Entschleunigung durch Arbeitszeitverkürzung: Steht die IG Metall vor ihrem härtesten Arbeitskampf seit 20 Jahren?
Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 11.1.2018
Kultureller Groß-Konflikt um die Beschleunigung – ein ganz praktischer Anfang mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 28-Stunden für 2 Jahre bei der IG Metall
Thomas Gesterkamp weist darauf hin, dass es sich bei dieser Tarifauseinandersetzung der IG Metall (https://www.igmetall.de/miteinander-fuer-morgen-metall-tarifrunde-2018-26181.htm ) um einen tief sitzenden kulturellen Konflikt handelt – und so argumentiert der Verband der Metallindustrie: „In Wahrheit kann man in den „freien“ Stunden gut schwarzarbeiten.“ Dass vor allem ein Teil der jungen Leute anderen Werten folgt, die Aussicht auf eine lebenslange 40-Stunden-Stelle gar nicht beruhigend findet, sondern gar als Zumutung betrachtet, gilt in diesen Kreisen der deutschen Arbeitgeber als Symptom des Verfalls der bewährten deutschen Arbeitsmoral. (http://www.taz.de/!5474041/. )
Dabei hatte der Soziologe Hartmut Rosa – ohne konkrete Auswege zu kennen – schon analytisch klar festgehalten, dass die Beschleunigung eines der gewaltigsten Probleme unserer Gesellschaften ist. (http://www.spiegel.de/kultur/literatur/hartmut-rosa-beschleunigung-und-entfremdung-a-908140.html ) Deshalb ist Hartmut Rosa jetzt auch für die Verleihung des „Erich-Fromm-Preises“ vorgesehen. (http://www.soziologie.uni-jena.de/Aktuelles/Meldungen/Hartmut+Rosa+erh%C3%A4lt+den+Erich+Fromm_Preis+2018.html ) Und Hartmut Rosa stellt auch die Frage nach den Wegen aus dieser derart kranken Gesellschaft mit ihrer permanenten Beschleunigung.
Nach einer Befragung ihrer Mitglieder, die eine derartige Arbeitszeitverkürzung für sich eindeutig befürworteten. (siehe den nächsten Abschnitt) beginnt die größte Gewerkschaft der Welt jetzt einen Tarifkonflikt um ein 28-Stundenwoche für 2 Jahre bei einem gewissen Lohnausgleich.
Die Haltung der Arbeitgeber ist – für alles was über Lohnerhöhungen hinausgeht – absolut rigide ablehnend, weil sich die Arbeitgeber eher dazu bereitfinden würden, die Beschäftigten einfach wieder eher länger arbeiten zu lassen (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gesamtmetall-praesident-rainer-dulger-auch-mal-laenger-arbeiten-1.3819688?reduced=true ) – und bisher beißt die IG Metall mit ihrer Forderung absolut auf Granit. Kulturell ist eben das Leben mit einer 40-Stunden-Woche oder mehr so tief in das auf Erwerbsarbeit fokussierte Leben eingebrannt, dass den Arbeitgebern jegliches Verständnis dafür fehlt, dass die Beschäftigten eben mehr Zeit brauchen – und damit auch ihre Beschäftigung für sie sinnvoller wird. (Was wiederum den Arbeitgebern nützen würde)
„Bezahlen für nicht geleistete Arbeit“, tönt es dagegen hartnäckig von der Unternehmerseite. (http://www.taz.de/!5474041/ )
Dabei ist es durchaus an der Zeit, dass die Gewerkschafter „Arbeit neu denken“ – wie es der Vorsitzende der IG Metall formuliert. Dabei ist es vielleicht auch erst ein Anfang, denn diese Forderung mutet relativ bescheiden an, wenn man bedenkt, dass in Schweden inzwischen schon mit dem „Sechs-Stunden-Tag“ bei vollem Lohnausgleich experimentiert wird – mit auch durchaus ermutigenden Ergebnissen. (https://www.taz.de/!5459426/ )
Auch wenn die Forderung der IG Metall jetzt demgegenüber noch bescheiden erscheint, ist sie für einen Einstieg gegen das Problem der Beschleunigung auch ein Mut machender Anfang schon. (http://www.fr.de/wirtschaft/tarifverhandlungen-ig-metall-stellt-hohe-forderungen-a-1423849 )
Und die Verhandlungsposition der IG Metall ist daher angesichts der guten Konjunktur auch gut!
Steht mit dieser speziellen Arbeitszeitverkürzung der IG Metall der härteste Arbeitskampf seit 20 Jahren ins Haus?
