Willkommenskultur durch Arbeitsmarktintegration? Mark Bergfeld über Ansatzpunkte gewerkschaftlicher Arbeit mit Geflüchteten

Artikel von Mark Bergfeld*, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 8/2017

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitDer »Sommer der Solidarität« und die Entscheidung der Kanzlerin, syrischen Geflüchteten die Grenze nicht zu verschließen, werden weiterhin heiß debattiert. Die DGB-Gewerkschaften stehen diesbezüglich vor zwei Herausforderungen: Zum einen versucht die Arbeitgeberseite, Geflüchtete zu benutzen, um Lohn- und Arbeitsstandards zu senken und den Mindestlohn auszuhebeln. Zum anderen stellt die AfD mit ihrer neoliberalen Wirtschafts- und Arbeitspolitik auch eine Gefahr für Gewerkschaften und ihre Mitglieder dar. Ein Einblick in das Verhältnis von Gewerkschaften und Geflüchteten und eine genauere Analyse der gewerkschaftlichen Haltung und Aufgaben in Bezug auf die Politik der Arbeitsmarktintegration zeigt Handlungsfelder und -optionen auf, die einen positiven Debattenbeitrag im Wahlkampf darstellen würden.

Das Verhältnis von DGB-Gewerkschaften und Migration ist nicht einfach. In der gewerkschaftlichen Linken und unter BewegungsaktivistInnen ist der Blick auf das Verhältnis von Gewerkschaften und MigrantInnen oft durch einen positiven Bezug auf die wilden Streiks der frühen 1970er Jahre geprägt, die sich gegen Arbeitgeber sowie gegen die jeweilige Gewerkschaft gewandt hätten (Bojadžijev 2008; Braeg 2012; Wittemann 1994). Der Streik ausländischer Frauen beim Autozulieferer Pierburg in Neuss 1973 und der Streik türkischer Beschäftigte bei Ford in Köln im gleichen Jahr sind Teil einer linken Mythologie geworden, in der migrantische Beschäftigte kämpferischer erscheinen als ihre deutschen KollegInnen. Diese Streiks hatten auch reale Auswirkungen auf Gewerkschaft und Arbeitswelt. So zeigt die Historikerin Nelly Tügel (2016), welche Veränderungen der Ford-Streik hatte, z.B. im Hinblick auf die Zusammensetzung des Betriebsrates, auch wenn die Streikenden die Wiedereinstellung ihrer Kollegen nicht durchsetzen konnten. Bei Pierburg hingegen gelang es den dort beschäftigten Frauen, die sog, »Leichtlohngruppe« in ihrem Betrieb wegzustreiken.

Wie die letzten Jahre zeigen, muss die Beziehung zwischen MigrantInnen und Gewerkschaften immer wieder neu ausgehandelt werden. Die Initiative zur Aufnahme von 300 von Abschiebung bedrohten Geflüchteten durch ver.di Hamburg erlitt zwar einen Rückschlag, da die Geflüchteten keine permanenten Gewerkschaftsmitglieder wurden, schaffte aber breite Aufmerksamkeit für das Thema und brachte erneut die Frage auf: Wie verstehen sich Gewerkschaften heute, wie bestimmen sie ihr Verhältnis zu Migration und MigrantInnen? Punktuell fand im Zuge dessen eine Zusammenarbeit zwischen spanischen BasisgewerkschafterInnen der Gruppo Accion Sindical und DGB-Gewerkschaften statt. Aber die Besetzung des DGB-Gewerkschaftshauses Berlin-Brandenburg durch die Gruppe »Refugees Freedom Forever« und deren polizeiliche Räumung bestätigte bei vielen BewegungsaktivistInnen ein Bild, demzufolge sich bei den DGB-Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig verändert hat.

Im Global Labour Journal habe ich versucht, ein differenzierteres Bild gewerkschaftlicher Initiativen zu zeichnen (Bergfeld 2017). Dabei stütze ich mich auf vorherige Studien des DGB, die zeigen, dass Gewerkschaftsmitglieder weder immun gegenüber rechtsextremen Ideen sind, noch davor zurückscheuen – wie bei den letzten drei Landtagswahlen –, die AfD zu wählen (DGB 2016). Nichtsdestotrotz gibt es auch diejenigen GewerkschafterInnen, die aktiv sind in der Geflüchtetenhilfe vor Ort. Darüber hinaus kamen hunderttausende Euro durch die Initiative Gewerkschaften Helfen! zusammen. Und auch wenn der Fokus der letzten Jahre in der Beratung von mobilen EU-Beschäftigten durch das DGB-Projekt »Faire Mobilität« lag, haben die DGB-Gewerkschaften auch eine bedeutende Rolle in der Arbeitsmarktintegration von syrischen Geflüchteten gespielt.

