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Frankreich: Die Katze ist aus dem Sack, betreffend die Arbeitsrechts-„Reform“ unter Emmanuel Macron – Teil 2
Artikel von Bernard Schmid vom 4.9.2017
Einige ergänzende Anmerkungen zum Inhalt der am 31. August verkündeten Arbeitsrechts-„Reform“ (in Ergänzung zu Teil 1 vom 1. September 17). Zum Stand der Protestvorbereitung: Nun doch Aufrufe zum Streik, insbesondere bei den Eisenbahner/inne/n, für den 12. September. Den Dachverband FO (Force Ouvrière) durchziehen unterdessen heftige Widersprüche zur Haltung seines Generalsekretärs
Am vergangenen Freitag, den 1. September 17 stellten wir in den Spalten von Labournet einige Kernpunkte der am Vortag verkündeten neuerlichen „Reform“ im französischen Arbeitsrecht (nach dem „Arbeitsgesetz“ vom 08.08.2016) vor. Ergänzend hier noch einige weitere zentrale Bestimmungen der am 31. August präsentierten „Reform“:
- Auf Unternehmensebene können künftig zu einer Reihe von Themen (zusätzlich zu den bisher dafür vorgesehenen) Vereinbarungen getroffen werden, die von den Branchenkollektivverträgen – oder deutsch „Flächentarifverträgen“ abweichen.
- Dies gilt insbesondere für die Arbeitszeit, die heraufgesetzt werden kann, sowie für die Lohnpolitik. Und dabei insbesondere für variable Vergütungsbestandteile (außerhalb des Grundlohns) wie Prämien, um diese ihrerseits herunter- oder in besonders erfolgreichen Unternehmen auch mal heraufzusetzen; Letzteres war gemäß dem „Günstigkeitsprinzip“ (französisch principe de faveur) allerdings schon immer möglich. Denn auf für die Beschäftigten günstige Weise durfte der Unternehmens- schon immer vom Flächentarifvertrag abweichen. Nur eben bislang nicht auf für Lohnabhängige Ungünstige Weise.
Voraussetzung für eine solche Abweichung im „ungünstigen“ Sinne auf Unternehmensebene wird dabei künftig sein, dass die Unternehmensvereinbarung durch Gewerkschaftsvertreter abgeschlossen wird, deren Organisationen mindestens 50 Prozent der Stimmen bei Wahlen im Unternehmen repräsentieren. (Dies ist in Frankreich ansonsten keine generelle Gültigkeitserfordernis: Um ein Abkommen rechtsgültig werden zu lassen, genügen ansonsten in der Mehrzahl der Fälle bereits 30 Prozent.)
Gilt es, durch eine Vereinbarung im Unternehmen zentrale Regeln wie die zur Dauer und Verteilung der Arbeitszeit oder (generell) zum Lohn abzuändern – also auch für die Lohnabhängigen ungünstige Weise -, „wenn dies zum Funktionieren des Unternehmens, zum Erhalt oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen erforderlich ist“ (vgl. auch http://www.ifrap.org/emploi-et-politiques-sociales/des-ordonnances-du-bon-mais-pas-encore-un-big-bang-au-service-de ). Eine ausgesprochen vage Formulierung. Bislang waren solche faktische Verzichts-Abkommen auf Unternehmensebene bereits möglich – auf der Grundlage der Rechtsprechung sowie in jüngerer Zeit durch das „Gesetz zur Beschäftigungssicherung“ vom 14. Juni 2013, unter François Hollande verabschiedet -, allerdings unter viel engeren Voraussetzungen. Erforderlich war dabei, dass Arbeitsplätze wirklich nachweisbar akut bedroht waren. Eine weitere Bresche schlug allerdings bereits das „Arbeitsgesetz“ vom 08.08.2016, das die „Schaffung“ von Arbeitsplätzen neben den Erhalt von bedrohten Arbeitsstellen rückte. Nunmehr werden bisherige Riegel endgültig aufgesprengt, so scheint es.
- Im Jahr 2010 waren die rechtlichen Voraussetzungen für so genannte comptes de pénibilité geschaffen -, also für eine Art „Konten für Erschwernispunkte“, welche ab 2014 dann real eingerichtet wurden. Dabei geht es darum, aufgrund einer Reihe von Tätigkeitsmerkmalen Kriterien für bestimmte „erschwerte“ – etwa körperlich harte, oder zu körperschädigenden Haltungen zwingende – Arbeiten zu bestimmen. Durch das Sammeln von „Erschwernispunkten“ sollte eine frühere Verrentung ermöglicht werden. Dabei handelte es sich um ein Zugeständnis der Regierung des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy an die Gewerkschaftsdachverbände CGT und CFDT, das im herbst 2010 abgegeben wurde, im Gegensatz zur faktischen Beendigung der Streiks und (Raffinerie-)Besetzungen gegen die damalige „Rentenreform“. Das Renten-Mindestalter wurde damals generell um zwei Jahre von 60 auf 62 Jahre angehoben, neben weiteren Erschwernissen beim Abgang in die Rente. Doch für „erschwerte“ Tätigkeiten sollte durch ein Punktsystem ein gewisses Vorziehen des Rentenalters ermöglicht werden.
