Die „Schuld“ der Griechen an der Finanz- und Eurokrise
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 16.8.2018
Franziska Augstein nimmt sich am 10.8.18 in ihrer Kolumne „Augsteins Welt“ (https://augstein.org/2018/08/09/schul%c2%addi%c2%adger-schuld%c2%adner/ ) eine „Schlüsselstelle“ des Opus magnum von Stephan Schulmeister „Der Weg zur Prosperität“ vor (S. 32 ff.): Die Schuld der Griechen an der Eurokrise!
Die Griechen gelten bei vielen als „faul“ (bzw. sie wurden durch eine großflächige Kampagne vor allem aus Deutschland in der Eurozone dazu gemacht). Diese Annahme beruht auf Statistiken für die Eurostat nicht verantwortlich zeichnet. Weil die EU-Kommission – ideologisch von Deutschland dominiert – aber Ergebnisse sehen wollte, auf deren Grundlage sie – die in ihren Augen „richtige“ – Politik machen konnte, hat sie Leute bemüht, die Ökonometrie betreiben.
Die EU-Kommission wollte wissen: Wie hoch war das strukturelle Defizit Griechenlands? Anders gesagt: Wie sehr ist Griechenland selbst „schuld“ an seiner Misere? Was dabei herauskam, hat der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister in seinem Buch “ Der Weg zur Prosperität“ (https://vimeo.com/274022470 ) scharf kritisiert.
Die Ökonometrie ist eigentlich die Kunst, wirtschaftstheoretische Hypothesen statistisch daraufhin zu untersuchen, ob sie plausibel sind. Im Falle Griechenlands, so Schulmeister, sei aber die wirtschaftliche „idealistische“ Ideologie des Neoliberalismus in diese mathematischen Modelle hineingerechnet worden. Dabei handelt es sich – was bei Franziska Augstein nicht so genau repliziert wird, um einen höchst politischen Vorgang der Leugnung der politischen und ökonomischen Krisenursachen für die Finanzkrise 2008 ff. – deshalb versäumte man auch grobfahrlässig die Regulierung des Finanzmarktes (siehe dazu auch Axel Troost und Renald Ötsch „Chance vertan“ – 10 Jahre nach der Finanz-Krise eine unzureichenden Regulierung: https://www.rosalux.de/publikation/id/39182/chance-vertan/ ) und benötigte damit die Schuldzuweisung an einen möglichst „schwachen“ Schuldner. Deshalb sei – um die Ungeheuerlichkeit dieses schäbigen Vorgangs der EU zu kennzeichnen – hier Schulmeister neben Franziska Augstein auch noch ausführlicher zitiert (S. 32 f.): Die Griechen sind schuld. Im März 2009 war der Absturz der Aktien zum Halten gekommen – und ein neuerlicher Boom begann. (siehe die Abbildungen bei Schulmeister selbst). Dies erleichterte es einerseits den Eliten selbst, den Schrecken dieses Wirtschaftseinbruches zu verdrängen – aber andererseits lastete auf diesen Eliten ein Schuldgefühl: Hatten nicht ihre Finanzmarkt-Deregulierungen das Treiben auf den Finanzmärkten begünstigt, das Millionen den Job und die Staaten Billionen an Rettungsgeldern (von den Steuerzahlern) kostete. (Vgl. dazu gerade auch noch die Seite 2 oben bei https://www.labournet.de/?p=135403 = Nachdenkseitenlink)
Jetzt brauchte es also einen Schuldigen, der ins neoliberale Weltbild passte. Was heißt hier also neoliberales Weltbild?
Nicht Marktprozesse (was bei einer Finanzmarktkrise eigentlich nahegelegen hätte), sondern die Politiker müssen entsprechend diesem Weltbild versagt haben – und im Oktober 2009 war der passende Schuldige gefunden. (Vgl. auch Schulmeister, Seiten 32 unten f. und 41 – nebst den ausführlichen Kapiteln 11 und 12) Dabei wurde dann doch zunächst nur ganz pragmatisch die Staatspleite von Griechenland vermieden, wie Rudolf Hickel erklärt.
Gegen die marktradikale Obsession von der Befreiung eines Krisenlandes aus eigener Kraft – Schäubles „Grexit“ – lehrt jetzt die Erfahrung: Die Herausnahme aus den Finanzmärkten durch Rettungspakete ist – zunächst – richtig.
Aber die Rettungschancen sind dann durch das Diktat der gesamtwirtschaftlich zerstörerischen und vor allem Armut schaffenden Austeritätspolitik behindert worden. (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/griechenland–wieder-abhaengig-von-den-finanzinvestoren.de ) Und durch diese Austeritätspoitik wurde nicht nur Armut geschaffen, sondern auch noch die politischen Verhältnisse „umgestürzt“ durch das Erstarken populistischer Parteien. (Siehe vor allem die Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=135403)
Die Troika-Strategie des Heraussparens aus der Krise musste scheitern.