Dabei stützen sich die Gewerkschaften auf Kooperationen mit der Arbeitgeberseite, die jedoch immer wieder auch unterlaufen werden. So behauptete Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender bei der Daimler AG, im Sommer 2015, dass die Geflüchteten ein Wirtschaftswunder auslösen könnten (FAZ 2015). Dennoch wurden bis Sommer 2016 nur 54 Geflüchtete in DAX-Unternehmen beschäftigt – 50 davon bei der Deutschen Post (vgl. Astheimer 2016; neuere Zahlen liegen leider nicht vor). Das hat zwei Gründe: Erstens will die Arbeitgeberseite die Geflüchteten zu schlechteren Bedingungen – ohne Mindestlohn und Tarifbindung – einstellen. Zweitens haben Studien zufolge rund 70 Prozent der jobsuchenden Geflüchteten keine Ausbildung oder Berufsqualifizierung (Brücker/Schewe/Sirries 2016). Deshalb ist es höchstwahrscheinlich, dass Geflüchtete in diejenigen Segmente des Arbeitsmarktes integriert werden, die deutsche Beschäftigte nicht besetzen wollen oder schon verlassen haben, oder die derzeit von ost- und südeuropäischen Beschäftigten übernommen werden. Zur gleichen Zeit suchen Arbeitgeber händeringend nach hochqualifizierten Fachkräften, die dem Fachkräftemangel entgegen steuern sollen.

        Optimierungslogik

In diesem Kontext versuchen Gewerkschaften durch verschiedene Maßnahmen, die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus­zubauen, ohne dass Arbeitsmarktstandards ausgehöhlt werden. Dabei verfolgen sie, was ich eine »Optimierungslogik« nenne. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Gewerkschaften die Flüchtlingspolitik der Regierung akzeptieren und Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Arbeitsmarktpolitik einbringen. Damit positionieren sie sich als gesellschaftliche Akteure, die Markteffizienz und Mitbestimmung zugleich ausbauen können.

ver.di folgt der Annahme, dass die Arbeitsmarktintegration das Fundament gesellschaftlicher Teilhabe darstellt. Zu diesem Zwecke benutzt ver.di die eigene institutionelle Macht, um Geflüchtete in tarifgebundene Ausbildungsberufe zu integrieren. Bei der Tarifrunde der Telekom verhandelte ver.di, dass Geflüchteten jährlich 100 Ausbildungsplätze zustehen. Dazu hat der Hamburger ver.di-Bezirk auch eine Musterbetriebsvereinbarung verfasst. Mit solchen Maßnahmen versucht ver.di, den betriebsinternen Handlungsspielraum auszubauen. Die Markteffizienz ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Optimierungslogik. In diesem Zusammenhang fordert die IG Metall eine »nachhaltige Flüchtlingspolitik«, berufsbezogene Sprachkurse, eine zügige Berufsanerkennung, eine »gerechte« Verteilung von Geflüchteten innerhalb der Europäischen Union und ein standardisiertes Einreiseverfahren, in dem die Berufe und Qualifikationen der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen erfasst werden (IGM, 2015). Der Staat wird nur insofern kritisiert, dass er die Arbeitsmarktintegration verzögert und damit letztlich die Sozialkosten erhöht. Diese Vorschläge entspringen der Logik, dass unkoordinierte Migration, das EU-Migrationsregime (z.B. durch die Dublin III-Regelung) und die deutsche Asylpolitik ineffiziente Märkte befördern. Aus diesem Grund kritisierte die IG BCE auch die Residenzpflicht (IG BCE 2015). Geflüchtete, die der Residenzpflicht unterliegen, können weder ihre gesellschaftliche Teilhabe ausbauen, noch ihre berufliche Integration vorantreiben.

        Jenseits des Arbeitsplatzes?