Dieses Punktesystem erwies sich – so, wie es ab 2014 eingeführt wurde – als ziemlich komplex zu handhabende, technokratische Lösung. Die Arbeit„geber“ heulten seit jenem Zeitpunkt wiederholt dagegen auf und erklärten diese Regelung gleich insgesamt für „unpraktikabel“; der rechtssozialdemokratische Premierminister Manuel Valls kam ihnen auch prompt entgegen, indem er (für vier von insgesamt zehn Merkmalsserien) die Einführung des Punktesystems einfach mal vom Jahresende 2014 auf Anfang 2016 verschob. (Vgl. http://www.rtl.fr/actu/politique/retraites-valls-reporte-le-compte-penibilite-7772980318 ) Danach dann auf den 1. Juli 2016 (vgl. http://www.lepoint.fr/economie/compte-penibilite-l-application-reportee-au-1er-juillet-2016-26-05-2015-1931177_28.php ), und im Bausektor schließlich noch weiter, bis zum 30. September 2017. (http://www.lemoniteur.fr/article/compte-penibilite-un-delai-supplementaire-pour-modifier-les-declarations-des-entreprises-32496183 ) Die neuen Rechtsbestimmungen sollen nun diese vier, besonders umstrittenen Merkmalsserien kurzerhand ganz abschaffen.
Reaktionen (neu)
Am vorigen Freitag hatten wir uns an dieser Stelle eher pessimistisch über die Perspektiven kommender Sozialproteste gegen die neuerliche „Reform“ im Arbeitsrecht gezeigt.
Dabei hoben wir hervor, dass die CGT und Solidaires nun zwar für den 12. September d.J. zu (seit einigen Wochen geplanten) Straßendemonstrationen aufrufen. Und wir fügten hinzu: „Allerdings gehen diese Aufrufe bislang kaum mit Streikankündigungen einher“.
Inzwischen werden allerdings insbesondere die Eisenbahner/innen für jenen Tag zum Streik aufgerufen, wie just am Freitag, den 1. September publik wurde. Dazu rufen die beiden Gewerkschaften CGT und SUD Rail (SUD Schienenverkehr) auf; d.h. zwei von vier derzeit als représentatif oder (im deutschen Ausdruck) „tariffähig“ betrachteten Gewerkschaften bei der französischen Eisenbahn. (Vgl. https://nanterrereseau.blogspot.fr/2017/09/reforme-travail-les-cheminots-appeles.html )
Von Widersprüchen zerrissen wird unterdessen der drittstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, also FO (Force Ouvrière, ungefähr „Arbeiterkraft“, das Namenskürzel oder die Namensbezeichnung wird ohne Artikel verwendet).
Dessen oberster Schleimkriecher, pardon: dessen Generalsekretär Jean-Claude Mailly unterstützt die Regierungs„reform“ in quasi offener Form. Auch wenn er offiziell behauptet, er könne sich kein Urteil über den Regierungstext erlauben, da positive und negative Punkte sich die Waage hielten und für eine Unübersichtlichkeit sorgten (der Aaaarme!), so bügelt er doch in jeder Stellungnahme jegliche fundierte Kritik an den geplanten Verordnungen mit Gesetzeskraft zum Arbeitsrecht ab. (Vgl. etwa: http://www.liberation.fr/france/2017/09/01/mailly-les-ordonnances-ne-sont-pas-la-casse-du-code-du-travail_1593458 ) Und jene FO-Bereiche, die dennoch bereits vergangene Woche zu den Protesten am 12. September 17 aufriefen, bezeichnete Mailly höhnisch als – sinngemäß – ewig unzufriedene „Meckerer und Nörgler“. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2017/08/31/97002-20170831FILWWW00202-mailly-se-moque-des-grognons-raleurs-de-fo-qui-manifesteront-le-12.php )
Mailly wird beim nächsten Gewerkschaftskongress des Dachverbands FO, welcher für April 2018 geplant ist, nicht wieder kandidieren, sondern sein letztes Mandat beenden; er steht dem Verband seit 2005 vor. Möglicherweise ist er auch deswegen für „Argumente“ der Regierung, die ihm Karriere-Aussichten für die Zeit nach dem Amt versprechen, empfänglich.
