»
Chile »
»
»
Chile »
»
»
Chile »
»
»
Chile »
»

Die neue Frauenbewegung in Chile: Proteste erzielen erste Zugeständnisse, nicht nur bei Abtreibung

Die Frauenproteste in Chile weiten sich auch politisch aus - Juni 2018 SantiagoFür einen Großteil der Bevölkerung und des politischen Establishments völlig unerwartet nimmt die feministische Bewegung in Chile rasant an Wirkungsmacht zu und bestimmt mit ihren Themen die öffentliche Debatte. Bestärkt von der Durchsetzung der seit September vergangen Jahres legalen Abtreibung in drei Fällen und der Mobilisierung der internationalen Frauenbewegung mit globalen Kampagnen wie #NiUnaMenos und #MeToo, nahmen Studentinnen das Ruder in die Hand und besetzten eine Reihe von Fakultäten und Universitäten…“ Beitrag „PROGRESSIVE WELLE“ von Friederike Winterstein in der Ausgabe Juni 2018 der Lateinamerika Nachrichten externer Link (Nummer 528) – der auch sehr deutlich macht, dass die ersten Zugeständnisse der chilenischen Regierung an die Bewegung nicht dazu geeignet sind, die Bewegung zu bremsen, sind sie doch bestenfalls Schritte zu eigentlichen Selbsteverständlichkeiten… Siehe dazu auch:

