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Wie im Iran die jüngsten Proteste diskutiert werden – von Gewerkschaften und Linken

Massenproteste im Iran 2017/2018: Gegen Teuerung. Gegen die neoliberale Politik„… Auf der anderen Seite ist die Reduzierung der aktuellen Proteste auf interne Machtkämpfe naiv. Zu akzeptieren, dass so ein tiefer Riss zwischen der Regierung und dem Staat existiert, wonach eine der Seiten für eine Revolte gegen die andere Seite bereit sei und das auch organisiert, ist aus unserer Sicht nicht nur eine Illusion, sonders eine bewusste politische Handlung, um den wahren Riss zwischen Menschen und dem Staat zu verschleiern. Wir glauben, dass jede Handlung, die auf den Aktivitäten der Bürger basiert, für beide Seiten gleichermaßen ihren Preis hat. Wir glauben, der Aufstand der Bürger im Iran ist ein Prozess, der nur im spezifischen Kontext der wirtschaftlichen Situation des Irans – oder sogar genauer gesagt: unter Berücksichtigung der politischen und wirtschaftlichen Situation in jedem einzelnen Gebiet des Landes – analysiert werden muss. Die Unterschiede und Widersprüche in den Slogans in verschiedenen Städten und in verschiedenen Stadteilen von Teheran kann man auch aus dieser Perspektive analysieren. Unter diesen Umständen können wir keine schnelle und gründlich umfassende Analyse liefern. Aber unsere allgemeine Ansicht ist, dass in einem nicht organisierten Umfeld, in dem es keine Referenzgruppen gibt und ohne spezifische Voreingenommenheit in den Anforderungen und Hintergründen des Handelns, jeder Slogan eine andere Bedeutung haben kann. Dazu kommt das historische Versagen der Protestsprache im Iran. Entsprechend ist unser Ansatz, die Slogans zu entschlüsseln und ihre Hintergründe zu verstehen, anstatt sie schnell mit in- und ausländischen politischen Gruppen zu verbinden…“ – aus dem Beitrag „Situation Iran“ der Gruppe AnarcistaTehran in deutscher Übersetzung am 08. Januar 2018 bei indymedia externer Link, worin einleitend gefragt wird: „Aber im Dezember ist in Mashad eine neue Protestbewegung entstanden, die ihre Wurzeln zuerst in stark gestiegenen Lebensmittelpreisen, in Arbeitslosigkeit und Problemen des Alltagsleben hatte. Die Proteste haben sich schnell ausgeweitet. Auffällig waren von Anfang an die widersprüchlichen Parolen. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen sich fragen: Was wollen die Demonstranten und wer ist in die Proteste involviert…“ Siehe dazu auch die Erklärung weiterer autonomer Gewerkschaften und zwei weitere aktuelle Beiträge:

  • „Today’s Protests By Workers And The Deprived People Is The Result Of Injustice“ am 09. Januar 2018 bei The Iranian externer Link ist die Dokumentation der gemeinsamen Stellungnahme – faktisch eines Aufrufs – zweier der bekanntesten autonomen Gewerkschaften des Iran, der Vahed-Busfahrergewerkschaft von Teheran und der Gewerkschaft der Zuckerarbeiter von Haft Tappeh (beide unseren LeserInnen wohl bekannt). Die beiden Gewerkschaften unterstreichen in ihrer Erklärung, sie und andere hätten seit Jahren immer wieder dagegen protestiert, dass der Mindestlohn viel zu gering sei – und obendrein oftmals monatelang nicht ausbezahlt werde, ohne dass Behörden und Politik solchen Betrug jemals verhindert oder ebstraft hätten, womit sie ihn faktisch förderten. Angesichts dieser Lebenssituation vieler Menschen sei es klar, welches die Gründe für die Proteste seien – eben diese Lebensbedingungen, die im folgenden auch noch in verschiedener Hinsicht kurz skizziert werden, von der Verteuerung gerade öffentlicher Dienst- und Versorgungsleistungen bis hin zum Zustand sozialer Versicherungen . (Implizit also auch ein Beitrag zu der auch im Iran stattfindenden Debatte über Einmischung ausländischer Kräfte oder des Fraktionenkampfes im Land selbst).
  • „Iran: Current protest rallies – pecritique“ von Mike Harman am 07. Januar 2018 bei libcom.org externer Link ist die englische Übersetzung eines Beitrags auf der Webseite Critique of Political Economy im Iran. Darin wird eingangs eine Bilanz der Regierungen der Reformer Katami und Rouhani gezogen, die in zwei  Zyklen seit 1997 keinerlei positive Veränderung für das Leben breiter Teile der Bevölkerung gebracht hätten. Und heute seien sich alle Fraktionen des herrschenden Regimes darin einig, das Erheben „zerstörerischer Forderungen“ möglichst schnell zu beenden – auch wenn sie vielleicht zu Beginn unterschiedliche Sicht – und Handlungsweisen gehabt hätten. Die Traditionen des Iran im antikolonialen Kampf werden in dem Text ebenso unterstrichen, wie die Entwicklungen nach 1979, und das entsprechende Scheitern verschiedener, durchaus unterschiedlicher, Protestbewegungen in den nahezu 40 Jahren fundamentalistischer Regierungszeit.
  • „„Ich fürchte sie nicht. Ich habe nichts zu verlieren.“ Die aktuelle “No Future”-Bewegung im Iran zwingt die Islamische Republik an ihre Grenzen“ am 05 Januar 2018 bei Beyond Europe externer Link ist ein Beitrag von Hamid Mohseni, deutsch-iranischer Aktivist und freier Journalist in Berlin, der zu den Gründen der aktuellen Proteste unter anderem hervor hebt: „… Die Ursachen dieser Revolte sind vielschichtig und reichen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück. In den gängigen Nachrichten hört man, dass der eskalierende Eierpreis und Arbeitslosigkeit das Fass zum Überlaufen gebracht haben. In der Tat ist die Inflation im Iran desaströs und gemeinsam mit einem strikten Austeritätsprogramm übersteigt sie deutlich das Niveau der Löhne und Einkünfte. In vielen Fällen sorgen diese Faktoren dafür, dass nicht nur die Erwerbslosen, sondern auch die massenhaft prekär Beschäftigten Iraner*innen am Rande des Existenzminimums leben. Daher gibt es schon seit einer längeren Zeit im Iran Unruhen: die staatliche Organisation Isargara zählt über 1700 soziale Protestaktionen zwischen März 2016 und jetzt – von wilden Streiks der Fabrikarbeiter*innen über Aktionen von Renter*innen und Beschäftigte im öffentlichen Dienst – und das trotz drakonischer Strafen für jegliche (basis-)gewerkschaftliche Organisation und dergleichen. Das Ende der schmerzhaften UN-Sanktionen brachte die lang ersehnte ökonomische Erholung allenfalls für einige korrupte Mullahs und ihrem ökonomisch-militärischem Komplex, den Revolutionsgarden…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=126382
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