»
USA »
» »

»Sturm in der Staubglocke« – Neun Tage Streik der LehrerInnen Oklahomas

Artikel von Samantha Winslow, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2018 über Ziele und ein offenes Ende

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitDirekt im Windschatten des Streiks in West Virginia haben die LehrerInnen Oklahomas im April ihren eigenen, neuntägigen Streik geführt. Schon die bloße Androhung einer Arbeitsniederlegung brachte den Gesetzgeber dazu, Lohnerhöhungen von durchschnittlich 6.000 US-Dollar pro Jahr zu beschließen. Aber die Lehrkräfte forderten mehr, um Jahrzehnte der Einschnitte zu kompensieren.
In Oklahoma allerdings kamen die Mitglieder – anders als in West Virginia – wieder in die Schulen zurück, als die Gewerkschaftsführung des Bundesstaates sie dazu aufforderte, obwohl der Gesetzgeber sich nicht weiter bewegt hatte.

LehrerInnen und Bildungs-Gewerkschaften hatten jahrelang Druck auf Abgeordnete gemacht, um die Finanzierung staatlicher Schulen zu verbessern, waren damit aber nicht weit gekommen. Inspiriert durch den Aufstand, der in diesem Frühling West Virginia und andere Bundesstaaten erfasste, gründeten LehrerInnen in Oklahoma Facebook-Gruppen wie »Lehrerstreik Oklahoma – Die Zeit ist reif!« und fingen an, für einen Streik in ihrem Bundesstaat zu werben. Die Oklahoma Education Association, die größte Gewerkschaft des Bundesstaates, setzte zunächst eine Deadline für Ende April, aber auf Druck der LehrerInnen wurde ihr Streik um zwei Wochen auf den 2. April vorverlegt, um ihn an einheitlichen Prüfungsterminen auszurichten. Oberschulräte im ganzen Bundesstaat unterstützten den Streik durch die Schließung von Schulen.

Ein trostloses Bild

Das Durchschnittsgehalt von LehrerInnen in Oklahoma liegt im Vergleich der 50 Bundesstaaten auf dem allerletzten Platz – und seit zehn Jahre haben sie keine Erhöhung mehr gesehen. Die staatlichen Ausgaben pro SchülerIn sind nach Angaben des linksliberalen Center for Budget and Policy Priorities seit 2008 um 28 Prozent zurückgegangen.

Mit Fotos in den sozialen Medien und in der Presse deckten LehrerInnen die Konsequenzen der Unterfinanzierung auf: kaputte Tische und Stühle oder zerfledderte Lehrbücher, in denen George W. Bush als aktueller Präsident angegeben wird. LehrerInnen verbreiteten ihre Geschichten darüber, wie sie in zwei, drei oder sogar vier Jobs arbeiten, um ihre Rechnungen zu zahlen.

Die Gewerkschaften forderten eine Lohnerhöhung von 10.000 Dollar für LehrerInnen und 5.000 Dollar für andere Beschäftigte an Schulen. Außerdem verlangten sie 200 Millionen für einen »Klassenzimmerfonds«, aus dem mehr Personal, neue Bücher und Gebäudeinstandsetzungen bezahlt werden sollten.

Ein ganzes Jahrzehnt hindurch hat Okla­homa durch Steuersenkungen schätzungsweise 350 Millionen Dollar pro Jahr verloren. Zwanzig Prozent der Distrikte haben die Schulwoche auf vier Tage reduziert und schließen die Schulen am Freitag. In ganz Oklahoma behelfen die Schulen sich mit größeren Klassen, weniger Mitteln und weniger erfahrenen LehrerInnen, von denen viele nur notdürftig ausgebildet sind und wenig bis gar keine Erfahrung im Klassenzimmer haben. »Im Moment können LehrerInnen kreative Unternehmungen mit ihren Klassen nur finanzieren, wenn sie es mit Crowdfunding im Internet versuchen. Unterrichtseinheiten im Labor sind nur möglich, wenn die Lehrerin irgendwie Geld dafür auftreibt«, sagt die Vorsitzende der Tulsa Classroom Teachers Association, Patti Ferguson-Palmer. Oklahoma sei unter Lehrkräften als »Staubglocke des Geistes« bekannt, so Ferguson-Palmer. »Wir verlieren all die klugen Köpfe an andere Bundesstaaten«, sagt sie. »Wir hatten hier mehr Kürzungen bei den staatlichen Schulen als irgendwo anders im ganzen Land.«

Die Organisierung für den Ausstand hatte Züge eines Erwachens, insbesondere für neuere LehrerInnen, die vor den zerstörerischen Kürzungen noch nicht da waren. »Jetzt wissen wir, dass wir mehr haben können«, meint Aaron Baker, Geschichtslehrer im Mid Del-Distrikt bei  Oklahoma City. »Wir haben eine ausreichende Personalausstattung verdient.«

Capitol-Proteste

Im Vorfeld des Streiks am 2. April verabschiedete der Gesetzgeber einen Bildungsetat von 2,9 Milliarden Dollar, der durchschnittliche Lohnerhöhungen von 6.000 Dollar für LehrerInnen und 1.250 Dollar für andere Angestellte an den Schulen vorsah. Aber die LehrerInnen und ihre überregionalen Gewerkschaften – die OEA als Ableger der National Education Association (NEA) repräsentiert die meisten Distrikte, aber die LehrerInnen in Oklahoma City sind in der American Federation of Teachers (AFT) – hielten uneingeschränkt an ihren Forderungen fest.

