie Hilfe beim Aufstehen, beim Waschen, Essen, bem Toilettengang brauchen: die sogenannte 24-Stunden-Pflege. Doch ein Gerichtsverfahren könnte das Modell jetzt gefährden. Die Krux dabei sind die Arbeitszeiten. (…) Im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in der vergangenen Woche schlug die Richterin jetzt einen Vergleich vor, da die Beweiserhebung sich sehr schwierig gestalte. Der Vergleichsvorschlag solle demnächst vom Gericht vorgelegt werden und werde wohl bei 10.000 Euro liegen, sagt Oblacewicz. Die Parteien haben dann drei Wochen Zeit, dem Vergleich zuzustimmen. Andernfalls geht das Verfahren in die nächste Runde. D. hat bereits erklärt, dem Vergleich zuzustimmen, der Anwalt der beklagten bulgarischen Zeitarbeitsfirma will sich darüber mit der Firma beraten. (…) Sie dringt darauf, dass die Arbeits- und Bereitschaftszeiten der Pflegehilfskräfte juristisch korrekt bezahlt werden. Laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von 2016 externer Link muss der durchschnittliche Stundenlohn für die Arbeitszeiten einschließlich der Bereitschaftszeiten wenigstens dem Mindestlohn entsprechen. Müsste eine Pflegehilfskraft also tatsächlich 24 Stunden am Tag in dem Haushalt arbeiten oder sich während der Schlafzeiten der Pflegebedürftigen für einen Einsatz bereithalten, würden bei einem Mindestlohn von 9,35 Euro die Stunde insgesamt mehr als 6.700 Euro im Monat an Bruttolohn fällig. Dies wäre wohl unbezahlbar für die allermeisten Haushalte. Zudem würden die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes, die im Schnitt nur maximal 48 Wochenstunden Arbeit erlauben, ausgehebelt. (…) Der entscheidende Punkt ist die dauerhafte Bereitschaft der sogenannten „Live-in“-Betreuungskräfte, die die SeniorInnen bei Bedarf zur Toilette führen oder die Vorlagen wechseln, die ihnen auf Wunsch etwas bringen, ihnen Ansprache bieten sollen. In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte werden „Bereitschaftszeiten“, etwa auch in Kinderheimen oder Krankenhäusern, als Arbeitszeit gewertet. Ein Vergleich vor Gericht, der den Betreuerinnen hohe Nachforderungen erlaubt, könnte die Branche aufrütteln. Forderungen würden dann möglicherweise auch andere BetreuerInnen stellen, die über Zeitarbeitsfirmen in Osteuropa und hiesige Agenturen in deutsche Haushalte vermittelt werden. „Wird das stärker überwacht, dann nimmt die Schwarzarbeit zu“, sagt Föry. (…) Oblacewicz kennt die angespannte Situation der Pflegehaushalte. Eine Möglichkeit für legale Verhältnisse bestünde darin, die Frauen tatsächlich nur 40 Stunden in Arbeit und Bereitschaft arbeiten zu lassen und die Zeiten drumherum beispielsweise durch Tages- und Nachtpflegestellen sowie innovative Betreuungskonzepte abzudecken, sagt sie…“ Artikel von Barbara Dribbusch vom 22.07.2020 in der taz online externer Link
  • Bulgarische Altenpflegerin rechnet mit deutscher Pflegebranche ab 
    “Hunderttausende Frauen aus Osteuropa pflegen deutsche Senioren in ihren Häusern. Sie stehen rund um die Uhr zur Seite, doch bezahlt werden sie nur für ein paar Stunden am Tag. Dobrina D. ist vor Gericht gezogen. Kochen, spülen, die Küche putzen. Medikamente bringen, einkaufen, bügeln. Die Kundin begleiten: zum Arzt, zum Kaffee trinken, an Abenden zu Hause. Als Altenbetreuerin in Deutschland hatte Dobrina D. alle Hände voll zu tun. Und mit „Gute Nacht“ war ihr Arbeitstag noch nicht zu Ende. Oft musste die Bulgarin mehrmals in der Nacht aufstehen, um Windeln zu wechseln oder weitere Medikamente zu geben. Die 96-jährige deutsche Seniorin hatte Dobrina D. stets an ihrer Seite. Schließlich wohnte die Bulgarin in ihrer Wohnung. „Ich musste 24 Stunden zur Verfügung stehen externer Link. Es gab keine freien Tage, Zeit für mich selbst hatte ich auch nicht“, sagt Dobrina D. Heute ist sie 69 Jahre alt und zurück in Bulgarien. Die Erinnerung an das Jahr 2015, als sie in Berlin die Seniorin pflegte, lässt sie nicht los: „Meine Firma hat mich betrogen.“ Gemäß dem Arbeitsvertrag mit ihrer bulgarischen Vermittlungsagentur sollte Dobrina D. nur sechs Stunden am Tag arbeiten. Für diese Zeit wurde sie auch bezahlt: 950 Euro Netto. Sie ist in Deutschland erfolgreich vor Gericht gezogen: Der Arbeitgeber muss ihr 42.000 Euro nachzahlen. Die Summe entspreche der Bereitschaftszeit rund um die Uhr, die auch mit Mindestlohn vergütet werden soll, entschied das Arbeitsgericht in Berlin in erster Instanz. Die bulgarische Agentur ging in Berufung. Die Verhandlung in zweiter Instanz beginnt am 16. Juli…“ Artikel von Grzegorz Szymanowski und Luisa von Richthofen vom 15.07.2020 bei der Deutschen Welle externer Link, siehe zur Klage auch:

    • Bulgarische Pflegerin klagt erfolgreich auf Lohnnachzahlung
      “… 30-Stunden-Woche und 24-Stunden-rund-um-die-Uhr-Betreuung – wie passt das zusammen? Gar nicht: Tatsächlich musste Frau Alekseva während der gesamten Zeit rund um die Uhr für Pflege-, Betreuungs- und Haushaltstätigkeiten zur Verfügung stehen, es gab keine festgelegten Freizeiten und auch keinen bezahlten Urlaub. All das wäre weiter so gelaufen, wenn Frau Alekseva nicht etwas getan hätte, was Beschäftigte in ihrer Situation nur sehr selten tun: Sie informierte sich über ihre Rechte und zog vor Gericht. Nach einer ausführlichen Beratung in einer DGB-Beratungsstelle für mobile Beschäftigte entschloss sie sich, zunächst für den Zeitraum ab April 2015 bis Ende 2015 einen Lohnanspruch über die gesamte Arbeits- und Bereitschaftszeit – also 24 Stunden täglich – gegen ihren letzten Arbeitgeber einzuklagen. Die Forderung lag bei rund 45.000 Euro brutto abzüglich der gezahlten Vergütung in Höhe von knapp 6.700 Euro. Da die bulgarische Firma nicht zu einem Vergleich bereit war, entschied das Gericht und gab der Klage auf Lohnnachzahlung statt. Die dargelegte Argumentation von Frau Alekseva in Bezug auf die 24 Stunden umfassende Arbeits- bzw. Bereitschaftszeit sei nachvollziehbar und schlüssig. Für unglaubhaft hielt das Gericht dagegen die Darstellung des Arbeitgeber. Der Anwalt der bulgarischen Firma hatte entgegnet, Frau Alekseva habe sonntags frei gehabt — was nicht stimmte. Auch habe sie freie Zeit „stundenweise“ im Laufe der Woche nehmen können – etwa während des Mittagsschlafs der zu pflegenden Seniorin. Wie konkret die Arbeitszeit von Frau Alekseva verteilt war und an welchen Tagen sie frei hatte, konnte der Anwalt dem Gericht nicht darlegen. Auch Bereitschaftszeit, so betonten die Richter, müsse aber grundsätzlich vergütet werden – in diesem Fall mit dem damals gültigen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Auch wenn noch keine schriftliche Urteilsbegründung vorliegt und der Arbeitgeber gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen kann, bringt sie juristische Bewegung in eine Grauzone, in der bislang viele Fragen rechtlich nicht geklärt sind. Wer „24-Stunden-Pflege“ verlangt, muss auch 24 Stunden bezahlen. Das Urteil, wenn es denn Bestand hat, würde das gängige Geschäftsmodell im wachsenden Markt der „Live-in“-Altenbetreuung radikal in Frage stellen. (…) Durch das aktuelle Urteil des Berlin-Brandenburgischen Arbeitsgerichts rückt eine Klärung immerhin näher. Osteuropäische Betreuungs- und Pflegekräfte sind nicht so rechtlos, wie man ihnen einreden will. Frau Alekseva hat gute Chancen, wenigstens einen Teil des Lohnes zu erhalten, den ihr ihr Arbeitgeber vorenthalten wollte. Und: Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, die ihre Geschäftsmodelle und die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten lieber vom Blick der Öffentlichkeit fernhalten will. Es wirft auch ein Schlaglicht auf eine verfehlte Politik, die Altenpflege weitgehend zur Privatsache erklärt, menschenunwürdige Beschäftigungsmodelle fördert und als scheinbar praktikable Lösung für die Nöte von Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen präsentiert. Und vielleicht zwingt das Urteil aus Berlin die Öffentlichkeit, endlich ehrlich darüber zu diskutieren, wie wir uns im reichen Deutschland menschenwürdige Versorgung alter Menschen vorstellen.“ Beitrag in Projekt Faire Mobilität Ausgabe 09/2019 externer Link
    • Rund um die Uhr im Dienst: 24-Stunden-Pflegerin könnte rückwirkend mehr Geld erhalten
      “… Frau D., inzwischen zurück in Bulgarien und in Rente, verlangt, dass ihr die gesamten 24-Stunden-Tage in der Woche vergütet werden. Allein für 2015 macht das 45000 Euro aus, abzüglich des bereits gezahlten Lohns von 6700 Euro. Einen ersten Prozess gewann sie mit Hilfe des DGB vor dem Arbeitsgericht Berlin. „Es wird sich zeigen, dass diese Frauen ausgebeutet werden“, hofft Justyna Oblacewicz vom DGB Projekt Faire Mobilität von dem Verfahren. (…) Doch was moralisch stimmig erscheint, kann juristisch sehr kompliziert sein. „Es ist ein Indizienprozess“, stellt die Richterin klar. Für eine valides Urteil wäre es deshalb vermutlich notwendig, erst einmal Beweise zu erheben – also die Pflegerin zu befragen, die inzwischen 96-jährige Dame, die Geschäftsführung der Firma in Bulgarien und so weiter. Und weil das alles