Die durch die Geldgeber aufoktroyierte Strategie des Heraussparens aus der Krise ist jämmerlich gescheitert, weiß auch Rudolf Hickel. Die drei Rettungspakete mit dem insgesamt ausbezahlten Betrag von über 276 Milliarden Euro konnten die Gläubiger befrieden, Denn der Großteil der Mittel ist für die Tilgung und vor allem die Zinszahlungen draufgegangen. Für den Misserfolg der ökonomischen Sanierung Griechenlands verantwortlich ist der durch die Troika oktroyierte Zwang zur Austeritätspolitik. (Vgl. Ulrike Herrmann in der TAZ auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=135403) Rudolf Hickel verweist hier auch auf Stephan Schulmeister, der in seinem jüngsten Buch dies nachgerechnet hat: Von 2008 bis 2016 sind die Staatsaugaben um 30 % gekürzt worden. Das heißt Abbau des öffentlichen Dienstes, Lohnkürzungen, Reduktion sozialer Leistungen bis hin zur medizinischen UNterversorgung. (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/griechenland–wieder-abhaengig-von-den-finanzinvestoren.de )
Und dazu kamen noch die Privatisierung nach dem Rosinenpicker-Prinzip für Investoren aus dem Ausland.
So ist durch dieses Spardiktat die Wertschöpfung der privaten Unternehmen seit 2007 um knapp 38 Prozent geschrumpft. Getroffen hat das insbesondere die Kleinstunternehmen, die 60 % zur Wertschöpfung beigetragen hatten. Heute leben ein Drittel in Griechenland in Armut, resümiert Rudolf Hickel noch einmal. (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/griechenland–wieder-abhaengig-von-den-finanzinvestoren.de )
Wie perfide die EU-Kommission mit einer „strukturellen Arbeitslosigkeit“ hantiert, um die Spar-Ideologie zu „untermauern“.
Nach diesem tiefer erklärenden Zwischenschritt kann ich wieder zur Darstellung von Franziska Augstein in der Süddeutschen „Schuldiger Schuldner“ zurückkehren (https://augstein.org/2018/08/09/schul%c2%addi%c2%adger-schuld%c2%adner/ ).
Für nachgerade perfide hält Stephan Schulmeister, wie bei der EU-Kommission dann mit Arbeitslosen – fest ideologisch eingeordnet – umgegangen wird. Es wird – damit es ideologisch wieder in die Effizienz der Marktidelogie passt – unterschieden zwischen „strukturell“ Arbeitslosen und echten Arbeitslosen. Strukturell arbeitslos sind alle, die nicht arbeiten können oder „freiwillig“ arbeitslos sind. (landläufig nennt man das „faul“). Schulmeister legt jetzt dar, wie die Zahl dieser sogenannten strukturell Arbeitslosen aufgebläht wurde.
Als Teil des hierfür maßgeblichen – immer wieder neoliberalen – Konzeptes wird einfach angenommen, dass flexible Arbeitsmärkte (so haben sie eben aus sich heraus zu sein!) jeden durch „Schocks“ verursachten Anstieg der Arbeitslosigkeit – wieder allein aus sich heraus als eben „effiziente“ Märkte – rasch korrigiernen. Daraus folgt für die EU: Wenn die Arbeitslosigkeit hoch bleibe oder gar weiter steige, dann muss – aus dieser radikalen „idealistischen“ Marktideologie nur in sich logisch und daher folgerichtig – sie eben strukturell sein…
Diese aufgrund der – mit mathematischen Formeln untermauerten – „neoliberalen Annahme, der Markt werde schon alles richten, weil ja die Marktteilnehmer rein rational sind, bleibt eben die an keiner Realität geprüfte Grundannahme. (= also wohl nur ideologisch?) Die Folgen bleiben immer noch drastisch. (https://www.labournet.de/?p=136069)
Viele jüngere Ökonomen glauben das schon nicht mehr, aber in der EU-Politik gegenüber Griechenland bei der Berechnung des strukturellen Defizits schlug diese Annahme offenbar noch voll zu Buche…
Aber Franziska Augstein will aus Schulmeisters Buch demnächst noch mehr an dieser Stelle erzählen – einfach weil Schulmeister Neoliberale für „Idealisten“, die sich für die Realwirtschaft und und reale Menschen weniger interessieren als für ihre Theoreme. (die dennoch auch für spezielle Menschen von „Vorteil“ sind – nämlich die Reichen… und gegen alle Armen…, was diese abstrakten Theoreme „verschweigen“.) (Soweit Franziska Augstein in „Augsteins Welt“ „Schuldiger Schuldner“ in der Süddeutschen vom 10.8.18: https://augstein.org/2018/08/09/schul%c2%addi%c2%adger-schuld%c2%adner/ )
Munk will mit Tesla von der Börse gehen. Wie die Finanzmärkte (Börse) sich mit dem Auf und Ab an den Finanzmärkten für eine Zukunftsentwicklung diskreditieren!
