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Die Regierung Nicaraguas kündigt ihr Bündnis mit der katholischen Kirche auf – die Debatten um die Entwicklung des Landes gehen unvermindert weiter
„Der nicaraguanische Präsident Ortega hat katholische Würdenträger als Verbündete von Putschisten bezeichnet. Sie fühlten sich den Putschisten verpflichtet und seien Teil des Putschisten-Plans, sagte Ortega bei einer Feier zum 39. Jahrestag der Revolution gegen die Diktatur des Somoza-Clans. Kirchengebäude seien als Waffenlager und für Angriffe genutzt worden. Die Katholische Kirche habe sich durch ihre Handlungen als Vermittlerin disqualifiziert. Ortega erklärte weiter, die Regierung sei mit einer bewaffneten Verschwörung konfrontiert worden, die im In- und Ausland finanziert worden sei. Wer dahinter stecke, sei der Regierung bekannt. In Nicaragua hatten Mitte April Proteste gegen geplante Sozialkürzungen begonnen, später wurden daraus Demonstrationen gegen Ortega selbst…“ – aus der Meldung „Ortega: „Kirche ist Verbündete der Putschisten““ am 20. Juli 2018 beim Deutschlandfunk – zu der sowohl zu ergänzen wäre, dass das, was in dieser Meldung „Feier“ genannt wird, eine Massenkundgebung am 19. Juli gewesen ist, die nach Berichten und Bildern verschiedener Quellen eine massive Mobilisierung bedeutete, als auch anzumerken ist, dass das langjährige Bündnis Ortegas mit der katholischen Kirche des Landes – das sich vor allem im absoluten Abtreibungsverbot kristallisiert hat – neben jenem mit dem Unternehmerverband eine Säule seiner zweiten, so völlig anderen Regierungszeit gewesen ist. Zur aktuellen Entwicklung in Nicaragua und zur Debatte um den Charakter der Regierung sowie der Proteste und entsprechenden Positionierungen drei weitere aktuelle Texte und der Hinweis auf den bisher letzten unserer zahlreichen Beiträge:
- „Nicaragua: Solidarität mit den Protesten gegen die Regierung“ am 19. Juli 2018 bei der BFS (Schweiz) ist die deutsche Übersetzung der „Declaracion Urgente“ vom 16. Juli, mit der zahlreiche (vor allem) lateinamerikanische Linksintellektuelle ihre Solidarität bekunden und die Regierung Ortega kritisieren – und weitere UnterstützerInnen für diese Erklärung suchen (wofür im Text auch eine Mailadresse angegeben ist). Darin heißt es unter anderem: „Die Erinnerung an eine der edelsten und hoffnungsvollsten Revolutionen von Nuestra América [Anspielung auf den berühmten Text von José Marti], wie auch die Revolution von Sandino [1895-1934], wird durch die Regierung beschmutzt; ebenso wie die Erinnerung an die antikapitalistischen Kämpfe eines unter Gewalt leidenden, aber trotzdem mutigen Volkes, das heute einmal mehr mit Füßen getreten wird, weil das diktatorische Regime dadurch versucht, die alltägliche Gewalt zu verstecken, die für solche Regimes charakteristisch ist […]. Der ehemalige Revolutionsführer, geehrt durch das Vertrauen seines Volkes, hat sich nun in einen Diktator verwandelt, der durch die Macht blind geworden ist und dessen Hände mit dem Blut der Jugend bedeckt sind. Das ist der schrecklich bittere Zustand unseres lieben Nicaragua. Wir erheben unsere Stimme, um die Diktatur, in die die Regierung Ortega-Murillo verwandelt wurde, öffentlich zu verurteilen. Wir bekunden unsere Solidarität mit den Menschen und Jugendlichen, die sich heute einmal mehr erhoben haben und Widerstand leisten. Wir unterstützen ihre Forderungen nach Dialog und Frieden und fordern ein Ende der illegitimen und kriminellen Regierung, die sich heute die Erinnerung der Sandinist*innen aneignet. Wir tun dies in der Überzeugung, dass es nicht nur um die «Rettung der Ehre» der Vergangenheit geht, sondern vor allem um die Sicherung und Pflege der heute bedrohten emanzipatorischen Keime…“
- „Perspektiven auf die soziale Revolution in Nicaragua und Herausforderungen für die Solidarität angesichts der aktuellen politischen Situation“ am 05. Juli 2018 beim Nicaragua-Büro ist die Stellungnahme der Initiative zu den Ereignissen im Lande, die auf Grundlage langjähriger Zusammenarbeit mit Initiativen vor Ort erarbeitet wurde, und in der unter anderem unterstrichen wird: „In Nicaragua sind nach 40 Jahren die handelnden Akteur*innen scheinbar die gleichen: Ortega und sein engeres Umfeld handelt, als hätte gerade erst eine Revolution stattgefunden und redet, als ob seine Regierung Garant für die Errungenschaften dieser Revolution sei. Getreu der Losung “ Erst die Gerechtigkeit, danach die Demokratie“ käme es laut Ortega auf demokratische Standards nicht mehr an. Auch die Aktiven der meisten nicaraguanischen Nichtregierungs-Organisationen und