nicht einfach ist, macht Richterin Hinrichs einen Vorschlag für einen Vergleich: Statt der knapp 40000 bekommt Frau D. 10000 Euro. Das liege zwar deutlich unter den üblichen Vergleichsangeboten von der Hälfte einer strittigen Summe. Dafür sei der Vergleich aber erst gültig, wenn die Firma auch gezahlt habe. Denn eine Forderung aus einem Urteil aus Deutschland in Bulgarien zu vollstrecken, das könne schwierig werden. Knapp gesagt: lieber 10000 Euro in der Hand als 40000 in den Sternen. Der Anwalt von Frau D. ist nach kurzer Überlegung erst mal einverstanden, der Anwalt der bulgarischen Firma jedoch hat Zweifel, ob seine Mandanten zustimmen werden: „Dieses Urteil würde in der Branche die Runde machen, davon wären dann viel mehr Firmen betroffen.“ Die Kontrahenten haben nun vier Wochen Zeit einen Vergleich zu finden. Sonst geht der Prozess in die nächste Runde.“ Beitrag Artikel von Jan Heidtmann vom 16.07.2020 in der SZ online externer Link
  • Frauen in der häuslichen Betreuung nicht systemrelevant?! Der private Haushalt als rechtliche Grauzone und wie sich ein Pflegesystem zweiter Klasse entwickelt 
    “Die Probleme in der Altenpflege treten in der Covid19-Pandemie besonders stark hervor. Sie betreffen vor allem die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals, ihre Schutzrechte und ihre Vergütung. Letzteres soll sich jetzt für (qualifizierte) Pflegehilfskräfte und Pflegefachkräfte verbessern. Die Erhöhung des Pflegemindestlohns soll ein Zeichen der Anerkennung der Pflege als wichtige Tätigkeit sein. 1,2 Mio Pflegekräfte werden von der Neuregelung profitieren. Doch ein wichtiger Bereich wird in der Regelung einfach ausgeschlossen, die privaten Haushalte, in denen vor allem Frauen aus Mittel- und Osteuropa arbeiten. Ist ihre Pflegeleistung weniger wert? (…) Man sollte jedoch einen genaueren Blick darauf werfen, wie die Bundesregierung versucht die Probleme in der Altenpflege zu lösen. Bei der Verkündung der Verordnung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass 1,2 Mio. Beschäftigte von der Neuregelung profitieren werden. Niemand sagt aber, wer explizit ausgeschlossen wird. Dieser Pflege-Mindestlohn soll nämlich gerade nicht bei Beschäftigungsverhältnissen in Privathaushalten gelten. So soll z.B. für sogenannte Live-Ins –  Pflegebetreuer*innen, die mit der pflegebedürftigen Person in einem Haushalt leben und sie betreuen – weiterhin der „normale“ Mindestlohn von derzeit 9,35 € gelten. Je nach Qualifikation kann es im Jahr 2022 einen Unterschied der Vergütung von ca. 3-6 € pro Stunde zwischen den Mindestlohngruppen geben und das obwohl sich die Arbeit in ihrer Arbeitsleistung im Privathaushalt von denen in der stationären oder ambulanten Pflege wohl kaum unterscheidet. Es scheint also eher ein Mindestlohn zu sein, der nicht an der Arbeitsleistung gemessen wird, sondern vom Arbeitsort abhängig ist. Es stellt sich die Frage nach dem „Warum?“. Naheliegend ist, dass die Regierung hier unterstellt, die Leistung in Privathaushalten sei nun doch keine Pflege im herkömmlichen Sinne, sondern irgendetwas anderes. Etwas was sich vielleicht zwischen Arbeit und Ehrenamt qualifizieren ließe. (…) In wenigen Worten erklärt sich die Entwicklung auf dem Pflegemarkt so: Zunächst folgt Deutschland immer noch einem konservativ ausgerichtetem Pflegesystem. Anders als z.B. in den skandinavischen Ländern externer Link, kennzeichnet sich dieses dadurch, dass man primär die Familienangehörigen des Pflegebedürftigen in der Verantwortung der Betreuung und Pflege sieht. Aufgrund der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung werden zum Großteil Frauen in die Pflicht genommen, diese Aufgaben zu erledigen. Die familiäre Ausrichtung des Pflegesystems geht daher an der heutigen Arbeitswelt vorbei. (…) Letztlich wird verkannt, dass die Live-In eine Lücke schließt, die aus dem veralteten Modell unseres Pflegesystems resultiert. Während sich die Lebensrealitäten weiterentwickelt haben, geht das Pflegemodell von einer familiären Verantwortungsübernahme aus, die für viele Familien nicht mehr umsetzbar ist. Durch die Duldung des Live-In-System tut der Staat so, als würde es seiner Verpflichtung allen Bürger*innen eine menschenwürdige Pflege zu gewähren, nachkommen. Doch das ist eine Illusion, die auf Kosten von Arbeitsmigrant*innen aufrechterhalten wird…“ Beitrag von Adrian Deckert vom 28.05.2020 im GRUNDUNDMENSCHENRECHTSBLOG externer Link
  • [Petition] Beschäftigungsverhältnisse in der häuslichen Betreuung jetzt legalisieren! 
