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Gewerkschaft der russischen AutoarbeiterInnen, MPRA, von Petersburger Gericht verboten

Dossier

Solidarität mit der verbotenen russischen AutogewerkschaftDie Interregionale Gewerkschaft der Automobilarbeiter (MPRA) wurde international im Jahr 2007 bekannt, als sie einen großen Streik bei Ford in der Nähe von St. Petersburg durchaus erfolgreich organisierte. Mit über 3.000 Mitgliedern ist sie in der komplizierten russischen Gewerkschaftslandschaft sogar noch eher eine der größeren Gewerkschaften. Jetzt hat ein Gericht in St. Petersburg die Anklage durch die Staatsanwaltschaft befolgt und die Tätigkeit der Gewerkschaft verboten. Grund: Sie habe Gelder aus dem Ausland bezogen, was nach dem neuen russischen NGO-Gesetz strafbar ist. Damit erweist sich dieses Gesetz als genau die Handhabe, die zahlreiche Kritiker im eigenen Land als Gefahr sahen: Als Möglichkeit, jedwede politische und soziale Aktivität als eine Art Agententätigkeit zu denunzieren – und zu verbieten. Die Gewerkschaft und die Gewerkschaftsföderation, der sie angehört, legen natürlich Berufung gegen dieses Willkür-Urteil ein und wollen vor den Obersten Gerichtshof ziehen. Siehe dazu einen Bericht über das Urteil des Gerichts in St. Petersburg und eine gewerkschaftliche Stellungnahme zum Urteil sowie weitere Informationen:

  • Alternative Gewerkschaften in Russland: Widerstand gegen Neo-Autoritarismus und Kooptierung New
    Die unabhängige Gewerkschaft MPRA wurde im Jahr 2018 aus fadenscheinigen Gründen durch ein Gericht in St. Petersburg verboten. Während der Kampf um die Fortsetzung ihrer Aktivitäten andauert – u.a. versuchte die MPRA kürzlich eine Demonstration durchzuführen, was aber an den Covid-19-Auflagen scheiterte – ist es an der Zeit, einen Blick auf die Geshichte dieser alternativen Arbeiter*innenorganisation zu werfen. Denn sie ist, wie Sarah Hinz und Jeremy Morris zeigen, insbesondere in Zeiten von Neo-Autoritarismus und neo-liberaler Kooptierung ein Lehrstück für Arbeiter*innenkämpfe…“ Artikel von Sarah Hinz vom 05.07.2021 bei Berliner Gazette externer Link mit einer umfangreichen Darstellung der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Russland – unsere (subjektive Zusammenfassung: In Russland stellte die Entstehung militanter Gewerkschaften, wie etwa der MPRA (Mezhregional’nyi profsoiuz “Rabochii assotsiatsiia”, Interregionale Gewerkschaft “Arbeitervereinigung”) in der Russischen Autoindustrie, eine alternative zu den alteingesessenen Traditionsgewerkschaften der FNPR (Federatsiia Nezavisimikh Profsoiuzov Rossii, Föderation der Unabhängigen Gewerkschaften Russlands) dar. Die FNPR-Gewerkschaften hatten aufgrund ihrer Trägheit und fehlende Konfliktbereitschaft Zustimmung in den Belegschaften verloren. Steigende Mitgliederzahlen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in Werken von Ford und VW, die die MPRA erkämpfen konnte, schienen Hoffnung auf die Chance einer neuen dynamischen Gewerkschaftsarbeit in Russland zu machen. In den letzten Jahren sehen sie sich im Putin Regime einem Gegner gegenüber, dessen Wirtschaftspolitik zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt und der nicht vor staatlicher Repression, wie etwa dem Verbot der MPRA durch ein Gericht in St. Petersburg 2018, zurückscheut. Dies erschwert die Arbeit der Gewerkschaften, zwingt sie dazu immer neue Angriffsbereiche und Strategien suchen zu müssen, und schließt eine kurzfristige Verschiebung der Kräfteverhältnisse aus. 
