Von Berlin nach Reutlingen, zwischen Marburg und Fulda: Rechte Gewalt nimmt zu. Das ist den Behörden bekannt. Weswegen sie auch – nichts (dagegen) tun…
„… Kocak engagiert sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus – das hat ihn offenbar zur Zielschiebe gemacht. Die Nacht zum 1. Februar 2018: Kocaks roter Smart steht in Flammen. Das Feuer droht vom Carport auf das Haus seiner Eltern überzugreifen, bei denen Kocak damals wohnt. Gerade noch rechtzeitig wacht er auf, verhindert mit einem Feuerlöscher eine Katastrophe. „Auf der einen Seite war die Gasleitung. Es hätte einen verheerenden Knall gegeben, und wenn ich nicht aufgewacht wäre, hätten wir auch ein brennendes Haus und drei Leichen.“ Zwei Tage nach der Tat erleidet Ferat Kocaks Mutter einen Herzinfarkt. Der Anschlag reiht sich ein in eine ganze Serie rechtsextremer Gewalttaten im Südosten Berlins. Insgesamt 15 Brandanschläge gab es seit Juni 2016 – fast alle auf private Autos. Die Opfer: Politiker von Linkspartei und SPD, Gewerkschafter, engagierte Bürger. Ihnen wird offen gedroht. Den mutmaßlichen Tätern aus der Neonazi-Szene sind die Sicherheitsbehörden schon seit langem auf der Spur. Als dringend tatverdächtig gelten T., ein mehrfach vorbestrafter Neonazi aus Neukölln. Sowie P., ein gewalttätiger Rechtsextremist aus der Hooligan-Szene. Kontraste zugespielte Dokumente zeigen, wie intensiv Verfassungsschutz und Polizei T. und P. beobachten. Sie zeigen aber auch schwere Versäumnisse. Denn trotz vieler Hinweise, dass Ferat Kocak in Gefahr ist, wird er nicht gewarnt…“ – aus dem Beitrag „Warum das Opfer eines rechten Brandanschlages nicht von der Polizei vorgewarnt wurde„ von Jo Goll und Markus Pohl am 21. März 2019 beim RBB Online über den vielleicht bekanntesten, aber wie auch aus dem Text hervor geht, keineswegs einzigen Fall von Gewalttaten in Berlin und der polizeilichen Duldung der Umtriebe. Siehe dazu auch einige weitere Berichte aus einem Zeitraum von 9 Tagen über größere und kleinere „Zwischenfälle“ und immer wieder auch über die Duldung solcher Gewalttaten und Drohungen durch die zuständigen Behörden:
„Staatsversagen? Läuft.“ Von Claudia Krieg am 21. März 2019 in neues deutschland zum Umfang der Untätigkeit, die man auch als Staatswirken bezeichnen könnte: „Im Fall der Serie von rechten Brandanschlägen im Berliner Bezirk Neukölln im vergangenen Jahr gibt es neue Vorwürfe gegen Berliner Sicherheitsbehörden. Auch das Landeskriminalamt (LKA) wusste über die Angriffspläne Bescheid, meldet das rbb-Magazin »Kontraste«. Zuvor war dies nur über den Verfassungsschutz bekannt. Trotz der monatelangen Beobachtung der rechtsextremen Täter durch die Sicherheitsbehörden, war es ihnen gelungen, gezielt Menschen gewalttätig zu attackieren, die sich gegen rechte Aktivitäten engagieren…“
„9 mm für Engagierte“ von Malene Gürgen am 19. März 2019 in der taz berichtet: „„Rote Sau“ oder „Du linke Ratte“, dazu jeweils Vor- und Nachname des Opfers: Mit diesen an Hauswänden oder in Treppenhäusern angebrachten Schriftzügen bedrohten mutmaßlich rechtsextreme Täter im Winter 2016/2017 in mehr als 20 Fällen Personen, die sich gegen rechts engagieren. Jetzt sind die Schriftzüge wieder da, nur noch drastischer: Vor dem vollständigen Namen der jeweiligen Person – den die taz aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht veröffentlicht – stehen die Worte „9 mm für“. Morddrohung und Mordaufruf zugleich. Vier solcher Drohungen wurden nach Informationen der taz in der Nacht auf den vergangenen Samstag an Privatadressen angebracht, alle in Nordneukölln oder direkt angrenzend. Bei