    “Wir fordern Beschäftigungsverhältnisse in der häuslichen Betreuung nach deutschem Recht! Osteuropäische Wanderarbeitnehmer/-innen arbeiten in Deutschland in vielen Branchen zu menschenunwürdigen Bedingungen, ohne (gültige) Arbeitsverträge, als Scheinselbstständige, in Leiharbeit oder mit Werksverträgen. Neben der Fleischindustrie und der Landwirtschaft ist hier besonders der häusliche Pflege- und Betreuungssektor betroffen. Die Einreise aus den EU-Staaten ist ausländischen Pflege- und Betreuungskräften zwar auch momentan gestattet. Sie müssen dazu einen Arbeitsvertrag oder Auftragsunterlagen vorlegen. Häufig leben und arbeiten die so genannten „Live-ins“ jedoch unter prekären Bedingungen, unsicher, ungeregelt, unterbezahlt – weil die Gesetze es bisher zulassen. Wer ältere, behinderte oder andere hilfsbedürftige Menschen betreut, soll davon selbst würdig leben können. Wir fordern daher die umfassende Legalisierung der Beschäftigungsverhältnisse der Live-ins. Flankierend zu einer gesetzlichen und tarifrechtlichen Neuregelung gilt es, die soziale Situation der Frauen zu verbessern. Allem voran die prekäre Wohnsituation: Es mangelt oft an Privatsphäre, Schutz vor Übergriffen, jetzt vor Ansteckung mit dem Coronavirus. Wir meinen: Die häusliche Versorgung pflegebedürftiger Menschen ist eine sozialstaatliche Aufgabe. Daher müssen Ausgestaltung, Finanzierung und Beratung dieser Arbeit mittelfristig in staatliche Hände. Wir fordern konkret: 1. Sozialversicherungspflichtige und tariflich entlohnte Beschäftigungsverhältnisse für Live-ins nach deutschem Recht. 2. Arbeitsverträge, inklusive Arbeitsplatzbeschreibung, in deutscher Sprache und gleichlautend in der Muttersprache des Herkunftslandes der Arbeitnehmer*innen. 3. Klare Regelungen zu Arbeitszeit, Urlaub und Freizeit: 38,5 Wochenarbeitsstunden, bei einer 6-Tage-Woche und bezahlten Urlaub von 3 Tagen je Monat. 4. Ermöglichung legaler Beschäftigungsverhältnisse durch Vermittlung über die Wohlfahrtsverbände, z.B. über Carifair bei den Caritasverbänden oder FairCare bei der Diakonie. 5. Förderung der Betreuungs-, Beratungs- und Selbsthilfestrukturen für die Live-ins; Sprachkurse in deutscher Sprache; Entwicklung eines Startersets zur Kultur, Sprache und Gegebenheiten in Deutschland. 6. Bereitstellung eines eigenen, abschließbaren Zimmers mit kostenlosem Telefon und Internetanschluss. 7. Vorhaltung von Schutzmaßnahmen wie Schutzkleidung, Handschuhe, Desinfektionsmittel, Mundschutz. 8. Schaffung von Rahmenbedingungen zur Legalisierung durch den Gesetzgeber. 9. Überprüfung und Sanktionierung von Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit. Dazu sollte die zuständige Behörde Finanzkontrolle Schwarzarbeit ausgebaut werden, um die Überprüfung gewährleisten zu können…“ Petition „Legalisierung jetzt“ bei Campact externer Link
  • Häusliche Betreuung: Ausbeutung rund um die Uhr 
    “Viele alte Menschen in Deutschland wünschen sich, zuhause gepflegt zu werden. Doch das ist eigentlich viel zu teuer. Möglich machen es Betreuungskräfte aus Osteuropa – meist unter kaum tragbaren Bedingungen. (…) Davon, wie gut die Senioren schlafen können, hängen ganze Tage von Ruslana und Izabela ab. Als sogenannte „Live-In-Pflegerinnen“ wohnen sie bei den alten Menschen und betreuen sie Tag und Nacht. 24 Stunden am Tag sind sie auf Abruf bereit. Ruslana kommt aus der Ukraine und arbeitet als Altenbetreuerin in Polen. Izabela kommt aus Polen und arbeitet in Deutschland. „Wir haben separate Zimmer, aber es gibt keine Tür. Sie schaut mich die ganze Zeit an, denn wenn ich nicht zu sehen bin, dann hat sie Angst, dass da niemand mehr sei. Und so muss ich mit ihr quasi in einem Zimmer sein. Das ist das Schlimmste. Weil ich die ganze Zeit bei ihr sein muss.“ „Ich kann meine Tür zu meinem Zimmer nicht zu machen. Ja, die Tür muss offenbleiben. Und ich muss immer zu Verfügung sein. Ja, so, wie sie möchte.