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Hollande und Macron töteten seinen Vater. Édouard Louis ruft in seinem neuen Buch die strukturelle Gewalt der Klassengesellschaft in Erinnerung

Édouard Louis: Wer hat meinen Vater umgebracht. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019Es sind Sätze, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: »Jacques Chirac und Xavier Bertrand machten deinen Darm kaputt«, »Nicolas Sarkozy und Martin Hirsch haben dir das Rückgrat gebrochen« und »Hollande und El Khomri haben dir die Luft genommen«. Und selbstverständlich bekommt auch der aktuelle französische Präsident sein Fett weg: »Emmanuel Macron stiehlt dir das Essen direkt vom Teller.« Édouard Louis‘ neues Buch »Wer hat meinen Vater umgebracht« nennt Ross und Reiter; es ist das literarische Antlitz der Gelbwesten-Proteste. Die genannten französischen Politiker seien für die Zerstörung des Körpers seines Vaters verantwortlich, so Louis. Präsident Chirac und sein Gesundheitsminister Bertrand streichen 2006 die Erstattung für Medikamente gegen Verdauungsstörungen, was gravierende Folgen für den Vater Louis‘ hat. Durch einen Arbeitsunfall an das Bett gefesselt, ist er auf diese Medikamente angewiesen. Nun muss er sie von dem ohnehin zu knappen Geld selbst bezahlen. In der Regierungszeit von Sarkozy wird die Sozialhilfe durch das RSA (»Einkommen für aktive Solidarität«) ersetzt. Ähnlich wie beim deutschen Hartz IV werden Menschen gedrängt, auch unzumutbare Arbeiten aufzunehmen. Als Straßenfeger muss sich der Vater für 700 Euro im Monat krumm machen – trotz seiner ruinierten Wirbelsäule. Hollande und seine Arbeitsministerin El Khomri lassen 2016 eine Novelle des Arbeitsrechts verabschieden. Nun kann der Vater gezwungen werden, jede Woche noch ein paar Überstunden abzuleisten. Schließlich kürzt Macron die Wohnungsbeihilfe um fünf Euro. Begründung der Regierung: Fünf Euro seien doch unerheblich. »Sie haben keine Ahnung«, kommentiert Louis. Der 26-jährige französische Autor räumt sein Motiv für das neue Buch freimütig ein: »Ich möchte ihre Namen in die Geschichte einschreiben, das ist meine Rache.«…“ Besprechung von Guido Speckmann in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis – Nr. 646 vom 19.2.2019 externer Link von Édouard Louis: Wer hat meinen Vater umgebracht. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019 externer Link. Siehe auch:

  • [Rezension] Wer hat meinen Vater umgebracht New
    „Der zerstörte alte, weiße Mann: Edouard Louis auf den Spuren Didier Eribons. Er erkennt im geschundenen Körper des Vaters den Niedergang des Industrieproletariats. Eigentlich müsste am Ende des Buchtitels ein Fragezeichen stehen. Doch Édouard Louis hat keine Frage. Seine knapp 80-seitige autobiographische Schrift »Wer hat meinen Vater umgebracht« ist ein gewaltiges Ausrufezeichen, ein wütender Schrei. Der junge aufstrebende Schriftsteller aus Paris richtet sich darin direkt an seinen Vater, einen Arbeiter aus Nordfrankreich. Dieser lebt zwar noch, er ist gerade mal über Fünfzig, doch sein Körper ist zerstört, buchstäblich kaputt geschuftet. (…) Nun geht Louis den Verhältnissen auf dem Grund, die seinen Vater zu dem gemacht haben, der er heute ist. Anhand der Krankheitsgeschichte des Vaters zeigt er auf, dass politische Entscheidungen auf Kosten der Armen konkrete Auswirkungen haben. (…) Louis nutzt das Mittel der Personalisierung, um sichtbar zu machen, was sonst hinter abstrakten Zahlen und Armutsgefährdungsquoten verschwimmt. Durch die Zuspitzung möchte er Strukturen offenlegen und die strukturelle Gewalt der Klassengesellschaft beschreiben. Der zerstörte Leib des Vaters ist eine Chiffre für den Niedergang der Arbeiterklasse. Durch die dichte Collage an wirkungsvollen Bildern