75 Jahre Vernichtungsbeschluss gegen Sinti und Roma: Eine unheilige Tradition
„“Der asoziale, typische Zigeuner und der Asoziale, der wird genauso beim Kriegsdienst untauglich, verwendungsunfähig sein wie er bei der Arbeit immer verwendungsunfähig ist.“ Als der Leiter des „Rassenpolitischen Amtes der NSDAP“ Walter Groß Anfang 1940 gegen sogenannte „Asoziale“ und „Zigeuner“ hetzte, waren die Pläne zu deren Vernichtung weit gediehen. Bereits 1937 hatte man begonnen, über die deutschen Sinti und Roma scheinwissenschaftliche „Gutachten“ zu verfassen; sie entschieden später darüber, wer deportiert wurde. Der auf Ausgrenzung, auf Sterilisierung und die Ermordung abzielende „Umgang“ mit den Sinti und Roma hatte indessen schon früher eingesetzt. Die Historikerin Karola Fings, stellvertretende Direktorin des Kölner NS-Dokumentationszentrums: „1935 waren sie mit den Nürnberger Gesetzen, genauso wie die Juden, als sogenannte Fremdrasse eingestuft worden, was wiederum diesen Ausgrenzungsprozess beschleunigte. Es begannen erste Mordaktionen in größerem Umfang 1940/41, und zwar in Südosteuropa und natürlich in Osteuropa mit den Wehrmachts-Einsatzgruppen auf dem überfallenen Gebiet der Sowjetunion.““ – aus dem Beitrag „Das Dekret zur Deportation der Sinti und Roma“ von Bern Ulrich am 16. Dezember 2017 im Deutschlandfunk zum 75. Jahrestag des 16. Dezember 1942, wozu es einleitend noch heißt: “Am 16. Dezember 1942 wurde der sogenannte Auschwitz-Erlass bekannt, den der Reichsführer SS Heinrich Himmler verfasst hatte. Das Dekret regelte in bürokratisch-rassistischer Diktion, dass die deutsche Minderheit der Sinti und Roma mit ihren Kindern deportiert und schließlich ermordet werden sollte“. Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag – in dem auch der heute fortgesetzte und wieder verschärfte Alltagsrassismus Thema ist, sowie ein Interview zum Thema:
- „Gestern ist heute und morgen“ von Hamse Bytici am 15. Dezember 2017 in der taz , worin es zur heutigen Situation heißt: „Für den Rassismus der Rassisten wird auch in Deutschland weiterhin den Roma selbst die Schuld gegeben. Wir werden in den Medien, in Polizeimeldungen und Kinderfilmen immer noch als die Fremden, die Wilden, die Nichtdazugehörenden stigmatisiert. Die lebensbedrohliche Armut, in die viele Roma europaweit durch soziale Ausgrenzung gezwungen werden, wird als Folge mangelnder Integration oder gar als Teil unserer „Kultur“ gedeutet. Man hat versucht, uns zu vernichten. Jetzt versucht man, uns zu integrieren. In eine Gesellschaft, in der wir seit Jahrhunderten leben. Wie wird Höcke integriert? Wahrscheinlich dadurch, dass er kein Ausschlussverfahren kriegt, aus seiner rechtsradikalen Partei. Wir brauchen keine Integration, wir brauchen Vorbilder. Zeugen des Völkermords sowie Zeugen unserer Zeit. Staatlich geordnete Erinnerungskultur ist wichtig, heutzutage vielleicht sogar existenziell. Und dennoch brauchen wir alle einen persönlichen Bezug, durch den die Vergangenheit und die Gegenwart greifbar werden“.
- „Romani Rose im Gespräch zu 75 Jahren „Auschwitz-Erlass““ von Sören S. Sgries am 16. Dezember 2017 in der Rhein-Neckar Zeitung ist ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, in dem neben den historischen Verbrechen auch heutige Zustände Thema sind: „Man könnte meinen, dass es Geschichten aus einer fernen Vergangenheit sind. 75 Jahre nach dem „Auschwitz-Erlass“ sind auch 72 Jahre nach Kriegsende, 68 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik. Eine demokratische Erfolgsgeschichte. Doch für Romani Rose ist das Ende der Geschichte noch nicht erreicht. Im Gegenteil: „Der innere Frieden in unserer Gesellschaft wird angegriffen, wenn wir jetzt wieder über völkische Fragen, über Blut und Boden, über Abstammung sprechen“, warnt er. Die Erfolge der Rechtspopulisten in Deutschland, in Europa beunruhigen ihn zutiefst. „Ein Nationalismus, der Sündenböcke sucht, der führt uns zurück in die Vergangenheit“, sagt er. Die Situation der Minderheiten im Land, seiner Minderheit, sei ein guter Gradmesser für den Zustand der Gesellschaft, ist er überzeugt. Was ihn aktuell empört: Der „Spiegel“ berichtete über eine Diebes-Bande, nennt sie eine „Roma-Bande“. „Wir alle haben doch eine Staatsbürgerschaft“, beklagt sich Rose. „Warum werden bei uns Vorwürfe mit der Abstammung verbunden?“ Wenn Einbrecher – wie in diesem Fall – aus Kroatien nach Deutschland geschickt werden, dann sollte man das so schreiben. Und nicht „in vorauseilendem Gehorsam“ die Arbeit der Rechtspopulisten übernehmen und „völkisch“ argumentieren. Also: Rose blickt besorgt in die Zukunft. Aber er hat auch ein klares Ziel: „Raus aus der Ecke des Opfers, rein in die Mitte der Gesellschaft“, gibt er als Kurs für die Sinti und Roma im Land an“.