den Opfern handelt es sich zum Teil um Personen, die schon mehrmals von mutmaßlich rechtsextremen Angriffen an ihrer Privatwohnung betroffen waren. Sowohl die Auswahl der Opfer als auch die Art der Bedrohungen lässt nicht nur den Rückschluss zu, dass die Taten mit den früheren Schmierereien in Zusammenhang stehen, sondern auch, dass diese Bedrohungen Teil der aktuellen rechtsextremen Angriffsserie sind, die Neukölln seit Mai 2016 erschüttert und zu der auch Brandanschläge gehören. (…) Die letzten mutmaßlich zur Serie gehörenden Brandanschläge gab es im Februar 2018. Wie im Januar veröffentlichte Recherchen der taz zeigen, hatte der Verfassungsschutz damals nach eigener Aussage schon vor dem Anschlag Kenntnis darüber, dass das spätere Opfer von zwei bekannten Neuköllner Rechtsextremen ausspioniert wurde. Warum dennoch weder die Taten verhindert noch die Täter gefasst wurden, ist bis heute unklar…“
„Psychoterror vor Gericht“ von Markus Bernhardt am 21. März 2019 in der jungen welt zum rechten Psycho-Terror in Fulda: „Am heutigen Donnerstag beginnt vor dem Amtsgericht Fulda ein Prozess gegen den ehemaligen AfD-Politiker Toni R. Der 36jährige ist wegen falscher Verdächtigung und Missbrauchs von Notrufen angeklagt. Zum Tatzeitpunkt war der aus Künzell stammende R. Mitglied des Kreisvorstandes der AfD Fulda, zugleich auch Kreisvorsitzender des Jugendverbandes der Partei, der »Jungen Alternative« (JA), und Mitglied des hessischen JA-Landesvorstandes. Das Opfer des Psychoterrors, für den der ehemalige AfD-Mann verantwortlich sein soll, ist Andreas Goerke, Vorsitzender des 2014 gegründeten antifaschistischen Vereins »Fulda stellt sich quer«. Seit Jahren rufen Aktive von »Fulda stellt sich quer« zu Demonstrationen und Kundgebungen auf, die sich gegen die extreme Rechte und die völkisch-nationalistische AfD richten. Aufgrund seines andauernden Engagements geriet Goerke, der als Gewerkschaftssekretär bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) tätig ist, ins Visier der Rechten. Seit dem Frühjahr 2017 wurden er und seine Angehörigen Opfer wiederholter Einschüchterungen. So erreichten die Familie anonyme Morddrohungen, die gegen den minderjährigen Sohn gerichtet waren. Auch folgten Drangsalierungen von Goerkes Ehefrau, Telefonterror sowie Feuerwehreinsätze am Haus der Familie…“
„Zeuge angegriffen, aber entschlossen zur Aussage“ von Lotte Laloire am 21. März 2019 in neues deutschland zur Prozessführung der Faschisten: „»Wage es ja nicht, H. und L. reinzuziehen. Du hast der AfD schon genug geschadet, Verrätersschwein.« Mit diesen Worten sollen zwei maskierte Männer kurz vor Prozessbeginn gegen ein ehemaliges Vorstandsmitglied der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative einen wichtigen Belastungszeugen bedroht haben. So schilderte es das Überfallopfer dem lokalen Nachrichtenportal move36.de. Der 44-Jährige sagte, er sei am Dienstag wie jeden Abend gegen 19 Uhr mit seinem Hund spazieren gegangen. Als er durch einen Bereich lief, wo rechts und links Büsche standen, hätten ihn plötzlich zwei Männer, die er nicht erkennen konnte, attackiert und zu Boden gedrückt. Passanten fanden kurz darauf den leicht Verletzten und verständigten die Polizei. Dort gab der Zeuge auch die folgende Drohung der Angreifer zu Protokoll: »Wenn Du aussagst, schnappen wir deine Frau.« Die Polizei bestätigte, dass der Mann als Zeuge in dem Gerichtsverfahren geladen sei, das am Donnerstag vor dem Amtsgericht Fulda beginnen würde…“