  • Solidarität mit der verbotenen russischen Autogewerkschaft: In einer Branche, wo selbst die Toten arbeiten…
    Im Kampf gegen die Zerschlagung der MPRA und für das legitime Recht auf freie und demokratische Gewerkschaften erklären wir unsere volle Solidarität. Wir rufen zum weltweiten Protest und zur breiten Solidarisierung mit der kämpferischen Gewerkschaftsassoziation MPRA auf. Das Verbot und die Auflösung der MPRA richtet sich gegen ihren erfolgreichen Aufbau in mehreren Automobilbetrieben in Russland, wie bei Ford in Wsjewoloshsk bei Sankt Petersburg, AwtoWAS/ Lada in Toljatti, VW Kaluga und in vielen anderen Betrieben. Ebenso soll das Verbot die kämpferische Gewerkschaftsarbeit der rund 4000 Mitglieder treffen. Bedeutende Streiks, wie bei Ford im Jahr 2007, haben ihnen seit her Respekt und Anerkennung unter einer wachsenden Anzahl Arbeitern verschafft.  Die Begründung des Gerichts, dass die MPRA sich nur auf ihren eigenen Tätigkeitsbereich beziehen dürfe, zeigt deutlich, dass insbesondere die Organisierung der gewerkschaftlichen Solidarität auch über Ländergrenzen hinweg, behindert werden soll. So hat die MPRA über Monate führend den Kampfs der russischen Fernfahrer gegen höhere Steuern durch die Einführung eines staatlichen Mautsystems unterstützt. Vorgeworfen wird ihr die Mitgliedschaft im Internationalen Metallarbeiterverband IndustriALL, verbunden mit „angeblicher“ finanzieller Unterstützung aus dem Ausland. IndustriALL hat ihren Protest gegen das Verbot der MPRA erklärt und setzt sich für die Wiederanerkennung ihres russischen Mitglieds ein“ – aus der „Protesterklärung gegen das Verbot der MPRA in Russland“ vom 05. Februar 2018 der Internationalen Automobilarbeiterkoordination externer Link, in der auch darauf verwiesen wird, dass die MPRA an deren Treffen teilgenommen hatte. Siehe dazu auch die Dokumentation von Solidaritätserklärungen aus verschiedenen Ländern bei IndustriAll, zwei Beiträge zur Bedeutung des Verbots und des entsprechenden Gesetzes, und einen Beitrag zu den Arbeitsbedingungen in der russischen Automobilindustrie:

    • „Dmitry Kozhnev: Anyone Defending Their Rights Is Branded a Fifth Columnist and Agent of the State Department“ am 25. März 2015 beim Russian Reader externer Link war die Übersetzung eines ausführlichen Interviews von Darina Shevchenko in Yod mit dem Gewerkschaftsaktivisten Dmitry Kozhnev über die Bedeutung des damals eingeführten Gesetzes über die Kontrolle der (ausländischen) Finahzierung von NGO in Russland – worin Kozhnev unterstreicht, dies sei ein Gesetz, dass jederzeit gegen eine Gewerkschaft benutzt werden könne, die irgendwelche internationalen Kontakte pflege – und dies sei auch die Absicht. Die nicht zufällig aus der Region Kaluga kommt – und nicht etwa ursprünglich aus St. Petersburg, wo jetzt das Gericht in diesem antigewerkschaftlichen Sinne urteilte – wo das Zentrum der ausländischen Automobilindustrie in Russland ist (und deren extrem patridiotisicher Gouverneur durchaus ausländische Finanzkontakte hat) – die einheimischen Werke befinden sich immer noch im einstigen Togliattigrad.
