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Äthiopien

Die Freilassung der politischen Gefangenen in Äthiopien: Ein echter Fortschritt – oder nur ein Missverständnis? In jedem Falle nicht geschenkt sondern: Erkämpft.

Propagandakampagne der äthiopischen RegierungVon vielen Kommentaren wurde die Mitteilung der äthiopischen Regierung, man werde die politischen Gefangenen des Landes frei lassen, zu Recht begrüßt. Was dabei etwas unterging, war die schlichte Tatsache, dass es sich bei diesem Schritt keineswegs um eine irgendwie aus Erleuchtung kommender Wandlung zum Guten handelt – sondern um eine politische Konzession nach Monaten der Proteste, die so weit reichten, dass im regierenden Parteienbündnis erstmals Risse öffentlich sichtbar wurden, sogar in Parlamentsdebatten Abgeordnete ihre Stimme zur Unterstützung der Proteste erhoben. Dass der Schritt umkämpft ist, zeigt auch das Dementi der Regierung nach dem internationalen Echo. Das neueste „Wirtschaftswunderland“ Afrikas hat eine ausgesprochen ungleiche Verteilung erlebt, was die Verbesserung der Lebensverhältnisse betrifft, was wiederum zu regionalen Ungleichheiten geführt hat, die diese Proteste, wenn nicht hervor gerufen, so doch befeuert haben.  Siehe zur sozialen und politischen Entwicklung in Äthiopien unsere Materialsammlung mit einigen aktuellen und Hintergrundbeiträgen – die in jedem Fall, auch nach dem Dementi, deutlich machen, dass Äthiopien erstmals eingestehen musste, dass es im Land politische Gefangene gibt:

„Äthiopien will alle politischen Gefangenen freilassen“ am 03. Januar 2018 in der Süddeutschen Zeitung externer Link ist die Meldung über die Mitteilung der äthiopischen Regierung, in der unterstrichen wird: „Äthiopien will alle politischen Gefangenen freilassen. Das kündigte Ministerpräsident Hailemariam Desalegn am Mittwoch überraschend an. Außerdem solle das berüchtigte Gefangenenlager Maekelawi geschlossen werden. Hailemariam Desalegn sagte auf einer Pressekonferenz nach mehrtägigen Beratungen der Regierung, dass er den demokratischen Raum für alle erweitern wolle. „Politische Gefangene, die angeklagt und bereits verhaftet sind, werden freigelassen.“ Einen konkreten Zeitpunkt für die Freilassungen nannte er allerdings nicht. Das bisherige Gefangenenlager Maekelawi solle ein Museum werden, so der Ministerpräsident weiter. Zuvor hatte es in großen Teilen der Regionen Oromia und Amhara monatelang Proteste gegen die Regierung gegeben“.

„Hungerbäuche waren gestern“ von Bernd Dörries am 03. Januar 2018 in der Süddeutschen Zeitung externer Link ist ein Kommentar zu dieser obigen Meldung, worin es unter anderem heißt: „Dass die Regierung jetzt reagiert, geschieht nicht auf Druck des Westens, der all die Jahre meist vornehm geschwiegen hat. Es ist ein Sieg vieler mutiger Äthiopier, die immer wieder für ihre Menschenrechte demonstriert haben. Sie haben der Regierung letztlich gesagt: Wenn Ihr euch nicht bewegt, bewegen wir euch aus dem Weg. Es ist ein überraschender Schritt und ein wichtiger für die Zukunft Äthiopiens. Mehr Kommunikation, mehr Demokratie soll es nun geben, sagt die Regierung, die nicht immer demokratisch gewählt wurde. Das Land ist bisher keine lupenreine Demokratie, es gibt viel zu kritisieren. Andererseits ist die Regierung eine der wenigen in Afrika mit klarem Plan. Sie befreite das Land aus einer blutrünstigen Diktatur, lässt Fabriken bauen, Straßen und Eisenbahnlinien. Sie holte Millionen aus der Armut. Bei Äthiopien denken viele in Europa immer noch an aufgeblähte Hungerbäuche. Für die Äthiopier sind die neue Straßenbahn in Addis Abeba und die neuen Handyfabriken frische Symbole ihres Landes. Symbole, die sich nicht mit politischen Gefangenen vertragen“.