gelingt es Louis, den Zusammenhang von Männlichkeit, Gewalt und Armut eindrücklich zu verdeutlichen. Die Sprache ist gradlinig, drastisch, radikal. Am Ende des Buchs überrascht der Vater mit einer veränderten politischen Einstellung. Jahrelang hat der Vater »den Ausländern« und »den Homosexuellen« die Schuld an allem gegeben. Plötzlich aber kritisiert er den Rassismus in Frankreich und will mehr von dem Mann wissen, den Louis liebt…“ Rezension von Sebastian Friedrich vom 6. Mai 2019 bei Blickpunkt WiSo externer Link – „Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Edouard Louis erschien in 4. Auflage Januar 2019 beim S. Fischer Verlag zum Preis von 16 Euro (80 Seiten)
  • Rache nehmen – »Wer hat meinen Vater umgebracht«: Édouard Louis und der Krieg gegen die Armen 
    „Der 1992 im Norden Frankreichs geborene Schriftsteller Édouard Louis hat nun bereits sein drittes literarisches Werk vorgelegt, welches dieser Tage in deutscher Übersetzung erschienen ist. Wie auch in »Das Ende von Eddy« (2014) und »Im Herzen der Gewalt« (2016) widmet er sich in »Wer hat meinen Vater umgebracht« einem Ausschnitt des durch die Gewalt des Sozialen geprägten eigenen Lebens. In Frankreich hat sich unter anderen mit Annie Ernaux und Didier Eribon in den letzten Jahren eine neue Art autobiographischen Schreibens etablieren können, in der individuelle Erlebnisse als gesellschaftliche Erfahrungen dargestellt werden. Das Individuum wird entmystifiziert, um dessen Abhängigkeit, Unterworfensein und Verflochtenheit in bezug auf die Gesellschaft zu zeigen. Dieser kritischen Methode bedient sich auch Louis. Er schreibt über seinen Vater als einen exemplarischen Fall, einen Menschen, dessen gesellschaftliches Schicksal mit dem zahlreicher anderer verbunden ist. Und der nicht für sich sprechen kann, der zu den »Anteil­losen« (Jacques Rancière) gehört, zu den unteren Klassen. Louis spricht für seinen Vater, mit ihm sprechen kann er nicht, wie er gesteht – ein verhindertes Zwiegespräch, ein Dialog, der nur literarisch möglich ist. Das ist nicht die schlechteste Aufgabe, die der Literatur zukommen kann. Jemandem eine Stimme zu leihen, ist eben auch eine Tugend. »Literatur muss kämpfen – für all jene, die selbst nicht kämpfen können«, sagt der junge Schriftsteller. Sein Vater ist krank, sein Körper zerfällt. Ein Arbeitsunfall hat seine Wirbelsäule zerstört. Das Liegen und die schlechte Ernährung haben seinen Bauch kaputtgemacht. Die Lungen versagen. »Du bist gerade mal über fünfzig. Du gehörst zu jener Kategorie von Menschen, für die die Politik einen verfrühten Tod vorgesehen hat.« Louis beschreibt, wie die Medikamentenunterstützung unter der Regierung von Jacques Chirac gestrichen wurde. Wie die Sozialhilfe unter der Regierung von Nicolas Sarkozy, der gegen die Bezieher von Unterstützung hetzt, abgeschafft wurde, um selbst noch die Invaliden in Lohnarbeit zu drängen. Wie François Hollandes Arbeitsministerin Myriam El Khomri es Unternehmen erleichtert hat, Arbeiter zu Überstunden zu zwingen. Wie Emmanuel Macron Menschen, die sich keinen Anzug leisten können, in aller Öffentlichkeit als »fainéants« (abwertend für Faulenzer) verspottet. Es gibt viele Weisen, einen Menschen umzubringen, schrieb Bertolt Brecht einmal. Die meisten davon sind nicht verboten. Sie bestehen aus Unterlassung. Wer hat meinen Vater umgebracht? Louis ist um eine präzise Antwort nicht verlegen, er nennt die zuvor aufgeführten Politiker Mörder in einem Krieg gegen die Armen…“ Rezension von Jakob Hayner in der Literaturbeilage der jungen Welt vom 21. März 2019 externer Link – „Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Édouard Louis
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=144941
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