„Busfahrer in Marburg attackiert – fremdenfeindlicher Hintergrund vermutet“ am 21. März 2019 bei der FR Online ist eine inzwischen fast schon alltägliche Meldung: „Ein Fahrgast hat am Donnerstagmorgen in Marburg einem Busfahrer Reizgas ins Gesicht gesprüht und diesen damit verletzt. Anschließend flüchtete er zu Fuß. Der 34-Jährige Busfahrer sei in eine Klinik gebracht worden, teilte die Polizei mit. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund bei der Attacke auf den Busfahrer sei nicht auszuschließen. Der Täter habe bei der Attacke auf den Deutschen mit ausländischen Wurzeln eine rechtsradikale Parole gerufen, bevor er flüchtete, hieß es…“
„Hetze gegen Lehrerin – Wie Rechte eine Grundschule bei Reutlingen terrorisieren“ von Max Biederbeck am 20. März 2019 bei watson.de berichtet von der Alb: „Am Freitagmittag erreichen die ersten Hass-Mails die Uhlandschule im baden-württembergischen Wannweil. Darin stehen neben heftigen Beleidigungen auch Anschuldigungen und Drohungen. Einmal heißt es etwa: „Ich komme am Montag in deinem Unterricht vorbei, dann wirst du schon sehen“. Die Schreiben zielen auf die Leitung der Grundschule sowie eine evangelische Religionslehrerin. 2016 hatte sie ihren Schülerinnen und Schülern in einer Klassenarbeit eine Erörterungs-Frage gestellt. „In deiner Straße soll eine Mosche gebaut werden. Was ist deine Meinung? Begründe“. Zwei Punkte gab es für eine Antwort. Außerdem sollten die Schüler in dem Test unter anderem die Begriffe Koran und Allah erklären sowie die fünf Säulen des Islams auflisten. Drei Jahre später hat die rechtsexteme Plattform PI-News den Test für ihre Zwecke entdeckt. Ein aufgebrachter Vater, so glauben sie in Wannweil bei Reutlingen, hatte die Fragen an das Portal geschickt. Dort werden User immer wieder um solche angeblich ideologisch gefärbten „Hinweise“ gebeten. Eine Vorgehensweise, die auch die AfD kopiert hat…“
„Wachsende Militanz“ von Steve Hollasky am 13. März 2019 in der jungen welt über eine überall vorhandenes, in Sachsen besonders starkes Phänomen: „… Seit nunmehr vier Jahren lebt Annalena Schmidt in Bautzen. Die gebürtige Hessin protokolliert im Internet rechte Vorfälle in der ostsächsischen Stadt. Als Anmelderin antirassistischer Demonstrationen geriet die heute 32jährige schnell ins Visier örtlicher Neonazis. Am 7. März erhielt Schmidt einen Anruf, bei dem ihr damit gedroht wurde, sie zu vergiften, damit sie »langsam und qualvoll« sterbe, wie sie selbst auf ihrem Blog schrieb. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz in der Angelegenheit. Die Bedrohung von Annalena Schmidt scheint ein Symptom zu sein für die in der Region wachsende Gefahr, welche von der organisierten Rechten ausgeht. Erst kürzlich warnte Frank Nürnberger, Leiter des brandenburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz, gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Sonnabendausgaben) vor im Nahkampf geübten rechten Schlägern: »Wir registrieren als Verfassungsschutz eine zunehmende Bereitschaft in der rechtsextremistischen Szene, gezielt für gewalttätige Auseinandersetzungen etwa mit dem politischen Gegner zu trainieren.« Was Naumburger umtreibt, sind rechte Kampfsporttreffen wie das »Tiwaz-Festival«. Dabei sind die Neonaziwettkämpfe beileibe keine neue Erscheinung. Antifaschistische Initiativen warnen schon seit längerem vor der sich verstärkenden Gewaltbereitschaft. Und auch in bürgerlichen Medien ist das Thema präsent. So widmete beispielsweise das ARD-Magazin »Monitor« einen größeren Teil der Sendung vom 25. Oktober 2018 der Rolle des Kampfsportes in der rechten Szene…“