Jetzt einfach auch einmal eine Flexibilität als Entschleunigung zugunsten der Beschäftigten! (https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/tausende-metaller-gehen-auf-die-strasse-29452542 )
Nach Jahren traut sich die IG Metall wieder Forderungen in Sachen Arbeitszeit zu stellen. Zu Recht meint die TAZ, denn von einer kürzeren Arbeitswoche (28 Stunden pro Woche für die Betroffenen) würden alle profitieren, erklärt Richard Rother.
Dazu ein kleiner Rückblick zur Verkürzung der Arbeitszeit in Deutschland
Gut 70 Jahre ist es her, dass die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall, im westdeutschen Wirtschaftswunderland für eine gesellschaftspolitische Neuerung kämpft, die unser aller Leben – im Prinzip – noch heute prägt – und die global gesehen noch längst keine Selbstverständlichkeit ist: die 5-Tage Arbeitswoche. „Samstags gehört Vati mir!“ war der eingängige Spruch, der viele mobilisierte – weil er den Zeitgeist traf…
Heute versucht es die IG Metall wieder mit einer – vergleichsweise bescheidenen – Innovation der Arbeitszeiten.
Dazwischen lag noch der erfolgreiche Kampf um die 35-Stunden-Woche in Westdeutschland in den 1980-er Jahren (https://www.boeckler.de/45167_47607.htm ) und der dann in den Nuller-Jahren gescheiterte Versuch diese auch in Ostdeutschland einzuführen.
Gut eineinhalb Jahrzehnte später traut sich die Metaller Gewerkschaft IG Metall also wieder, arbeitszeitpolitische Forderungen zu erheben. (https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5472514&s=Pascal+Beucker&SuchRahmen=Print/ )
Die größte Einzelgewerkschaft der Welt fordert in der jetzigen Tarifrunde dagegen: Jede und jeder Beschäftigte im Metallbereich soll seine Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf 28 Stunden pro Woche reduzieren können – mit dem Recht anschließend zur Vollzeit zurückkehren zu können – unter gewissen Umständen – besonders begründet – auch noch mit Extrazahlungen, um den Verdienstverlust in Grenzen halten zu können. (https://www.igmetall.de/miteinander-fuer-morgen-metall-tarifrunde-2018-26181.htm )
Dabei tun sich dann die Arbeitgeber damit hervor, dass sie diese Zahlungen für rechtswidrig halten, weil sie nur an Beschäftigte gehen, die ihre Arbeitszeit künftig verkürzen werden – nicht aber an diejenigen, die sie bisher schon verkürzt haben. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/warnstreiks-noch-kein-klaeger-noch-kein-richter-1.3817019 )
Die Forderung der IG Metall entspricht jedoch dem Zeitgeist, denn die IG-Metall-Mitglieder hatten sich in einer internen Befragung zu 82 Prozent für solch eine Arbeitszeitregung ausgesprochen. (https://www.igmetall.de/docs_20170529_2017_05_29_befragung_ansicht_komp_489719b89f16daca573614475c6ecfb706a78c9f.pdf )
Das erscheint schon deshalb berechtigt in unseren Zeiten, in denen die Arbeitgeber immer mehr Flexibilität ihrer Beschäftigten erwarten – bis hin zur ständigen Erreichbarkeit, (vgl. dazu auch Rudolf Hickel „Arbeitszeitflexibilisierung und Digitalisierung“ (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/arbeitszeitflexibilisierung-und-digitalisierung.de ) – steht jetzt den Arbeitnehmern ihrerseits auch eine Flexibilität zu, die auch ihnen einmal zugute kommt. (http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5475267&s=&SuchRahmen=Print/ )
Die Arbeitgeber kontern dies mit der Polemik „einer Stillegungsprämie für Fachkräfte“ und „Mehr Geld fürs Nichtstun“.
Dem entgegnete IG-Metall-Chef Hofmann, es sei einfach zynisch, dass die Arbeitgeber die Forderung nach individueller Arbeitszeitreduzierung inklusive einer kleinen finanziellen Kompensation unter bestimmten Bedingungen als „Stillegungsprämie“ denunzieren.
„Wenn Beschäftigte sich um ihre Kinder sorgen, wenn Beschäftigte Pflegeleistungen erbringen gegenüber Familienangehörigen oder wenn sie notwendigerweise ihre Gesundheit erhalten, weil Arbeitgeber sie in restriktive Schichtsysteme zwängen, dann geht es nicht um Stilllegungsprämie, sondern um Erhalt von Fachkräften, die dadurch auch weiter am Erwerbsleben in vollem Umfang teilhaben können. (https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5472514&s=Pascal+Beucker&SuchRahmen=Print/ )
Vergleich weiter noch die schön ausführliche Übersicht zur jetzigen Tarifrunde der IG Metall 2018 bei Labournet: https://www.labournet.de/?p=121556