Wunderbar dazu diese Grafik auf der Titelseite der Süddeutschen, wo das rabiate „auf und ab“ der permanenten Bullen- und Bärenmärkte (siehe zur Einführung Stefan Schulmeister, S.25 ff. „Finanzmärkte: Effizient oder manisch-depressiv“ – und zur konkreten Konstellation in der Finanzkrise 2008 ff. S. 32) bei Tesla seit Jan. 2018 in diesem permanenten „fiebrigen“ Auf und Ab gezeichnet ist.
Auch Musk bringt mit seiner Äußerung die Finanzwelt in Wallung (http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/tesla-wie-elon-musk-den-konzern-von-der-boerse-nehmen-koennte-a-1222237.html ). Oder kann Musk mit einer Beteiligung von Saudi-Arabien konsequent in ruhigere Fahrwasser zur Zukunftsentwicklung führen? (https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/handel-mit-aktie-zeitweise-ausgesetzt-elon-musk-twittert-ueber-boersen-aus-fuer-tesla/22889134.html ) Wie ernst Musk diese Äußerung gemeint hat, weiß mann noch nicht – aber das Beispiel zeigt, wie wenig „zukunftsfähig“ die Finanzmärkte als Steuerungsmittel doch sind. (http://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/elon-musk-ueberlegt-tesla-aktie-von-der-boerse-zu-nehmen-15727483.html )
Deshalb war es das große Versagen, dass die Ökonomie in einem theoretisch so schlechten Zustand war und nicht in der Lage war, die Finanzkrise 2008 ff. als als das offensichtliche Scheitern der idealistischen neoliberalen Theorie darzustellen. (Vgl auch die Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=135721)
Dagegen wendet sich dann – heute immer noch – Caspar Busse mit „Besser an der Börse“ (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-besser-an-der-boerse-1.4087233 ), wobei er einfach die Bullen- und Bärenmärkte unterschlägt – und ihre „giergesteuerte“ Rationalität – und schlichtweg das althergebrachte Märchen behauptet, dass diese (Finanz-) Märkte effizient sind. (Anderer Ansicht wohl Axel Troost und Reinald Ötsch, „Chance vertan“, die gerade die Effizienz dieser Märkte nicht für gegeben halten – und deshalb auf Regulierung setzen: https://www.rosalux.de/publikation/id/39182/chance-vertan/ – aber das kommt von den unterschiedlichen „Weltbildern“ über die Märkte, die entweder für sakrosankt (= nur sie allein können die Wirtschaft am besten steuern!) gehalten werden – oder eben das an Keynes angelehnte Weltbild von Stephan Schulmeister, das genau den Glauben an diese Fähigkeiten des „Marktes“ für einen kapitalen Irrtum hält.
So zeigt auch das von Caspar Busse genannte Beispiel für diese Effizienz der Börse, wie schwach es für eine Markteffizienz spricht, denn er bringt ausgerechnet das mehrheitlich von Eigentümer-Familien beherrschte BMW-Unternehmen (gegen die ohnehin nichts läuft!)
Wieso tritt Elon Musk, der selbst ein Profiteur der Finanzmärkte ist, jetzt plötzlich als deren Kritiker auf?
fragt Stephan Kaufmann auf der Titelseite der FR. (nicht im Netz)(vgl. weiter Stephan Kaufmanns Interview mit Stephan Schulmeister bei https://www.labournet.de/?p=135721)
Musk hatte seine Ankündigung Tesla von der Börse zu nehmen nämlich mit der Bemerkung flankiert: als börsennotiertes Unternehmen sei Tesla „wilden Aktienschwankungen ausgeliefert“, die zu Entscheidungen zwängen, „die gut für ein Quartal sein mögen, aber nicht auf lange Sicht“.
Bemerkenswert ist, dass hier keine Nichtregierungsorganisation und kein Kapitalismus-Kritiker auf die „Märkte“ schimpft, sondern ein Unternehmer, dessen Firma selbst ein Geschöpf der „Märkte“ ist.
Aber: Aktienhändler verdienen eben nicht am permanenten Anstieg einer Aktie. Sie lieben eben das hektische Auf und Ab, das ihnen permanent die Chance eröffnet, billig zu kaufen uns teuer zu verkaufen – was zu diesen Bullen- und Bärenmärkten führt. (zur „Rationalität“ dieses Treibens siehe das Buch über die Finanzanalysten eines „Ethnologen“ (http://www.taz.de/!5520195 )
Davon hat Musk offensichtlich genug. Er verweist auf den Widerspruch zwischen den Kalkulationen der Märkte und dem wirtschaftlichen Erfolg – und damit ist Musk weiter als einige Politiker und Ökonomen hierzulande, merkt Stephan Kaufmann an, die in ihrem Bestreben, europäische Länder zur Sparsamkeit zu zwingen, – immer noch – auf die disziplinierende Macht der „Märkte“ setzen. (Vgl. dazu auch das Interview mit Stephan Schulmeister „Wir erleben eine Phase der Strangulation“: http://www.fr.de/wirtschaft/finanzsystem-wir-erleben-derzeit-eine-strangulation-a-1556577 )