Lohnarbeit macht unfrei. Elizabeth Anderson: „Private Regierung“
„Als Arbeitnehmer verzichten wir auf einen Teil unserer republikanischen Freiheiten, meint die politische Philosophin Elizabeth Anderson. Ihre Kritik der Lohnarbeit in den USA trifft auch auf Arbeitsbedingungen in Europa zu. Private Regierung“ – der Titel klingt paradox, denn normalerweise bezeichnet das Wort „Regierung“ eine sehr öffentliche Angelegenheit. Nicht so bei Elizabeth Anderson. Die US-amerikanische Professorin für Philosophie, die sich vor allem mit Theorien über Gleichheit einen Namen gemacht hat, definiert „private Regierung“ als eine willkürliche, nicht rechenschaftspflichtige Herrschaft über andere, und sie sieht diese Form der Regierung fast überall am Werk, wo wir in Lohnarbeit stehen. (…) Heute tragen wir meist nicht mehr Produkte, sondern unsere Arbeitskraft zu Markte. Zu behaupten, diese Arbeit sei ein beliebiges Gut – wie Brot oder Stoff – sei pure Ideologie, meint Anderson, denn „indem Arbeitgeber die Verfügung über Arbeit kaufen, kaufen sie die Verfügung über Menschen“. Diese Verfügung ist „private Regierung“. Anderson belegt ihre Aussagen vor allem mit Beispielen aus den USA: Dort verbietet die Handelskette Walmart den Mitarbeiterinnen persönliche Gespräche am Arbeitsplatz. Amazon entzieht sich der Haftung für gesundheitliche Schäden seiner Angestellten. Die Geflügelfirma Tyson hinderte ihre Arbeiter daran, während der Schicht auf die Toilette zu gehen. (…) In der Lohnarbeit steckt – strukturell – eine Beschränkung dessen, was Anderson die „republikanische Freiheit“ nennt, also die Freiheit, nicht beherrscht zu werden.“ Buchbesprechung von Andrea Roedig vom 11.02.2019 beim Deutschlandfunk Kultur von Elizabeth Anderson: „Private Regierung“ beim Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. Siehe dazu auch:
- Elizabeth Anderson: „Private Regierung“ – Wie Arbeitgeber über ihre Beschäftigten herrschen
„Die Sozialphilosophin Elizabeth Anderson sägt an den Grundfesten des Wirtschaftsliberalismus. In ihrem jüngsten Buch zeigt sie auf, wie Arbeitgeber als eine Art „private Regierung“ willkürliche Herrschaft über ihre Mitarbeiter ausüben können. m amerikanischen Pennsylvania betreibt der Versandhändler Amazon eines seiner Warenlager. Während einer Hitzewelle vor einigen Jahren stieg die Innentemperatur über 39 Grad Celsius. Die Lagerarbeiterinnen baten darum, wenigstens das Tor zur Laderampe öffnen zu dürfen, um frische Luft hereinzulassen. Nein, sagte das Management, bei offener Laderampe könne es zu Diebstählen kommen. „Stattdessen ließ Amazon Rettungswagen vorfahren, die diejenigen Arbeitskräfte in Empfang nehmen sollten, die zusammenbrechen würden. Wenn sie tatsächlich zusammenbrachen, bekamen sie Minuspunkte und wurden gefeuert, wenn sie zu viele davon anhäuften.“ So berichtet es Elizabeth Anderson in ihrem Buch „Private Regierung“ und fügt zahllose weitere Beispiele an, wie Arbeitskräfte rücksichtslos gegängelt und ausgebeutet werden. In den Vereinigten Staaten sagt die Hälfte der Beschäftigten, ihnen sei schon einmal Lohn grundlos vorenthalten worden. Zwei Drittel fürchten Sanktionen, wenn sie Verletzungen oder Krankheit melden. Es geht Elizabeth Anderson nicht darum, mit solchen Statistiken Empörung zu schüren. Vielmehr wundert sich die Philosophin darüber, warum sich sonst niemand wundert. „Warum erkennen wir einen solch allgegenwärtigen Teil unserer sozialen Verhältnisse nicht als das, was er ist? Stattdessen reden wir so, als ob Arbeitnehmer von ihren Vorgesetzten nicht beherrscht werden. Warum sprechen wir, als ob sie bei der Arbeit frei sind und die einzigen Gefahren für unsere individuelle Freiheit vom Staat ausgehen?“…“ Rezension von Matthias Becker vom 6. Mai 2019 beim Deutschlandfunk (Audiolänge: 6:17 Min., abrufbar bis zum 19. Januar 2038) – Elizabeth Anderson’s „Private Regierung. Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen (und warum wir nicht darüber reden)“, übersetzt von Karin Wördemann, erschien im Suhrkamp Verlag zum Preis von 28 Euro (259 Seiten).