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[Buch] Sicherheit, Supermacht und Schießgewähr – Krieg und Frieden am Globus, in Europa und Österreich / EU-Armee: Mehr Fragen als Antworten
„Der Globus wird gleichzeitig amerikanisiert, europäisiert und sinisiert. Außenpolitik scheint sich – hüben wie drüben – zu versicherheitlichen. Militärmacht und Wirtschaftsmacht sind mehr denn je kommunizierende Gefäße. Vom globalen Handel, Ressourcensicherung über Flüchtlinge bis zur Verbrecherjagd im Internet erhält die Armee mehr Befugnisse, mehr Geld und mehr Muskeln. Die EU wirft zur Sicherung ihrer Interessen einen Rüstungsfonds, ein militärisches Kerneuropa samt Budgetaufstockung, Rüstungsexporte und globale Militäreinsätze in die Waagschale. Für die Öffentlichkeit mutiert diese Rüstung nahezu unbemerkt zur Verteidigung und die Mauern schrumpfen zu niedlichen Pollern. Friedensunion sieht anders aus. Die in „Sicherheit, Supermacht und Schießgewähr“ gesammelten journalistischen Beiträge unterbreiten auch friedenspolitische Vorschläge. Wie weiter nach dem Verbotsvertrag für Atomwaffen? Waffen hat die Welt genug. Warum keine zivilen Friedensfachkräfte im neutralen Österreich einführen? Expertise wäre da. Und warum ständig kurzatmig und hilflos hinter Konflikten herhecheln, anstatt mehr Perspektiven für die zivile Krisenprävention? Ja, warum eigentlich nicht?“ Klappentext des Buches von Thomas Roithner im Verlag myMorawa (15.12.2017, Paperback, 12,99 €, Seitenanzahl: 148, ISBN: 978-3-99070-328-1). Siehe weitere Infos zum Buch, Vorwort und Inhaltsverzeichnis beim Verlag sowie den Beitrag „EU-Krisenreaktionstruppe. EU-Armee: Mehr Fragen als Antworten“ als Leseprobe im LabourNet Germany – wir danken!
EU-Krisenreaktionstruppe. EU-Armee: Mehr Fragen als Antworten
Thomas Roithner
Die EU-Außen- und Verteidigungsminister haben sich für mehr militärische Zusammenarbeit ausgesprochen. Dabei sind aber viele Fragen offengeblieben.
Ein beeindruckendes Kunststück ist Christian Kern schon gelungen. Sein „Plan A“ hat die Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik Österreichs weiträumig umschifft. Obwohl der Plan A vorgab, für „Sicherheit & gute Laune“ zu sorgen. Jetzt lässt der Kanzler über den Plan E, nämlich Europa, nachdenken. Nicht wiederzuerkennen wäre das Land, wenn nicht die ÖVP Ähnliches täte. Getrennt natürlich. Sebastian Kurz will nicht weniger als einen „Kurswechsel für Europa“. Die Außen- und Sicherheitspolitik gilt innerhalb der EU seit geraumer Zeit als jener Bereich, in dem sichtbare Fortschritte erzielt werden sollen. Genau, erraten: Es gibt auch ein neues Akronym, nämlich MPCC.
Kommandozentrum
MPCC ist der militärische Planungs- und Koordinierungsstab für EU-Auslandseinsätze. Schon seit Jahren wünschen sich wesentliche Teile der politischen und militärischen Eliten der EU so ein Kommandozentrum. Kaum eine Schrecksekunde hat es nach dem Brexit-Votum gedauert, bis Jean-Claude Juncker die Gunst der Stunde sah. Großbritannien hatte mit der Entwicklung autonom funktionierender EU-Truppen stets keine Freude. Zu wichtig war London sein „special relationship“ zu den USA. Juncker sucht „Haberer“, um mit der militärischen Weiterentwicklung ein Stück voranzukommen. Kritische Stimmen sprechen von einer Militarisierung der EU. Am Montag soll von den Fachministern für Außen- und Verteidigungspolitik eine grundsätzliche Zustimmung für diesen bislang sehr heftig debattierten Plan erreicht werden.
Dem MPCC geht es – zumindest vorerst – um EU-Auslandseinsätze wie jene in Mali, Zentralafrika oder Somalia. Militär- und Marineeinsätze, die mit Waffengewalt im Mittelmeer („Operation Sophia“) agieren oder die Piratenjagd am Horn von Afrika vorantreiben („Operation Atalanta“), haben vorerst noch ihr eigenes Kommando. Rasch ist man bemüht, möglichen zornigen Twitter-Meldungen von Donald Trump vorzubeugen: Diese Kommandozentrale richte sich nicht gegen die NATO .
Krisenreaktionstruppe
Im ORF-Morgenjournal ging Außenminister Sebastian Kurz noch einen wesentlichen Schritt weiter. Er will nicht nur eine gemeinsame Kommandozentrale der EU, sondern gleich eine ganze „Krisenreaktionstruppe“ schaffen. Hier gehen Kurz und Juncker Hand in Hand. Zum wiederholten Mal nutzte Juncker unterschiedliche Krisen und Kriege, um eine Euro-Armee zu fordern. Eine Kommandozentrale für EU-Auslandseinsätze ist freilich noch keine solche, ebnet jedoch politisch den Weg dorthin. Für Juncker ist so eine Zentrale zweifellos die konsequente Weiterführung des Militärkurses der EU seit Aufstellung der 60.000 Soldaten starken Eingreiftruppe im Jahr 1999.