„Fast 2000 Straftaten gegen Asylbewerber“ am 16. März 2019 in der SZ Online ist eine dpa-Meldung, die unter anderem besagt: „Beinahe 2000 Straftaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerberunterkünfte haben die Behörden im vergangenen Jahr registriert. Die Taten reichen von Beleidigung über Sachbeschädigung bis hin zu gefährlicher Körperverletzung und Mord. (…) Insgesamt 315 Menschen wurden verletzt…“
„Neonazis als bloß „abstrakte“ Gefahr?“ von Martin Steinhagen am 18. März 2019 in der FR Online zum Tätigkeitsnachweis der Behörde: „Die Parole war als Provokation gedacht: „Trotz Verbot nicht tot“. So tönten deutsche Anhänger des internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ (B&H) nachdem das Bundesinnenministerium führenden Kadern am 12. September 2000 die Verbotsverfügung zugestellt hatte. Die Bundesregierung gibt ihnen nun gewisser Weise Recht. Es sei davon auszugehen, dass „B&H auch mehr als 18 Jahre nach dem Verbot über einen nicht zu unterschätzenden Bekanntheits- (und Beliebtheits-)grad in der Szene verfügt“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner, die der Frankfurter Rundschau vorliegt. Auch von Hinweisen auf „neu entstehende (über-)regionale Strukturen“ ist die Rede. (…)Aus Zahlen der Bundesregierung wird deutlich, dass „B&H“ die Behörden nicht gerade selten beschäftigt: Seit Februar 2017 waren 21 Vorgänge mit B&H-Bezug im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Thema, den Angaben zufolge zuletzt am 30. Januar dieses Jahres. Vor diesem Hintergrund überrascht, dass die Bundesregierung zugleich mitteilt, dass „eine valide Aussage zum Gefährdungspotential bei der derzeitigen Erkenntnislage nicht möglich“ sei, aber „zumindest eine abstrakte Gefährdung anzunehmen ist“. Straftaten einzelner Sympathisanten seien „insbesondere vom Grad individueller Radikalisierung abhängig“. Zu Kontakten zu Rechtsterroristen im In- und Ausland lägen der Bundesregierung „lediglich einzelne Erkenntnisse über Kennverhältnisse“ vor. Wie viele Ermittlungsverfahren in den Bundesländern einen Bezug zu der verbotenen Gruppe aufweisen, kann die Bundesregierung nicht sagen: Es fehle an Recherchemöglichkeiten im Statistiksystems des Bundeskriminalamts…“
„Vereint im Hass“ von Birgit Gärtner am 12. März 2019 bei telepolis versucht sich an einer Skizze der faschistischen Umtriebe in Deutschland und fasst im letzten Teil ihrer ausführlichen und ausgesprochen hinterfragbaren Darstellung zusammen: „Der Kampf gegen Rechtsextremismus kann nur ein Kampf gegen alte und neue Nazis und gegen türkische Faschisten sowie religiöse Extremisten sein. Fast 30 Jahre haben wir Zeit gehabt, eine wirksame Strategie gegen die Ausbreitung des Rechtsextremismus und vergleichbarer Ideologien zu entwickeln. In dieser Zeit konnte die Szene sich, wenn auch nicht ungestört, so doch ausbreiten. Es gibt heute rein zahlenmäßig mehr Nazis als 1990, die Szene konnte sich diversifizieren, von Stiefelnazis und Hooligans über völkische Siedler, Reichsbürger, Prepper, bis hin zu biederen NPD-Abgeordneten wird alles geboten, sie konnten eindringen in so ziemlich alle Bereiche unserer Gesellschaft. Auch an neuralgische Punkte, davon zeugen die aktuellen Enthüllungen über rechtsextremes Gedankengut bei der Polizei oder Neonazi-Netzwerke bei der Bundeswehr. Rechtsextreme haben Fuß gefasst im Bereich Sicherheit; Rechtsextreme beim Wachschutz sind keine Seltenheit, so erlangen sie Zugang zu Asylunterkünften, aber auch zu Einrichtungen der Bundeswehr. Sowohl der NSU-Skandal als auch der gescheiterte Versuch, die NPD verbieten zu lassen, brachten die Erkenntnis zutage, wie tief der Staat auf vielfältige Weise in die Szene verstrickt ist…“