“ (…) Um die 300.000 Haushalte in Deutschland beschäftigen häusliche Betreuungskräfte aus dem Ausland. Wie sieht der Alltag der Betreuerinnen aus, eingeschlossen in vier Wände mit alten, pflegebedürftigen Menschen? Basiert das deutsche Pflegesystem auf Ausbeutung im Schattenbereich? Und wer kümmert sich um die Alten in den Herkunftsländern der Frauen? Gerade die aktuelle Coronaepidemie offenbart, wie wichtig die häuslichen Betreuerinnen für das deutsche Pflegesystem sind. Ohne Hilfe aus dem Ausland müssten viele Familien ihren Alltag komplett umkrempeln. (…) In der Coronakrise werden Betreuungspersonen für Menschen wie Claudias Vater plötzlich knapp. Die große Mehrheit der Betreuungskräfte arbeitet ohne einen Arbeitsvertrag. Sie können jetzt nicht mehr nach Deutschland einreisen. Auch legal Beschäftigte, wie die Betreuungskraft von Claudia, bleiben Zuhause. Ein Grund ist, dass die Reise zu Zeiten der Coronakrise unsicher und beschwerlich ist, erklärt Daniel Schlör von der Vermittlungsagentur SunaCare. (…) Justyna Oblacewicz arbeitet für das Projekt Faire Mobilität vom Deutschen Gewerkschaftsbund und setzt sich dort für die Rechte der Betreuerinnen ein. „Es ist einfach eine für alle unglückliche Situation. Und was es offenbart, ist, dass das System dieser häuslichen Betreuung, so, wie es aufgebaut ist, einfach für den Moment gedacht ist, dass eine 24-Stunden-Pflege mit nur einer Person an sich überhaupt nicht machbar ist. Und genau diese Schwächen werden jetzt sehr offen zu Tage gefördert im Rahmen von der Coronakrise.“ (…) „Die Agenturen versprechen ihnen eine Frau, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche da ist, und eigentlich für 1300 Euro Netto tatsächlich rund um die Uhr zur Verfügung stehen soll.“ Viele der Vermittlungsagenturen tragen die Idee der 24-Stunden-Pflege schon in ihrem Namen: EuroPflege-24, Senior@Home24 oder Lebenshilfe24. „Dieses Versprechen der 24-Stunden-Pflege ruft dann ja auch falsche Erwartungen hervor, ganz oft. Was dann auch zu Missverständnissen und Konflikten führen kann.“ (…) Im 21. Jahrhundert kommen die „dienstbaren Geister“ aus ärmeren Ländern. In Europa bedeutet das, immer weiter östlich nach Betreuungskräften zu suchen. Polnische Frauen kommen nach Deutschland, um hier alte Menschen zu betreuen. Aber was passiert mit den alten Menschen in Polen? In Polen arbeiten Ukrainerinnen in der häuslichen Betreuung. Seit 2014 haben Ausländer leichteren Zugang zum polnischen Arbeitsmarkt. Polen wird zum Einwanderungsland. Etwa zwei Millionen Ukrainer sind seitdem in das Land gekommen…“ Beitrag von Pia Rauschenberger und Grzegorz Szymanowski vom 18.05.2020 bei Deutschlandfunk Kultur externer Link
  • „24-Stunden-Pflege“: Das Geschäftsmodell steht auf dem Prüfstand 
    “Es könnte juristisch eng werden für die Anbieter sogenannter „24-Stunden-Pflege“. Ende Januar verhandelte das Arbeitsgericht Berlin über den Fall einer bulgarischen Beschäftigten, die über mehrere Jahre eine deutsche Seniorin in ihrer Wohnung betreut hatte. Angestellt war sie bei einer bulgarischen Pflegeagentur, mit einem Vertrag über 30 Wochenstunden zum Bruttolohn von 1562 Euro. Tatsächlich aber musste sie rund um die Uhr für Pflege und Hausarbeit zur Verfügung stehen. Festgelegte Freizeiten und bezahlten Urlaub gab es nicht. Die Klägerin fordert für ihre Tätigkeit im Jahr 2016, dass ihr der in Deutschland geltende gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird. Einer entsprechenden Klage für 2015 hatte das Arbeitsgericht Berlin im Sommer stattgegeben. Da die Gegenseite in die Berufung ging, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Mit einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wird in der zweiten Jahreshälfte gerechnet. Erst wenn diese vorliegt, wird auch über die Lohnnachforderungen für 2016 entschieden. Die Vorsitzende Richterin unterstrich: „Das Geschäftsmodell als solches steht hier auf dem Prüfstand.“ Europäischer Gerichtshof und Bundesarbeitsgericht haben in den letzten Jahren klargestellt: Auch Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit und muss mit dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden. Verwundert zeigte sich die Richterin darüber, dass nicht schon viel früher ähnliche Klagen am Berliner Arbeitsgericht eingereicht wurden. Immerhin habe sich das Modell in den letzten Jahren stark verbreitet. Auf 100.000 bis eine halbe Million schätzen Fachleute die Zahl osteuropäischer Migrantinnen, die in deutschen Haushalten leben und pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren betreuen. (…) Die Gründe, warum Beschäftigte nur selten vor Gericht ziehen, sind vielfältig. Sprachbarrieren, Kostenrisiko, zeitlicher Aufwand, Unkenntnis des Rechtssystems. (…) Im aktuell in Berlin verhandelten Fall ist die Klägerin ver.di-Mitglied und erhält gewerkschaftlichen Rechtsschutz. Die Dienstleistungsgewerkschaft