  • Ausländische Agentur Autogewerkschaft: Was Gewerkschaften in Russland nicht tun dürfen – eben alles, was sie überall tun sollten
    In Russland begann das Jahr mit keiner guten Nachricht für Gewerkschaftsmitglieder und organisierte ArbeiterInnen. Anfang des Jahres verfügte dort ein St Petersburger Gericht, dass die überregionale gewerkschaftliche Arbeiterassoziation, kurz MPRA aufgelöst werden soll. Der Gewerkschaft wurde politische Tätigkeit und ausländische Finanzierung vorgeworfen – und deshalb wurde sie als „ausländische Agentin“ eingestuft. Mit diesem Gesetz versucht Russland eigentlich gegen ausländische NGOs vorzugehen. Für Gewerkschaften gilt das Gesetz eigentlich nicht. Wie diese Gewerkschaftsauflösung nun zustande kam, und wie sich dies auf die Gewerkschaftslandschaft in Russland auswirkt, darüber sprachen wir mit Ute Weinmann, Journalistin in Moskau“ – so der Einleitungstext zum Gespräch „Gewerkschaftsverbot in Russland – überregionale gewerkschaftliche Arbeiterassoziation soll sich auflösen“ von Radio Corax Halle am 17. Januar 2018 im Freie Radios.net externer Link, woraus zu unterstreichen wäre, dass eigentlich schon die – reaktionäre – Zielsetzung des Gesetzes an Gewerkschaften vorbei geht… Siehe zum Petersburger Gewerkschaftsverbot zwei weitere aktuelle Beiträge:

    • „Russland: Was steckt hinter dem Verbot der unabhängigen Gewerkschaft „MPRA“?“ von Ulrich Heyden am 17. Januar 2018 bei telepolis externer Link, worin es zur Bedeutung des Urteils und seiner Begründung unter anderem heißt: „Der Richterspruch gegen die MPRA ist delikat, denn noch neun weitere russische Gewerkschaften sind Mitglied des internationalen Dachverbandes IndustriALL. Und diese neun Gewerkschaften stehen nicht im Geruch von Radikalität. Sie sind zugleich Mitglied im staatsnahen russischen Gewerkschaftsdachverband FNPR, der zwanzig Millionen Mitglieder hat. Das Verbot der MPRA wurde außerdem begründet mit deren „politischer Tätigkeit“, die im Statut der Gewerkschaft nicht vorgesehen sei. Die Richterin im Stadtgericht von St. Petersburg beanstandete, dass die MPRA Unterschriftensammlungen zur Unterstützung der Lastwagen-Fahrer durchführte, die gegen die Einführung einer Fernstraßen-Maut protestieren. Beanstandet wurde auch ein Aufruf gegen die Schließung von Krankenhäusern in Moskau im Jahre 2016 sowie eine Unterschriftensammlung für eine gesetzliche Indexierung der Löhne, die auf diese Weise an die Inflationsrate gekoppelt werden sollen“.
    • „Kremlin Moving To Destroy All Independent Trade Unions“ von Paul Goble am 13. Januar 2018 bei der Eurasia Review externer Link ist ein Beitrag, in dem der Zusammenhang des Petersburger Urteils mit der Situation anderer unabhängiger Gewerkschaften im Land gezogen wird (unabhängig meint in diesem Fall, dass sie nicht zu dem regierungsnahen – sehr nahen – Verband gehören).  Denn die MPRA ist ja immerhin in 16 Unternehmen und 40 Regionen die unabhängige gewerkschaftliche Organisation der Autoarbeiter – und in all diesen Regionen gebe es – kleinere – Ansätze solcher gewerkschaftlicher Selbstorganisation, die allesamt auch auf Unterstützung von außerhalb bauen (müssen) – wie weit außerhalb, ist dann die Frage…
  • Gewerkschaftsverbot in Russland: Vorsorgemaßnahme
    »Es handelt sich eindeutig um einen zielgerichteten Auftrag«, so die Einschätzung von KTR-Präsident Boris Krawtschenko zum jüngsten Vorfall. Erste Anzeichen gab es bereits im Mai 2017. Ein Blogger reichte Beschwerde gegen die MPRA bei der Staatsanwaltschaft ein. Deren weitere Ermittlungen richteten sich ausschließlich auf eine Liquidierung der gesamten Struktur, denn anders als bei vielen von scharfen Kontrollen betroffenen NGO unternahm die Justiz gar nicht erst den Versuch, die MPRA ins Register »ausländischen Agenten« aufzunehmen. Stattdessen konzentrierte sich das Gericht auf etliche »grobe Satzungsverstöße«. Dazu zählt eine Unterschriftensammlung zur Änderung der Arbeitsgesetzgebung, die es privaten Arbeitgebern ermöglicht, eine Inflationsanpassung von Löhnen und Gehältern zu umgehen. Als politische Tätigkeit stufte das Gericht u.a. Solidaritätsbekundungen auf der Webseite für den Streik russischer Trucker 2015 ein. Bei der vermeintlichen Finanzierung durch die IndustriALL mit 2500 Euro ging es tatsächlich um eine Fortbildungsmaßnahme für MPRA-Mitglieder.  (…) Die Initiative für den Prozess, vermutet er, gehe auf Personen zurück, deren ökonomische Interessen durch die MPRA beeinträchtigt wurden. »Namen nennen wir, wenn die Zeit reif ist.« So oder so setzt das jüngste Urteil neue Maßstäbe. Iwan Milych, Vorsitzender der Gewerkschaft Nowoprof, kennt bislang keinen vergleichbaren behördlichen Angriff auf offiziell registrierte Arbeitnehmervertretungen – »ein echter Präzedenzfall«“ – aus dem Beitrag „Russische Gewerkschaft als »ausländischer Agent« aufgelöst“ von Ute Weinmann am 15. Januar 2018 in neues deutschland externer Link, worin über die ersten Reaktionen auf das Verbot ebenso berichtet wird, wie eben der Versuch gemacht, den Angriff einzuordnen. Siehe dazu auch einen weiteren Beitrag und die Stellungnahme der IndustriAll-Föderation zum Verbot ihrer Mitgliedsgewerkschaft:

    • „Union Busting in Russland“ von Reinhard Lauterbach am 16. Januar 2018 in der jungen welt externer Link, worin es unter anderem zur Einschätzung der Bedeutung des Verbots im Unterschied zu im ersten Beitrag zitierten Aussagen heißt: „Die Schikanen – mehr ist es bisher wohl nicht – zeigen aber doch eine wachsende Nervosität staatlicher Stellen angesichts des in der russischen Gesellschaft heranreifenden Potentials für Sozialproteste. Eine von einem der Kommunistischen Partei nahestehenden Thinktank erarbeitete interaktive Karte von Sozialkonflikten in Russland zeigte für die Jahre 2015 und 2016 rund 500 betriebliche oder überbetriebliche Konflikte, in denen es um soziale Themen ging. Die Nominallöhne sind zwar im wesentlichen stabil geblieben, auch wenn sie in wachsendem Maße verzögert ausgezahlt werden. Aber abgesehen davon sind durch den Preisanstieg infolge des Wegfalls von Lebensmittelimporten seit 2014 die russischen Durchschnittsverdiener inzwischen gezwungen, etwa 60 Prozent ihres Realeinkommens für Nahrungsmittel auszugeben. Vor der Krise war der Anteil halb so hoch. Die Preise in Moskauer Supermärkten lagen 2016 auf dem Niveau deutscher Discounter, waren also für russische Lohnverhältnisse alles andere als niedrig. Was den Vorwurf der »Agententätigkeit« angeht, so ist natürlich von außen nur schwer feststellbar, was auf den inkriminierten Schulungen tatsächlich gelehrt wurde. Die Webseite von Industri-all ist inhaltlich wenig aussagekräftig. Die russischen Behörden befürchten aber offensichtlich eine Neuauflage der polnischen »Solidarnosc« des Jahres 1980/81, als ebenfalls eine zunächst authentische soziale Protestbewegung schnell durch westliche Geldgeber von der CIA über den Vatikan bis zum DGB instrumentalisiert wurde“.
  • Union-busting, Russian style
    „Letztes Jahr, am 19. Mai, wurde bei der Staatsanwaltschaft des Krasnogvardeysky-Bezirks von St. Petersburg eine Beschwerde über die Gewerkschaft eingereicht. Der Mann hinter der Anzeige, Iwan Remeslo, bezeichnet sich selbst als Rechtsanwalt und Ermittler, ist aber eher als Propagandist bekannt, der sich auf die Kritik an der russischen Opposition spezialisiert hat. Die Staatsanwaltschaft reagierte sofort und leitete eine Prüfung ein, die zu einer Klage auf Auflösung der Gewerkschaft führte.“ (Quelle: engl. Artikel von Ivan Ovsyannikov vom 16.01.2018 bei openDemocracy)
  • „Major Russian Labor Union Disbanded by Court For Foreign Ties“ am 11. Januar 2018 in der Moscow Times externer Link ist die Meldung über das Urteil gegen die Gewerkschaft. Dabei wird auch die Quelle genannt, von der die MPRA das Geld für ihre Tätigkeit bezogen hat: Ein internationaler Gewerkschaftsverband, in der Schweiz ansässig. (Womit wohl kein Gewerkschaftsverband gemeint ist, sondern die ILO…).  Ausser der Auslandsfinanzierung machte die Petersburger Staatsanwaltschaft der Gewerkschaft noch den „Vorwurf“, bestehende Gesetze verändern zu wollen – etwa, in dem sie Unterschriften sammelte…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=126590
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