Initiativen für Geflüchtete sind stark abhängig vom Bezirk. Eine Initiative der IG Metall in Frankfurt am Main bietet ihre Räumlichkeiten für Sprachkurse an und eröffnete eine Beratungsstelle mit besonderen Informations- und Rechtsangeboten für Geflüchtete und MigrantInnen. Als Teil der Mindestlohnkampagne des DGB wurde nun auch eine Hotline auf Farsi und Arabisch eingerichtet. Des Weiteren wurden Broschüren mit relevanten Themen rund um den ersten Job in verschiedenen Fremdsprachen publiziert. Das DGB-Projekt Faire Mobilität, das in seinen insgesamt acht lokalen Anlaufstellen WanderarbeiterInnen und osteuropäische Beschäftigte unterstützt und damit über eine gute Infrastruktur verfügt, kann sich aufgrund der Förderzwecke und Zielsetzung jedoch nicht neu aufstellen, um etwa auch arabisch-sprechende Geflüch­tete zu beraten. Der Bedarf für solche Beratungsangebote bleibt damit weiterhin sehr hoch, wie Michaela Dälken vom DGB-Projekt Migration und Gleichberechtigung in ihrer Studie zeigt (vgl. Dälken 2016). Gewerkschaften hoffen, sich gegenüber der Politik als So­zialpartner und gesellschaftlicher Akteur zu behaupten und im Gegenzug Gehör in anderen arbeitsmarktpolitischen Fragen zu finden. Durch diesen gewerkschaftlichen Etatismus gelingt es dem Staat immer wieder, den Rahmen gewerkschaftlicher Migrationspolitik zu bestimmen. Somit stellt es keinen Widerspruch dar, dass 2004 der Ausschluss osteuropäischer ArbeitnehmerInnen vom deutschen Arbeitsmarkt von gewerkschaftlicher Seite unterstützt wurde, aber syrische Geflüchtete nun willkommen geheißen werden.

Da Arbeit als Fundament gesellschaftlicher Teilhabe verstanden wird, besteht die Gefahr, dass diese Optimierungslogik Geflüchtete auf ihre Arbeitskraft reduziert. Dabei ist zu bedenken, dass es sich um Menschen handelt, die vor Krieg und Hunger geflohen sind, sich auf den Weg über das lebensgefährliche Mittelmeer gemacht haben und oftmals bei ihrer Ankunft immer noch nicht wissen, ob sie eine Bleibeperspektive haben. Dazu kommen Traumata durch Krieg und Flucht, die nicht nur die Arbeitsmarktintegration erschweren, sondern auch die gesellschaftliche Partizipation.

Die DGB-Gewerkschaften beschränken sich allerdings nicht nur auf ihre Rolle als Integrationshelfer am Arbeitsplatz, sondern tragen auch direkt zur gesellschaftlichen Teilhabe von Geflüchteten und der zivilgesellschaftlichen Solidaritätsbewegung bei. Die IG BCE zum Beispiel lud Familien zu ihrem Sommerfest ein, organisierte Fußballturniere oder koordinierte Treffen für Ehrenamtliche in der Geflüchtetenhilfe. Die IG Metall bietet Geflüchteten in Frankfurt ein vielseitiges Beratungs- und Informationsangebot, das sich auf den ›ganzen Menschen‹ und dessen gesellschaftliche Teilhabe bezieht und insofern einen Fortschritt gegenüber rein arbeitsplatzbezogenen Integrationsmaßnahmen darstellt. Allerdings stellen diese Aktivitäten keine »Organizing«- oder Community-Organizing-Projekte dar, die darauf abzielen, neue Beschäftigtengruppen zu erschließen. Es bleibt daher offen, wie Gewerkschaften prekarisierte Industriesektoren, in denen Geflüchtete unterkommen, organisieren und repräsentieren werden. Die Frage stellt sich, ob Gewerkschaften im Betrieb ansetzen und sich darauf beschränken – oder übernehmen sie Aufgaben, die klassischerweise zur Sozialen Arbeit gehören?

       Antirassismus in Gewerkschaften

Einer der Hauptgründe dafür, dass DGB-Gewerkschaften sich zunehmend für Geflüchtete einsetzen, ist ihr Bekenntnis zu Antirassismus und »Multikulti«. Auf der migrationspolitischen Tagung des ver.di-Migrationsausschusses im September 2016 stellte Frank Bsirske fest, dass ver.di eine Einwanderungsgewerkschaft sei. Der Antirassismus der IG BCE wird darauf begründet, dass sie Mitglieder aus 99 Ländern vertritt. Die IG Metall feierte ihr 125-jähriges Bestehen mit dem Jahr der Einwanderung und betonte die Diversität der Gewerkschaft (IGM 2016).