setzt sich für faire und gute Arbeit für Angestellte auch in Privathaushalten ein. Neben transparenten gesetzlichen Grundlagen und wirksamen Kontrollen fordert ver.di strukturelle Reformen im Pflegesystem. Denn „24-Stunden-Pflege“ ist nicht nur juristisch und moralisch fragwürdig, sondern darüber hinaus auch nur für Besserverdiener erschwinglich. Aktuell werden diese Arrangements sogar durch die Pflegeversicherung mit dem Pflegegeld mitfinanziert. Kommunale ambulante Versorgungsmodelle dagegen, wie es sie in skandinavischen Ländern gibt, können bezahlbare und menschenwürdige Altenpflege für alle gewährleisten und machen den „grauen Pflegemarkt“ überflüssig.“ Beitrag in Ausgabe 01/2020 von fair bei Faire Mobilität beim DGB externer Link
  • Pflegekräfte aus Osteuropa: „Wenn man wegschaut, schafft man den Schwarzmarkt“ 
    “Mehr als eine halbe Million Betreuungskräfte aus Osteuropa kümmern sich um deutsche Senioren. Agenturen, die sie vermitteln, arbeiten in einer rechtlichen Grauzone. Vollkommen legale Beschäftigung ist kaum möglich. (…) Seit November letzten Jahres arbeitet Anja für CareWork. Die deutsch-polnische Agentur hat ein Büro unter anderem in Poznan und in Berlin. Geschäftsführer Michael Gomola vermittelt rund 1.100 Betreuungskräfte an deutsche Haushalte. (…) Dennoch unterliegt auch Gomola dem deutschen Arbeitsrecht, wenn er seine Betreuungskräfte nach Deutschland schickt. Das erlaubt derzeit keine rechtssichere Beschäftigung. Denn entweder arbeiten die Betreuungskräfte als Selbständige, die nach Deutschland entsandt werden – dann droht in vielen Fällen Scheinselbständigkeit. Oder sie arbeiten als Angestellte einer Agentur – und können dann oft das Arbeitszeitgesetz nicht einhalten, das eigentlich für 24 Stunden Arbeitszeit drei Schichten nötig macht. „Es ist ein sehr dunkler Bereich, in dem sie sich da bewegen. Wir halten diese Beschäftigungsarrangements für illegal“, sagt Justyna Oblacewicz vom Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Sie arbeitet in einer Beratungsstelle für 24-Stunden-Betreuungskräfte – und berät doch nur einen kleinen Teil der Betreuungskräfte. Denn geschätzt 90 Prozent der (zumeist) Frauen verrichten ihre Arbeit schwarz, nur etwa zehn Prozent der Betreuungskräfte werden über Agenturen vermittelt. Insgesamt versorgen mehr als eine halbe Million Menschen, meist aus osteuropäischen EU-Ländern, deutsche Senioren. (…) Entscheidend sei aber nicht, was auf dem Papier stehe, sondern das gelebte Verhältnis, sagt Justyna Oblacewicz vom DGB: „Den Betreuungskräften wird im Haushalt gesagt, wie und wann sie etwas zu tun haben, da wird also Weisungsrecht ausgeübt. Mit Blick auf die Arbeitszeit müssen wir häufig von einer abhängigen Beschäftigung sprechen.“ Faktisch müssten diese Frauen als Arbeitnehmerinnen betrachtet werden und fielen somit unter das Arbeitsschutzgesetz…“ Beitrag von Katharina Zabrzynski vom 29.01.2020 bei RBB externer Link
  • Pflegekräfte aus Osteuropa: „Eine 24-Stunden-Betreuung ist rechtlich unmöglich“ 
    “Eine 24-Stunden-Pflegekraft aus Osteuropa legal im eigenen Haushalt beschäftigen – wie geht das? Gar nicht, sagt Theresa Tschenker, Arbeitsrechtlerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). (…) „Eine 24-Stunden-Betreuung ist rechtlich unmöglich“, stellte Theresa Tschenker klar. Insbesondere das Arbeitszeitgesetz, das über jedem Arbeitsvertrag stehe, lasse eine Rund-um-die-Uhr-Pflege durch eine Person nicht zu. So seien per Gesetz pro Tag elf Stunden Ruhezeit garantiert, die maximale Wochenarbeitszeit liege bei 48 Stunden, in vorübergehenden Ausnahmefällen bei 60 Stunden. Auch „Bereitschaft“ gelte als Arbeitszeit und verlange nach Ruhezeiten für die Beschäftigten, und von „Rufbereitschaft“ im rechtlichen Sinne könne in der Regel keine Rede sein. Bei Rufbereitschaft, die nicht als Arbeitszeit gilt, können Beschäftigte ihren Aufenthaltsort frei wählen. In der Pflege werde aber erwartet, dass die Leute sofort vor Ort verfügbar sind. (…) Und was nun? Die 300.000 Pflegekräfte sofort nach Hause schicken? „Das ist gar nicht möglich. Sie werden ja gebraucht“, sagt Angela Lehnert. Sie vermittelt Pflegekräfte aus Osteuropa nach Deutschland. Die Auflagen des Arbeitszeitgesetzes seien nicht erfüllbar, räumt sie ein. Hier sei der Gesetzgeber gefragt, eine Lösung zu finden. Zudem möge ein Lizenzierungsverfahren dafür sorgen, dass nur jene Vermittlungsagenturen zum Zuge kommen, die faire Gehälter zahlen und Ruhezeiten der Beschäftigten respektieren. In ihrem Unternehmen würden die versicherten Pflegekräfte mindestens 1.400 Euro netto im Monat verdienen, sagt Angela Lehnert. Damit liege der Mindestpreis für die Familien bei 2.700 Euro im Monat. „Billig ist das nicht, aber fair“, betont Angela Lehnert.“ Beitrag von Mathias Hausding vom 06.12.2019 in der Märkischen Oderzeitung online externer Link