„Äthiopien dementiert Freilassung politischer Gefangener“ am 05. Januar 2018 bei Spiegel Online externer Link ist die Meldung über das Dementi zur Nachricht der Freilassung politischer Gefangener: „Es klang nach einer hoffnungsvollen Nachricht: Am Mittwoch hatte Äthiopiens Regierungschef in einer Rede angeblich angekündigt, das ostafrikanische Land wolle alle politischen Gefangenen freilassen. Einen Tag danach präzisiert die Regierung: Es gehe darum, inhaftierte Politiker freizulassen. Eine entscheidende Stelle in der Rede von Premier Hailemariam Desalegn sei falsch übersetzt worden, meldet der britische Sender BBC und beruft sich auf einen Mitarbeiter Desalegns. Es bleibe aber dabei, das berüchtigte Maekelawi-Gefängnis in der Hauptstadt Addis Abeba zu schließen. Es solle künftig auch „mehr Raum für Politik“ geben. Unklar blieb, um wie viele Gefangene es geht und wann sie freikommen sollen. Die Falschmeldung über eine politische Totalamnestie kam besonders überraschend, weil Äthiopien bislang nie eingeräumt hatte, überhaupt Menschen aus politischen Gründen einzusperren“.

„Ethiopia PM ‚misquoted‘ over prisoners“ am 04. Januar 2018 bei der BBC externer Link ist die Originalmeldung über das Dementi, auf die sich die Spiegel-Meldung bezieht.

„Ethiopia: Closure of “torture chamber” could signal new chapter for human rights“ am 03. Januar 2018 bei amnesty international USA externer Link steht hier als Beispiel für zahlreiche ähnlich gerichtete Stellungnahmen demokratischer Organisationen, die diesen Schritt der äthiopischen Regierung begrüßten.

„Ein kleiner Hoffnungsschimmer“ von Ilona Eveleens am 04. Januar 2018 in der taz externer Link vergleicht die aktuelle Regierungsmitteilung mit früheren Schritten: „Die äthiopische Bloggerin gehört zur Gruppe Zone9, die unabhängige Meinungen über die Lage im Land publiziert. Viele ihrer Mitglieder haben dafür mit Gefängnis bezahlt. Shimeles selbst floh ins Ausland. Wie viele Dissidenten ist sie überrascht über die Ankündigung von Premierminister Hailemariam Desalegn vom Mittwoch. „Aber es gibt noch viel Unklarheit“, meint Shimeles. „Wann soll das geschehen? Wie viele kommen frei und wer?“ Keiner weiß genau, wie viele politische Gefangen es in Äthiopien gibt und wo sie alle sind. Von manchen hat man schon seit Jahren nichts mehr gehört. Zwar ließ die Regierung voriges Jahr schon Tausende von Gefangenen frei, die nach den schweren Unruhen vom vergangenen Sommer inhaftiert worden waren, aber noch nie haben die Behörden dabei von politischen Gefangenen gesprochen, wie es der Premierminister jetzt getan hat. Oppositionspolitiker, Journalisten und andere Dissidenten wurden meistens wegen Terrorismus verurteilt“.

„Growing Popular Opposition Continues to Put Pressure on Ethiopia’s Ruling Party“ von Endalk am 03. Januar 2018 bei Global Voices externer Link ist ein Beitrag, der sich mit den Auswirkungen der wachsenden Proteste in verschiedenen Regionen des Landes befasst – insbesondere mit denen, die eben Risse in der bis dahin monolithischen Einheit der Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front’s (EPRDF) zeigt, die seit 27 Jahren regiert. Ein Zusammenschluss von Parteien verschiedener Regionen: Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People’s Democratic Organization (OPDO), Southern Ethiopian People’s Democratic Movement (SEPDM) und  die Tigrayan People’s Liberation Front (TPLF), die Befreiungsfront von Tigray, die die entscheidende Rolle in diesem Zusammenschluss spielt. Wie etwa Auseinandersetzungslinien innerhalb dieses Bündnisses wirklich sich entwickeln, darüber wird viel spekuliert, wie auch darüber, was etwa die gleichzeitig mit der Freilassung verkündeten erhöhten Sicherheitsmaßnahmen in verschiedenen Regionen konkret bedeuten sollen.