Neun Tage lang war die Mehrheit der SchülerInnen Oklahomas nicht in der Schule. Jeden Tag protestierten tausende LehrerInnen vor dem Capitol und füllten es  von innen, um Abgeordnete dazu zu bringen, Steuern zu erhöhen und so ihre Forderungen zu finanzieren. Stephanie Price, Sprachtherapeutin aus dem Moore-Distrikt, war nahezu jeden Tag vorm Capitol. »Der Gemeinschaftssinn war wirklich beeindruckend«, sagt sie. »Ich hatte Begegnungen mit Lehrern und Lehrerinnen von überall, die von Angesicht zu Angesicht über ihre gemeinsamen Interessen sprachen.« Die lokale Gliederung von Tulsa organisierte einen siebentägigen Marsch in die Hauptstadt, an dem 700 Leute zumindest für Teile der 100-Meilen-Strecke teilnahmen.

Die LehrerInnen hielten an den Zahlen fest, die ihnen bei Beginn des Arbeitskampfes versprochen worden waren. Nach neun Tagen allerdings waren sie noch nicht in der Lage gewesen, das republikanisch dominierte Parlament zur nötigen 75-prozentigen Befürwortung der zusätzlichen Steuererhöhungen zu bewegen. In dieser Situation gab die Oklahoma Education Association das Ende des Streiks bekannt, und dass es die nächste Strategie der Gewerkschaft sei, neue Abgeordnete zu wählen, die der Finanzierung des Bildungssystems Priorität einräumen.

Kandidatenschlange

Es ist nicht klar, ob eine Fortsetzung des Streiks die Abgeordneten dazu gebracht hätte, die Forderungen der LehrerInnen zu finanzieren. Aber einige TeilnehmerInnen waren nicht glücklich mit dem abrupten Ende des Streiks. »Die Mitglieder hatten den Eindruck, dass unsere Stimme nicht gehört wurde«, sagt Lori Burris, Vorsitzende des Mid Del-Locals der OEA. »Wir wurden nicht gefragt. Das hat die Leute wütend gemacht.«

Ein Silberstreif am Horizont Oklahomas ist, dass sich dieses Jahr eine Rekordzahl von 794 KandidatInnen um Ämter im Bundesstaat und auf Bundesebene bewirbt, von denen 30 OEA-Mitglieder sind. Während der Proteste bildeten sich lange Schlangen, in denen TeilnehmerInnen auf ihre Erfassung warteten, um gegen Abgeordnete anzutreten, die es gewohnt sind, ohne Konkurrenz ins Rennen zu gehen. »Leute, die ich nicht als Führungspersönlichkeiten eingeschätzt hätte, und auch nicht als organisierungsbereit, sind aus ihren Sitzen aufgesprungen und sofort voll durchgestartet«, sagt Baker. »Wir hatten auch Leute, die sich selbst kein bisschen als politisch bezeichnet hätten, die jetzt Termine mit Abgeordneten machen, um mit ihnen zu diskutieren.«

Nächste Schritte

Welche Erfolge die LehrerInnen erzielen konnten, ist immer noch unklar. Während der Gesetzgeber überwiegend regressiv wirkende Verkaufssteuern – einschließlich einer Zigaretten- und einer Kasinosteuer – eingeführt hat, um die Erhöhungen zu zahlen, hat er auch der Öl-und Gasindustrie einen beachtlichen Steuerbetrag (158 Millionen) auferlegt.

Republikanische AktivistInnen sammeln bereits Unterschriften für eine Volksabstimmung, um diese Steuererhöhungen zu stoppen. Dafür brauchen sie nur 40.000 Unterschriften.

Unterdessen stehen die Lehrkräfte Oklahomas, zurück am Arbeitsplatz, vor der gleichen kniffligen Aufgabe wie die anderen LehrerInnen im ganzen Land: Wie erreicht man genug Macht und eine ausreichende Hebelwirkung, um die Parlamente dazu zu bringen, die politisch gewollte Unterfinanzierung im öffentlichen Bildungssystem rückgängig zu machen? »Um Wirkung zu erzielen, musst Du Dir über Deine Forderungen im Klaren sein, und Du musst deutlich machen, dass Du nicht weggehen wirst«, sagt Prince. »Wir waren ihnen gegenüber nicht unbequem genug.«

LehrerInnen sind in einem bislang nicht gekannten Ausmaß aktiviert worden, es stellt sich also die Frage, wie diese Energie zu kanalisieren ist. »Wenn ich vor vier Monaten zu einer Mitgliederversammlung eingeladen habe, war ich froh, wenn 20 Leute gekommen sind«, sagt Burris. »Jetzt gäbe es nur noch Stehplätze, und alle hätten was zu sagen.«

Samantha Winslow

  • Übersetzung: Stefan Schoppengerd
  • Quelle: Labor Notes, Online-Ausgabe vom 27. April 2018

Siehe auch:

  • »Lehren aus dem Lehrerprotest« – Klassenkämpfe um Klassenzimmer
    Artikel von Samantha Winslow, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2018
  • »Rot für die Bildung« – Riesige Beteiligung am Streik der LehrerInnen in Arizona
    Artikel von Jonah Furman, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2018
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132454
nach oben