sozialen Bewegungen sind als Aktivist*innen und spätere Dissident*innen aus dem Sandinismus hervorgegangen. Die historischen Errungenschaften der sandinistischen Revolution verteidigen sie heute gegen die aktuelle Regierung. Auch hier scheinen die gleichen Vertreter*innen der deutschen Solidaritätsbewegung aktiv zu sein und messen die aktuelle Regierungspolitik an den spezifischen Ansprüchen, Utopien und Projektionen der revolutionären 1980er Jahre. (…)Die politischen Gruppen grenzen sich von der klientelistischen Verteilungspolitik Ortegas ab. „Leben in Würde“ heißt für sie, dass Eigentum und Ressourcen gerecht verteilt sind. Statt Sozialprogramme, Bildung, Gesundheitsfürsorge und soziale Infrastruktur von Venezuela finanzieren zu lassen, muss eine nachhaltige Wirtschaftspolitik die Exportabhängigkeit, den Raubbau an der Natur und den Ausbau von Monokulturen überwinden. Statt den wirtschaftlichen Freihandel auszubauen müssen die Bedingungen und Ressourcen für Ernährungssouveränität und eine alternative Ökonomie aufgebaut werden. Der Zugang zur Produktion, und sozialen Netzen der Verteilung muss gegeben sein. Die kleinbäuerliche Agrarproduktion als Kern einer bedürfnisorientierten Ökonomie und Garant der Ernährungssouveränität muss rechtlich abgesichert, durch Kleinkredite unterstützt und mit anderen Kooperativen- und kommunitären Eigentumsformen zu einer solidarischen Ökonomie fortentwickelt werden. Damit hängt auch die wichtige Rolle der Selbstorganisation der Zivilgesellschaft zusammen. Politische Selbstorganisation steht der Parteienhegemonie entgegen. Soziale Bewegungen sind im Sandinismus gegen die Diktatur entstanden, konnten in den 1980er Jahren Organisationserfahrungen gewinnen, boten die notwendige Selbsthilfe in den neoliberalen Jahren und wehrten sich gegen die Vereinnahmung durch die Avantgardepartei an der Macht. Kommunitäre Bewegungen nehmen das Gesetz zur Bürgerbeteiligung ernst und etablieren in ländlichen Regionen und marginalisierten Vierteln basisdemokratische Prozesse politischer Bildung. Außerdem stärken sie die Rechte der Bürger*innen in der kommunalen Selbstverwaltung und führen Kampagnen zur Ernährungssouveränität und zum Umweltbewusstsein durch. Das kollidiert wiederum oft mit den parteilich dominierten Entscheidungsstrukturen…“
- „Kann man diese Konflikte erklären? – Solidarität im nicaraguanischen Psychokrieg“ von Rudi Kurz am 10. Juli 2018 beim Nicaragua Forum vertritt eine andere Position, die er unter anderem so skizziert: „Angesichts der Konflikte und widersprüchlichen Berichte aus Nicaragua taucht ganz schnell der Gedanke auf, die Arbeit lieber auf „seine“ konkreten Projekte zu begrenzen, statt sich in politische Widersprüche zu verwickeln. Aber warum dann Nicaragua und nicht Äthiopien? Die Solidarität mit Nicaragua stand immer auch für das Ziel einer nationalen Unabhängigkeit, der Befreiung aus der Vorherrschaft der USA. Und Nicaragua-Solidarität stand für eine soziale Entwicklung gerade für arme Schichten im Land, für Kleinbauern und einfache Beschäftigte. Dafür stand einst Sandino, dafür stand die Revolution und auch unter der Ortega-Regierung spielte die soziale Entwicklung eine weit größere Rolle als in anderen Ländern Lateinamerikas. Schwer nachvollziehbar ist es, dass das Infobüro Nicaragua als einstige Zentrale der bundesdeutschen Nica-Solidarität jetzt ganz offiziell andere Ziele verfolgt. Sie wollen sich hinter die Sache der nicaraguanischen Studenten stellen, die von der extremen Rechten in den USA unterstützt werden. Was sie sich aus dem Konglomerat von extremen Republikanern, Studenten von Privatuniversitäten in Nicaragua, dem Verband der nicaraguanischen Großunternehmer und der nach dem NICAAct rufenden MRS in Nicaragua versprechen, ist nur schwer zu verstehen. Vielleicht ist es nur ein konsequenter Schritt, denn das Infobüro ließ uns ja wissen, dass sie auch in den letzten 25 Jahren eigentlich nicht hinter der sandinistischen Sache standen. Wir alle wissen, dass die Welt bisher keine Revolution kennt, die einfach alle Ziele der Beteiligten verwirklicht hätte. Auch in Nicaragua gab und gibt es vielerlei Widersprüchlichkeiten. Zu diesen Widersprüchen gehört es, dass es bisher keine ausreichend starken staatlichen Institutionen gibt, die in jeder Situation die staatlichen Aufgaben so erfüllen, wie es notwendig wäre. Hier bewegt sich Nicaragua auf dem Niveau seiner Nachbarländer, genauso wie bei den demokratischen Defiziten und dem ausgebauten Autoritarismus…“
- Siehe dazu zuletzt: „Dialog in Nicaragua: Eine Perspektive für wen?“ am 09. Juli 2018 im LabourNet Germany