  • Zu viele Fragezeichen bei den klandestinen Schwangerschaftsabbrüchen in Chile New
    „Schwangerschaftsabbrüche sind in Chile nur in drei Fällen erlaubt: Wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist, bei Lebensgefahr für die Mutter oder bei einer tödlichen Erkrankung des Fötus. Abseits davon bleibt Schwangeren in rechtlicher Hinsicht keine andere Wahl, als das Kind auszutragen. Weil viele sich jedoch dagegen entscheiden und auch die Infrastruktur für legale Eingriffe zum Abbruch einer Schwangerschaft äußerst begrenzt ist (…), haben sich seit Jahren im ganzen Land Netzwerke gebildet, um Abtreibungen illegal durchzuführen“. Im Interview von Lioba Adam – in der Übersetzung vom Susanne Brust – in den Lateinamerika Nachrichten Nr. 552 vom Juni 2024 externer Link spricht María Ch´ixi* über ihre Arbeit in einem Netzwerk für klandestine Abtreibungen im Valle del Mapocho, und Lobelia Tupa* über ihre Mitwirkung bei einem Netzwerks zur Unterstützung bei Schwangerschaftsabbrüchen im Norden des Landes:„… María: Diese Gruppen entstehen lose aus der Not heraus, um Personen, die ungewollt schwanger geworden sind, zu begleiten. Ich sage Personen und nicht Frauen, weil es zum Beispiel trans Männer oder auch Menschen mit nicht-binären Geschlechtsidentitäten gibt, die schwanger werden und gebären können. Weil wir alle schon persönliche Erfahrungen mit ungewollten Schwang-*erschaften gemacht hatten, war uns von Anfang an klar, dass es zu diesem Thema im Allgemeinen ein Informationsloch gibt. Vor zehn Jahren sprach man in Chile kaum über Abtreibungen. In diesem Sinn waren wir uns alle einig darüber, wie wichtig es ist, Unterstützungsnetzwerke für ungewollt Schwangere aufzubauen und die Stimmen von Personen, die abgetrieben haben, zu verbreiten. Lobelia: Einige Netzwerke sind größer als andere. Ich zum Beispiel arbeite in einer Stadt in den Anden in einem Netzwerk hauptsächlich mit Freundinnen von vor Ort zusammen, um Entscheidungsprozesse zu dezentralisieren. Trotzdem stehen wir in Kontakt mit anderen Netz- werken und tauschen uns aus. Jedes Netzwerk hat seine eigene Art, aber ich denke, wir begreifen uns alle als Fürsorgeorganisationen, die schwesterlich und feministisch handeln. Wir machen das jetzt seit zwei Jahren. Im Laufe der Zeit haben wir ein Aktionsprotokoll entwickelt, nach dem wir Frauen aus der Stadt, aus der Hochebene und der Nähe der Grenze begleiten. (…) María: Es gibt einige feministische, lesbofeministische und queere Gruppen, die in diesem Bereich arbeiten. Con las amigas y en la casa ist vielleicht die bekannteste Organisation. In verschiedenen Regionen sind in letzter Zeit Gruppen an den Universitäten entstanden, die diese Art von Aktivismus dezentralisieren wollen und sich auf die Arbeit in der unmittelbaren Umgebung konzentrieren. (…) Lobelia: Wir als Kollektiv fordern akut die gesetzliche Transparenz über die Anwendung der drei Gründe für einen legalen Schwangerschaftsabbruch. Von 13 Ärzt*innen in unserer Stadt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen können, weigern sich acht aus Gewissensgründen. Das heißt, selbst bei einer legalen Abtreibung ist es schwierig, jemanden zu finden, der diese durchführt. Dass Schwangerschaftsabbrüche – außer aus drei Gründen – immer noch illegal sind, hinterlässt viel zu viele Fragezeichen.“
  • „Für Bildung ohne Sexismus“ von Sophia Boddenberg am 17. Juni 2018 in der taz externer Link hebt zu dieser Bewegung insbesondere einen der Fälle hervor, die Anlass zum massenhaften Protest waren:  „Bei der Besetzung gehe es nicht um ihren Fall – das ist Brito wichtig. Es gehe um den strukturellen Sexismus an chilenischen Universitäten. „Mein Fall ist keine Ausnahme, er brachte nur das Fass zum Überlaufen“, sagt Brito. „Die chilenischen Universitäten reagieren nicht auf die Probleme und Situationen, die wir als Frauen erleben.“ Brito verlagerte ihren Studienschwerpunkt von öffentlichem Recht auf Arbeitsrecht, um Carmona aus dem Weg zu gehen. Weil es keine verbindlichen Regeln der Universitäten zum Schutz von Opfern gibt, seien es letztendlich die Student*innen statt die Täter, die Bildungseinrichtungen verlassen müssen. „Die männlichen Professoren vermitteln uns, dass körperliche Gefälligkeiten die einzige Möglichkeit sind, um Erfolg in unseren Karrieren zu haben“, sagt Brito. Mit dem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen habe ihr bisher mehr Schaden als Nutzen gebracht. Sie wurde als unglaubwürdig bezeichnet, ihr Erlebnis als eigentlich nicht so schlimm dargestellt. Aber sie wolle für alle die sprechen, die es bisher nicht selbst konnten. „Es geht hier nicht nur um uns Student*innen, sondern um alle Frauen. Ich glaube, dass wir einen historischen Moment als feministische Bewegung erleben“, sagt Brito. „Wir haben die Augen geöffnet und gemerkt, dass die Gewalt, die wir erleben, nicht natürlich und normal ist. Und das wird zu einem radikalen Wandel führen.““.
  • Weiter aus dem Beitrag „PROGRESSIVE WELLE“ von Friederike Winterstein in der Ausgabe Juni 2018 der Lateinamerika Nachrichten externer Link (Nummer 528): „… Rosario Olivares, Feministin, Schuldirektorin und Mitglied der Partei Sozialismus und Freiheit (SOL, Frente Amplio), sieht die aktuelle Mobilisierung als Ergebnis zweier verschiedener und sich nun kreuzender Ent­wicklungen: „Einerseits die historischen Forderungen der Frauenbewegung in einer konservativen Gesellschaft wie der unseren, und andererseits die Studierendenproteste von 2006 und 2011, die den Frauen neue Räume eröffneten, um als politische Subjekte zu agieren“. In einigen Fällen sind die Besetzungen und Streiks eine direkte Reaktion auf universitätsinterne Fälle von sexueller Belästigung und Missbrauch, andere finden sowohl aus Solidarität statt als auch mit dem Ziel, der Frauenbewegung auf nationaler Ebene Ausdruck und Gewicht zu verleihen. Den Anfang machten Student*innen der Universidad Austral in Valdivia am 17. April mit der Besetzung der Fakultät für Philosophie und Geisteswissenschaften. Direkter Auslöser war die schleppende Bearbeitung und Gleichgültigkeit der Verantwortlichen gegenüber den Anschuldigungen von sexueller Belästigung, die sowohl Lehrende, als auch Studenten und Funktionäre betrafen. Zehn Tage später folgte die Besetzung der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Chile in Santiago

Siehe auch unser Dossier: [Weltweiter Überblick] Kampf um Abtreibungsrecht: Wie Ultrakonservative die Menschenrechte auslegen

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=133699
nach oben