Plumpe Kampagne gegen das Arbeitszeitgesetz. Über ein unternehmensfreundliches Gesetz
„Die Kampagne läuft, die Argumentation ist immer dieselbe – das Arbeitszeitgesetz sei „unflexibel“ und „veraltet“. „Der Achtstundentag kann nicht mehr so starr sein wie bisher“, fordert der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Wer sich aber das Arbeitszeitgesetz genauer anschaut, stellt fest: besondere Grenzen gibt es für die Unternehmen da nicht. (…) Dass diese Einhaltung nicht besonders akribisch von den zuständigen Ämtern für Arbeitsschutz (bzw. Gewerbeaufsicht) überwacht wird, erwähnt der Gesetzgeber nicht. Und selbst von der 10-Stunden-Höchstarbeitszeitgrenze kann nach § 14 ArbZG abgewichen werden (…) Das Gesetz wird von den Arbeitsgerichten auch noch aufgeweicht, über das Direktionsrecht des Unternehmens. (…) Verwundern kann deshalb die Entgrenzung der Arbeitszeit nicht mehr – denn was rechtlich zulässig ist, wird von Unternehmen auch massiv genutzt (…) Ein Blick in das Arbeitszeitgesetz zeigt also, wie weit die Beschäftigten in der Defensive sind, wenn der Erhalt dieser Regelungen schon eine positive Forderung ist...“ Artikel von Marcus Schwarzbach* vom Januar 2018 – wir danken!
Plumpe Kampagne gegen das Arbeitszeitgesetz.
Über ein unternehmensfreundliches Gesetz
Die Kampagne läuft, die Argumentation ist immer dieselbe – das Arbeitszeitgesetz sei „unflexibel“ und „veraltet“. „Der Achtstundentag kann nicht mehr so starr sein wie bisher“, fordert der Arbeitgeberverband Gesamtmetall (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/metall-arbeitgeber-wollen-abkehr-vom-acht-stunden-tag-a-1127303.html ). Wer sich aber das Arbeitszeitgesetz genauer anschaut, stellt fest: besondere Grenzen gibt es für die Unternehmen da nicht.
Zwar werden einleitend der „Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung“ und der Schutz von Sonntagen und Feiertagen „als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung (!) der Arbeitnehmer“ erwähnt, aber bereits beim Thema „Acht-Stunden-Tag“ zeigt sich: Grundsätzliches wird immer mit Ausnahmen versehen. So heißt es zwar im § 3 ArbZG „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten“, um die Möglichkeiten der Unternehmen aber auszuweiten. Denn die tägliche Arbeitszeit „kann auf bis zu zehn Stunden“ verlängert werden, wenn z.B. es im Durchschnitt vom 6 Monaten acht Stunden täglich sind. Dass diese Einhaltung nicht besonders akribisch von den zuständigen Ämtern für Arbeitsschutz (bzw. Gewerbeaufsicht) überwacht wird, erwähnt der Gesetzgeber nicht.
Und selbst von der 10-Stunden-Höchstarbeitszeitgrenze kann nach § 14 ArbZG abgewichen werden:
- bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen,
- B. bei „unaufschiebbaren Vor- und Abschlussarbeiten“, wenn „dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können“.
- Oder wenn bei Nichterledigung der Arbeit „das Ergebnis der Arbeiten gefährden oder einen unverhältnismäßigen Schaden für das Unternehmen zur Folge haben würden“
Die Ruhezeit nach § 5 ArbZG ist auch mit Ausnahmen versehen: „Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.“
Für ganze Branchen Möglichkeiten, die Zeit zu verkürzen, z.B.: Krankenhäuser, Gaststätten, Hotels, Verkehrsbetrieben.