  • Pflegemigration: Pflegenotstand wird durch Ausbeutung kompensiert 
    Mindestens 500.000 Pflegebedürftige in Deutschland werden von Care-Migrantinnen betreut, ungelernten Pflegekräften aus dem Ausland. Es sind fast immer Frauen, die gemeinsam mit den Pflegebedürftigen in einem Haushalt leben, »Live-In« nennt sich das. Die Zahl beruht auf einer Schätzung von Aranka Benazha von der Goethe-Universität Frankfurt – vermutlich sind es aber weitaus mehr. (…) Demnach stammen rund 46 Prozent aus Polen, elf Prozent aus der Slowakei, zehn Prozent aus Rumänien und jeweils sechs Prozent aus Bulgarien, Ungarn und Litauen. (…) dass zunehmend auch Frauen aus Drittstaaten kämen, vor allem aus südamerikanischen Ländern. (…) Aufgrund der hohen Kosten für ambulante Pflegedienste oder stationäre Pflege und den gleichzeitigen Mangel an Fachpersonal bieten Agenturen die Vermittlung von Care-Migrantinnen an. Sie sollen die Versorgungslücke schließen. In Deutschland werden sie zu 70 Prozent über das sogenannte Entsendemodell engagiert. Mittlerweile gibt es über 300 deutsche Vermittlungsagenturen,8 die eine 24-Stunden-Betreuung versprechen. In den meisten Fällen wechseln sich zwei oder mehr Pflegehilfen ab. Jede von ihnen verbringt dann einen vorher vereinbarten Zeitraum von einigen Wochen im Pflegehaushalt. (…) Das zweite Modell setzt auf Care-Migrantinnen als selbstständige Betreuungskräfte. Sie werden jedoch weiterhin über Agenturen an Familien vermittelt. Für sie gelten weder Mindestlohn noch die deutsche Arbeitszeitregelung. Häufig handelt sich um Scheinselbständige, da die Frauen tatsächlich stark an die Agenturen und die Anweisungen der Pflegebedürftigen oder deren Angehöriger gebunden sind. Die dritte, bisher wenig genutzte Möglichkeit, eine Care-Migrantin zu beschäftigen, ist die Vermittlung durch Wohlfahrtsverbände. Mit Hilfe von »Carifair«, einem Angebot der Caritas, können deutsche Privathaushalte als Arbeitgeber fungieren. Dabei stellen sie Care-Migrantinnen über einen regulären Arbeitsvertrag nach deutschem Recht an. Die Caritas begleitet und berät die Pflegehaushalte und alle beteiligten Personen vor und nach der Vermittlung. Alle anderen Live-Ins werden nicht kontrolliert. Im Bereich der Schwarzarbeit kommen sie immer noch durch informelle Netzwerke zustande: Mund-zu-Mund-Propaganda zwischen Pflegehaushalten und Hilfskräften regeln die Vermittlung. Intransparente Geschäftspraktiken, hohe und illegale Abgaben an Agenturen, Verbote, über Geld zu sprechen, und der Verbleib der Care-Arbeit im privaten Raum sind Facetten des Geschäfts mit Care-Migrantinnen. Rechtlich liegt die Care-Migration in einer Grauzone voller juristischer Fallstricke. (…) Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages veröffentlichten zuletzt im September 2016 ein Papier zum rechtlichen Status quo der »24-Stunden-Pflege in Privathaushalten durch Pflegekräfte aus Mittel- und Osteuropa« in Deutschland und ausgewählten EU-Ländern. Darin wird festgestellt, dass es hinsichtlich der Care-Migration keine gesetzlichen Regelungen gebe. Ansätze zur Verbesserung der Situation in der Pflege fehlten. Vor allem in Deutschland findet keine politische Diskussion statt. Und das, obwohl die Versorgungskrise in der Pflege allgegenwärtig und die Zunahme von Care-Migration bekannt ist…“ Beitrag von Eva Pasch in der 15. Ausgabe von KATAPULT Magazin vom 25.10.2019 externer Link
  • Bulgarische Pflegerin klagt erfolgreich auf Lohnnachzahlung 