Vor allem aber handelt Mailly mit seinen Stellungnahmen im Interesse der zentralen Bürokratie des Dachverbands FO. Diese wurde nach der Wahl von Emmanuel Macron vom 07. Mai 2017 mit einigen Posten in der hohen Beamtenschicht des Arbeits- und Sozialministeriums – auf den Posten, die „politischer Ernennung“ unterliegen – bedacht. Ferner hat der zentrale FO-Apparat den Eindruck, bei der diesjährigen „Reform“ bei den Anhörungen ordentlich berücksichtigt worden zu sein – auch wenn dies für die Interessen der Lohnabhängigen selbst nichts ändert. Anlässlich der vorausgegangen Arbeitsrecht-„Reform“ im Frühjahr & Sommer 2016 unter Präsident François Hollande versuchte FO sich noch übergangen, weil der damalige zentrale Partner der sozialdemokratischen Regierung eher die Zentralbürokratie des Dachverbands CFDT war. Damals protestierte FO auch auf den Straßen gegen die „Reform“. Obwohl die diesjährige zweite „Reform“ inhaltlich noch schlimmer ist (diese führt die „Reform“schneise der Loi Travail oder des „Arbeitsgesetzes“ von 2016 geradlinig fort und führt dabei zusätzliche Bestimmungen ein, deren Durchsetzung im Vorjahr noch scheiterte), ändert der Dachverband FO nun seine offizielle Position um 180° Grad.
Dieser Zick-Zack-Kurs ist jedoch ferner auch Ausdruck des politisch-ideologisch schillernden Charakters von FO. Dieser Dachverband entstand 1948 aus einer Spaltung der (in den Chefetagen damals durch die Französische kommunistische Partei dominierten) stärkeren CGT im Herbst 1947, im Zuge des beginnenden Kalten Krieges. Er umfasste höchst unterschiedliche Strömungen, von ausgeprägt rechten Kräften über Teile der Sozialdemokratie – Jean-Claude Mailly hat seit über dreißig Jahren ein Parteibuch des Parti Socialiste – bis hin zu einer sehr spezifischen und sehr autoritären Strömung, die der „Lambertisten“, die aus dem Trotzkismus und Anarchosyndikalismus hervorging. Ihr verknüpfendes Band war einerseits der, je nach Diktion der verschiedenen Strömungen, Antikommunismus oder Antistalinismus (Hauptfeind waren Jahrzehnte lang die französische KP und die CGT). Andererseits war es die offizielle Behauptung, man sei unpolitisch und betreibe „ausschließlich Gewerkschaftsarbeit in völliger Unabhängigkeit von der Politik“, was stets die größte Lebenslüge von FO darstellte.
Ab 1995, als der Dachverband FO sich gegen die „Reform“ der gesetzlichen Krankenversicherung unter dem damaligen konservativ-liberalen Premierminister Alain Juppé positioniert und – erstmals überhaupt – gemeinsam mit der CGT demonstrieren ging, hat sich die gewerkschaftspolitische Position dieses Dachverbands scheinbar radikalisiert. Zuvor war er stets betont „reformorientiert“ und oft regierungsfreundlich gewesen, jedenfalls an der Spitze. Dieser Schwenk hing auch mit der Erwartung zusammen, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Platz der Opposition im Sozialen System verwaist sei, weil „der Kommunismus nun tot“ sei, und man also die vermeintliche Erbmasse der CGT längerfristig übernehmen könne. Die damit verbundenen strategischen Erwartungen haben sich jedoch eher nicht erfüllt. Stärker „reformorientierte“ Kräfte, die den neuen vermeintlichen „Protestkurs“ kritisierten, spalteten sich 1996 ab und bildeten die „Dachverband unabhängiger Gewerkschaften“ UNSA.
Unter Jean-Claude Mailly kehrt FO nun, im Jahr 2017, relativ unerwartet auf einen umgeschminkt regierungsfreundlichen Kurs zurück.
Dies bleibt unterdessen nicht ohne Widersprüche. Vor allem der Transport-Branchenverband von FO hat sich dagegen jetzt lautstark zu Wort gewandt. Er ruft seinerseits zur Unterstützung der Protestdemonstrationen am 12. September d.J. auf. Auch mehrere regionale Untergliederungen des Dachverbands FO, bspw. alle vier Bezirksverbände in den vier Départements der Bretagne, positionieren sich in diesem Sinne. (Vgl. ausführlicher: http://www.liberation.fr/france/2017/09/01/loi-travail-forces-contraires-chez-fo_1593673 )
Manche Stimmen sprechen unterdessen bereits halblaut oder laut einem „Risiko der Spaltung“ des Dachverbands, je nach Intensität der Beteiligung von FO-Bereichen an den bevorstehenden Sozialprotesten.
Nun, falls wenigstens diese faule Frucht der französischen Gewerkschaftsgeschichte zerplatzen könnte, wäre durchaus etwas gewonnen…