Etikettenschwindel wird bei der Sonntagsarbeit betrieben:
„Zweck des Gesetzes“ ist nach § 1 Punkt 2 ArbZG „den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe“ zu schützen. Und dann heißt es: „Der Arbeitgeber darf Arbeitnehmer an Sonntagen in der Zeit von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr grundsätzlich nicht beschäftigen“ (§ 9 ArbZG).
Es folget ein großzügiger Katalog von Ausnahmetatbeständen in § 10 ArbZG durchbrochen. Für Gastronomie, Hotels, Krankenhäuser, Rettungsdienste etc. ist es generell möglich. Aber auch für die Industrie gibt es Aufweichungen. Nach § 10 Abs. 2 ArbZG „dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit den Produktionsarbeiten beschäftigt werden“, wenn die infolge der Unterbrechung der Produktion die „Arbeiten den Einsatz von mehr Arbeitnehmern als bei durchgehender Produktion erfordern“ (eine ausführliche Darstellung zu den Ausnahmen aus Unternehmenssicht bietet auf einen Blick http://www.aok-business.de/nc/bayern/fachthemen/personalrecht-online/datenbank/anzeigen/poc/docid/180172/ )
Begrenzt wird die Anzahl der Sonntage: „Mindestens 15 Sonntage im Jahr müssen beschäftigungsfrei bleiben“ (§ 11 ArbZG).
Das Gesetz wird von den Arbeitsgerichten auch noch aufgeweicht, über das Direktionsrecht des Unternehmens. Denn es kann die Anweisung zur Sonntagsarbeit geben. Selbst ein Arbeitnehmer, der seit 30 Jahren im Unternehmen tätig ist, noch nie am Sonn- oder Feiertag gearbeitet hat und dessen Arbeitsvertrag keine Pflicht zur Sonntagsarbeit beinhaltet, kann dazu verpflichtet werden: „Der bloße Umstand, dass in den Arbeitsverträgen der Parteien nicht ausdrücklich geregelt ist, dass die Beklagte Sonntagsarbeit anzuordnen berechtigt ist, führt nicht dazu, dass eine vertragliche Vereinbarung des Inhalts existiert, dass der Kläger zur Sonntagsarbeit nicht verpflichtet ist“ (LAG Baden-Württemberg, 17.07.2008 – 9 Sa 20/08).
Zynisch klingen die Regelungen zur Nachtarbeit. Nacht- und Schichtarbeit ist „nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen (§ 6 ArbZG). Wer nachts arbeitet, bringt seinen Bio-Rhythmus durcheinander. Schichtarbeiter leiden oft an Schlafstörungen, die nachts entgangene Ruhe kann tagsüber nicht gleichwertig nachgeholt werden. Denn tagsüber ist es lauter und die meisten sind wach. Wie dabei Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft eingehalten werden sollen, bleibt offen.
Nach § 6 Abs. 4a ArbZG hat das Unternehmen „den Nachtarbeitnehmer auf dessen Verlangen auf einen für ihn geeigneten Tagesarbeitsplatz umzusetzen, wenn nach arbeitsmedizinischer Feststellung die weitere Verrichtung von Nachtarbeit den Arbeitnehmer in seiner Gesundheit gefährdet“ ist. Dieses Recht besteht aber nur, „sofern dem nicht dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen“ – die dem Unternehmen sicher einfallen werden.
Bezeichnend ist auch, was nicht im Arbeitszeitgesetz geregelt ist. Zulässig sind etwa geteilte Schichten. „Geteilter Dienst“ wird ein Dienst genannt, wenn er aus zwei Abschnitten besteht, die durch eine längere Freizeitphase geteilt werden. Also Arbeit von 7 bis 10 Uhr, dann weiterarbeiten um 13 Uhr bis 17 Uhr. Die Zeit zwischen den einzelnen Dienstabschnitten ist keine Arbeitszeit, wird nicht bezahlt – ist aber auch keine freie Zeit, über die der Beschäftigte entspannt verfügen kann, denn er muss ja wieder rechtzeitig zur Arbeit im Betrieb sein.