    „24-Stunden-Pflege“ und „Betreuung rund um die Uhr“, nicht in einem Altenheim, sondern in der vertrauten häuslichen Umgebung: Das Versprechen, mit dem eine inzwischen kaum noch überschaubare Branche wirbt, hört sich gut an. Doch was nach einer menschenwürdigen Alternative zur Unterbringung alter Menschen in Pflegeheimen klingt, hat eine hässliche Kehrseite. Wie die aussieht, zeigt exemplarisch der Fall einer bulgarischen „24-Stunden-Pflegerin“, in dem das Arbeitsgericht Berlin im August ein Urteil fällte. Die bulgarische Staatsbürgerin Frau Alekseva (Name geändert) war seit Juni 2013 über eine deutsche Vermittlungsagentur als 24-Stunden-Pflegerin und Haushaltshilfe nach Deutschland gekommen. Hier betreute sie von Januar 2014 bis Ende September 2016 eine 96-jährige Seniorin in deren Wohnung in einer Seniorenresidenz. Angestellt war Frau Alekseva während der Zeit nacheinander bei zwei verschiedenen bulgarischen Firmen, die beide unter dem Dach derselben deutschen Vermittlungsagentur agierten. Ihr erster Arbeitsvertrag sah eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden bei einem Entgelt von umgerechnet 400 Euro vor. Im April 2015 bekam sie dann über eine andere bulgarische Firma einen neuen Arbeitsvertrag im Umfang von nur noch 30 Stunden und einem Entgelt in Höhe von 1.562 Euro brutto. Nach Abzug aller Nebenkosten für Steuern, Krankenversicherung, Unfallversicherung sowie nicht näher definierte „Zusatzausgaben für die Realisierung der Tätigkeit“ erhielt sie monatlich 950 Euro. Frau Alekseva war im Besitz einer sogenannten A1-Bescheinigung, die bestätigte, dass sie über das bulgarische System sozialversichert war. (…) Durch das aktuelle Urteil des Berlin-Brandenburgischen Arbeitsgerichts rückt eine Klärung immerhin näher. Osteuropäische Betreuungs- und Pflegekräfte sind nicht so rechtlos, wie man ihnen einreden will. Frau Alekseva hat gute Chancen, wenigstens einen Teil des Lohnes zu erhalten, den ihr ihr Arbeitgeber vorenthalten wollte. Und: Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, die ihre Geschäftsmodelle und die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten lieber vom Blick der Öffentlichkeit fernhalten will. Es wirft auch ein Schlaglicht auf eine verfehlte Politik, die Altenpflege weitgehend zur Privatsache erklärt, menschenunwürdige Beschäftigungsmodelle fördert und als scheinbar praktikable Lösung für die Nöte von Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen präsentiert. Und vielleicht zwingt das Urteil aus Berlin die Öffentlichkeit, endlich ehrlich darüber zu diskutieren, wie wir uns im reichen Deutschland menschenwürdige Versorgung alter Menschen vorstellen.“ DGB-Artikel aus Faire Mobilität September 2019 externer Link
  • Pflege in Privathaushalten: Viele Überstunden, wenig Privatsphäre 
    Laut Schätzungen gibt es in Deutschland 500.000 Migrantinnen und Migranten, die pflegebedürftige Menschen zuhause betreuen. Viele sind rund um die Uhr im Einsatz und arbeiten unter prekären Bedingungen. Ein Blick auf die Zahlen und Fakten. (…) Ein weiteres Modell, das in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, ist die sogenannte „24-Stunden-Pflege“. Dabei lebt eine Pflegekraft im Haus der betreuten Person und ist rund um die Uhr in Bereitschaft. Die meisten der sogenannten „Live-ins“ kommen aus Mittel- und Osteuropa. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 beschäftigt jeder zwölfte Haushalt mit pflegebedürftiger Person eine „osteuropäische Hilfskraft“, die mit im Haus lebt. Pro Monat koste das durchschnittlich 1.800 Euro. Das Modell werde daher eher von einkommensstärkeren Haushalten genutzt, so die Autoren. Verlässliche Zahlen dazu liegen nicht vor. Ein Forschungsteam der Goethe-Universität Frankfurt geht aber davon aus, dass etwa 500.000 Migrantinnen und Migranten in Deutschland als sogenannte „Live-ins“ arbeiten. Die überwiegende Mehrheit sind Frauen, die meisten kommen aus Polen. Häufig wechseln sie sich mit der Arbeit ab: In einem Rotationssystem von zwei bis drei Monaten pendeln die Pflegekräfte zwischen Deutschland und ihrem Herkunftsland. Das erschwert es, die Zahl der „Live-ins“ genau zu bestimmen. „Live-ins“ sind durchschnittlich zehn Stunden am Tag im Einsatz. Wenn sie sich bei Beratungsstellen melden, berichten sie von zu langen Arbeitszeiten, Übermüdung, mangelnder Privatsphäre und unangemessener Unterbringung – manchmal auch von Gewalterfahrungen. Zum Teil arbeiten die „Live-ins“ undokumentiert in den Haushalten. Wer sie irregulär bei sich arbeiten lässt, macht sich zwar strafbar. Aber für die Behörden ist es schwierig, das zu kontrollieren…“ Beitrag von Joseph Bauer vom 18.07.2019 bei mediendienst-integration.de externer Link

Siehe auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=148356
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