„Äthiopien: Ostafrikas neue Wirtschaftsmacht?“ von Martina Schwikowski am 21. Juni 2017 bei der Deutschen Welle externer Link skizziert die Entwicklung so: „Für Äthopiens Regierung war es ein besonderer Tag: Am Dienstag weihte sie in Hawassa, etwa 250 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, einen gigantischen Industriepark ein. Mit chinesischer Hilfe entstanden moderne Hallen, in denen hochwertige Leder- und Textilprodukte für den europäischen und den amerikanischen Markt hergestellt werden sollen. Der Park soll schon in kurzer Zeit jährlich eine Milliarde US-Dollar umsetzen. Mehr als 60.000 Menschen sollen dort Arbeit finden. (…) Die Anlage in Hawassa ist einer von 16 geplanten Industrieparks, die künftig das Land zu einem attraktiven Produktionsstandort machen sollen. Die Ambitionen der Regierung sind groß: 2015 ging die erste vollelektrische Straßenbahn südlich der Sahara in der Hauptstadt an den Start. Bis 2020 soll ein 5000 Kilometer langes Schienennetz das Land mit den Nachbarländern und dem Hafen in Dschibuti verbinden. Im nächsten Jahrzehnt sollen fast alle Haushalte mit Strom versorgt werden. Dafür entstand am blauen Nil der mächtigste Staudamm Afrikas. Das Großprojekt soll sogar Strom für den Export produzieren“.

„Park life: workers struggle to make ends meet at Ethiopia’s $250m industrial zone“ von William Davison am 05. Dezember 2017 im Guardian externer Link ist ein Beitrag, der die Entwicklung in dem neuen Industriepark im Licht bisheriger Erfahrungen betrachtet. Zu den Unternehmen, die in dem neuen Park bereits investiert haben gehört auch PVH, die Markenfirmen wie Calvin Klein und Tommy Hilfiger betreiben. Und das Lohnniveau in Äthiopien ist ein Argument für den Herzug aus asiatischen Ländern. Monatslöhne von 40 Euro sind zwar in Äthiopien per Kaufkraft mehr wert, als hierzulande etwa, und natürlich für „Investoren“, die in Asien wachsende Probleme mit massiven Bewegungen für höhere Mindestlöhne in zahlreichen Ländern haben, interessant. Wie dauerhaft das dann sein mag, ist dahin gestellt…

„Ethiopia: Union recruits in industrial parks“ am 06. Dezember 2017 bei IndustriAll externer Link ist ein Beitrag über die Kampagne der Industrial Federation of Ethiopian Textile, Leather and Garment Workers Trade Unions (IFETLGWU) zur Organisierung neuer Mitglieder in Industrieparks, worin berichtet wird, dass von den etwa 13.000 neuen Mitgliedern in den Textilunternehmen solcher Parks rund zwei Drittel Frauen sind.

„‘Ethiopian Characteristics’ of Economic Growth and the Politics of Growth Bumps“ von Habtamu Alebachew am 23. Januar 2013 auf der Meles Zenawi Seite externer Link (früherer, verstorbener Premier des Landes) ist ein Beitrag, der sich mit den Problemen eines (zu?) schnellen Wachstums befasst. Zu den betroffenen, diskutierten Ländern gehört auch Äthiopien, das seit 2004 eine jährliche Rate des Wirtschaftswachstums von durchschnittlich 11% hat. Der Autor verteidigt die Politik der Regierung in den ökonomischen Debatten. Wichtig daran sind aber bestimmte Schritte, die nicht unbedingt weit verbreitet sind – so die gesetzliche Neuregelung der Landbesitztitel, die eine eher seltene Gleichstellung von Frauen vorsieht.

Game over for Flora EcoPower“ am 22. September 2017 bei Farmlandgrab externer Link ist ein Bericht über das Ende der Geschäftstätigkeit von Flora Eco Power in Äthiopien. Hier aufgeführt, weil darin deutlich wird, wie vielfältig deutsche Kapitalinteressen in Äthiopien präsent sind. Das Unternehmen hatte 70.000 Hektar Land in der Region Oromia gepachtet – während Medien hierzulande gerne über chinesische Investoren in afrikanischen Landbesitz berichten, sind Informationen über deutsche Aufkäufe höchsten in Fachdiensten nachzulesen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=126253
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