Zur Dienstreise sagt das Gesetz nichts. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb entschieden: „Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber die Zeiten der Hin- und Rückfahrt (Wegezeit) einer Dienstreise als Arbeitszeit vergütet“ (BAG, Urteil vom 11. Juli 2006 – 9 AZR 519/05). Auch dazu kann es Ausnahmen geben, Ansprüche aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen, die Beschäftigte absichern. Aber es gibt auch Fälle, in denen Arbeitnehmer bei der Dienstreise von München nach Hamburg die Fahrzeit in der Bahn nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Oder die Flugzeit der Dienstreise zum Headquater nach USA oder zum Zulieferer nach China wird als Privatzeit angesehen. Alles legal, auch in einer von Unternehmen gerne als globalisiert bezeichneten Arbeitswelt. Hier zeigt sich, dass ein fortschrittliches Arbeitszeitgesetz für die abhängig Beschäftigten anders aussehen muss.
Verwundern kann deshalb die Entgrenzung der Arbeitszeit nicht mehr – denn was rechtlich zulässig ist, wird von Unternehmen auch massiv genutzt: Zwischen 1995 und 2015 hat die Wochenendarbeit um 47% zugenommen, die Sonn- und Feiertagsarbeit um 71% und die Abendarbeit um 75% (Quelle: Deutscher Bundestag, siehe http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/wie-digitalisierung-krank-macht-100.html ).
Auch sind Zahlen erschreckend, die das Arbeitsministerium auf Anfrage der Linkspartei vorlegte: So hätten 2015 mehr als 1,7 Millionen Arbeitnehmer (4,8 Prozent) länger als 48 Stunden pro Woche gearbeitet, während 1995 nur 1,3 Millionen Menschen (4,2 Prozent) diese Wochenarbeitszeit regelmäßig überschritten hätten. Auch seinen damals rund sechs Millionen Beschäftigte gewohnheitsmäßig samstags oder sonntags ihrem Beruf nachgegangen, während aktuell bereits 8,8 Millionen Menschen regelmäßig am Wochenende arbeiten, also jeder vierte Erwerbstätige (www.haufe.de/personal/hr-management/new-work-digitalisierung-auf-der-arbeitszeit_80_374658.html ).
Das Arbeitszeitgesetz wurde 1994 verabschiedet – Arbeitsminister Norbert Blüm, der sich heute gerne als „Retter des Sozialstaats“ präsentiert, als treibende Kraft; Helmut Kohl, dessen politischer Aufstieg wohlwollend von der deutschen Chemieindustrie gefördert wurde, hat ganze Arbeit geleistet.
Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) hat dann die SPD-grüne-Regierung von Gerhard Schröder und Joseph Fischer nachgelegt. Job-sharing ist nach § 13 TzBfG zulässig. Dieses „Teilen der Arbeit“ führt häufig zu erzwungener Teilzeit. Nicht selten mit dem Versuch der Arbeitgeber verbunden, das unternehmerische Risiko auf zu verlagern, indem bei Krankheit oder Urlaub ein anderer die Arbeit des fehlenden Arbeitnehmers übernehmen soll. Und § 12 TzBfG ermöglich die „Arbeit auf Abruf“, also eine Arbeitszeitplanung frei nach Unternehmerwunsch.
Ein Blick in das Arbeitszeitgesetz zeigt also, wie weit die Beschäftigten in der Defensive sind, wenn der Erhalt dieser Regelungen schon eine positive Forderung ist.
Marcus Schwarzbach ist Berater für Betriebsräte und Autor des neuen isw-Wirtschaftsinfo 52 „Agil und ausgepresst – Agile Unternehmensführung als Herausforderung für Gewerkschaften und Betriebsräte in der digitalen Arbeitswelt“, siehe https://isw-muenchen.de/produkt/wirtschaftsinfo-52 und im LabourNet eine Leseprobe hieraus