Generalstreik 1948: Der Mythos der Bundesrepublik

Politischer StreikLudwig Erhard wird zu Unrecht als Vater der Sozialen Marktwirtschaft verehrt, sagt der Historiker Uwe Fuhrmann. Entscheidend für ihre Entstehung war vielmehr der bislang letzte deutsche Generalstreik. (…) Am 20. Juni 1948 war eine Währungsreform in Kraft getreten, die mit einer Abwertung der Sparguthaben einherging. Die Löhne wurden nicht erhöht, sie waren gesetzlich eingefroren. (…) Zunächst waren das spontane Artikulationen von Unmut: Kartoffelschlachten, zerstörte Eierstände. (…) Dann wurde eine Gewerkschaftskampagne initiiert: »Herunter mit den Preisen«. (…) Dann folgten Mitte und Ende Oktober riesige regionale Demonstrationen, vor allem in Mannheim, Bremen und Stuttgart. Daraufhin und unter internem Druck, haben die Gewerkschaftsbünde den Generalstreik beschlossen. Und der war dann wie gesagt an einem Freitag, dem 12. November, begrenzt auf einen Tag. Er war als Arbeitsruhe konzipiert, die Gewerkschaften haben ihren Gliederungen vorgegeben, dass es weder Streikposten noch Kundgebungen noch Demonstrationen geben durfte. (…) es gab kommunistische Betriebsräte, denen wollte man keine Plattform bieten. Ich würde darüber hinaus ergänzen, dass es Ziel und Selbstverständnis der Gewerkschaftsleitungen war, auf Augenhöhe zu verhandeln. Dafür brauchten sie Druck, wollten aber das Heft des Handelns auch in der Hand behalten. (…) Über den konkreten Auseinandersetzungen lag eine ganz grundsätzliche Diskussionen um die Ausrichtung der Wirtschaft im entstehenden Weststaat. Die Gewerkschaften sahen sich selbst als Akteur, der die neue Gesellschaft mit aufbaut. Dazu gehörte für sie Mitbestimmung, Sozialisierung von Schlüsselindustrien und das Ganze war verknüpft mit einem diffusen Wirtschaftsdemokratiebegriff. (…) Übertragen wir neun Millionen Streikende von zwölf Millionen Beschäftigten insgesamt im Jahr 1948 auf den Euro-Raum: Wenn hundert Millionen Erwerbstätige für die Sozialisierung von wichtigen Industrien, höhere Löhne und eine andere Wirtschaft streiken würden, dann – da bin ich mir sicher – würden wir das soziale Europa kriegen, von dem zum Beispiel viele Gewerkschafter träumen…“ Interview von Nelli Tügel vom 10.11.2018 beim ND online externer Link

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