Der Plan von Sebastian Kurz für seine EU-Krisenreaktionstruppe ist umfassend. Er reicht von friedenserhaltenden Maßnahmen bis zur Terrorbekämpfung. Entgegenhalten mag man dem Minister, dass die EU bereits über zahlreiche Instrumente und Möglichkeiten des militärischen Eingreifens verfügt. Rund ein Dutzend Militäreinsätze hat die aus nationalen Armeen zusammengesetzte EU-Eingreiftruppe bereits durchgeführt, beispielsweise in Bosnien-Herzegowina, dem Kongo oder dem Tschad. Das funktioniert seit dem Lissabon-Vertrag der EU sogar mit unterschiedlichen militärischen Kerneuropamodellen. Dazu kommen noch die noch nie eingesetzten EU-„battle groups“ für Einsätze in Dschungel, Städten und Hochgebirgen – im Härtefall auch jenseits des Völkerrechts. Bislang sind etwa drei Viertel aller Personen in abgeschlossenen oder laufenden EU-Einsätzen Militärs. Nur rund ein Viertel sind Zivile, mehrheitlich Polizei.
Stets ist bei den sicherheitspolitischen Reaktionsmöglichkeiten der Union von zivilen und militärischen Möglichkeiten die Rede. Ausnahmen bestätigen die Regel, wenn es auf EU-Ebene tatsächlich und operativ um mehr Geld, mehr Personal und mehr politische Rückendeckung geht. Aber am Ende bleibt immer das Militär. Selbst das EU-Parlament legt dar, „dass – wegen der Tatsache, dass der Schwerpunkt hauptsächlich auf die militärische Dimension der ESVP gelegt wird – im Bereich der zivilen Fähigkeiten und der Konfliktverhütung Fortschritte viel zu langsam erreicht werden“.
Uneinige Außenpolitik
In der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist die Liste divergierender Meinungen lang. Von Atomwaffen über den Umgang mit Russland und dem Kosovo bis hin zu Palästina und natürlich den Flüchtlingen. Die Realität zeigt, wie gemeinsame Politik funktioniert.
Warum sollte man diesen bald 27 Staaten nun eine Euro-Armee, einen dicken Auftragsblock für die Rüstungsindustrie und noch mehr rascher einsetzbare globale Interventionstruppen zur Durchsetzung ihrer uneinigen Interessen zur Verfügung stellen?
Viele Fragen
Wohin die Reise mit den Wünschen von Kurz’ Krisenreaktionstruppe geht, verraten zwei Details: Die verfügbaren, jedoch noch nie eingesetzten EU-„battle groups“ sind „keine stehende Truppe“, so Kurz. Damit hat er Recht. Sie setzen sich aus nationalen Truppenteilen zusammen. Jeder Staat könnte theoretisch sein Kontingent zurückziehen, wenn’s wirklich brenzlig wird. Also, wenn „battle groups“ tatsächlich eine Schlacht führen müssen.
Soll die EU nach den Wünschen von Kurz eine eigene Verfügungsgewalt über Truppen erhalten? Wer beschließt den Einsatz? Was passiert mit Staaten, die nicht fähig und nicht Willens sind? In welchem Verhältnis werden die Kosten für diese Militäreinsätze geteilt? Was wird Donald Trump zu „make europe great“ sagen? Wird künftig nur noch nach deutsch-französischem Gusto interveniert? Welche Rolle werden Frankreichs Atomwaffen spielen? Gibt es eine strikte Bindung an das Völkerrecht? Und warum gibt es noch immer eine viel zu langsame Entwicklung bei den zivilen Auslandseinsatzkräftekapazitäten? Warum entwickelt die EU nicht eine umfassende Präventionsagenda, um nicht ständig neue Truppen herbeizureden und neue Mauern zu bauen?
Autoritäre Vertiefung der EU
Kurz bemerkt zweitens, es gäbe „keine klaren Entscheidungsketten“. Damit hat Kurz aus seiner Sicht Recht und Unrecht. Natürlich gibt es Entscheidungsketten. Sie basieren auf Einstimmigkeit. Kein Mitglied kann heute von der EU in einen Militäreinsatz hineingezwungen werden. Recht hat Kurz bei den unklaren Entscheidungsketten nur dann, wenn er dieses Veto loswerden will. Eine Truppe, die losmarschieren kann, selbst wenn ein Mitgliedstaat der EU dagegen ist.
Die EU sieht im Vertrag von Lissabon „die Gleichheit aller Mitglieder vor den Verträgen“ vor. Aus heutiger Gestalt der EU betrachtet wäre dies eine undemokratische Überwindung einer uneinigen Außenpolitik – also eine autoritäre Vertiefung der EU. Allerdings will Sebastian Kurz eine Lösung „im Einklang mit der Neutralität“. Diese ist jedoch mit einer Bündnisautomatik weder nach den Buchstaben des Neutralitätsgesetzes noch mit seinem politischen Sinn vereinbar.