Mit ihrem Antirassismus reagieren Gewerkschaften auch auf eine veränderte Beschäftigten- und Mitgliederstruktur. Zwar werden Daten über die Anzahl migrantischer oder ausländischer Gewerkschaftsmitglieder nicht erhoben, doch spielen migrantische Beschäftigtengruppen etwa in den Arbeitskämpfen bei Amazon, der BusfahrerInnen der Berliner Verkehrsgemeinschaft oder in der Pflege eine wichtige Rolle. Antirassismus gewinnt auch durch die Wahlerfolge der AfD an Bedeutung. Studien belegen, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht weniger anfällig für »rechtsextreme« Positionen sind als der Rest der Bevölkerung und dass diese in den letzten Landtagswahlen die AfD gewählt haben (vgl. DGB 2016; Fichter 2008). Bei gewerkschaftlichen Treffen, an denen ich im Laufe meiner Studie teilnahm, haben AktivistInnen und GewerkschaftssekretärInnen immer wieder auch beschrieben, dass der gewerkschaftliche Antirassismus besonders in den neuen Bundesländern auch zu Mitgliederverlusten führt. Bislang gibt es allerdings keine empirischen Anhaltspunkte dafür, dass sich Gewerkschaften infolgedessen zurückgezogen hätten.

Gewerkschaften konzentrieren ihre Ressourcen auf die anti-rassistische Informations- und Bildungspolitik. Teil dieser bildungspo­litischen Arbeit entstammt der Arbeit des »Kumpel«-Vereins, der seit Mitte der 1980er aktiv ist. Gewerkschaften wie die NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) veröffentlichen Broschüren, die wichtige Argumente gegen die Flüchtlingshetze liefern (vgl. NGG 2015). Die IG Metall und die Initiative »Aufstehen gegen Rassismus« bildeten zu diesem Zwecke rund 80 StammtischkämpferInnen aus (so die Angaben des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« für 2016 – mittlerweile dürften es deutlich mehr sein). Außerdem verbünden sich Gewerkschaften mit sozialen Bewegungen und anderen Institutionen wie Kirchen, NGOs und Arbeitgeberverbänden, um für Weltoffenheit zu plädieren. Damit versuchen sie, in ihrer Mitgliedschaft einen Konsens in Bezug auf ihre Arbeits- und Migrationspolitik aufzu­bauen.

Der gewerkschaftliche Antirassismus hat aber auch seine Grenzen, da weder die EU- noch die deutsche Asyl- und Migrationspolitik grundlegend in Frage gestellt werden. Außerdem spielt derzeit das Thema anti-muslimischer Rassismus keine Rolle, obwohl es vorwiegend muslimische MigrantInnen und Geflüchtete sind, die nach Deutschland kommen, und muslimische Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt und in Bewerbungsverfahren stärker als andere MigrantInnengruppen diskriminiert werden (vgl. Kreienbrink/Stichs 2012; Peucker 2010).

        Nach vorne blickend

Durch ihre Politik und konkreten Maßnahmen, Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren, positionieren sich Gewerkschaften als gesellschaftlicher Akteur. Die Optimierungslogik stellt dabei die deutsche Asyl- und Migra­tionspolitik nicht in Frage, eröffnet aber neue Handlungsfelder sowohl im Rahmen klassischer gewerkschaftlicher Aufgaben wie Tarifverhandlungen und Betriebsvereinbarungen als auch jenseits des Arbeitsplatzes – bislang allerdings ohne konkrete Organisierungsbemühungen unter Geflüchteten.

Gewerkschaften stellen sich der Heraus­forderung, Initiativen für die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu entwickeln. Oftmals sind diese jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass die Arbeitgeberseite Geflüchtete zu schlechteren Standards einsetzen möchte; oder Geflüchtete noch für ihre Berufsanerkennung kämpfen oder über gar keine offizielle Berufsqualifizierung verfügen.

Bisher wurde die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten im Wahlkampfjahr überhaupt nicht thematisiert.

Die politischen Herausforderungen für die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften sind groß. Amnesty International spricht von mehr als 1.000 Brandanschlägen auf Asylbewerberheime im Jahr 2015 (vgl. Amnesty International 2016), gleichzeitig kam die AfD in den letzten Landtagswahlen jeweils auf über 15 Prozent. Mit einer neuen rechten Partei in den Parlamenten und rassistischen Bewegungen auf den Straßen stellt die gewerkschaftliche Strategie der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten einen wichtigen Pol in der derzeitigen Debatte dar.

Literaturliste über die Redaktion

*  Mark Bergfeld arbeitet an der Queen Mary University of London und forscht zu Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Migration.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=120877
nach oben